Donnerstag (16.01.)
Um 12 Uhr eröffnet die European Poster Explosion (Epex) im Grid Museum, dem Ort in der Groninger City, in dem sich Grafiker und Designer die Klinke in die Hand geben. Im Rahmen der Epex stellen Siebdruckprofis ihre Werke aus, darunter Rommie Schilstra. Auch das architektonisch verblüffende Groninger Museum widmet sich mit Willem Kolvoort einem Veteranen der Posterdruck-Szene, der seit den 80ern für das Kult-Venue Vera arbeitet. Ein schöner Rahmen und eine gute Abwechslung zum Konzert-Marathon, der ab den frühen Abendstunden ansteht. Immerhin warten an den vier Tagen 347 Künstler aus 33 Ländern darauf, entdeckt zu werden. Den Metal-Abend im abgeranzten Verbindungsheim Mutua Fides eröffnen Splinter, die neuerliche Amsterdamer Supergroup aus Mitgliedern von Death Alley und Birth Of Joy mit ihrer noch nicht ganz homogenen Mischung aus 60s-Orgelrock, 77er Punk und Stadionrock. Aber es macht Spaß, Douwe Truijens bei seinen lasziven Moves am Mikro zuzuschauen. Das diesjährige Fokus-Land Schweiz empfängt danach in der wundervollen Stadsshouwburg, wo etwa Ausnahmesängerin Sophie Hunger mit dem Avantgarde-Schlagzeuger Julian Sartorius auftritt, was irgendwo zwischen anspruchsvoll, atonal und außergewöhnlich pendelt. Die Österreicherinnen Dives haben bei ihrem post-punkigen Indierock mit dem Sound zu kämpfen. Es fehlt an Bass im Huis De Beurs, doch als ihr die anderen Songs in den Schatten stellendes “Tomorrow” das Set beendet, stimmt alles. In einer Scheune auf dem Stadtplatz reißen später die Norweger Bokassa ihre im Vorprogramm von Metallica geschulte Stadionshow ab, die nicht mehr will, als gut und schnörkellos zu unterhalten. Tut sie. Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs Pigs, die Gewaltband aus England, sorgt vor dem Mutua Fides für einen Einlassstopp. Ihr Mix aus motorischem Hawkwind-Psych mit der Wucht von Black Sabbath und der Attitüde von Idles bollert drinnen so souverän wie mitreißend.
Jan Schwarzkamp
Freitag (17.01.)
Das erste Eurosonic im neuen Jahrzehnt und Anlass für uns, das Showcase-Festival daraufhin abzuklopfen, wie fit es für die nächsten Jahre ist. In puncto Nachhaltigkeit fällt auf, dass die wenigsten Venues auf Pfandbecher setzen. Viele verwenden zwar Gläser, was gut ist, in einigen kommen aber nach wie vor Einwegplastikbecher zum Einsatz. Gelungen ist es aber, den Frauenanteil signifikant zu erhöhen. Bei den Hickeys erfreut die entspannte Atmosphäre auf und vor der Bühne. Der feste Zusammenhalt innerhalb des Quartetts ist beinahe greifbar und ihre Songs pendeln sympathisch zwischen dickem Fuzz, bluesigen Balladen und Krachattacken. Die dänischen Post-Punker Boundaries sind dagegen erschreckend unnahbar und spielen sich erst im Laufe ihres Sets frei, als längere Instrumentalpassagen die Oberhand gewinnen und sich ihr Sänger auf Schlagwörter beschränkt. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind im Anschluss Los Bitchos. Die fünf Frauen aus London verarbeiten in ihrer Musik nicht nur ihre unterschiedliche Herkunft – von Uruguay bis Australien –, sie strahlen auch eine unverschämte Selbstsicherheit aus. In ihren instrumentalen Songs treffen Psychedelic auf Cumbia und Polka, ausgefeilte Gitarrenmelodien auf rudimentäre Beats. Als das erste Mal die Tequila-Flasche auf der Bühne die Runde macht und Gitarristin Serra zum Solo ansetzt, fliegt ihnen auch das letzte Herz zu. Seine hässliche Seite zeigt das Publikum beim Auftritt von The Gluts aus Mailand, als einige auf die Selbstvorstellung der Band mit einem “Pizza anyone?” antworten. Selten so wenig gelacht. Nicht zum Lachen ist auch der harsche Noiserock der Band, dem es auf Strecke an Abwechslung fehlt. Der Post-Hardcore der Schweizer Coilguns ist ähnlich sperrig und leidet an diesem Abend ein wenig am unbedingten Willen von Sänger Louis Jucker, das Festival mit einem Knalleffekt zu beenden. Etwas weniger Theatralik und Auf-Tuchfühlung-Gehen hätten der Show der Schweizer gutgetan, denn was Schlagzeuger Luc Hess und Gitarrist Jona Nido zusammen abziehen, ist schlicht herausragend.
Florian Schneider