Retrogott hat früher im Battle-Rap auch mal fragwürdig ausgeteilt und dabei in Songs wie “Pornofilmkäse” oder “Radiowecker” auch homophobe Lines gerappt. Mittlerweile hat er seinen Stil geändert – und in der Diskussion um Kollegah und Farid Bang deutlich gegen beide Position bezogen. VISIONS-Autor Sebastian Berlich sprach mit dem Rapper über das Format Battle-Rap und seinen Umgang damit.
Retrogott, welche Rolle hat Battle-Rap in deiner Karriere gespielt?
Ich habe zu Beginn fast nur Battle-Rap gemacht. Ich schreibe immer noch Battle-Songs. Mittlerweile verzichte ich aber auf sexistische und rassistische Sprache und Ansichten. Ich lehne mittlerweile das Aufmerksamkeit generierende Umhertänzeln um Tabus ab und lege meinen guten Geschmack nicht ab, bevor ich auf die Bühne gehe.
Das war nicht immer so.
Früher habe ich genau das getan, je ekelhafter und geschmackloser ich war, desto mehr Aufmerksamkeit habe ich generiert. Das kann funktionieren, mich hat es aber nicht nur aus moralischen, sondern auch aus geschmacklichen Gründen nicht mehr zufriedengestellt.
Was war entscheidend für deinen Sinneswandel: Moral oder Geschmack?
Geschmackliches und Ethisches sind schwer voneinander zu trennen. Die Grenzen hängen stark mit der eigenen Abstumpfung oder Feinfühligkeit zusammen. Geschmack ist letztlich eine Frage der Gewohnheiten. Ich denke, damals habe ich am Effekt der Provokation größeren Gefallen gefunden als an den Aussagen selbst. Mit dieser Praxis geht aber eine Gewohnheit an geschmacklose Inhalte einher. Das wollte ich irgendwann nicht mehr hinnehmen.
Siehst du im Battle- oder Gangsta-Rap Grenzüberschreitungen, die Verbote rechtfertigen?
Von Verboten halte ich wenig. Ich glaube, dass wir unsere Konsumentenrolle viel stärker hinterfragen sollten als die betreffende Gesetzgebung. Die Trennung von Autor und Erzähler, von Autor und Werk, von Werk und Rezeption, das bekommen oft weder die Rezipienten noch die Künstler richtig in den Griff. In den Schulen und in den Familien lernen die wenigsten Menschen, einen fremden Gedanken zu Ende zu denken, weiter zu denken, sogar gegen ihn anzudenken. Dekonstruktion ist der Prozess einer inhaltlichen Vertiefung, nicht eine oberflächliche Zerstörung.
Wie siehst du Battle-Rap innerhalb des HipHop-Genres – lässt er sich klar von anderen Stilen abgrenzen?
Battle-Rap ist eine der wichtigsten Facetten von Rapmusik, die ich historisch zwar der HipHop-Kultur zuordne, die jedoch heutzutage vollkommen unabhängig von ihren Ursprüngen auch als sehr kommerzielles Subgenre von Pop-Musik fortbesteht. Die Grenzen zwischen Gangsta- und Battlerap sind schwammig, übrigens nicht weniger schwammig als die zwischen Gangsta- und Conscious-Rap. Und sie sind derzeit nicht mehr oder weniger schwammig als in der Vergangenheit. Diese Genre-Grenzen erfüllen schon immer vor allem eine vermarktungsstrategische Funktion. N.W.A., die sogenannten Pioniere des Gangsta-Rap, haben ihren kommerziellen Durchbruch zu großen Teilen mit “Fuck The Police” geschafft, einem politischen Protestsong gegen Polizeigewalt.
Siehst du im Battle-Rap mehr als die schiere Konfrontation?
Battle-Rap ist für mich immer auch eine Stilübung. Im Sprachgebrauch US-amerikanischer Rapper ist beispielsweise der Begriff Freestyle nicht nur an vollkommen freie Improvisation gebunden, sondern bezeichnet nicht selten auch das für Battle-Rap typische thematisch ungebundene Spiel mit Sprache und Reimen in geschriebener Form. Das lässt sich auf der recht offenen Grundlage der eigenen Freshness eben sehr gut betreiben.
Gerade als Außenstehender kann man den Eindruck gewinnen, es ginge dabei mittlerweile vor allem darum, den Gegner sprachlich hemmungslos zu vernichten.
Die Erniedrigung des Anderen wird derzeit überbetont, aber ihr steht ja auch die Aufwertung des Selbst gegenüber. Diese kann, gemessen an der Entstehungsgeschichte von Rap und HipHop, auch positiv als poetisiertes schwarzes Selbstbewusstsein gedeutet werden, das sich nach Civil Rights Movement und Black Power in den 80er- und 90er-Jahren (Reagan, Bush, Clinton) starken politischen Repressionen ausgesetzt sah.
Wenn man diese historische Betrachtung einbezieht – welche Konsequenz folgt daraus?
Pointiert: Wir dürfen die kulturellen Errungenschaften HipHop und Rap nicht daran messen, was eine millionenschwere Musikindustrie und eine weitgehend weiße und privilegierte Hörerschaft mit voyeuristischem Interesse sowie ein paar Trittbrett fahrende Studiogangster daraus machen.
Mehr zum Thema “Kunstfreiheit und Musik”:
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