6 Boarding House Reach
VÖ: 2018 | Label: Third Man / XL
“Boarding House Reach” ist ein faszinierendes Stück Klangexzentrik, aber auch ein schwierig zu hörendes Album: Mit seinem dritten Soloalbum beschreitet Jack White neue Wege und outet sich als ungehemmter Soundforscher. Die Klangcollage, die daraufhin entsteht, bewegt sich zum Großteil jenseits bekömmlicher Songstrukturen. Es passt zu dieser kindlichen Neugier, die sich Richtung Funk und R’n’B („Corporation“), Spoken-Word (“Ezmeralda Steals The Show”), HipHop streckt und mit literarischen Referenzen (“Ice Station Zebra”) aufwartet, dass der Multiinstrumentalist die Songentwürfe mit einem alten, analogen Tonbandgerät aufnimmt, das er seit seinem vierzehnten Lebensjahr besitzt. Am Ende entsteht ein schwer zu fassendes Album, dass aber mit dem ursprünglich mal für die White Stripes geschriebenen “Over And Over And Over” und dem Opener “Connected By Love” durchaus den ein oder anderen traditionellen White-Song parat hat.
5 Entering Heaven Alive
VÖ: 2022 | Label: Third Man / Membran
Wer Whites nachdenkliche, akustische Songwriter-Seite schätzt, kommt mit seinem fünften Album auf seine Kosten: Ist das große Glück überhaupt erstrebenswert, wenn wir alle nur noch nichts mehr wollend debil in die Welt hinaus grinsen (“A Tip From You To Me”)? Und warum ist das mit der Liebe immer so ein Drama (“Love Is Selfish”)? Die auf “Boarding House Reach” geschürften Rhythmen hat White dabei ebenso wenig vergessen (“I’ve Got You Surrounded (With My Love)”), wie seine verspielte Seite (“Queen Of The Bees”). “A Madman From Manhattan” setzt kurz darauf wieder White, den Songwriter in Szene, der zu coolen Bossa-Nova- und Jazz-Akkorden große Erzählungen aus dem Ärmel schüttelt. Diese Songs sind vor allem deshalb so gut, weil man ihnen eindringlich lauscht: Man will wissen, wie sie ausgehen. Bei all dem Akustik-Zauber, und sei er noch so gut, darf man trotzdem gleichzeitig White, das wilde Gitarrentier vermissen.
4 Fear Of The Dawn
VÖ: 2022 | Label: Third Man / Membran
Nur drei Monate vor “Entering Heaven Alive” tritt mit “Fear Of The Dawn” genau dieser White in Erscheinung: Von Garage Rock getrieben, obsessiv Effektpedale heiß laufen lassend und Blues und HipHop am Kragen packend. Die Haare trägt der damals 46-Jährige nicht länger kinnlang, schwarz und wirr, sondern leuchtend blau und zur Elvis-Tolle frisiert. “Fear Of The Dawn” ist der Beginn eines neuen Kapitels, einer Reinkarnation. Ob es nötig ist, beide Seiten des neuen Abschnitts mit diesem 2022-Albumdoppel zu trennen oder ob ein Album mit dem Besten aus beiden Platten nicht dynamisch wertvoller gewesen wäre, steht als große Frage im Raum. Dass das eskalierende “Taking Me Back”, das groovende “What’s The Trick?” und der HipHop-Fiebertraum “Hi-De-Ho” mit A Tribe Called Quests Q-Tip darauf als Highlights vertreten wären, ist aber klar.
3 Lazaretto
VÖ: 2014 | Label: XL / Beggars
Wäre das hier ein Vinyl-Alben-Ranking, “Lazaretto” würde sich den ersten Platz sichern, denn Whites zweites Album als Vinyl-LP ist ein faszinierendes Gesamtkunstwerk. Mit Fokus auf die Tracklist muss sich “Lazaretto” jedoch mit der Bronze-Medaille eines Kopf-An-Kopf-Rennens begnügen. Während White, der Vinyl-Entrepreneur, sich Sachen fragt wie: Kann man eigentlich eine Platte im All abspielen (zwei Jahre später wissen wir: ja)?, knüpft White, der Musiker, an die hervorragende Songästhetik seines Debüts an, ohne viel Neues hinzuzufügen. Der Titelsong mag einer der letzten Rocksongs sein, bei dem man zum unwiderstehlichen Riff sofort auch das Musikvideo vor Augen hat, und das dank Lillie Mae Risches Violinen- und Backgroundeinsatz country-atmende “Temporary Ground” nistet sich angenehm im Ohr ein. Die Überraschungsmomente allerdings sind ausschließlich für den Vinyl-Auftritt von “Lazaretto” reserviert.
2 No Name
VÖ: 2024 | Label: Third Man
Die erste Überraschung: Sein sechstes Soloalbum haut der Gitarrentüftler einfach so raus: kein Pressezirkus, kein Albumname, und über die Titel der einzelnen Songs lässt der Third-Man-Records-Kopf erstmal ein paar Tage die Gerüchteküche im Internet brodeln. Die zweite Überraschung: Dieses Album ist so geerdet, nah an Whites musikalischen Wurzeln aus Garage-Rock und Blues und ungeschliffen energetisch, wie seit dem Ende der White Stripes nichts, was er solo gemacht hat. Fast könnte man glauben, seit White seinen Tesla aus politischen Gründen verkauft hat, fließt wieder mehr Strom durch seine Gitarrenverstärker. Oder er ist vielleicht doch Benjamin Button und altert rückwärts. Denn eine wilde, dreckige The-Stooges-Hommage, wie “Bombing Out” ist bisher einmalig in Whites Solokatalog. Ein die Stimme an ihre Grenzen bringen wie am Ende von “Tonight (Was A Long Time Ago)” gab es seit seiner Coverversion von “Jolene” nicht mehr – und schon länger haben die Gitarren nicht mehr so knackig stählern geklungen wie in “Underground”.
1 Blunderbuss
VÖ: 2012 | Label: Third Man / XL
“No Name” verzichtet auf die aufrührenden, beseelten Singer/Songwriter-Srücke, die der Geschichtenerzähler White so meisterhaft zu schreiben versteht. Das Solodebüt des Blues-Erneuerers allerdings hat sie alle, die zahlreichen Facetten des Jack White, und bündelt damit sämtliche Stärken in einem Album: So in “Love Interruption”, wenn die masochistischen Zeilen “I want love to roll me over slowly / Stick a knife inside me, and twist it all around” in lieblicher, akustisch begleiteter Zweistimmigkeit zwischen White und Backgroundsängerin Ruby Amanfu aufgehen. Dem gegenüber steht mit “Sixteen Saltines” eine kernig unmittelbare Garage-Rock-Wucht, von der man sich nur zu gern wachrütteln lässt. Die Spoken-Word-Salven in “Freedom 21”, angefacht von Carla Azars kraftvoll walzendem Schlagzeug-Beat, weisen auf Whites Faszination für die Spielarten des HipHop. Der Titelsong atmet mit Multiinstrumentalist Fats Kaplin an der Steel-Gitarre eine betörende Mischung aus Country und Folk. Das Little-Willie-John-Cover “I’m Shakin'” tänzelt mit einem vorwitzigen Basslauf, nur vorübergehend in die Schranken verwiesen von Whites Sologitarre, verspielt im Geiste des Rhythm And Blues voran. Wie sehr White die Neuinterpretation von Songklassikern liegt, zeigt die im Zuge der Single “Sixteen Saltines” als B-Seite veröffentlichte Version von U2s “Love Is Blindness”. All das hätte es fast nicht gegeben: Lange sträubt sich White nach dem Ende der aktiven White-Stripes-Zeit, Songs unter eigenem Namen zu veröffentlichen. Erst die Arbeit mit dem Feinsten, was Nashvilles reiche Sessionmusiker:innen-Szene zu bieten hat, ändert das und bringt ihm die fruchtbare Erleuchtung, dass es nicht zwingend eine Band braucht, um musikalische Visionen umzusetzen. Stattdessen schöpft White während der Aufnahmen aus den Vollen, experimentiert mit rein weiblichen und rein männlichen Studioband-Konstellationen und übernimmt dieses Konzept später auch auf Tour.

Inhalt
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Soundgarden im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Jack White im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Joy Division und New Order im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Placebo im Ranking
- Die 30 wichtigsten Konzeptalben – Die Schönheit des Konzepts
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Tocotronic im Ranking
- Metalcore: die Album-Highlights – Der harte Kern
- Die 50 Alben des Jahres 2024 – Harte Musik für harte Zeiten
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Linkin Park im Ranking
- Die besten Soloalben: 2012-2024 – Für sich (auf)genommen
- Die besten Soloalben 1994-2011 – Einzig und allein
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Primal Scream im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von The Cure im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Blur im Ranking
- Die 50 wichtigsten Noiserock-Platten – Mutwillig am Hit vorbei
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Oasis im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Nick Cave & The Bad Seeds im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Weezer im Ranking
- Die 50 wichtigsten Soundtracks – Bilder hören
- Zwölf umweltbewusste Alben – Sendungsbewusstsein
- Von Flop bis Top – Alle Alben der Beatsteaks im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Frank Turner im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben der Foo Fighters im Ranking
- Global Beat - Die wichtigsten Platten – Der Beat geht weiter
- Jahresrückblick 2023: Die 50 Alben des Jahres – Es müsste immer Musik da sein
- 1993 in 50 Platten – Re(ar)viewmirror
- Die 25 besten Heartland-Rock-Platten – Bewusstsein schaffen
- Shoegaze: Die 40 besten Platten – Dream On
- Tribute-Alben: 25 Meilensteine – Wem Ehre gebührt
- Supergroups: Die 50 besten Alben – Alles super
- Supergroups: Superduos – Ein Fall für zwei
- Die 33 wichtigsten Koop-Alben – Kommt zusammen
- Sludge Metal: Die besten Platten – Schlammschlacht
- Die 2010er: Die Plattenliste – Die 100 besten Alben der 2010er
- Okkult-Rock - Die Plattenliste – Diabolus in Musica
- Proto-Punk: Die wichtigsten Platten – Paten des Punk
- Jahresrückblick 2022: Die 50 Alben des Jahres – Kommentare zur Zeit
- Britpop - Die Plattenliste – Cool Britannia
- Post-Punk: Die besten Alben der ersten Welle – Pinke Flagge, schwarzes Gewand
- Post-Punk: Die besten Alben des Revivals – Widerhall in der Fabrikhalle
- Von Grunge bis Drum'n'Bass – Die 100 wichtigsten Platten der 90er