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Nachruf von Michael Lohrmann: "Dirk Siepe war das Aushängeschild von VISIONS"

Nachruf von Michael Lohrmann: “Dirk Siepe war das Aushängeschild von VISIONS”
Ein Nachruf auf Dirk Siepe von unserem Heftgründer Michael Lohrmann.
Foto: Michael Lohrmann

Anfang der 90er Jahre bin ich unter Plattenkritiken in Fanzines regelmäßig über den Namen Dirk Siepe gestolpert. Mit seinem Faible für Punkrock, Alternative und Desert Rock würde er eigentlich perfekt zu VISIONS passen, dachte ich mir dann immer, und als wir dringend jemanden suchten, der in unserem Namen für ein großes Kyuss-Feature nach Amerika fliegt, rief ich ihn kurzentschlossen an.

Bereits am nächsten Tag stand Dirk vor mir in der Redaktion; mit seinen Cowboy-Stiefeln und einem halb offenen Hemd unter einer abgeranzten braunen Lederjacke sah er ein bisschen so aus, als wenn er selbst in einer Band spielen würde. Ich glaube, er wirkte anfänglich ein wenig schnöselig auf mich, aber als wir dann über Musik gefachsimpelt haben (und natürlich über unsere gemeinsame Liebe Borussia Dortmund), war schnell klar, dass nur er prädestiniert ist, Josh Homme & Co. für VISIONS in Palm Desert zu besuchen.

Die Geschichte, die er anschließend mitbrachte, war stark. Dirk hatte nicht nur viel Ahnung von Musik und die Gabe, auf Augenhöhe einen guten Draht zu den Musikern aufzubauen, er besaß auch die Fähigkeit, sein Wissen und seine Erlebnisse in wortgewandte Texte zu transferieren. Nach diesem Auftakt nach Maß war klar, dass er ein Teil der VISIONS Familie werden muss. Der Zufall wollte es, dass der Posten des Chefredakteurs parallel zu unserem Kennenlernen vakant wurde. Rund 27 Jahre später kann ich sagen, dass es eine wunderbare Entscheidung war, Dirk diesen Job anzuvertrauen.

Duffy, um mal seinen Spitznamen zu bemühen, hat VISIONS über Jahre hinweg nachhaltig geprägt – vielleicht war es sogar die beste Phase, die man als Leser als auch als Mitglied der Gang mit diesem Magazin erleben konnte. In einer Zeit, wo an das Internet noch nicht zu denken war und in der Print-Magazine gehörigen Einfluss hatten, war Dirk ein Tastemaker, der den Musikgeschmack von etlichen VISIONS-Lesern extrem geprägt hat. Bands wie Kyuss, Gluecifer, The Hellacopters, Turbonegro, Mother Tongue, Masters Of Reality oder auch Queens Of The Stone Age, um nur mal die Kirschen auf der Sahne zu nennen, haben Dirk viel zu verdanken, denn er hat ihnen mit seinem Engagement den Weg geebnet.

Wie wichtig er für VISIONS und unsere Leser war, belegt alleine eine Szene, die sich bei Rock am Ring in 2001 zugetragen hat. Als die Queens um seinen alten Spezi Josh Homme von Dirk an den VISIONS-Stand geholt wurden, wollten die Leute nicht nur Autogramme von der Band, sondern auch von ihm. So saß er dann neben den Musikern und unterschrieb eine Stunde lang beseelt VISIONS-Titelbilder. Das hat mich stolz gemacht. Dirk war das Aushängeschild von VISIONS. Rock Hard hatte Götz Kühnemund, wir hatten Siepe.

Und, meine Güte, was haben wir gefeiert! Die Musikbranche bietet dafür ja durchaus viele Anlässe und der verklärte Blick zurück sagt mir gerade, dass wir so viel nicht ausgelassen haben – auch wenn Duffy da vielleicht noch mal aus einem anderen Holz geschnitzt war als ich und die meisten anderen. Auch fernab von Festivals, Konzerten oder VISIONS-Partys gab es genug Situationen, in denen es ausgelassen zuging.
Alleine der Fußball: Meisterschaften, Pokal-Siege, Derby-Triumphe, aber auch ein Moment der Schmach, als wir im Westfalenstadion 0:1 gegen den VfL Bochum verloren, weil Delron Buckley kurz vor Spielende der Meinung war, das Siegtor erzielen zu müssen. Dirk war so abgenervt von einem feiernden Bochumer in der Reihe vor uns, dass er ihm einen fast vollen Becher Bier über den Kopf kippte. Ich fand das irgendwie gerecht, weil mir der Typ auch tierisch auf den Sack ging, getraut hätte ich mich das aber nicht. Als wir später in der Kneipe einen ausgeknobelt haben, war ich immer noch überrascht darüber, dass es nicht zu Handgreiflichkeiten kam.

Vielleicht hatte der VfL-Fan aber auch einfach gemerkt, dass Dirk eine gute Seele hatte. Wer ihn kannte, wusste das ganz sicher. Sein großes Herz für Katzen und Hunde deutete darauf hin, aber auch sein ehrenamtliches Engagement für Die Tafel in Dortmund, die er in den letzten Jahren unterstützt hat. Dirk hatte außerdem eine melancholische Seite, die es ihm ermöglichte, sehr reflektierte, tiefgehende Gespräche zu führen. So erinnere ich mich an einige Abende, die wir dem Herzschmerz widmeten, ganz frei von Punkrock und Feierei.

Eigentlich wollten wir uns bald treffen, es ist bestimmt drei oder vier Jahre her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Unsere Kommunikation beschränkte sich in der Zwischenzeit auf sporadische SMS zu Geburtstagen und witzige Frotzeleien zum aktuellen Fußballgeschehen – wir waren nicht im klassischen Sinne befreundet, aber wir hatten nach all den Jahren noch steten Kontakt. Wegen seiner Lungenkrankheit und der für ihn daher besonders heiklen Covid-Situation haben wir ein Treffen vertagt, bis zu dem Zeitpunkt, wo es das Wetter zulässt, dass man sich draußen treffen kann.

Jetzt ist das Wetter gut – und Dirk nicht mehr unter uns. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 2021 hat er uns für immer verlassen. Und das macht mich extrem traurig. Danke für alles, Duffy. Du wirst vermisst werden. Und wenn du da oben den Fußballgott triffst, weißt du, was zu tun ist.