Aren, wie ist die momentane Gemütslage?
Ich verspüre eine Aufbruchstimmung. Natürlich ist es immer schwer, wenn man eine Zusammenarbeit beendet, aber dort, wo sich eine Tür schließt, geht eine andere auf. So habe ich immer gedacht. Den Namen Musa Dagh verbinde ich ohnehin mit einer Form von Durchhaltevermögen, was mir sehr naheliegt. Ich habe mein Leben lang durchgehalten und dabei versucht, auf authentische Weise meine Vision nach außen zu tragen. Daher ist es für mich jetzt noch mal ein Ansporn, über mich hinauszuwachsen und mit Musa Dagh den nächsten Schritt zu gehen, um dort anzuknüpfen, wo wir mit “No Future” aufgehört haben.
Bevor wir in die Zukunft blicken, zunächst mal die Frage nach dem Hier und Jetzt. Sascha Madsen und Aydo Abay sind ausgestiegen. Was ist passiert?
Aydo und ich waren ja der Kern der Band. Mit Thomas Götz und Sascha hatten wir zwei Schlagzeuger, die ihr ganzes Herzblut in die Sache gesteckt haben. Ich feiere ab, was die beiden dazu beigetragen haben. Die Spannung und die Reibung innerhalb der Band jedoch, das waren Aydo und ich. Was ich ja auch wunderschön fand, denn durch Reibung entsteht Energie, und aus dieser Energie heraus haben wir zwei fantastische Platten gemacht. Wenn du jedoch zwei Egos hast, dann gerät man auch immer wieder aneinander, das liegt in der Natur der Sache. Mal aus ganz bescheuerten Gründen, dann wieder aus völlig legitimen.
Gab es denn den konkreten Grund, der zum Ausstieg führte?
Wir lieben das, was wir gemeinsam gemacht haben, aber es ist dann irgendwann mal zu einem Punkt gekommen, an dem ich das Gefühl hatte, dass alles mit angezogener Handbremse passiert. Ich empfinde das Livespielen als Belohnung für die Arbeit, die ich im Studio investiere. Dass es während der Pandemie keine Konzerte zur ersten Platte gab, war höhere Gewalt, damit konnte ich mich arrangieren. Die Wartezeit haben wir für ein zweites Album genutzt. Thomas hatte aber mit den Beatsteaks seine Hauptband, mit Nina Marie eine Zweitband und mit Musa Dagh eine dritte. Da wird die Zeit knapp, er kann sich nicht zerteilen. Mit Sascha war es ähnlich. Madsen ist seine Basis, das ist seine Liebe. Da gehört er hin. Für mich war früher Harmful meine Liebe, dann kam Emirsian. Jetzt ist Musa Dagh meine Liebe, das ist verbunden mit meiner Herkunft, das steht auch für eine Form der Resilienz. Auch Aydo ist auf der Suche nach seiner Liebe. Er hat sich bei den Aufnahmen voll reingehängt und dem ganzen seinen Aydo-Gesangssound gegeben. Aber wenn er dann irgendwann sagt, er sieht sich woanders und will sein eigenes Ding machen, dann kann und muss ich das akzeptieren und verstehen. Für mich war ausschlaggebend, dass er bekundete, nicht mehr auf Tour gehen zu wollen. Wohl noch vereinzelte Konzerte, aber nicht mehr länger am Stück. Das geht für mich nicht. Ich ticke da einfach anders.
(K)eine Zukunft für Musa Dagh?
Da könnte man jetzt den letzten Albumtitel zitieren, aber “No Future” ist in diesem Fall kaum zutreffend, im Gegenteil.
Es gibt bereits Pläne und Material für eine dritte Platte, wiederum wird Moses Schneider produzieren. Thomas Götz hat bei einer Session mit neuen Songs sogar getrommelt, aber es gibt jetzt bereits einen neuen Schlagzeuger, das ist Martin „Dog“ Kessler von Abwärts. Der Typ ist ein Tier, der ist aus Frankfurt. Wir wollten immer schon mal zusammenarbeiten. Er meinte scherzhaft, dass er mir nie verziehen hätte, dass ich nach der Trennung von Nico (Heimann, Harmful-Drummer) Flo Weber von den Sportfreunden gefragt habe und nicht ihn. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Wir haben Telefonnummern ausgetauscht, länger nichts voneinander gehört und jetzt schließt sich damit der Kreis. Nach dem Tod von (Abwärts-Chef) Frank Z. habe ich eine ganze Weile gewartet, um die Trauerzeit nicht zu stören. Aber irgendwann rief ich ihn an, wir haben zusammen geprobt und waren sofort Feuer und Flamme. Da entsteht eine ganz besondere Energie.
Gibt es schon einen neuen Sänger?
Ich habe da wohl schon so einige Ideen, aber es ist noch nichts spruchreif.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Wir planen, Ende Mai mit Moses ins Studio zu gehen. Ich bin sehr gespannt darauf. Das wird garantiert gut. Von der ersten zur zweiten Platte haben sich Dinge verändert, das war okay, genauso bei der zweiten. Wenn es jetzt zum dritten Mal wieder so läuft, dann ist diese Veränderung ja auch eine Konstante. Darin liegt ein Reiz und eine Kontinuität. Wir sind keine 20 mehr. Früher ging es bei einer Band immer ums Ganze, um Leben und Tod. Heute sieht man die Dinge etwas abgeklärter, was aber nicht heißt, dass es weniger leidenschaftlich zugeht. Ums noch mal klar zu sagen, ich liebe alles, was Sascha, Thomas und Aydo in die Band gebracht haben. Ich spüre eine ganz große Dankbarkeit, da sind wirklich überhaupt keine schlechten Gefühle im Spiel. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich das Universum ein weiteres Mal mit mir verbinden wird und einen Weg aufzeigt, um den nächsten Schritt zu gehen und dieses für mich sehr wichtige dritte Album zu machen. Das fühlt sich alles sehr organisch an.
Sleaford Mods aus Nottingham haben mit ihren Synthpop-Kollegen Hot Chip aus London zwei gemeinsame Singles veröffentlicht. “Nom Nom Nom” und “Cat Burglar” wurden innerhalb eines Tages in den Londoner Abbey Road Studios geschrieben und aufgenommen.
Das Single-Artwork, das in den Musikvideos in animierter Form zu sehen ist, stammt vom britischen Weirdo-Künstler David Shrigley, der in der Vergangenheit bereits mit Hot Chip zusammengearbeitet hat. “Das ist die Kirsche auf der Torte, da es sowohl die Musik als auch die Texte perfekt widerspiegelt”, so Sleaford-Mods-Frontmann Jason Williamson.
Beide Songs sind in limitierter Auflage als Doppelsingle auf Vinyl erhältlich. Alle Einnahmen sollen der gemeinnützigen Organisation War Child zugutekommen, die Kinder in Kriegsgebieten unterstützt. Bereist vergangenes Jahr haben Sleaford Mods mit einem Cover des Pet Shop Boys-Songs “West End Girls” Spenden für eine Obdachlosen-Wohltätigkeitseinrichtung gesammelt.
Sleaford Mods haben zudem angekündigt, an einem neuen Album zu arbeiten. Genauere Pläne sind noch nicht bekannt, Williamson meinte jedoch, dass das Duo selbst noch keine konkrete Richtung eingeschlagen habe. Ihr bisher letztes Album “UK Grim” ist vergangenes Jahr erschienen.
Der australische Singer/Songwriter Angus Stone hat mit seinem Indierock-Projekt Dope Lemon eine neue Single samt Musikvideo veröffentlicht. “Golden Wolf” behandelt Themen der Transzendenz und des Jenseits in Form eines souligen Sommersongs. “Ich habe diesen Song über das nächste Leben geschrieben”, so Stone. “Was nehmen wir von uns mit? Wer und was leitet uns dort? Vielleicht, wie in diesem Fall, der goldene Wolf.”
Gemeinsam mit der Single wurde ein Musikvideo veröffentlicht. Darin wird eine Performance der Band von psychedelischen Sequenzen unterbrochen, in denen wird eine Frau einer Figur mit goldenem Wolfskopf begegnet.
Ob auf die Single noch weiteres Material folgen soll, oder ein Album in Planung ist, bleibt bisher unklar. Ihr aktuelles Album “Kimosabè” ist erst vergangenes Jahr erschienen. Zudem bildet Stone zusammen mit seiner Schwester das Duo Angus & Julia Stone.
Nach seinem Bandkollegen Steve Jones äußerte sich nun auch der Sex Pistols-Bassist Glen Matlock in einem Interview mit dem NME zum ehemaligen Frontmann John Lydon alias Johnny Rotten. Da Matlock sich auch abseits seiner Punkband politisch positioniert, ging er besonders auf Lydons offene Unterstützung für den kommenden US-Präsidenten Donald Trump ein.
“Ich denke, dass die Wahl Konsequenzen haben wird. Als Boris Johnson gewählt wurde, haben mir viele Leute geschrieben, einige davon Public Image Ltd-Fans: ‘Glen, verstehst du nicht, dass rechts das neue links ist – da wo die richtige Rebellion stattfindet?'”, so der 68-Jährige. “Sie wurden alle getäuscht, [und] ich habe meine Meinung dazu nicht geändert.”
Zu Lydons Person wurde Matlock besonders konkret: “Ganz früher hatte John etwas an sich, das ich nicht ganz bestimmen konnte, das mir aber missfiel. Und wenn er jetzt solche Sachen von sich gibt, fasst es das Ganze gut zusammen: John war fantastisch, er hat einige großartige Texte geschrieben, aber hat er sie auch wirklich so gemeint? Ich habe ihn nie als wirklich ehrlich empfunden.” Matlock weiter: “Manche Leute genießen es einfach, ablehnend zu sein. Wenn er von dem überzeugt ist, was er von sich gibt, wäre das eine Sache. Wenn er es nur sagt, um eine gewisse Art von Leuten anzuziehen, ist das unehrlich und meiner Meinung nach sogar noch schlimmer.”
Steve Jones sagte vor Kurzem in einem Podcast, dass er seit 2008 keinen Kontakt mehr zu Lydon gehabt habe. Matlock hat sich dem im Interview angeschlossen. Lydon hatte in den vergangenen Jahren etwa bei Interviews Kleidung mit der Aufschrift “Make America Great Again” getragen und 2023 gegenüber Variety geäußert: “[Trump] ist eine durch und durch unangenehme Person. Aber er ist kein Politiker und ich hasse Politiker! Da ist mir ist ein Wahnsinniger und Immobilienhai lieber!”
Sex-Pistols-Bassist wäre fast bei Oasis gelandet
Zudem kam Matlock auf Oasis und ihre Reunion zu sprechen: “Für Fans ist der Hype natürlich verständlich, und sie haben viele Fans. Ich fand Oasis immer ein bisschen wie Status Quo – einen Song einmal zu hören war genug. Sie sind etwas eintönig. Ich kenne die Jungs. Nette Typen. Ich muss jetzt aufpassen, was ich sage, weil ich Noel [Gallagher] häufiger über den Weg laufe – er wohnt bei mir um die Ecke. Liam [Gallagher] finde ich fantastisch. Er sing großartig – er ist wie Johnny Rotten, mit Talent. Und er hat eine anziehende Bühnenpräsenz: Er kann einfach da stehen und es fesselt einen. Den Rest der Truppe finde ich live ziemlich langweilig. Würde ich mir nie ansehen.”
Dabei hat Matlock bisher ausgeklammert, dass er beinahe mit Oasis zusammen gespielt hätte. Er erklärte dazu: “Vor einiger Zeit stand im Raum, dass ich ihnen am Bass aushelfe. So um ’95, ’96. Aber sie haben das Problem mit dem Verantwortlichen geklärt. Ich wurde trotzdem zu einem Konzert eingeladen, bin aber wieder gegangen, weil es mir zu langweilig war.” Aber: “Sie wollten mich eigentlich sowieso nicht, weil sie jemanden gesucht haben, der still herumstehen kann. Als ich sie dann gesehen habe, dachte ich mir ‘Das letzte, was die brauchen, ist noch jemand, der stillsteht’.”
1991, rund zehn Jahre, bevor Nu Metal seinen Höhepunkt erreicht, und ein Jahr, bevor Rage Against The Machine mit ihrem Debüt Genregrenzen sprengen, tun sich zwei auf den ersten Blick grundverschiedene Bands zusammen. Public Enemy machen gemeinsame Sache mit den Big-Four-Thrashern Anthrax, die ihrem Song “Bring The Noise” eine Kernsanierung geben – der Grundstein für Crossover und in der Folge Nu Metal ist gelegt. Es folgt eine gemeinsame Tour, die der junge Mike Shinoda gemeinsam mit seinem Vater besucht. Sein Fazit: “Das Beste, was ich jemals gehört habe.” Der 15-Jährige ist damals noch tief im HipHop verwurzelt und hat von seinen Schulfreunden den Spitznamen Spooky verpasst bekommen, weil seine eigenen Beats stets einen schaurigen Unterton haben.
Das Konzert von Public Enemy und Anthrax hat Folgen. Shinoda mixt im Kinderzimmer erste Mash-ups aus Rock- und Rap-Songs, lässt sich von seinem Schulkollegen Mark Wakefield Bands wie Nirvana und eben Rage Against The Machine näherbringen und findet sich mit der Zeit immer häufiger im Proberaum von Wakefields Schulband Relative Degree wieder. Zunächst nur als Zaungast, beginnt er später, kleinere Samples in ihre Songs einzubauen. Der große Traum der Band ist, eine Show im Roxy Theatre am Sunset Boulevard in West Hollywood zu spielen. Er soll sich am 17. Mai 1996 erfüllen – und gleichzeitig das Ende der Band bedeuten.
Gut für Shinoda, denn im Anschluss kann er Wakefield davon überzeugen, es mit einer neuen Bandgründung unter dem Namen Xero zu versuchen. Mit Hilfe von Wakefields Nachbar Brad Delson nehmen Xero schnell eine erste EP auf, bemerken aber, dass es für einen möglichen Erfolg eine vollwertige Band benötigt: Wakefields Schulfreund und ehemaliger Schlagzeuger von Relative Degree, Rob Bourdon, ist auch wieder mit an Bord; über gemeinsame Freunde stößt außerdem Bassist Dave “Phoenix” Farrell dazu. Auch die Suche nach einem DJ, um die Songs möglichst live spielen zu können, hat sich durch Shinodas Studienkollegen Joe Hahn bald erledigt. Zügig stehen erste Shows an, unter anderem im Vorprogramm von System Of A Down.
“Wir waren schrecklich, einfach furchtbar”, fasst Shinoda diese ersten Konzerte einige Jahre später zusammen. Bescheidenheit zeigt die junge Band damals nicht. Gegenüber Jeff Blue von der Zomba Music Group, der gerade erst Korn und Limp Bizkit unter Vertrag genommen hat, lässt Delson verlauten: “Diese Band ist nicht so gut. Aber ich habe vielleicht eine Band, die besser ist.” Blue ist fasziniert von Delsons Ego und gibt Xero einen Entwicklungsvertrag bei seinem Label. Doch auch Gesangsstunden und neue Instrumente retten nichts. Der Erfolg bleibt aus, Frustration macht sich breit. Farrell verlässt die Band, um sich wieder auf seine Highschool-Band Tasty Snax zu konzentrieren, und auch Wakefields Zeit mit Xero neigt sich dem Ende zu. Seine Karriere in der Musikindustrie geht derweil weiter: Bis heute arbeitet Wakefield in der Velvet Hammer Music and Management Group mit Bands wie System Of A Down, Deftones und Alice In Chains.
Who can rock a rhyme like this
Knapp 500 Kilometer entfernt in Phoenix, Arizona spielt sich ein ähnliches Spiel ab. Der 22-jährige Chester Bennington verlässt seine Band Grey Daze, die bis auf einige Supportshows ebenfalls von mangelndem Erfolg geplagt ist. Über Bekannte kommt Bennington mit Blue in Kontakt, der ihm ein Demotape mit Instrumentals von Xero zukommen lässt. Bennington ist überzeugt und sagt seine Geburtstagsparty am nächsten Tag ab, um sich auf die Aufnahme seines Demos zu konzentrieren: “Irgendetwas hat mir gesagt: ‘Ja, das ist es. Das ist mein goldenes Ticket in Willy Wonkas Schokoladenfabrik'”, erzählt Bennington in einem frühen Interview. Er soll recht behalten. Blue lässt Bennington nach Los Angeles einfliegen, und alle Beteiligten sind begeistert. “Er war das letzte Teil unseres Puzzles. Wir haben niemanden zuvor mit seinem Talent kennengelernt”, so Delson. Die Band schreibt neue Songs, man verpasst ihr den Namen Hybrid Theory, die gleichnamige EP folgt sogleich. Dank des kurz zuvor bei Warner angestellten Blue können sie im April 2000 einen Vertrag für aufstrebende Künstler:innen unterschreiben.
Dann tauchen die nächsten Probleme auf. Im Label wird bereits eine Band namens Hybrid als nächstes große Ding gehandelt, eine Namensänderung muss her. Aus über 30 Vorschlägen entscheidet sich die Band zunächst für “Lincoln Park” – zumindest bis ihnen auffällt, dass die URL lincolnpark.com bereits vergeben ist. Der Ersatz in Form des bis heute bestehenden Bandnamens ist schnell gefunden, doch die nächste Diskussion steht bereits an: Beim Label stellt man die musikalische Ausrichtung von Linkin Park infrage. Statt des aktuell populären Rap-Rock rät man ihnen, auf reinen Rock zu setzen; zudem soll Bennington zum alleinigen Aushängeschild werden und DJ Joe Hahn eine möglichst einzigartige Bühnenpersönlichkeit bekommen – inklusive Cowboyhut und Laborkittel.
»Er war das letzte Teil unseres Puzzles. Wir haben niemanden zuvor mit seinem Talent kennengelernt.«
Brad Delson über Chester Bennington
Auch der vakante Platz am Bass macht Probleme für mögliche Liveauftritte. Nach einem kurzen Intermezzo mit Kyle Christener stellt die Band Ian Hornbeck ein. Das Gefüge hält nicht lange: Hornbeck leidet an einer Drogensucht, auch zwischenmenschlich will es nicht recht passen. Ersatz bietet Scott Koziol, der die Band auch live unterstützt. In einem Interview mit dem US-Fanclub von Linkin Park äußert er sich 2009 zu den Aufnahmebedingungen: “Sie wollten wissen, welches Buch ich zuletzt gelesen hatte. Sie wollten auch wissen, ob ich einen Hochschulabschluss habe. Dann fragten sie mich, ob ich trinke und […] ich sagte ihnen, ja, gelegentlich, aber nicht, wenn ich spiele. Sie sagten, das sei gut, denn sie […] könnten nicht riskieren, dass jemand, der nicht nüchtern sei, alles in den Sand setze.”
The sound of your voice painted on my memories
Den Kontakt zum Label reduzieren Linkin Park auf ein Minimum und konzentrieren sich auf ihr Debütalbum. Während erste Songs noch aus den Anfangstagen der Band stehen, gestaltet sich die Suche nach einem Produzenten als weitaus schwieriger. Mit Don Gilmore werden sie fündig, der fordert das Gemüt der Band heraus – nachzulesen etwa in den ersten Zeilen von “One Step Closer”: “I cannot take this anymore/ Saying everything I’ve said before/ All these words they make no sense.” Wieder und wieder lässt Gilmore die Band ihre Textzeilen überarbeiten, ohne sich die Zwischenschritte überhaupt anzuschauen. Trotz aller Frustration funktioniert diese Herangehensweise. “Als wir das Album der Plattenfirma vorspielten […], konnten sie es nicht glauben. Sie brachten jeden von der Plattenfirma vorbei, um sich das Album im Studio anzuhören”, erzählt Gilmore 2017 in einem Interview mit dem Magazin Billboard.
Der Erfolg ist nicht nur an der erhöhten Aufmerksamkeit des Labels zu spüren. Bereits in den ersten drei Wochen verkauft sich “Hybrid Theory” über eine halbe Million Mal und wird zum meistverkauften Album 2001. Bis heute ist es mit über 27 Millionen verkauften Exemplaren das meistverkaufte Debüt der 00er Jahre. Thematisch treffen die Songs einen Nerv, behandeln Themen wie vergangene Beziehungen, ein kaputtes Elternhaus und Drogenmissbrauch. Die Kritik ist ebenfalls begeistert. Bei VISIONS findet Jörg Staude positive Worte, bezeichnet den Sound als “eigenständig” – andere Stimmen aus der Redaktion hören eine “Mischung aus Korn, Faith No More und den Backstreet Boys” heraus.
Im VISIONS-Interview schießt Bennington gegen die nahestehenden Vergleiche mit ihren Genrekollegen: „Man schmeißt uns in einen Topf mit Korn, Slipknot, Limp Bizkit, Papa Roach, Incubus, Deftones. Dabei sind alle diese Bands grundverschieden. Das Einzige, was wir alle gemeinsam haben, ist die Fähigkeit, unsere Instrumente selbst spielen zu können.” Während Linkin Park ihr Ziel, einmal im legendären Rockclub Whisky A Go Go in Los Angeles zu spielen, bereits 1998 erreichen, erfüllt sich ihr Traum eines Grammy-Gewinns immerhin vier Jahre später. Für “Crawling” gewinnen sie den Preis in der Kategorie “Best Hard Rock Performance”.
Breaking the habit tonight
Nach dem massiven Erfolg mit “Hybrid Theory” stellt sich die Frage, wie und ob die Band daran anknüpfen kann oder zukünftig unter dem Label One-Hit-Wonder abgestempelt wird. Die Veröffentlichung des Remix-Albums “Reanimation” lässt durchatmen, und mit Beiträgen von Künstlern wie Orgy-Sänger Jay Gordon, Korn-Sänger Jonathan Davis und The Roots-MC Black Thought können Linkin Park noch ein paar Fans am Wegrand aufsammeln. Auch kehrt Bassist Phoenix zur Band zurück. Ewig lässt sich die Frage nach dem Nachfolger des Debüts allerdings nicht verschieben. “Wir waren davon überzeugt, dass wir kein Album veröffentlichen würden, das nicht mindestens so gut wie ‘Hybrid Theory’ ist”, so Bennington im britischen Kerrang! vor der Veröffentlichung von “Meteora”. “Wir hatten viel mehr Zeit, um mit Melodien und Arrangements herumzuspielen, und ich bin zuversichtlich, dass wir ein ganz anderes Album gemacht haben.”
Delson ergänzt gegenüber MTV: “Wir haben gelernt, was echter Druck ist. Aber es war kein Druck von außen. Es war der künstlerische Druck von uns selbst.” “Meteora” baut auf den Nu-Metal-nahen Sound von “Hybrid Theory”, versucht sich daneben aber an experimentelleren Elementen wie einer Shakuhachi-Flöte für “Nobody’s Listening” und Electronica in “Breaking The Habit”. Dennoch werden Stimmen laut, dass das Album seinem Vorgänger zu ähnlich sei. Der Erfolg gibt Linkin Park freilich recht, “Meteora” steigt auf Platz 1 der Billboard-Charts ein.
Im Vorprogramm von Metallicas “Summer Sanitarium”-Tour gebucht, nehmen Linkin Park ihre erste DVD auf, die durch die Shows in US-Stadien zumindest eindrucksvoll aussieht, selbst wenn wohl nur ein Bruchteil der Besucher:innen wegen ihnen da sind – gerade Fans von Metallica sind damals nicht dafür bekannt, Vorbands mit offenen Armen zu empfangen. Was bei Public Enemy und Anthrax gut funktioniert hat, kann MTV längst herbeizaubern: Anfang 2004 werden Linkin Park mit Jay-Z ins Studio geschickt. Das Ergebnis sind sechs „Mash-ups“ mit teils neuen Strophen aus bereits bekannten Songs beider Parteien sowie einige Live-Performances, unter anderem eine von “Numb/Encore” bei den Grammys, wo Paul McCartney noch eine Strophe des Beatles-Hits “Yesterday” einwirft – inklusive denkbar unpassenden Improvisationen von Jay-Z.
I’m my own worst enemy
Die sorglosen Zeiten sind nicht von Dauer. Bennington fällt zurück in seine Drogen- und Alkoholsucht, mit der er seit Jugendtagen kämpft, und wird 2006 infolge der Scheidung von seiner ersten Ehefrau in eine Entzugsklinik eingewiesen. Gegenüber Kerrang! sagt er 2009: “Ich hatte die Wahl: sterben oder aufhören zu trinken.” Seine Erfahrungen verarbeitet er nicht nur mit Linkin Park, vor allem, weil er deren Songs eine gewisse Allgemeingültigkeit lassen möchte: “Ich kann nicht über eine beschissene Sache reden, die mir passiert ist, und erwarten, dass Mike sie singen kann. Es muss so vage sein, dass wir beide sagen können: ‘Wir können uns damit identifizieren.'”
Eine Kompensation findet er in seinem Nebenprojekt Dead By Sunrise. Gemeinsam mit Orgy-Gründungsmitglied Ryan Shuck wagt sich Bennington an Alternative Rock heran und spricht über tiefergehende Themen, die er erst einige Jahre später öffentlich diskutiert, darunter seine traumatischen Kindheitserlebnisse, die den sexuellen Missbrauch durch einen Freund der Familie umfassen: “Wie viele Leute hatte ich zu viel Angst, etwas zu sagen”, sagt Bennington im Interview mit dem NME. Auch Shinoda ist in der kurzen Bandpause nicht untätig und veröffentlicht als Fort Minor ein HipHop-Album.
In der Zwischenzeit sehen sich Linkin Park mit weiteren Problemen mit ihrem Label konfrontiert. Weil der Band Vorschusszahlungen und Tantiemen vorenthalten werden, legt sie die Arbeit an einem neuen Album aus Protest auf Eis. Erst im Dezember 2005 beendet man den Rechtsstreit, und die Band beginnt mit der Arbeit an ihrem dritten Album. Das soll sich maßgeblich von seinen beiden Vorgängern unterscheiden, sowohl auf textlicher als auch auf musikalischer Ebene. Statt persönlichen Problemen steht eine Abhandlung über den Zustand der Welt auf der Agenda, verpackt in zwölf Songs, die zum Großteil unter dem Genre Alternative Rock laufen.
Mit Rick Rubin stellt die Band dazu einen der einflussreichsten Produzenten seiner Zeit an, der ihnen neue Prinzipien nahelegt. “Er sagte uns von Anfang an: ‘Was immer ihr glaubt, dass eure Fans gerne hören, was immer ihr glaubt, welche Musik ihr machen müsst – vergesst es einfach'”, berichtet Bennington. “‘Was zählt ist, dass ihr Musik macht, die euch begeistert, unabhängig vom Stil, einem bestimmten Sound oder Ähnlichem.'” Der Albumtitel passt sich den Gegebenheiten an: “Ich habe eine Dokumentation über die Weltuntergangsuhr gesehen, und sie wiederholten immer wieder den Satz ‘Minutes to midnight’. Aus dieser Perspektive ist Mitternacht das Ende der Welt, wie wir sie kennen”, so Bennington in einem Interview zum Album. Dass Musik nur bedingt zur Besserung der weltweiten Probleme beiträgt, geht auch an Linkin Park nicht vorbei. Sie werden selbst aktiv. Mit Music For Relief gründen sie eine gemeinnützige Hilfsorganisation, die Betroffenen von Naturkatastrophen zugutekommt. Bis 2015 können so über acht Millionen Dollar an Spendengeldern gesammelt und 1,3 Millionen Bäume weltweit gepflanzt werden.
Lift me up, let me go
Die neue musikalische Ausrichtung trifft auf gemischte Reaktionen – was Linkin Park nicht davon abhält, auch für nachfolgende Alben an Rubins Prinzipien festzuhalten. Für “A Thousand Suns” von 2010 schlagen sie eine noch experimentellere Richtung ein und verabschieden sich zum Großteil vom Rock. Der Fokus liegt auf Electronica und Industrial, auch Chorgesänge und repetitive Textzeilen finden Einzug in die 15 Songs, die die Erfindung und Auswirkung der Atombombe verhandeln. Was ursprünglich als Soundtrack zu einem Computerspiel gedacht war, wird zum ersten Konzeptalbum der Band. Fans der härteren Spielart fühlen sich von “A Thousand Suns” hintergangen.
Damit rechnen Linkin Park: “Wir wussten, dass [das Album] eine Herausforderung für die Fans sein würde, und es war eine Herausforderung für uns, es zu schreiben. […] Es hat sich [weniger] verkauft als unsere anderen Alben, aber es ging dabei nicht unbedingt darum, viel zu verkaufen. Es ging mehr darum, die Leute auf eine Reise mitzunehmen und die Möglichkeiten der Band zu erweitern”, so Shinoda einige Jahre nach der Veröffentlichung von “A Thousand Suns”. Bereits 2009 verweist er in einem Blogpost darauf, dass die neue Musik “wie Santigold und Postal Service und At The Drive-In klingt.” Auch an Referenzen zu seinen frühen Vorlieben soll es nicht mangeln: Shinoda ehrt Public Enemy mit dem Song “Wretches And Kings”. “Sie waren mit ihren Platten sehr dreidimensional, denn obwohl sie politisch zu sein schienen, gab es auch eine ganze Menge anderer Dinge, die darin vorkamen. Das brachte mich dazu, darüber nachzudenken, wie dreidimensional unsere Platte sein sollte”, so Shinoda im NME.
Nachdem die Band beim Schreiben von “A Thousand Suns” vermehrt auf zeitliche Probleme stößt, die sie fast ihren Plattenvertrag kostet und auch die Frage nach ihrem “Signature-Sound” weiterhin unbeantwortet scheint, folgt mit “Living Things” 2012 die vorläufige Antwort: “Für mich geht es darum, zur echten ‘Hybrid Theory’ zurückzukehren – nicht zu dem Album, sondern zu der Idee, dass die sechs Jungs in unserer Band ganz unterschiedliche Geschmäcker haben und die Verschmelzung all dieser Sounds zu einem Ganzen genau das ist, worauf wir unsere Band aufgebaut haben”, so Shinoda in einem Blogpost zur Albumveröffentlichung.
Damit einher geht die Rückkehr zum Blick auf persönliche Themen in den Songs. Anfang 2012 findet sich die Band ein letztes Mal im Studio mit Rubin ein, sechs Monate später halten Fans das Ergebnis der Sessions in den Händen. Deutsche Fans schlagen allerdings spätestens Anfang Juli die Hände über dem Kopf zusammen, als sie die ersten Töne der Single “Burn It Down” hören: Das ZDF nutzt den Song während der Fußball-Europameisterschaft 2012, er wird neben “Tage wie diese” von den Toten Hosen zur omnipräsenten Hymne des Sommers.
Das Licht am Horizont wird für Fans der frühen Tage der Band erst Mitte 2014 wieder heller. Nicht nur metaphorisch begeben sich Linkin Park mit “The Hunting Party” auf die Jagd nach ihrem alteingesessenen Sound, packen die Gitarren aus und laden sich weitere erfahrene Rockmusiker ins Studio ein, allen voran Tom Morello, Page Hamilton von Helmet und Daron Malakian von System Of A Down. “Wir sind keine 18-jährigen Kids, die eine laute Platte machen – wir sind 37-jährige Erwachsene, die eine laute Platte machen. Und was einen 37-Jährigen wütend macht, unterscheidet sich von dem, was uns damals wütend gemacht hat”, erzählt Shinoda gegenüber dem Rolling Stone. Einige Jahre zuvor preist er die Rückkehr zum Genremix der Band noch als einzig richtige Stilrichtung an, im Prozess zu “The Hunting Party” verwirft er seine Ideen gänzlich, nachdem Rubin sie als “poppiger” als zuvor bezeichnet hat: “Ich glaube nicht einmal an diese Musik. Das ist ein Fehler, ich mag nicht, was ich mache”, sagt Shinoda 2014.
Zeitgleich tobt sich Bennington als Gastsänger bei den Stone Temple Pilots aus und bringt sich erst spät in die Aufnahmen von “The Hunting Party” ein. Schließlich träumt er seit Kindheitstagen davon, ein Teil der Grunge-Band zu sein. Zunächst absolviert er 2013 eine Tour, später singt er auf der EP “High Rise”. “Als sich diese Gelegenheit bot, war es einfach eine klare Sache”, erzählt Bennington. 2015 trennen sich die Wege wieder, weil sich Bennington doch wieder vermehrt auf Linkin Park konzentrieren will. Mit denen musste er erst Anfang des Jahres ihre US-Tour nach nur drei Shows absagen, nachdem er sich bei einem Basketball-Spiel gegen ihre Vorband Of Mice & Men das Fußgelenk gebrochen hatte. Der Unfall löst nachhaltig etwas in ihm aus. Bedingt durch den langwierigen Heilungsprozess, fällt Bennington erneut in eine Depression und alte Verhaltensmuster: “Ich habe noch Texte aus dieser Zeit in meinem Handy. Einer dieser Songs heißt ‘I Hate The World Right Now'”, so Bennington in einem späteren Interview zum 2017 veröffentlichten Album “One More Light”.
Nobody can save me now
Zwei Verarbeitungen von Benningtons Rückfall lassen sich auf “One More Light” nachhören. Für die Songs “Heavy” und “Halfway Right” schreibt er die Texte und erinnert sich dafür an seine Zeit als Drogenabhängiger. “Ich war total zugedröhnt mit harten Drogen […], bin mit dem Auto gefahren und hatte einen Filmriss. Ich bin auf einem Feld aufgewacht, auf einer unbefestigten Straße, mitten auf einer Farm”, berichtet Bennington einem australischen Magazin. “Ich hatte meine 20er hinter mir, aber selbst da war mir nicht klar, dass ich diese Probleme mein Leben lang haben würde. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit 41 Jahren in einer der größten Bands der Welt spielen, eine wunderbare Familie haben und sagen würde: ‘Scheiße, ich hätte vor zwei Monaten beim Autofahren wieder einen Filmriss haben können!'”
Trotz der brutalen Ehrlichkeit will “One More Light” der breiten Masse nicht gefallen. Erneut wirft man der Band vor, sie habe ihre Integrität verloren und die Songs seien zu poppig. Letzteres nicht zu Unrecht. Die Reaktionen bleiben nicht auf anonyme Kommentare im Internet beschränkt: Bei einem Festivalauftritt auf dem französischen Hellfest wird Bennington während “Heavy” mit einem Plastikbecher abgeworfen, und bei anderen Auftritten im Sommer 2017 gibt es Buhrufe während der neuen Songs, für die Linkin Park zum Großteil mit Industrie-Songwriter:innen wie J.R. Rotem und Julia Michaels kooperiert haben.
Gegenüber einem finnischen TV-Sender erinnert sich Benningtons ehemaliger Grey-Daze-Bandkollege Sean Dowdell, dass den Sänger die negativen Reaktionen auf das Album belastet hätten: “Er war einfach so deprimiert, hat die Leute auf Twitter angepflaumt und sich geärgert.” Inmitten der Negativität rund ums Album muss Bennington im Mai 2017 den Verlust seines langjährigen Freundes Chris Cornell verkraften. Auf seinem Instagram-Profil teilt er ein Statement, in dem er davon spricht, dass er sich keine Welt ohne den Soundgarden-Frontmann vorstellen kann. Am Folgetag widmet Bennington Cornell den Song “One More Light” während einer Show. Zwei Monate später, an Cornells Geburtstag, nimmt sich Bennington das Leben. Er wird 41 Jahre alt und hinterlässt seine Frau Talinda und sechs Kinder.
Linkin Park sagen die verbliebenen Termine ihrer Welttour ab und kündigen ein Tributkonzert für Bennington für Ende Oktober an. Es wird die vorerst letzte Show der Band. Den Abend begleiten viele Freund:innen und Weggefährt:innen. Neben Jonathan Davis, M. Shadows (Avenged Sevenfold), Blink-182, Oliver Sykes (Bring Me The Horizon) und Gavin Rossdale (Bush) erweisen Steve Aoki, Deryck Whibley (Sum 41) und Machine Gun Kelly Bennington die letzte Ehre. Einige Wochen später widmet ihm die Band ihren American Music Award: “Ich möchte, dass ihr euch einen Moment Zeit nehmt, um zu schätzen, was ihr habt. Und macht Chester stolz”, sagt Shinoda in seiner Dankesrede.
In der Zwangspause von Linkin Park leistet Shinoda weitere Trauerarbeit. Zunächst ohne große Kommunikation mit der Außenwelt kündigt er im Januar 2018 die Veröffentlichung seiner EP “Post Traumatic” an. Bestehend aus drei Songs, die wenige Monate später die ersten drei Stücke des gleichnamigen Albums darstellen sollen. Stilistisch hält sich Shinoda in HipHop- und Indierock-Sphären auf, die man bereits von Fort Minor kennt. Die Besonderheit: Er veröffentlicht erstmalig unter seinem eigenen Namen, “weil es ein so persönliches Album ist”, sagt er im VISIONS-Interview 2023. Textlich lässt er tief blicken, verarbeitet den Tod Benningtons und die damit einhergehenden Einschnitte in seinem Leben. Es folgen eine Tour und über die Jahre weitere EPs und Singles, nur zur Zukunft von Linkin Park gibt es kaum Infos. Die Bandmitglieder treten zu den 20-jährigen Jubiläen von “Hybrid Theory” und “Meteora” für wenige Interviews gemeinsam auf, doch beim Jubiläum zu “Meteora” fehlt Rob Bourdon. Später wird klar, dass der Schlagzeuger um 2022 entschieden hat, nicht mehr als Teil der Band agieren zu wollen. Shinoda lässt im ersten Interview der Band 2024 mit Apple Music kein böses Blut fließen: “Wir werden ihn immer lieben. Wir respektieren die wundervollen Dinge, die wir gemeinsam aufgebaut haben.”
Heavy is the crown
2.505 Tage soll es dauern, bis Linkin Park wieder gemeinsam auf einer Bühne stehen. Knapp 86 Monate sind zudem vergangen, seit die Band ein letztes Mal gemeinsam mit Bennington von der Bühne gegangen ist. 2018 bestätigt Shinoda via Social Media erstmals, dass die Band weitergeführt wird. 2019 beginnen er, Phoenix, Hahn und Delson mit der Arbeit an neuen Songs. Dazu laden sie verschiedene Musiker:innen zu Sessions ein, die Songansätze wollen jedoch nicht so richtig überzeugen. Nur einer ist regelmäßig dabei: Colin Brittain. Shinoda trifft den Schlagzeuger und Produzenten im Rahmen einer Session 2021 und ist begeistert. “Ich hatte das Gefühl, wir denken ähnlich”, so Shinoda gegenüber Apple Music.
Schwieriger gestaltet sich die Suche nach einer neuen Person an der Spitze der Band. “Es ist nicht mein Ziel, einen neuen Sänger zu suchen. Wenn es passiert, dann muss es auf natürliche Art und Weise passieren”, erklärt Shinoda 2019 im Interview. Das Erhoffte geschieht tatsächlich: Die Band trifft auf Emily Armstrong von der Band Dead Sara. “Emilys Energie ergibt Sinn in Verbindung mit Linkin Park”, so Delson gegenüber Apple Music. 2023 werden Armstrong und Brittain als offizielle neue Bandmitglieder aufgenommen.
Die Öffentlichkeit erfährt von alldem nichts. 2022 verweist Shinoda via X (ehemals Twitter) noch darauf, dass keine neue Musik oder Touren von Linkin Park angedacht seien; durch die Veröffentlichung ihres Best-of-Albums “Papercuts” in der ersten Jahreshälfte 2024 wird der Fokus ebenfalls kurzzeitig wieder von der Frage nach der Zukunft genommen. Zumindest bis sich wenige Wochen später erste Gerüchte verfestigen, dass die Band Shows im kommenden Jahr plant. Auch Orgy-Frontmann Jay Gordon verplappert sich in einem Radiointerview und berichtet von einer Frau, die in Zukunft den Gesang bei Linkin Park übernehmen soll. Gordon nimmt seine Aussage zurück, doch die Gerüchte halten sich.
Gewissheit über den Neuanfang gibt es erst Anfang September, als ein Countdown auf der Website der Band nach 200 Stunden ausläuft und ein Event ankündigt. Am 5. September werden Mitglieder des offiziellen Linkin-Park-Fanclubs nach Los Angeles geladen. Der Ort des Geschehens: das Studio 30 in den Warner Studios, in der Mitte des Venues eine Bühne, auf der kurze Zeit später Shinoda, Farrell, Hahn und Brittain auftauchen. Neu mit dabei ist Alex Feder, der live ab sofort Delson ersetzt, weil der sich nur noch hinter den Kulissen betätigen will. Bis zum großen Auftritt von Armstrong vergehen noch einige Sekunden. Mit dem neuen Song “The Emptiness Machine” eröffnet die Band ihre erste Show seit sieben Jahren, die Kamera verfolgt Armstrong bei ihrem ersten Weg zur Bühne. Spätestens als Linkin Park nachfolgend “Somewhere I Belong” spielen ist klar: Armstrong ist die neue Sängerin. Shinoda stellt dem Publikum gegenüber jedoch klar: “Die Rolle von Chester Bennington übernimmt heute Nachmittag jeder von euch.”
Die Freude übers Comeback hält nicht lange an. Nur wenige Stunden später werden Stimmen laut, die Armstrong Verbindungen zu Scientology und dem verurteilten Sexualstraftäter Danny Masterson vorwerfen. Mit besonders spitzer Feder schreibt der Scientology-Aussteiger Cedric Bixler-Zavala von The Mars Volta. Armstrong äußert sich zu ihrer Verbindung zu Masterson und verurteilt seine Taten: “Ich dulde weder Missbrauch noch Gewalt gegen Frauen, und ich fühle mit den Opfern dieser Verbrechen.”
Gegenüber den Scientology-Gerüchten schweigt sie – vor allem wohl, weil Armstrong direkt in die Sekte hereingeboren wurde und aktive oder ehemalige Mitglieder, die sich offen gegen die Machenschaften äußern, mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen müssen, die von Drohungen bis zu Stalking und Überwachung gehen. Handfeste Details, ob Armstrong noch bestehende Kontakte zur Sekte hat, gibt es nicht; Fans sehen in ihren Songtexten jedoch Hinweise darauf, dass sie mindestens die Scientology-Werte nicht weiter unterstützt, da sie sich über mentale Probleme und Suizidalität ausspricht und seit einigen Jahren offen lesbisch lebt. Alles Dinge, die gegen die Richtlinien von Scientology gehen.
»Emilys Energie ergibt Sinn in Verbindung mit Linkin Park.«
Brad Delson über Emily Armstrong
Mit ihrem Neuanfang und “From Zero” schaffen Linkin Park das, was sie so oft bereits versucht haben: die Rückkehr zu ihrem anfänglichen Sound, der gleichzeitig all ihre musikalischen Facetten miteinander verbindet. Und sie können auch die breite Masse wieder einfangen: “The Emptiness Machine” hält sich seit Wochen an der Spitze der Charts, die Konzerte sind weltweit in kürzester Zeit ausverkauft. Für die Band bedeutet es vor allem die Rückkehr zu dem, was sie ihr Leben lang definiert hat: “Linkin Park ist ein Teil meiner DNA”, so Shinoda gegenüber Billboard. “Was mich ausmacht und meine Überzeugungen – für mich stehen Linkin Park mittendrin. Es gibt auch noch viele andere Dinge, aber als Linkin Park nicht mehr da waren, tat es weh. Dass wir jetzt zurück sind, ist unvergleichlich. Es wird nie etwas Vergleichbares geben.”
Ungewöhnlich lange hat das Highfield Festival auf seine erste Bandwelle für das nächste Jahr warten lassen. Nun kündigt das Festival am Störmthaler See bei Großpösna im Landkreis Leipzig seine “21 Gründe fürs Highfield 2025” an.
Das Highfield Festival findet nächstes Jahr vom 15. bis 17. August statt, Festivalkarten, sowie Camping- und Parktickets sind über den Festivalshop verfügbar.
Diesen Sommer feierten im August 30.000 Besucher:innen auf dem Highfield Festival. Die Hauptbühnen boten mir Rise Against und Peter Fox Großes, auf der Beach-Stage am See gab es intimere Konzerte: Circle Pits im Wasser inklusive. Unseren Nachbericht lest ihr hier. (V+)
2004 veröffentlichte Courtney Love ihr bislang einziges Studioalbum “America’s Sweetheart”, nun berichtet sie von einem möglichen Nachfolger. Gegenüber der britischen Zeitung The Standard sprach Love über Künstler:innen, mit denen sie gerne zusammenarbeiten würde. Darunter Will Sergeant von Echo & The Bunnyman, der auf ihrem neuen Album zu hören sein soll: “Will Sergeant, mein Lieblingsgitarrist auf der Welt, von meiner Lieblingsband, erklärte sich bereit, mit mir zu arbeiten”, so Love. “Meine Güte, als er für unseren ersten gemeinsamen Song aus L.A. kam, wurde ich fast ohnmächtig – er ist so eine Ikone! […] Er ist auf diesem Album und erhebt die Songs über alle Maßen.”
Sergeant selbst äußerte sich anschließend auch via Facebook zu der Zusammenarbeit: “Meine alte Freundin Courtney Love hat sich verplappert, also kann ich es jetzt wohl auch. Ich habe an ihrer fantastischen neuen Platte gearbeitet. Es war ein Trip, sie gab mir völlige künstlerische Freiheit.”
Courtney Love vs. PJ Harvey
Neben Sergeant erzählte Love auch davon, dass Michael Stipe von R.E.M. Backingvocals aufgenommen haben soll, die Love zu Tränen gerührt haben sollen. Es wäre aber wohl kein Interview mit Love, wenn sie sich auch gegen mindestens eine Mitmusikerin schießen würde – in diesem Fall gegen PJ Harvey, weil diese nicht auf ihre Anfrage reagiert haben soll: “Wir haben eine Beziehung, ich habe sie über die Jahrzehnte unterstützt, aber sie hat sich entschieden, mir nicht zu antworten. Also schrieb ich ihr, wie verdammt unhöflich das war. Ihr Manager hat versucht, die Wogen zu glätten, aber das ist nicht in Ordnung – sie hat seit 100 Jahren keine Rockmusik mehr gemacht!”
Wohl doch keine Hole-Reunion
Ein anstehendes neues Soloalbum von Love könnte auch eine Erklärung auf die Frage bieten, was Hole gemeinsam mit Melissa Auf der Maur Mitte Juni im Studio getrieben hat – erste Gerüchte deuteten damals auf eine mögliche Hole-Reunion hin.
Apropos Hole: Kürzlich hatte Love handgeschriebene Songtexte ihrer Band zur Auktion freigegeben. Mit dabei auch “Violet”, der mutmaßlich von Smashing Pumpkins-Frontmann Billy Corgan handeln soll. Dieser beteiligte sich prompt an der Auktion und betonte, dass er den Text gerne an der Wand hängen haben würde.
Mit Berufung auf einen angeblichen Irrtum will die Universal Music Group die Klage von Limp Bizkit abweisen lassen, wie der Rolling Stone berichtet. Dementsprechend soll der Streit zwischen beiden Parteien damit begonnen haben, dass ein Direktor des Unternehmens den Manager von Limp Bizkit kontaktiert haben soll, damit die Band ihre Tantiemen erhalten kann. Der Manager soll anschließend dem UMG-Direktor mitgeteilt haben, dass die meisten Bandmitglieder ihre Tantiemenanteile verkauft hätten. Erst ein Jahr später soll aufgeklärt worden sein, dass sich die verkauften Tantiemenanteile nur auf Veröffentlichungen bezogen, nicht auf die Aufnahmen selbst. Laut UMG soll dieser mutmaßliche E-Mail-Verlauf die Argumente von Fred Durst und Co. entkräften und als Grund für die Abweisung der Klage genannt werden.
UMG behauptet weiter, dass sie nach diesem Missverständnis begonnen haben, der Band über eine Million Dollar an fehlenden Tantiemen zurückzuzahlen, während sie Dursts Plattenlabel Flawless Records 2,3 Millionen Dollar zurückzahlten, was nach Angaben des Unternehmens “alle ausstehenden Tantiemen und Gewinne” waren.
Band reagiert auf Stellungnahme
Die Vertreter von Limp Bizkit reagierten bereits auf diese Stellungnahme von UMG: “Wenn jemand auf frischer Tat ertappt wird, besteht sie erste Reaktion oft darin, sehr teure externe Anwaltskanzleien zu engagieren, die zunächst einmal alles versuchen, um die Klage abzuweisen, wenn sie mit den Fakten in Konflikt geraten.” Die Band glaube daher, dass “UMG eine typische, formelhafte und altbekannte Strategie anwendet, indem sie sich verzweifelt an Formalitäten klammern und nach jedem Ausweg suchen”.
Dennis, die naheliegendsten Fragen gleich vorweg: Wie geht es dir und was ist genau passiert? Dennis Lyxzén: Es geht mir gut, ich bin wieder fit. Der Herzanfall im Sommer war genetisch bedingt. Mein Vater hatte einen in seinen 50ern, mein Onkel mit 49 Jahren, ich habe das wohl geerbt. Mittlerweile geht es mir wieder richtig gut, aber das Ganze war derart heftig, echt nicht zu empfehlen, eine wirklich extreme Erfahrung.
Ehrlich gesagt wärst du einer der Letzten, bei dem ich so etwas erwartet hätte.
Ja, das dachten wohl viele, ich selbst ja auch. Ich ernähre mich vegan, ich trinke nicht, ich nehme keine Drogen, ich mache täglich Yoga. Ich achte wirklich sehr auf meine Gesundheit. Entsprechend groß war der Schock.
Gab es davor bereits irgendwelche Symptome?
In den Tagen vorher hatte ich schon so ein Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Das sagte ich auch ein paar Mal zu meiner Frau, aber obwohl ich das von meinem Vater wusste, zog ich da noch nicht die richtigen Schlüsse. Ich dachte, ich hätte mir beim Sport die Brustmuskulatur irgendwie gezerrt. Das wurde so schlimm, dass ich ins Krankenhaus gefahren bin, wo man Bluttests und ein EKG machte. Das sah alles gut aus, also bin ich wieder nach Hause gefahren. Ein paar Tage später wachte ich morgens auf und die Schmerzen waren nicht mehr auszuhalten, also habe ich einen Krankenwagen gerufen. Schon auf der Fahrt in die Notaufnahme sagte mir einer der Sanitäter, dass ich einen Herzanfall habe. Ich dachte nur: „Ey, das ist unmöglich!“
Was passierte dann?
Im Krankenhaus ging alles ganz schnell, von meinem Handgelenk aus hat man eine sogenannte Ballondilatation gemacht, bei dem ein ganz feiner Schlauch eingeführt wird, der die betreffenden Blutgefäße am Herzen wieder weitet. Es stellte sich heraus, dass zwei Arterien total dicht waren. Jetzt sind sie wieder völlig intakt.
Wie sieht die Nachsorge aus?
Ich werde für den Rest meines Lebens Medikamente nehmen müssen, soviel steht fest. Die Tests, die die Ärzte mit mir gemacht haben, ergaben jedoch beste Resultate, da sieht alles top aus. Sie meinten, ich könne im Prinzip alles weitermachen wie zuvor. Also werde ich wie gewohnt gesund leben, auf mich achten und alles dafür tun, dass ich fit bleibe.
Wie geht es dir mental, wie sehr hast du dieses Erlebnis im Hinterkopf?
Es geht, das hat wohl auch mit meinem Leben als Künstler zu tun. Für die meisten Menschen ist so eine Erfahrung absolut existentiell und schmeißt alles über den Haufen. Als Musiker, als Sänger und Texter habe ich mich schon so oft mit meiner eigenen Sterblichkeit beschäftigt, mit meinem Verhältnis zur Welt, der Vergänglichkeit im Allgemeinen. Das Thema ist also nicht neu für mich. Gleichzeitig ist es schon etwas frustrierend, weil ich dadurch um einiges empfindlicher geworden bin. Was meinen Körper angeht, habe ich immer alles gegeben. Wenn es mal zwickte, habe ich es gehandhabt, wie es oft typisch ist in meinem Alter: Das wird schon wieder, halb so wild. Da bin ich jetzt etwas anders aufgestellt. Die Ärzte meinten, ich müsste damit rechnen, eine Weile unter Depressionen zu leiden, das sei wohl eine Begleiterscheinung, aber davon bin ich verschont geblieben. Ich kann mich jedoch nicht ganz frei davon machen, dass es emotional auch mal schwierig ist. Wenn jetzt etwas wehtut, denke ich als erstes: „Oh, was ist das jetzt?“ Mein zweiter Gedanke ist: „Ah, das war wohl wirklich nur irgendein Muskel.“ (lacht)
Es ist gut, dich so zu sehen.
Ja, es ist auch gut, drüber zu reden, aber ich sage dir ganz ehrlich: Ich bin froh, wenn ein, zwei Jahre ins Land gegangen sind und Gras über die Sache gewachsen ist. Dass es irgendwann nicht mehr heißt: „Ach, das ist doch der Typ mit dem Herzanfall.“
Das Ende von Refused
Absolut verständlich, dann lass uns doch über Musik reden. Da wären zum einen Refused, mit denen du eigentlich eine Show spielen wolltest, als es passierte.
Genau, zwei Tage später wollten wir in Stockholm bei der Rosendal Garden Party auftreten, wir hatten kurz zuvor sogar ein Warm-up in einem winzigen Punk-Club gespielt, das lief alles super, aber dann kam es eben ganz anders.
Es sollte eure Abschiedsshow werden. Wie kam es zum Entschluss, Refused nach so vielen Jahren ad acta zu legen?
Wir hatten irgendwie das Gefühl, dass die Geschichte von Refused auserzählt ist. Also sagten wir uns, dass wir dieses große Festival spielen, mit Leuten wie Turnstile und M.I.A., wir hatten uns riesig darauf gefreut, bis ich eben diese schlimmen Schmerzen bekam. Ich lag auf der Trage und sagte zu den Leuten: „Hey, ich muss übermorgen einen großen Gig spielen.“ Das war wie eine Filmszene. (lacht) Den Zahn mussten sie mir dann natürlich ziehen: „Das wird nichts!“
Danach habt ihr die Sache mit dem Abschied noch einmal neu geplant.
Genau, wir kamen zu dem Schluss, dass es doch cool wäre, im nächsten Jahr nochmal so richtig um die Häuser zu ziehen und das Ganze mit einer Reihe von Konzerten zu beenden.
Warum überhaupt diese Entscheidung?
David [Sandström, Drummer] und ich haben damals Refused gestartet, bis heute sind wir die beiden Konstanten in der Band, haben mittlerweile jedoch völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das Ganze laufen sollte. Was die Musik angeht, ticken wir sehr ähnlich, davon abgesehen kommen wir nicht auf einen Nenner. Ich will spielen, ich will auf Tour gehen, unterwegs sein, David möchte das alles nicht mehr. Diese Diskrepanz hat über einige Jahre unser Verhältnis spürbar belastet. Das wollten wir nicht mehr. Es klingt vielleicht wie ein Klischee, aber meine Freundschaft zu David ist mir wichtiger als die Band.
Wie schaust du auf die vergangenen zehn Jahre, den dritten Lebenszyklus der Band?
Es war toll. Wir haben zwei Platten gemacht, zig Shows gespielt. Als wir “Freedom” veröffentlichten, dachten viele wohl, es wäre nicht die Art von Platte, die sie von uns erwartet hätten. Nach so langer Pause solch ein Album, das irritierte die Leute. Dann brachten wir “War Music” heraus und sorgten für mehr Kontext. Damit wurde klarer, worum es geht und wie wir eigentlich ticken. Es bildete sich eine Art Momentum, wir waren auf Tour. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich nach unserem letzten Konzert in Los Angeles, unmittelbar vor der Pandemie, mit David sprach: „Stell’ dir mal vor, wenn wir nächstes Jahr um diese Zeit ein ganzes Jahr mit der Platte getourt sein werden, wie massiv das dann wohl klingt.“ Tja, zwei Tage später ging nichts mehr. So ist das nun mal. Schließen wir das Kapitel im nächsten Jahr ab, es ist an der Zeit.
Eine neue Passion: Vännäs Kasino
Langjährige Freundschaft ist auch ein Thema in deiner Band Vännäs Kasino. Mit Sara Almgren hast du schon bei The (International) Noise Conspiracy zusammengespielt, ihr seid gemeinsam mit Invsn aktiv, jetzt also noch eine Band.
Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich einfach gern probe. Ich liebe es mit der Band im Übungsraum abzuhängen, nicht nur Songs machen, sondern halt Quatsch zu reden, all das typische Zeug. Ich stehe da einfach immer noch drauf. Als zwei Bandmitglieder von Invsn nach Stockholm zogen, wurde es deutlich weniger mit dem Proben. Also dachte ich mir, warum gründen Andre [Sandström, Drummer], Sara und ich nicht eine Punkband, nur wir drei. Als Andre schließlich auch noch wegzog und Kajsa Poidnak von Rome Is Not A Town,
die 2019 mit Refused auf Tour waren, wiederum nach Umeå zog, fragte ich erst sie, anschließend Thomas Hedlund, der mit Cult Of Luna und Phoenix ja schon zwei erfolgreiche Bands hat. Beide hatten Lust, damit nahm es seinen Anfang.
»Die Leute dürfen sich gerne etwas anstrengen, um uns zu finden.«
Dennis Lyxzén
Du stehst zur Abwechslung mal nicht im Mittelpunkt, sondern Sara, die den Großteil der Songs singt.
Das war eine bewusste Entscheidung. Ich wollte unbedingt, dass sie singt, dass sie vorn in der Mitte steht.
Wie gefiel ihr die Idee?
Nicht so besonders. Überleg mal, warum ich mit dir das Interview mache! (lacht) Es ist eigentlich nicht so ihr Ding mit dieser Aufmerksamkeit, aber sie singt fantastisch, sie ist die Coolste von uns. Auf der ersten Platte hat Kajsa noch einiges gesungen, sie ist auch eine großartige Sängerin. Auf dem neuen Album wurden es immer mehr Songs, die Sara übernahm. Ich mache schon so viele Jahre zusammen Musik mit ihr. Sie singt toll, sie spielt fantastisch Bass, auf ihre Art ist sie ein echter Star, hat aber zumeist nur an der Seite gestanden. Ich fand, es war an der Zeit, das endlich mal zu ändern.
Stichwort Punk: Das kann ja alles Mögliche sein. Wie entstand euer Sound?
Ich hatte zunächst an Bands wie Flipper oder No Trend gedacht, aber wir sind alles gestandene Musiker, das hätte wohl komisch gewirkt. Also haben wir es ein bisschen mehr in Richtung New Wave gedreht. Das klingt auch mal nach Dead Kennedys, hat so eine twangige Surf-Gitarre an einigen Stellen. Und die Songs sind richtig schön kompakt und kurz.
Textlich geht es um bekannte Themen, um rechtsextreme Politik, Fremdenfeindlichkeit, Wohlstandsgefälle. Wird man dessen mit den Jahren nicht mal müde? Du singst seit Ewigkeiten gegen Missstände an, jetzt wird Trump ein weiteres Mal Präsident. Ist das nicht irgendwann frustrierend?
Es wäre wohl etwas selbstverliebt zu glauben, dass ich als Sänger in einer Punkband an den großen Rädern der Macht drehen könnte. Dass ich den Lauf der Welt beeinflusse, indem ich Lieder über das Unrecht auf der Erde schreibe. Trotzdem halte ich es immer noch für wichtig. Ich habe meine ersten Texte mit 15, 16 Jahren geschrieben. „Fuck the system“, so in die Richtung, alles ordentlich plakativ und dick aufgetragen. Heute geschieht das bei mir etwas subtiler, aber gerade weil so viel Scheiße in der Welt passiert, drängt es mich immer noch, meinem Ärger auf diese Weise Luft zu machen. Was Vännäs Kasino angeht, habe ich dabei eben auch im Hinterkopf, dass ich sie nicht für mich, sondern für Sara schreibe.
Mit dem Song “Alan Kurdi” wird der Ton etwas ruhiger. Ein melancholisches Lied, bei dem man sofort wieder das Bild des toten kleinen Jungen vor Augen hat.
Kinder sind die ersten Opfer eines Krieges, sei es in der Ukraine oder in Palästina. Ich wollte mit dem Lied über Alan daran erinnern, wie schnell man sich abwendet, wieviel Gleichgültigkeit herrscht. Im ersten Moment ist die Aufregung groß, kurz darauf wird weitergescrollt. Wir sind dem Horror und den Kriegen gegenüber taub und ignorant geworden. Wir haben uns so sehr an die Gewalt gewöhnt, dass man es nur schwer fassen kann. Einerseits scheint das alles weit weg, aber wenn ich auf die schwedische Geschichte schaue, dann gab es auch hier aufgrund von Hungersnöten im 19. Jahrhundert allein ein Drittel an Auswanderern. Es kann jeden treffen, überall, aus den verschiedensten Gründen.
Was hat es mit “Schroedingers Immigrant” auf sich?
Da geht es um die Kritik an den Immigranten. Man wirft ihnen alles Mögliche vor, dabei ist es völlig egal, was sie tun. Machen sie nichts, heißt es, sie sind faul. Sind sie fleißig, sagt man, sie stehlen unsere Jobs. Das Schrödinger-Experiment um die Katze, die beides sein kann – tot und lebendig – als ironische Metapher.
Mit Vännäs tragt ihr deine Geburtsstadt im Bandnamen. Was steckt dahinter?
Vännäs ist eine kleine Stadt, nicht weit von Umeå, mit etwa 10.000 Einwohnern, einiges an Rednecks darunter. Der Bandname war zunächst mal ein Insiderwitz. Dass dieser winzige Ort ein Casino hat, den Gedanken fanden wir lustig. Zu Anfang war das Ganze ja mehr so ein Pandemie-Projekt, nur zum Spaß. Irgendwann hat es sich verselbständigt. Jetzt spielen wir dort eine Release-Show in einem Hotel, die haben so etwas noch nie veranstaltet, das ist schon eine skurrile Entwicklung der ganzen Sache.
Und dann ziehst du auch noch dorthin.
Ja, wenn mir das einer mit 19 Jahren erzählt hätte… ich wollte nur weg und niemals wiederkommen. Jetzt werde ich dort bald wohnen. Wir haben zufällig ein Haus
gefunden, einen ungewöhnlichen, wunderschönen Bau. Von 1908 an hat dort eine große Künstlerfamilie gelebt, Maler, Musiker, Artisten. Es herrscht eine besondere Atmosphäre in diesem Gemäuer, das hat meine Frau und mich magisch angezogen. Jetzt ziehen wir also nach Vännäs, aber geplant war das nicht. Manchmal nehmen die Dinge eine eigene Dynamik an.
Mit Clouds Hill habt ihr ein deutsches Label, wie kam es dazu?
Das fing schon mit Invsn an, als sie “Let The Night Love You” veröffentlichten. Sie sind wohl Fans. Das erste Album von Vännäs Kasino haben wir dort sogar aufgenommen. Ich mag die Leute vom Label, die Arbeitsatmosphäre, sie supporten uns großartig. Da stimmt einfach alles.
Auf Streaming-Portalen werden Vännäs Kasino auch in Zukunft nicht vertreten sein?
Ich will uns davon fernhalten, so gut es geht. Es gibt Vinyl und die Videos. Und vielleicht Bandcamp im kommenden Jahr. Ich möchte es oldschool belassen. Die
Leute dürfen sich gerne etwas anstrengen, um uns zu finden. (lacht)