Gestern kündigten The Cure die Veröffentlichung eines neuen Remix-Albums an, passend zum 66. Geburtstag von Frontmann Robert Smith. “Mixes Of A Lost World” erscheint am 13. Juni und enthält gleich 24 Remixe der bereits bekannten Songs von “Songs Of A Lost World”. Mitgewirkt haben unter anderem Chino Moreno von den Deftones, Mogwai, Four Tet und Trance-DJ Paul Oakenfold. Die Remixe von Four Tet und Oakenfold wurden bereits veröffentlicht. Das Album kann vorbestellt werden.
Smith erklärt, wie es zu dem Album kam: “Kurz nach Weihnachten bekam ich unaufgefordert ein paar Remixe von ‘Songs Of A Lost World’ zugesandt, die mir sehr gefielen. The Cure haben eine bunte Geschichte mit allen Arten von Dance Music, und ich war neugierig, wie das ganze Album von anderen neu interpretiert klingen würde.” Wie bereits bei ihrem zuletzt veröffentlichten Live-Album “Songs Of A Live World”, sollen auch die Einnahmen des Remix-Albums an die Hilfsorganisation War Child gespendet werden.
Das Remix-Album erscheint ein knappes halbes Jahr nach “Songs Of A Lost World”. Fans der Band dürften derweil weiterhin auf die Ankündigung des Nachfolgers warten, den Smith bereits seit einiger Zeit andeutet. Anfang des Jahres hatte er zuletzt einige Songtitel verraten und wies darauf hin, dass das Album noch dieses Frühjahr erscheinen könnte – mit Blick auf das aktuelle Datum scheint dies mittlerweile jedoch eher unwahrscheinlich zu sein. Ganze 16 Jahre waren zwischen den vergangenen beiden The-Cure-Alben vergangen. So lange dürfte es wohl nicht bis zum nächsten Album dauern – zumindest plant Smith bereits, die Karriere von The Cure spätestens 2029 an den Nagel zu hängen.
The Cure – “Mixes Of A Lost World”
01. “I Can Never Say Goodbye” (Paul Oakenfold Cinematic Remix)
02. “Endsong” (Orbital Remix)
03. “Drone:Nodrone” (Daniel Avery Remix)
04. “All I Ever Am” (meera Remix)
05. “A Fragile Thing” (Âme Remix)
06. “And Nothing Is Forever” (Danny Briottet & Rico Conning Remix)
07. “Warsong” (Daybreakers Remix)
08. “Alone” (Four Tet Remix)
09 “I Can Never Say Goodbye” (Mental Overdrive Remix)
10. “And Nothing Is Forever” (Coscmodelica Electric Eden Remix)
11. “A Fragile Thing” (Sally C Remix)
12. “Endsong” (Gregor Tresher Remix)
13. “Warsong” (Omid 16B Remix)
14. “Drone:Nodrone” (Anja Schneider Remix)
15. “Alone” (Shanti Celeste ‘February Blues’ Remix)
16. “All I Ever Am” (Mura Masa Remix)
17. “I Can Never Say Goodbye” (Craven Faults Rework)
18. “Drone:Nodrone” (JoyCut ‘Anti-Gravitational’ Remix)
19. “And Nothing Is Forever” (Trentemoller Remix)
20. “Warsong” (Chino Moreno Remix)
21. “Alone” (Ex-Easter-Island Head Remix)
22. “All I Ever Am” (65daysofstatic Remix)
23. “A Fragile Thing” (The Twilight Sad Remix)
24. “Endsong” (Mogwai Remix)
Es knallt. Und zwar mächtig. Das ist der erste Eindruck, damals wie heute. Nach Akiko Sans Begrüßung auf Japanisch, der “friendly reception”, wie es im Booklet heißt, wird im Opener “Mehr” zunächst mal getrommelt, was die Snare hergibt. Täuscht es, oder klingt das blechern hoch gestimmte Teil ein wenig nach dem vieldiskutierten Ulrich’schen Scheppern auf “St. Anger”? Weniger von Metallica, vielmehr von den Foo Fighters wird in den Kritiken zum Album – und auch in diesem Text – die Rede sein, und nicht nur dort. Farin Urlaub selbst verortet einiges an Inspiration vor der Produktion bei Dave Grohl und seiner Band. Ungewöhnliche Arrangements, überraschende Wendungen, Riffs, die nicht schon etliche Male zum Einsatz kamen, Dutzende von Gitarren natürlich – hier streift Urlaub den Ärztekittel ab und lässt seiner Kreativität freien Lauf. Dabei sind es ehrlicherweise weniger die Foo Fighters, an die der Song “Mehr” erinnert. Spätestens wenn die Gitarren einsetzen, denkt man vielmehr an den Sturm und Drang des Nirvana-Klassikers “Breed”.
Das ist unüberhörbar ein anderer Wind, der hier weht als noch vier Jahre zuvor. Anfang des neuen Millenniums hatte Urlaub sein Solodebüt “Endlich Urlaub!” veröffentlicht, ein erster Alleingang, für den Bela B ein gutes Stück Mitverantwortung getragen hat. Ende 1999 hatten Die Ärzte das Livealbum “Wir wollen nur deine Seele” veröffentlicht und eine zwischenzeitliche Erholungspause angekündigt. In einem MTV-Interview nahm Bela nun Farin scherzhaft in die Pflicht und kündigte mal eben dessen erstes eigenes Album an. Einerseits frei erfundener Flachs, andererseits nicht ganz aus heiterem Himmel. Von jeher hatte Farin etliche Songs mehr geschrieben, als Die Ärzte auf ihren Platten unterbringen konnten und wollten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der kreative Überdruck Luft verschaffen würde. Die Saat war also ganz offiziell gesät. Und sie sollte aufgehen. Knapp zwei Jahre später, im Oktober 2001, wird aus dem Witz Wirklichkeit, “Endlich Urlaub!” erscheint, ein 16 Songs starkes Werk, das in weiten Teilen wie ein verlängerter Arm des Die-Ärzte-Oeuvres klingt. “Sumisu”, das Smiths-Tribut mit fantastischer Gitarre nach Johnny Marr-Art, “OK” mit Anklängen an “Der Rebell”, “Das schöne Mädchen” und “1000 Jahre schlechter Sex”, klassische Liebeleien nach Ärzte-Art, so geht Fan-Bedienung für zwischendurch.
“‘Endlich Urlaub!’ ist eher als die Summe seiner Teile anzusehen, ein Gute-Laune-Album, das man immer wieder gerne auflegt, mehr aber auch nicht”, so der pragmatisch-unterkühlte Kommentar von VISIONS-Autor Bernardo Gui. Mit dem Song “Am Strand” findet sich hier interessanterweise sogar eine Art Vorgeschmack auf spätere Großtaten, zumindest, was den Titel angeht. Im Jahre 2020 gehört Urlaubs wunderbare Gesellschaftskritik-Ballade “Ich, am Strand” zu den Höhepunkten des Albums “Hell”. Und auch textlich lässt sich hier anknüpfen: “Ich lieg’ am Strand mit einem eiskalten Getränk in meiner Hand/ Ich hab ‘ne Sonnenbrille auf, weil ich sie brauch’/ Die Sonne scheint mir auf den Bauch/ So geht’s doch auch!”
Von der gebräunten Plauze auf die dunkle Seite binnen vier Jahren – “Am Ende der Sonne” verschiebt den Ton von Dur nach Moll, in weiten Teilen jedenfalls. Es scheint, als wollte hier jemand zeigen, dass jenseits der wortgewandten Ulknudeleien auch andere, nicht ganz so schöne Dinge passieren, Stichwort: “The Dark Side Of The Jan”. Eben jener Song über die Sonne ein Lied vom Sterben, vom Überleben danach, das Uptempo als stilistischer Widerspruch zum Inhalt: “Und ob man schwitzt und ob man friert und ob man den Verstand verliert/ Ob man allein im Bett krepiert/ Die Sonne scheint, als wäre nichts passiert” – eine trotzige Bestandsaufnahme für jene schwere Zeit, in der es gilt, den Verlust eines geliebten Menschen zu verkraften.
Punk und Paranoia
Als “Sonne”, die dritte Single, erscheint, hat das Album bereits ein halbes Jahr auf der Uhr. Drei Wochen vor Veröffentlichung am 7. März 2005 ist Urlaub mit der ersten Single “Dusche” zurück ins Solisten-Scheinwerferlicht getreten. “Warum vier Gitarrenspuren aufnehmen, wenn’s auch zehn sein können?”, heißt es im Infotext dazu auf farin-urlaub.de. Die Verhaltensregel dazu liest sich unmissverständlich: “Mosht gefälligst, ihr Säcke!”, so steht es geschrieben. In der Tat, hier lässt sich in punkto Härte bereits erahnen, wo später die Verweise auf etwa die Foo Fighters ihren Ursprung haben. Wer genau hinhört, erkennt im metallischen Beat des Intros mit etwas Fantasie gar ein Zitat aus dem Neubauten-Klassiker “Yü-Gung”.
Der Text des Stückes über mörderische Haushaltsgegenstände und die dadurch ausgelöste Paranoia ist selbst für Ärzte-Verhältnisse ein ganzes Stück drüber, lustigerweise klingt Farin hier mehr nach Bela als Bela selbst. Dazu gibt es einen Clip mit dem unvermeidbaren Nasszellen-Verweis auf Hitchcocks “Psycho”, mit räkelnden Bikini-Girls und Urlaub als Bond-Bösewicht, ebenso kurzweilig wie beliebig zusammengedengelt. Der Song “Porzellan” komplettiert das Single-Triple, die besagten Gitarrenspuren so punktgenau montiert, dass man spätestens hier meinen könnte, es tatsächlich mit einem Backing-Track der Foo Fighters zu tun zu haben.
Insgesamt 14 Songs sind es geworden, 15, wenn man den vorgelagerten Hidden Track mitzählt. Den inoffiziellen Preis für den besten Titel erhält “Wie ich den Marilyn-Manson-Ähnlichkeitswettbewerb verlor”. Nicht nur inhaltlich DÄ-Style, musikalisch fühlt man sich hier an die sehnsuchtsvolle Melodie von “Westerland” erinnert, getoppt von einem Bläsersatz, bei dem wohl auch Feine Sahne Fischfilet einst genau hingehört haben dürften. Für die kompetente Atemarbeit am Mundstück vertraut Farin Urlaub auf die Bläser der Ska-Band The Busters.
Im nach vorn preschenden “Unter Wasser” geht es zum wiederholten Mal um das Gefühl, “als wenn es gleich zu Ende wär'”, “Augenblick” hätte ohne die traditionell gedrosselte Strophe auch Peter & The Test Tube Babies gut gestanden, geradeaus gespielter Punkrock, zu dem sich bestens Bierdosen zerdrücken lassen. Ähnlich funktioniert auch “Immer noch”, das vielleicht großartigste Stück des Albums, in dem sich Die-Ärzte-Vibe und die neue Farin-Härte am euphorisierendsten verbinden, der geflüsterte Breakdown-Part vorm Chorus ein Meisterstück in Sachen Arrangement. “Alle dasselbe” will alles, von Ska bis Highspeed-Punk, “Kein Zurück” thematisiert Suizidgedanken, “Dermitder” kombiniert schräge Posaunen mit Dub-Albereien und Vollgas-Refrain.
“Die platten Kalauer der frühen Jahre sind schon lange einer Sprache mit Tiefgang gewichen”, konstatiert man damals ganz seriös im Rahmen eines Porträts bei Treffpunkt Kultur im ORF2, “einer Sprache, die sich mit der Oberflächlichkeit der Zivilisation befasst.” Als “Frontman der Ärzte” will Urlaub sich von Moderatorin Erna Cuesta dennoch nicht bezeichnen lassen. “Sonst gibt es zuhause wieder Ärger”, feixt er, hier eher seriös unterwegs und inhaltlich auch von heute aus gut anzuschauen. Ganz im Gegensatz zum Promotalk-Auftritt bei VIVAs Sarah Kuttner, einem anstrengenden Viertelstündchen aus F(r)otzeleien, Ins-Wort-Fallen und Kalauern.
Irgendwo in der Mitte treffen sich Urlaub und Ingo Neumayer zu jener Zeit zum Thementalk für VISIONS. Es geht um Thoreaus Transzendentalismus-Ansatz und Ralph Waldo Emerson, um Westernhelden und Zyklopen, Bruce Lee und Muhammad Ali und, natürlich, um den Ernst und die Schwere des neuen Albums. Oder ist das alles ein Missverständnis? “Das liegt wahrscheinlich daran, dass der Tod in mein Leben getreten ist. Erst dachte ich, ich könnte das mit mir selbst abmachen, aber das ging nicht”, so Urlaub. “Dann habe ich eben versucht, das zu verarbeiten. Das musste sein, und daher kommen die persönlichen Texte. Aber zwischendurch beschäftigen mich ja auch immer noch Quatsch-Themen wie der Marilyn-Manson-Ähnlichkeitswettbewerb. Ich hätte natürlich auch sagen können: Ich mach jetzt gar nichts Lustiges auf die Platte, aber das wäre zu aufgesetzt gewesen, Geschichtsfälschung quasi.” Die kann man Urlaub kaum vorwerfen, im Gegenteil, treffen sich doch Gags und Gravitas, das Metallische aus der Blasmusik und dem Heavy Rock, die Schwere des Todes und die Leichtigkeit des Seins in fast selbstverständlicher Balance.
Auch das eigene Ende wird schließlich thematisiert, er sei nicht mehr der Jüngste, so Neumayer zu Urlaub – damals gerade mal 41 Jahre alt – ob es denn auch mal Gedanken an die Rock-Rente gäbe? Farin Urlaub verweist auf den Mann in Schwarz: “Da denke ich auch oft drüber nach. Aber nicht wegen des Alters. Ich denke, da hat Johnny Cash uns allen Mut gemacht. Aber ich frage mich, ob ich irgendwann den Punkt erreiche, wo ich a) das Gefühl habe und b) auch zugeben kann, dass jetzt nichts mehr Neues kommt. Dass es irgendwann hässlich und unansehnlich wird, ist ja nicht so schlimm: Die Leute müssen ja nicht hingucken. Aber wenn ich anfange, den ‘Teenagerliebe’-Remix rauszubringen, weißt du: Jetzt darfst du mich von hinten abknallen. Bis das passiert, dürfen es sich die Leute aussuchen, ob sie sich das anhören wollen oder nicht.”
Bela zieht nach
Wie wir heute, 20 Jahre danach, wissen, ist das mit dem Remix noch nicht passiert, Farin Urlaub ist wohlauf, und wie viele Leute immer noch Bock darauf haben, Die Ärzte zu sehen und zu hören, haben die vergangenen fünf Jahre noch einmal eindrücklich vor Augen geführt. “Am Ende der Sonne” – der Titel übrigens, so Urlaub, nicht etwa eine Allegorie auf den Untergang, sondern vielmehr das Symbol für die Unendlichkeit, siehe Covermotiv – erreicht schließlich den Platz an der Sonne, erreicht Platz 1 der deutschen Albumcharts. Drei Jahre würde es dauern bis zum Nachfolger “Die Wahrheit übers Lügen”.
Und Die Ärzte? Die lassen im Oktober 2005 den Bandnamen ins Markenregister eintragen. 2007 veröffentlichen sie ihr nächstes Studioalbum, “Jazz ist anders”, darauf mit “Junge” wiederum ein Klassiker für die Geschichtsbücher, vor dem selbst Xavier Naidoo und Heino nicht Halt machen. Zwischendrin meldet sich auch Bela B zu Wort, macht das, wofür er Kumpel Farin einst bei MTV gepiesackt hat und veröffentlicht im Mai 2006 sein erstes Soloalbum, der Titel: “Bingo”. “Da wird der blonde Lulatsch aber Augen machen”, flachst VISIONS-Autor Nils Klein in seiner Album-Rezension damals. “Bandkollege Bela B kann es auch: ein Soloalbum schreiben.”
In diesem Jahr spielte das Sinfonieorchester LA Philharmonic zum ersten Mal beim Coachella. Für ihr Set am zweiten Wochenende am Samstag begrüßten die Symphoniker und ihr Musikdirektor Gustavo Dudamel eine handvoll Gäste – darunter Foo Fighters-Chef Dave Grohl.
Grohl wurde bereits am vergangenen Wochenende als Überraschungsgast gehandelt, nachdem Fans die Proben im Hollywood Bowl belauscht hatten und einen Foo-Fighters-Song ausmachen konnten. Sein Auftritt fand dann gestern Abend tatsächlich statt. Er spielte orchestrale Interpretationen des Foo-Fighters-Songs „The Sky Is A Neighborhood“ von “Concrete And Gold” 2017 und des Klassikers „Everlong“ von 1997. Davor und danach spielten Jazz-Pop-Sängerin Laufey, HipHop-Duo Ca7riel & Paco Amoroso, Cynthia Erivo und Natasha Bedingfield mit dem Orchester.
Während er mit Mr. Bungle bis Sommer 2024 wieder regelmäßig tourte, sieht es immer unwahrscheinlicher aus, dass Sänger Mike Patton in absehbarer Zeit wieder zu Faith No More stößt. Laut Schlagzeuger Mike Bordin will Patton nämlich einfach nicht mehr zurückkommen.
Im Podcast “Let There Be Talk” des Comedians Dean Delray sprach Bordin über den aktuellen Status der Band, rund dreieinhalb Jahre nachdem Faith No More überraschend alle für 2021 angekündigten Auftritte abgesagt hatten. Im Vorfeld habe die Band sechs Monate lang für die Shows – ihre ersten seit fünf Jahren – geprobt. Eineinhalb Tage vor der ersten Show habe Patton schließlich die Probe geschwänzt. Als sie Patton aufsuchten, so Bordin, „war es ganz klar, dass er zu diesem Zeitpunkt körperlich nicht in der Lage war, mitzuspielen. Wir trafen die Entscheidung: ‘Wir müssen unseren Freund unterstützen’. Es wird einen Shitstorm geben, wenn wir 75 Shows absagen, aber keiner von uns will derjenige sein, der ihm das Genick bricht und ihn zwingt, etwas zu tun, wozu er nicht in der Lage ist. Das stand nicht einmal zur Debatte.”
“Es verletzt mich”
Nachdem Faith No More Patton während und nach der Tourabsage unterstützt hätten, sah Bordin allerdings mit an, dass Patton seit Ende 2022 mit den reaktivierten Mr. Bungle wieder auf Tour ging. “Es entwickelte sich von nicht mehr in der Lage zu sein, die Shows zu spielen, zu eindeutig nicht mehr gewillt sein, mit uns zu spielen”, so Bordin. “Das ist ein großer Unterschied. Und wir haben noch nicht wirklich viel darüber gesprochen. Es fühlt sich für mich nicht gut an. Es verletzt mich ehrlich gesagt ein bisschen, aber das ist etwas Persönliches. Das ist eine private Sache. Es geht ums Geschäft. Wir würden nie jemanden zwingen, etwas zu tun, wozu er nicht in der Lage ist. Und jetzt sieht es so aus, als ginge es eher darum, dass man gewillt ist, es zu tun.“ Bordin sei allerdings dankbar für die Zeit, die die Band mit Mike Patton verbracht hat, aber er wisse nicht, wie die Zukunft aussehe.
Semipermanente Pause
Auch der langjährige Keyboarder Roddy Bottum (Man On Man) sagte im Oktober letzten Jahres kurz, aber dennoch pessimistisch, dass sich die Band in einer “Art semipermanenten Pause” befinde. Im Januar sagte Bassist Billy Gould gegenüber dem chilenischen Radiosender Radio Futuro: “Im Moment befinden wir uns in einer wirklich seltsamen Lage, einer wirklich seltsamen Lage, und ich kann euch nicht wirklich sagen, was los ist. Ich weiß es selbst nicht. Ich bekomme verschiedene Informationen von Leuten, und ich bin in der Band.”
Patton stieß 1988 zu Faith No More, mit ihm feierten sie ihre größten Erfolge. Seit Ende 2015 haben sie nun kein Konzert mehr mit Patton gespielt. Faith No Mores letzte Auftritte waren zwei Wiedervereinigungen mit Sänger Chuck Mosely im Jahr 2016, ein Jahr vor seinem Tod.
Stell dir vor, du verehrst die Dead Kennedys. Wegen ihrer Energie. Ihrer Kompromisslosigkeit. Und ihrer Haltung zum Musikbusiness, die sich dadurch auszeichnet, jegliches Einknicken vor Kommerz und Kapitalismus abzulehnen. Und mehr noch, über alle zu schimpfen, die behaupteten, niemals einknicken zu wollen, es dann aber doch tun. Und stell dir dann vor, du liebst den Thrash Metal der 80er, du hörst “Bonded By Blood” von Exodus rauf und runter, hältst Venom und Metallica für so einflussreich wie die Beatles oder Ramones und hast ein großes Herz für Kreator aus Essen. Wenn du unter diesen Voraussetzungen eine Band gründest, dann klingt sie wie Propagandhi.
Es gibt in der kanadischen Provinz Manitoba nur drei Städte, die größer sind als Portage la Prairie. Dass dort dennoch nur etwas mehr als 13.000 Leute leben, verdeutlicht das ganze Elend dieser Region mitten in Kanada: Es ist nicht viel los. Gut, das Wetter ist schöner als anderswo in diesem Land, keine Stadt hat mehr Sonnenstunden als Portage la Prairie. Die lassen sich im großen Park der Stadt genießen, der von einem ringförmigen See umgeben ist. Einer der rund 100.000 Seen von Manitoba. Ein Paradies für Vogelbeobachter und Geocacher. Doch die Natur gibt einem nur wenig, wenn man die Dead Kennedys verehrt, Thrash Metal liebt und unbedingt in einer Band spielen möchte.
Chris Hannah und Jord Samolesky kennen sich aus der Schule und machen das Beste, was man in Kanada aus dieser Gesamtsituation machen kann: Sie treffen sich zum Metalhören und Eishockeyspielen. Der lokale Club trägt den tierischen Beinamen Terriers. Entsprechend hartnäckig gehen schon die Jugendteams zur Sache, auch wenn sie fast jedes Spiel verlieren. Nun ist es so, dass Niederlagen zusammenschweißen, weshalb Hannah und Samolesky eine Art Team im Team gründen. Ein Duo, das sich bald für andere Dinge viel mehr interessiert als für Eishockey. Für Metal. Und für eine linke Revolution. 1986 gründen die beiden eine Band und nennen sie Propagandhi. Beeinflusst von der Namensgebung der Dead Kennedys. Hannah versucht sich an der Gitarre. Samolesky am Schlagzeug. Die beiden definieren ihre Musik als Progressive-Thrash. Progressive wie fortschrittlich denkend. Aber auch wie Grenzen sprengend und komplex agierend. Eine Progressive-Thrash-Band aus Portage la Prairie, bestehend aus zwei Leuten. Na dann, viel Spaß!
Der Aushang im Plattenladen
Records On Wheels ist der Name einer kanadischen Plattenladenkette, eine Filiale befindet sich in Winnipeg, Hauptstadt der Provinz Manitoba mit etwas mehr als 700.000 Einwohnern, gut eine Autostunde westlich von Portage la Prairie. Wer von dort wegwill, der geht nach Winnipeg. Chris Hannah und Jord Samolesky haben es genauso gemacht, nun verfolgen sie das Ziel, aus ihrem Duo endlich eine richtige Band zu machen. In Winnipeg gibt es dafür Perspektiven. Und mit Records On Wheels einen Plattenladen, in dem sie einen Zettel aufhängen: “Progressive thrash band is looking for a bass player”, darunter dann zwei Telefonnummern, mal sehen, was passiert.
Es meldet sich ein einziger Kerl, Scott Hopper. Chris Hannah fährt hin, trifft einen Typen in Unterhose vor, Bierdose in der einen, Joint in der anderen Hand. Alle fünf Minuten steht eine Pause an, mehr trinken, mehr kiffen. Bei einem längeren Break wird neues Bier geholt. Alle weiteren, nun ja, “Proben” laufen ähnlich ab. Irgendwann sagt Hopper dann, er würde lieber einer lokalen Grindcore-Band beitreten. Mittlerweile aber sind Hannah und Samolesky in der Szene von Winnipeg so gut vernetzt, dass sich bald ein Interessierter meldet, bevor sie einen neuen Zettel aufhängen müssen. Es handelt sich um einen Bassisten namens Mike Braumeister, Spitzname “Stinky”, was an seinem Spleen liegt, auch im Hochsommer eine Lederjacke zu tragen, ohne Shirt darunter. Es entstehen ein paar Demotapes. Nur eine echte Show, die hat man bislang noch nicht gespielt.
Foto: Larson Decker
»Wir haben uns schon immer allein gefühlt. Schon ganz am Anfang, als wir mit der Skatepunk-Szene von Südkalifornien in einen Topf geworfen wurden.«
Chris Hannah
Das ändert sich Anfang der 90er im Royal Albert. Nicht zu verwechseln mit der viktorianischen Halle in London auf der anderen Seite des Atlantiks. Das Royal Albert Arms Hotel in Winnipeg bietet unten eine heruntergerockte Bar, die von der Punk-, Metal- und Hardcore-Szene in Winnipeg als Ort genutzt wird, um endlich live spielen zu können. “Draft Nights” heißen die Events, bei denen alles geht. Drinnen wie draußen. Tumulte inklusive. Es gibt in Winnipeg mit Red Fisher eine Melodycore-Punkband, beeinflusst von den Descendents und All. Doch Propagandhi hängen eher mit den Thrash- und Metal-Bands der Stadt ab. Was auch daran liegt, dass sie mit dem Gehabe der Skate-Punk-Bewegung wenig anfangen können und als veraltetes Hänger-Gehabe mit cooleren Klamotten betrachten. Die Band steht vor der Frage: Komplettverweigerung – oder der Versuch, diese Szene von innen zu verändern? Propagandhi entscheiden sich für zweiteren Weg, der sie im Lauf der Jahre viel Kraft kosten wird.
Ein Anruf aus L.A.
Bewegung kommt in die Sache, als das Trio 1991 eine Show im Vorprogramm von Fugazi spielt und kurz danach ein Besuch aus Los Angeles ansteht: NOFX kommen! Als Support dabei: Propagandhi. Doof, dass sich Bassist Braumeister ausgerechnet jetzt entschließt, Winnipeg zu verlassen und ins boomende Vancouver zu gehen, wie so viele damals: Go West! Es dauert aber nur ein paar Tage, bis der nächste Bassist das Zeug draufhat. Dieses Mal kein freakiger Typ mit Bierdosen- oder Lederjackenspleen, sondern ein eher schüchterner junger Mann namens John K. Samson. Der Gig vor NOFX läuft super, deren Sänger Fat Mike fragt nach einem Demotape. Die Band händigt ihm eines aus, der Titel: “Fuck The Scene”. Im Grunde denkt Chris Hannah: Das war’s wohl auch schon wieder.
Doch kurz darauf meldet sich Fat Mike aus L.A.: Er habe große Lust, eine Single mit Propagandhi für sein Label Fat Wreck Chords aufzunehmen. Das Problem aktuell sei nur, dass er blank sei, weil viel Kohle für eine Session mit Lagwagon draufgegangen sei. Chris Hannah ist sich sicher, danach nie mehr etwas von Fat Mike zu hören. Fuck The Scene! Doch Fat Mike ruft noch ein paarmal an, und eines Tages wird’s konkret: “Kommt rüber nach L.A.!” Sechs Tage in den Westbeach Recorders Studios in Hollywood, gegründet von Brett Gurewitz von Bad Religion, eine der wenigen Punkrock- und Melodycore-Bands, die Propagandhi rückhaltlos bewundern. Bislang spielt die Band ihre Tracks unter DIY-Demo-Bedingungen ein, sprich: Dann, wenn es ihnen gefällt. In L.A. heißt es nun: In sechs Tagen muss die Platte fertig sein. Und es gelingt: “How To Clean Everything” erscheint im Frühjahr 1993.
Wer die Texte ausblendet, hört eine rasante Melodycore-Platte mit dezenten Metal-Einflüssen bei den Riffs. Doch Propagandhi wollen keine Musik für Leute machen, die die Texte ausblenden. Sie wollen, das man hinhört. Und wer das tut, bemerkt, dass Propagandhi ihrer eigenen Szene in die Hacken fahren, mit langen Texten, die über die politische Klasse richten, dazu über alle, die Macht missbrauchen (also alle, die Macht besitzen), sowie über die Szene, die von den Bands zwei Dinge verlangt: ihnen erstens eine gute Zeit und zweitens ein gutes Gewissen gibt. Punk ohne Haltung. Für Propagandhi funktioniert das nicht. In allen Songs ist der Protest an dem eingebaut, was sie selbst tun. Und daran, wie die Szene diese Songs rezipiert. Das ist Dialektik.
Es gibt viele Menschen, die bis heute sagen, dass sie durch dieses Album politisiert wurden. Weil es ihnen zeigte, dass man zwischen Boards und Bier das Gehirn nicht ausschalten darf. Und dass dieser Boys Club mit seinen Skatern und Surfern, Dudes und Bros in Sachen Frauen- und Schwulenfeindlichkeit keinen Deut besser ist als die evangelikalische Gemeinde um die Ecke.
Der Seher
Was einem beim Wiederhören von “How To Clean Everything” (und auch den anderen Propagandhi-Alben) fast gruselig vorkommt, sind die seherischen Fähigkeiten von Chris Hannah. Man feiert regelmäßig die “Simpsons”, weil sie Dinge wie Trumps Präsidentschaft, kaputte Wahlautomaten oder Nobelpreisträger vorhergesagt haben. Chris Hannah besitzt die gleiche Fähigkeit. 1993 etwa stellt er im Song “Haillie Sellasse, Up Your Ass” die Prognose auf, eines Tages werde der Gazastreifen zum Parkplatz für amerikanische Touristen umfunktioniert. Wer also denkt, Trumps Wahnvorstellungen von der “Gaza-Riviera” seien ein Resultat des Wahnsinns im Jahr 2025: Das ist für Chis Hannah bereits 1993 angelegt.
Trotz aller Kritik: Propagandhi sind nun Bestandteil des Punkrock-Wanderzirkus, der Mitte der 90er durch die Staaten tingelt. Richtig wohl in der Haut fühlen sie sich nicht. Weder bei Gigs und Festivals, die von Klamotten-, Skateboard- oder Surf-Marken oder anderen Konzernen gesponsert werden, noch bei räudigen Punkshows, bei denen es vorkommt, dass es Nazi-Skinheads auf die linken und aktivistischen Propagandhi absehen. Auch alle Besucher der Shows sind nicht glücklich mit dieser Band, weil sie auf der Bühne ihre Songs mit langen, politischen, szenekritischen Ansagen umrahmt. Immer häufiger geht es um die grassierende Homophobie und Misogynie in der Szene. Um die Kapitalisierung von Rockmusik, die nicht deshalb weniger zu verdammen ist, weil auf den Hoodies Namen von Punkrockbands stehen. Um die Bro-Culture oder die “Jocks”, die sehr viel Sport treiben, sehr viel darüber reden, sensationelle Sex-Erlebnisse zu haben, bei allen anderen Themen aber schnell intellektuell überfordert sind.
Feige und angepasst
Die Band reagiert auf ihre Stellung in der Szene auf propagandhi-typische Weise. Sie nennt ihr zweites Album 1996 “Less Talk, More Rock”, zitiert damit das, was die “Bros” und “Jocks” der Band zurufen, wenn Chris Hannah auf der Bühne über die Folgen des Kolonialismus spricht. Das Album bietet schon Rock. Aber für alle Ignoranten rockt die Platte zu einem verdammt hohen Preis. Kaum eine Punkplatte bietet in dieser Dichte so viele Inhalte, höchstens noch das Album, das Propagandhi sich bei den Aufnahmen als Vorbild genommen haben: “Bedtime For Democracy”, die letzte LP der Dead Kennedys vor der Auflösung 1986 – eine überbordende Platte mit dem Song “Chickenshit Conformist” als Highlight, bei dem Jello Biafra in den ersten Zeilen feststellt, dass Punk nicht tot sei, es aber verdient hätte. Weil er nur noch ein vergilbter Comic sei, ein engstirniger, selbstzentrierter Gesellschaftsclub. Später im Song zitiert Biafra noch einen Dialog unter Punks: “Wer hat gestern gespielt?” – “Keine Ahnung, hab’ ich vergessen, aber Stagediving hat viel Spaß gemacht.”
Eine sinnentleerte, feige und angepasste Szene: Propagandhi fühlen sich von Jello Biafra verstanden. Im Titelstück “Less Talk, More Rock” ermuntert Chris Hannah die Dümmsten, hart zu diesem Song abzufeiern. Um später von zwei vermeintlichen homosexuellen Erlebnissen zu erzählen. Mit der Schlussfolgerung, dass jeder, der diesen Song feiert, damit diese Sexualität feiert. Ausgetrickst! “Gay-positive” sei das Album, steht auf dem Cover. Das ist 1996 noch eine Provokation. Propagandhi verstehen sich auf “Less Talk, More Rock” meisterhaft darin, Verwirrung zu stiften, falsche Fährten zu legen, den Ignoranten in der eigenen Bubble vor den Kopf zu schlagen.
“Less Talk, More Rock” gehört auf den Olymp der politischen Punkplatten. Damals führt das Album die Band jedoch in mehrere Sackgassen. Die erste betrifft die Verkäufe: Weil die Band keinen Barcode auf dem Cover haben will, stellen einige Händler die Platte gar nicht erst in die Läden. Die LP verkauft sich daher nur halb so gut wie das Debüt, was sicher auch etwas mit dem “Gay-positive”-Branding zu tun hat: Hannah selbst sagt, er hätte es sich in den 80ern nicht getraut, mit einer Platte mit einer solchen Kennzeichnung aus dem Laden zu kommen. Auf eine zweite Sackgasse verweist ein besonderer Song der Platte, “Anchorless”. Ein Ausnahmestück, da weniger wütend und hektisch, dafür melancholisch und poetisch, mit einem Verweis auf die Romane des englischen Schriftstellers P.G. Wodehouse. Bassist John K. Samson schreibt und singt das Lied. Kurz nach der Aufnahme von “Less Talk, More Rock” steigt er aus und gründet mit den Weakerthans eine neue Band, die Punk mit Indierock, Singer/Songwriter und Emo zusammenbringt.
Damit sind Propagandhi wieder einmal nur noch zu zweit. Aber Bassisten zu finden – diese Disziplin beherrschen sie mittlerweile. Sehr rasch kommt Todd Kowalski ins Spiel, zuvor Gitarrist der Winnipeg-Bands I Spy und Swallowing Shit. Am Bass noch komplett unerfahren, aber das macht nichts, denn die Band hat ohnehin vor, eine Pause einzulegen. Auch, damit Hannah und Samolesky ihr eigenes Label gründen können: G7 Welcoming Committee. Eher ein Akt des Widerstands als eine Firma, ein Sprachrohr für radikale linke Bands und Denker. Mit dem Anspruch, eine Organisation zu finden, die nicht in die Falle tappt, im Widerspruch zu den eigenen Zielen zu stehen, indem sie, ob bewusst oder unbewusst, Machtstrukturen und Hierarchien aus der gewinnorientierten Unternehmenswelt nachahmt. Das neue Jahrtausend beginnt, und Propagandhi sind bereit für eine Zukunft.
Zweiter Akt: Back To The Motor League
Die Manitoba Motor League ist eine Art ADAC in der kanadischen Provinz, ein Lobby-Club für Autofahrer, mit diversen Service-Leistungen. Wer in Winnipeg lebt und dort arbeitet, hat einen dieser 9-to-5-Jobs, die nichts anderes versprechen, als dass man am Ende des Monats sein Gehalt bekommt, krankenversichert ist und es zu Weihnachten einen kleinen Bonus gibt. Niemand bei der Motor League macht sich Illusionen.
2001 sind Propagandhi nach ihrer Pause wieder am Start, fünf Jahre nach “Less Talk, More Rock” erscheint endlich das dritte Album. “Back To The Motor League” heißt der Hit der Platte, für nicht wenige Menschen einer besten Punk-Songs überhaupt. Hannah besingt sarkastisch die Party- und Alles-soll-so-bleiben-wie-es-ist-Fraktion der Community, beschimpft Anarchie-Darsteller, Sneaker-Werbeträger, Macho-Einheitsbrei und College-Rock-Bands, die sich als gequälte Künstlerseelen verkaufen. Zwischendrin droppt er zwei Zitate aus Songs der Dead Kennedys, dazu mit “Back To The Motor League” die Ankündigung, dass man ja auch einen Job bei diesem Club annehmen könnte, da geht’s nicht so scheinheilig zu. Am Ende bleibt noch Zeit für die trostlose Feststellung, dass heute ein guter Tag zum Sterben sei: “Today is a good day to die”. Guter Gott, ist dieser Text übellaunig.
Aber: Wie wahnsinnig feiert die Musik die Kraft des Gitarrenriffs. Die Melodycore-Band Propagandhi gibt es nicht mehr. 15 Jahre nach ihrer Gründung wird sie mit ihrem Sound dem gerecht, was Hannah und Samolesky 1993 auf den Zettel kritzeln, als sie einen Bassisten suchen. Ab jetzt spielen Propagandhi Progressive-Thrash. Die gewaltige Dichte der Worte bleibt, hinzu kommen viele Parts pro Song. Plus: Druck, Druck, Druck. Und: Melodien. Das ambitionierte Konzept geht auf, weil die Band auf “Today’s Empires, Tomorrow’s Ashes” einen neuen, kompakten Klang findet. Ab jetzt klingen die Aufnahmen von Propagandhi, als befindet man sich genau in der Mitte des Proberaums – und als spielt einen die Band an die Wand.
Geschärft wird auch das Profil, bei den Coverartworks auf politische Kunst zurückzugreifen. Für “Today’s Empires, Tomorrow’s Ashes” nutzt die Band das Gemälde “The Unfinished Flag” Of The United States des Dichters, Künstlers und Aktivisten Lawrence Ferlinghetti aus San Francisco. Das Bild zeigt die Welt in den amerikanischen Stripes, kritisiert damit den US-Imperialismus. Auf dem Cover des folgenden Albums “Potemkin City Limits” (2005) zeigt die Band einen Ausschnitt aus einem Gemälde des Anarchisten, Malers und Cartoonisten Eric Drooker: “Children’s Games” zeigt spielende und malende Kinder auf einer Straße, bedroht wird das Szenario von in Kreide gemalten Kampfjets.
Der Titel des Albums nimmt diese Idee auf: Die berühmten Potemkin’schen Dörfer stehen für schöne Fassaden, hinter denen nichts steckt – mehr Schein als Sein. In den Texten auf “Potemkin City Limits” verstärkt Chris Hannah seinen Ansatz, weniger auf die eigene Szene zu schauen, sondern das große Ganze in den Blick zu nehmen. Erneut reibt man sich verwundert die Augen, wenn er 20 Jahre, bevor Trump es getan hat, in “A Speculative Fiction” das Szenario eines nahenden Kriegs zwischen den USA und Kanada entwirft, mit einem neuen eisernen Vorhang entlang des 49. Breitengrads, einer Reisewarnung für die USA und der Ausweisung aller Diplomaten. Aber, heißt es am Ende des Songs, sei dies nur eine spekulative Zukunft, kein Grund zur Sorge. Na dann.
Ab jetzt zu viert
2006 trifft die Band eine wichtige Entscheidung: Aus dem Trio soll ein Quartett werden. Der zweite Gitarrist erhält die Aufgabe, Hannahs immer komplexer werdende Gitarren-Arrangements auf der Bühne mitaufzuführen, damit kein Energieabfall zwischen Studioaufnahmen und Liveshows entsteht. Die Wahl fällt auf David Guillas, auch er ein Mitglied der Winnipeg-Szene. Das Propagandhi-Album “Supporting Caste” (2009) ist die erste Platte zu viert – und die erste, die international nicht mehr bei Fat Wreck erscheint. Fans erhalten damals die Möglichkeit, vorab Songs online runterzuladen, wenn sie ein wenig Geld für NGOs spenden. Das Cover zeigt das Gemälde “The Triumph Of Mischief” des indigenen Künstlers Kent Monkman, eine vielschichtige Kritik der Kolonialisierung, indem das Bild eine Parade sexueller, kultureller, sozialer und kriegerischer Übergriffe zeigt. Mit “Tertium Non Datur” singt Chris Hannah einen Song in lateinischer Sprache. Es geht um das so genannte Falsche Dilemma, ein rhetorischer Trick, der annimmt, es gebe auch bei komplexen Themen nur genau zwei Möglichkeiten. Und der dabei absichtlich ignoriert, dass es viele weitere Möglichkeiten dazwischen gibt. Genutzt wird dieses Falsche Dilemma häufig in der Politik. Zum Beispiel, um bei Fragen wie der zur Migration Schwarz-Weiß-Bilder ohne Graubereich zu erzeugen, nach dem Motto: “Wer die Grenzen nicht dicht machen will, nimmt in Kauf, dass Menschen bei Terroranschlägen sterben.” Hannah thematisiert diese populistische Methode bereits 2009. Noch so ein “Seher”-Moment.
So verwirrend und aufreibend die Propagandhi-Story bis dahin ist: Nun kehrt eine Art von Ruhe ein. Auf den folgenden zwei Alben – “Failed States” (2012) und “Victory Lap” (2017) – erhöht die Band die musikalische Komplexität, mit den kanadischen Prog-Göttern Rush mogelt sich eine weitere Band in den unmittelbaren Einflussbereich von Propagandhi. In seinen Texten richtet sich Hannah nun verstärkt auch auf sich selbst, beschreibt “The Days You Hate Yourself”, führt das Drama in “When All Your Fears Collide” von der gesellschaftspolitischen in die private Ebene. Der Eröffnungssong von “Failed States” trägt den Titel “Note To Self” und ist als Aufruf zu verstehen, sich auf keinen Fall der Genügsamkeit und Gemütlichkeit hinzugeben. “The bands. The sports. The booze” – das würde ja reichen. Aber was, wenn die Polizei und die Gerichte sich weigern, die Sünden der Mächtigen zu bestrafen? Hannahs Antwort ist eindeutig: “rise” – aufstehen! 2015 verlässt David Guillas die Band.
Mit einem Aufruf im Internet suchen Propagandhi Ersatz, finden in Tampa, Florida Sulynn Hago – und damit eine Traumbesetzung. Dass das selbstgegründete Label G7 Welcoming Committee seine Arbeit einstellt und die Platten nun über Epitaph erscheinen, zeigt der Band, dass ihr hoher Anspruch dann und wann an seine Grenzen gerät. Hinzu kommt die Frage: Was haben Propagandhi eigentlich bewirkt? Es ist das Jahr 2025, die Menschen tun weiterhin schlimme Dinge. Die Welt geht vor die Hunde. Die Klimakatastrophe ist da. Rechtspopulisten gewinnen Wahlen. Vielfalt wird abgewickelt. Kriege rücken näher. Und die Sex Pistols spielen im Royal Albert, nicht der ranzigen Hotelbar in Winnipeg, sondern der viktorianischen Halle in London. Und Propagandhi? Geben nicht auf. Weil Aufgeben sinnlos wäre. Starten eine neue Runde. Und man höre und staune: Sie kommen “At Peace” – in Frieden.
Dritter Akt: At Peace
Chris, fast 40 Jahre nach der Gründung von Propagandhi haben nach der Ankündigung eures neuen Albums sehr viele Leute gepostet: “Genau diese Band brauche ich jetzt!” Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Chris Hannah: Wenn das Ergebnis unserer Arbeit den Menschen hilft, mit den Problemen der Welt zurechtzukommen, dann ist das gut. Wenn die Musik andererseits nur wie ein Schnuller wirkt, der dafür sorgt, dass sich die Menschen besser fühlen, dann aber nichts weiter passiert, dann wäre es nicht sehr hilfreich. Ich weiß es also nicht. Was ich weiß, ist, dass wir immer die gleiche Art von Platten machen, unabhängig davon, welche Regierung gerade wo an der Macht ist. Ich bin nicht begeistert von der Idee, dass schlimme Formen des Imperiums einen fruchtbareren Boden für gute Kunst schaffen. Ich glaube auch nicht an diese Idee, und wenn sie doch wahr sein sollte, dann fände ich sie dumm.
Warum?
Weil sich die Gesellschaft und die sie treibende Kraft, der Kapitalismus, nicht ändern werden. Sie sind immer gleich schlecht. Dieses Schlechte ist nur zu bestimmten Zeiten offensichtlicher zu erkennen.
Wobei sich euer Ansatz geändert hat: In der ersten Phase wolltet ihr die Szene, für die ihr spielt, aufklären.
Vielleicht, ja. Es ist die typische Geschichte von jungen, großmäuligen, schrillen Menschen, die dir ins Gesicht springen, um dich und damit die Welt zu verändern.
Wenn diese Veränderung nicht eintritt, was folgt darauf, Resignation?
Nein, ich würde nicht sagen, dass wir irgendwann resigniert haben oder heute resigniert sind. Ich denke aber, dass uns die Schwere der Situation heute intensiver und unkontrollierbarer vorkommt, als es früher der Fall war. Wir tragen heute mehr Gewicht mit uns herum.
Foto: Greg Gallinger
»In gewisser Weise macht ein gutes Artwork die Rezeption eines Albums weniger passiv. Kunst aktiviert. Man hört zu, schaut, denkt nach.«
Chris Hannah
Gab es da einen bestimmten Wendepunkt?
Einer ist 9/11. Kurz vorher, im Jahr 2000 und bis zum Sommer 2001, hatte ich das Gefühl, das eine Bewegung entstanden war, die sich in verschiedenen Teilen der Welt erfolgreich für die Idee einsetzte, die globale soziale Ordnung zu ändern, den Kampf gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit aufzunehmen. Ich erlebte ein echtes Gefühl einer Möglichkeit. Sehr viele Menschen waren unterwegs. Wir waren damals in Quebec City, wo ein Gipfel stattfand. Es gab gigantische Massendemonstrationen auf den Straßen, alle Bürger der Stadt sprachen sich für das Anliegen der Protestierenden aus, die Leute standen an den offenen Fenstern und riefen uns zu: “Ja, lasst uns das ändern!” Es herrschte Aufbruchstimmung, endlich! Dann kam der 11. September – und es war mit einem Schlag alles vorbei. Es gab plötzlich keinen Raum mehr für abweichende Meinungen, es hieß nur noch: “Hurra, hurra! Amerika, Nordamerika, der Westen!”. Besonders entmutigend war die Erkenntnis, dass sich auch die Kollegen aus der Musikszene nicht davor scheuten, bei diesem Chor mitzumachen. Auch sie scharten sich um die globalen imperialistischen Werte Amerikas, machten irgendeinen patriotischen Mist. Das zu beobachten, war der schwierigste Teil. Dieser Wendepunkt hat seine Spuren in unserer Musik hinterlassen, “Potemkin City Limits” war 2005 unsere wohl dunkelste und verzweifeltste Platte.
Bei diesen Rückschlägen, bei dieser Verzweiflung: Warum lohnt es sich, weiterzumachen? Ich habe vor wenigen Tagen ein Interview mit Norman Finkelstein gelesen…
…ein streitbarer jüdischer US-Politikwissenschaftler, dessen Eltern das KZ überlebten, seit vielen Jahren Kritiker der Politik Israels. Er ist jemand, der sich seit 30, 40 Jahren mit Themen rund um Gaza beschäftigt. Vor ein paar Jahren kam er an einen Punkt, an dem er aufgeben wollte. Er dachte, es sei sinnlos geworden. Auf die Frage, warum er doch weitermache, sagte er: “Man kämpft nicht, weil man garantiert gewinnt. Man kämpft auch angesichts einer sicheren Niederlage, denn nur das gibt dem Leben einen Sinn.” Als ich das las, fühlte ich mich zumindest ein wenig ermutigt. Nach dem Motto: “Okay, ja, das ist es, was wir tun. Wir machen einfach weiter, denn was ist die Alternative?” Es gibt keine Alternative, die man für sich selbst rechtfertigen könnte. Man muss in gewisser Weise kämpfend untergehen.
Fühlt ihr euch mit dieser Haltung in der Szene allein?
Wir haben uns schon immer allein gefühlt. Schon ganz am Anfang, als wir mit der Skatepunk-Szene von Südkalifornien in einen Topf geworfen wurden. Weil wir bei einem Label waren, das mit dieser Art von Skatepunk gute Geschäfte machte. Wir waren immer der Ansicht, dass wir uns von Anfang an nicht richtig verstanden gefühlt haben. Wir haben schon versucht, uns mit dieser Szene zu identifizieren. Aber es gelang uns nicht. Die anderen Bands hatten einfach andere Gründe, warum es sich lohnt, bei diesem Zirkus dabei zu sein. Hinzu kam die geografische Distanz: Wir leben in Winnipeg, und von hier aus war es kaum möglich, eine Art Beziehung zu dieser Szene in Südkalifornien aufrechtzuerhalten. Im Nachhinein war diese Isolation aber das Beste, was uns passieren konnte. Als Band allein zu agieren, kann sich deprimierend anfühlen. Auf der anderen Seite hat uns dieser Umstand ehrlich gehalten. Wir waren nie hinter den Dingen her, denen die Szene nachgejagt ist. Wir sind auf Kurs geblieben. Im Guten wie im Schlechten.
Im neuen Song “At Peace” zitierst du aus dem Lied “Lovers In Dangerous Times” von Bruce Cockburn, einem der großen Singer/Songwriter Kanadas: “Nichts, was sich zu erreichen lohnt, erreicht man ohne eine Art von Kampf. Man muss in Dunkelheit treten, bis aus ihr das Tageslicht herausblutet.” Ist das die Form von Hoffnung, die bei Propagandhi möglich ist? Ja. Der Song “At Peace” ist eine Erkundung der Dunkelheit auf drei Ebenen. Die erste Strophe handelt von der politischen Dunkelheit um uns herum. Die zweite bezieht sich auf die Dunkelheit, die sich ergibt, wenn man nicht dankbar für sein Leben ist. Die dritte schließlich bezieht sich auf die dunklen Momente des Privatlebens. Ich erlebe gerade eine solche düstere Phase. Wir haben in der vergangenen Woche einen guten Freund beerdigen müssen, mir geht es nicht gut damit. Am Ende des Songs “At Peace” wollte ich einen “Pulp Fiction”-Moment erzeugen, in dem diese Ebenen in einen Kern zusammenfließen. Und dieser ergibt sich aus den Zeilen von Bruce Cockburn, die mich sehr angesprochen haben.
Der Song von Cockburn stammt von 1984 und ist in Kanada fast eine heimliche Nationalhymne, oder?
Schon ein bisschen, ja. Als unser Song herauskam, gab es die lustige Rückmeldung von ein paar Leuten, wie cool es sei, dass ausgerechnet wir einen Song von den Barenaked Ladies zitiert hätten, einer in Kanada sehr erfolgreichen, ziemlich albernen Band. Die hatten den Song nämlich 1991 gecovert und einen Hit damit.
Gibt es eine Band, deren Entwicklung für euch vorbildhaft ist? Judas Priest. Die starteten in den 70ern, hatten ihre große Zeit in den 80ern mit legendären Platten wie “Screaming For Vengeance” oder “Defenders Of The Faith”, aber die Alben, die sie zuletzt rausgebracht haben, “Firepower” und “Invincible Shield”, zählen meiner Meinung nach zu ihren absolut besten. Ich bin nicht in der Lage, auf dem Niveau von Judas Priest zu spielen, aber wir versuchen, ihren Geist einzufangen.
Was für ein Geist ist das? Man kann es schwer in Worte fassen. (überlegt) Ich hatte bildlich das Plattencover von “Firepower” vor Augen gehabt, als ich die Texte und Riffs für “At Peace” schrieb. Rechts von mir schwebte “Firepower” von Judas Priest, links “If You Swear You’ll Catch No Fish” von SNFU. Vor allem die Art, wie deren Sänger Chi Pig seine Texte schrieb, war für mich sehr wichtig. Er befasste sich mit dunklen, schweren Themen, aber die Texte sind dennoch verdammt lustig. Diese beiden Alben waren bei der Entstehung von “At Peace” wie Prüfsteine.
Wie auf allen euren Alben ist das Cover von “At Peace” von großer Bedeutung. Es zeigt das Gemälde “Custer’s Last Stand” von Edgar S. Paxson aus dem Jahr 1899, eine detailgenau illustrierte Szenerie der Schlacht am Little Bighorn, bei der George Armstrong Custer fiel – damals als Held betrachtet, rückblickend ein brutaler Kriegstreiber gegen die indigene Bevölkerung. Man betrachtet das Gemetzel – und liest den Plattentitel: “At Peace”.
Es gibt viele Möglichkeiten, das Zusammenspiel aus Cover und Titel zu lesen. Es kann Sarkasmus sein. Es könnte aber auch sein, dass es erst eine solche Schlacht geben muss, bevor endlich Frieden einkehrt. Ich weiß es selbst nicht, bin ratlos. Das Bild aber ist großartig. Verrückt. Soziopathisch. Patriotisch. Es gibt ein anderes Gemälde von dieser Schlacht, das Ende des 19. Jahrhunderts von der Brauerei Anheuser-Busch in Auftrag gegeben wurde. Es sollte ein Bild sein, das in jedem Saloon in Amerika hängt, als Propagandastück für die westliche Expansion, als Dokumentation des Sieges gegen die “Wilden”, die versucht haben, uns, die Guten aus dem Westen, zu töten. Absurd.
Warum sind Cover-Artworks für euch so wichtig?
Das Cover ist eine zusätzliche Gelegenheit zur Kommunikation, die wir wahrnehmen wollen. Andere Bands tun das nicht, was uns immer verwundert. In der Punk-Szene in Südkalifornien waren Plattencover absolut irrelevant, entsprechen sahen sie auch aus. Wir haben nie verstanden, dass die anderen Bands diese Ebene nicht genutzt haben. Unser Bezug zu Covern stammt aus der Zeit, in der wir aufgewachsen sind. In der Thrash-Metal-Szene der 80er gab es viele fantastische Plattencover. Wir saßen als Kids da und starrten das Cover an, während wir die Platten hörten. “Pleasure To Kill” von Kreator zum Beispiel. Oder “Dimension Hatröss” von Voivod. In gewisser Weise macht ein gutes Artwork die Rezeption eines Albums weniger passiv. Kunst aktiviert. Man hört zu, schaut, denkt nach. Und, hey, nachdenken ist immer gut!
Nach einer längeren Schaffenspause und einem Wechsel in der Besetzung veröffentlichen Kaak ihre neue Single “Sterben” mit dazugehörigem Musikvideo. Geprägt von Einflüssen aus 90s-Rock, Post-Hardcore und Emo, präsentiert die Hannoveraner Band zudem eine neue Facette: simpel, melodisch und auf den Punkt.
Sänger und Gitarrist Leon Kaack erklärt zur Single: “Sterben ist ein Song, der in diesen herausfordernden Zeiten Platz macht, um Resignation, Wut, Trauer und Zynismus mal für drei Minuten zulassen zu können, damit danach die Hoffnung wieder hochgehalten werden kann.”
Ihr Debütalbum “Schrei doch” veröffentlichten Kaak von Ende 2019 bis Ende 2021 in Form von 13 Singles, zwölf Musikvideos und einer LP.
Am 25. April feiern Kaak ihr Comeback mit einem Konzert in ihrer Heimatstadt Hannover. Unterstützt werden sie dabei von der Leipziger Post-Hardcore-Band Kontraire. Tickets sind auf der Webseite des Veranstaltungsortes erhältlich.
Album der Woche: Julien Baker und Torres – “Send A Prayer My Way”
Julien Baker und Torres (Foto: Ebru Yildiz)
Gut, dass Julien Baker und Torres ihrem von langer Hand geplanten Country-Projekt die Aufmerksamkeit gewidmet haben, die es verdient: Sie leihen sich nicht nur Country-Elemente, um ihre Songs anzureichern, die Platte ist von den Fransen und Rosen auf den zueinander passenden Anzügen bis zum Banjo Vollblut-Country – in diesem Fall: Queer-Country.
“Thunderball” ist nun streng genommen die dritte Platte des Spin-offs “Melvins 1983” mit Mike Dillard am Schlagzeug. Es ist bewundernswert, wie Buzz Osborne in Bewegung bleibt, dennoch wird das Werk langsam etwas uferlos. Vielleicht konservativ, aber nur Osborne, Dale Crover und Steven McDonald wären auch mal wieder sexy Melvins.
Heavy Lungs geben der Post-Brexit-Katerstimmung keine Chance: In kürzester Zeit haben sie “Caviar” live eingespielt, zwischen Sludge, schwarzer Galle und Dinner-Fantasien mit Willem Dafoe geben sie sich dem Exzess hin. Explizit wird es selten, doch das Motto wird klar: ausschweifender Punk-Hedonismus über ewiger Zukunftsgrübelei.
Superheaven haben sich stückchenweise wieder angenähert – auch an sich selbst. Das nach der Band benanntes Comebackalbum klingt, als sei sie wieder ganz bei sich selbst angekommen. Kronjuwel ist weiterhin der Leadgesang von Taylor Madison und Jake Clarke, die stoisch und in eher hypnotischem Tempo gegen den Lärm ansingen.
Tunde Adebimpe, die Stimme von TV On The Radio, veröffentlicht mit “Thee Black Boltz” sein Solodebüt. Die Platte setzt vor allem auf elektronische Klänge, während auch Beatboxing, Indierock, Gitarrenfolk und 80s-Pop einfließen. Mit dieser Mischung verarbeitet er sowohl persönliche Verluste als auch gesellschaftliche Krisen.
Das Musikprojekt Beirut präsentiert mit dem Album “A Study Of Losses” ein melancholisches Werk, das von Judith Schalanskys Buch “Verzeichnis einiger Verluste” inspiriert wurde. Zach Condon vereint Elektronik, Folk und Alte Musik zu einer stimmungsvollen Klanglandschaft, die die Themen Verlust und Vergessen verarbeitet.
Mit dem Album “Miien” veröffentlichen Rishi Dhir (Elephant Stone) und Alex Maas (The Black Angels) das zweite Album ihrer Supergroup Mien. Der Sound ist ein schillernder Fiebertraum aus 60s-Psychedelia und Retrofuturismus – durchzogen von Sitar, schrägen Melodien und tranceartigen Grooves, die zum Abdriften einladen.
Jede jährliche Platte von Fir Cone Childrenist ein neues Kapitel im Klang-Tagebuch von Alexander Donat. Mit “Gearshifting” bahnt sich Veränderung in den von Donats Töchtern inspirierten Coming-of-Age-Sound: Mal chaotisch, mal wild, dann plötzlich mit einer Portion Melancholie und zwischendurch ein wie ein rebellischer Teenager.
Für das Album “Chime Oblivion” holt sich Osees-Kopf John Dwyer Unterstützung von Szenegrößen wie David Barbarossa und Weasel Walter, um sich in neue No-Wave-Gefilde zu wagen – mit gemischtem Ergebnis. Nicht jeder Track überzeugt, doch H.L. Nellys eindrucksvolle Stimme verleiht dem experimentellen Sound Energie und Tiefe.
Mein Lieblingsshirt war ein Geschenk von meiner Freundin Miriam.
Was bedeutet die Band auf dem Shirt für dich?
Windhand haben für mich eine besondere Bedeutung, weil sie mich indirekt dazu gebracht haben, in einer Band zu singen. Ich habe lange nur Gitarre gespielt, meistens Grunge, und für mich selbst gesungen, wenn ich Songs geschrieben habe. Sängerinnen wie Brody Dalle oder Courtney Love fand ich großartig, aber ich wusste, dass meine Stimme anders ist. Dorthia Cottrell von Windhand hat mir eine neue Perspektive eröffnet – sie hat mir gezeigt, dass es nicht nur um rohe Power geht, sondern um Atmosphäre, Emotion und Ausdruck. Ohne Windhand gäbe es Daevar so nicht, und ich hätte mich wohl nie getraut, selbst zu singen.
Pardis Latif von Daevar mit ihrem Windhand-Shirt (Foto: privat)
Welche persönliche Geschichte verbindest du mit dem Shirt?
Representation matters! Die Metal-, Doom- und Rockszene braucht mehr Frauen* und Diversität. Ich habe mich in diesen Genres schon immer wohlgefühlt, aber lange Zeit kaum weibliche Stimmen gesehen, mit denen ich mich identifizieren konnte. Dorthia war eine davon. Wenn ich heute auf der Bühne stehe, hoffe ich, dass ich vielleicht für irgendwen da draußen irgendwann auch diese Rolle übernehmen kann.
Welche Bedeutung haben Bandshirts ganz allgemein für dich?
Bandshirts begleiten mich seit meiner Teenagerzeit. Damals waren sie ein Stück Identität in einer Phase, in der ich mich oft lost gefühlt habe. Heute trage ich sie einfach, weil sie Teil von mir sind. Und mal ehrlich: Sie sind nicht nur Ausdruck von Leidenschaft, sondern auch ein hervorragendes Mittel, um Idioten zu erkennen. Ich sage nur: „nAmE tHreE sOnGs?“
Sebastian, als wir vor zwei Jahren über “Cave World” sprachen, nanntest du mir den Filmklassiker “2001: A Space Odyssey” als ein wichtiges Puzzlestück des Albums. Liegt dem neuen Album eine ähnliche Leitidee zugrunde?
Sebastian Murphy: Eher nicht, es ist wie eine Mischung aus all unseren Alben zusammen. Da ist dann natürlich ein bisschen was von “2001” drin. Aber auch ein bisschen was vom Film “Idiocracy” – denn das ist die Welt, in der wir heute leben. Völlig rückwärtsgewandt und idiotisch. Die Musik dient als eine Art Spiegel dieser Welt.
Wem sagst du das, wir hatten gerade Wahlen in Deutschland…
Oh, ja. Euer Kumpel Elon liebt diese eine deutsche Partei – oder die liebt ihn. (lacht) Alles verdammte Idioten, Mann!
Eigentlich wolltest du aber gar nicht so politisch werden, oder?
Das stimmt. Es ist anstrengend, explizit politisch zu sein. Ich ziehe es vor, Musik zu machen, die ein bisschen mehrdeutig rüberkommt und einem nicht sofort verrät, was sie genau bedeutet. Das ist schwer bei politischer Musik. Wenn ich das Album heute – oder in den vergangenen Monaten – geschrieben hätte, dann hätte ich aber nicht anders gekonnt. Dann wäre es definitiv politischer geworden, weil die Welt einfach so beschissen geworden ist. Alles ist vollkommen aus dem Ruder gelaufen. Um ehrlich zu sein, glaube ich aber nicht, dass ich der beste politische Kommentator bin. Daher ist auch die Musik dieses Mal ein bisschen persönlicher geworden.
Glaubst du, dass man Privates und Politisches in diesen Zeiten noch trennen kann?
Es ist auf jeden Fall nur schwer trennbar. Manche Leute sagen zwar, dass sie keine Politik mögen und damit nichts am Hut haben wollen, aber das ist heute doch unmöglich. Alles betrifft uns alle. Leute, die nicht nachdenken oder nichts sagen, weil es einfach einfacher ist, die Klappe zu halten, verhalten sich verdammt dumm. Alles ist miteinander verwoben, und das wirkt sich auch auf unser Privatleben aus.
Was ist die wichtigste Erkenntnis für dich privat, die du in der Zeit seit Cave World gemacht hast?
Ich weiß nicht, wahrscheinlich nur die, dass ich ein Freak bin. (lacht)
Nun, vielleicht finden wir das noch heraus. Lass uns erstmal über die Songs sprechen: “Uno II” ist aus der Perspektive deines Hundes geschrieben. Wie viel Wahrheit steckt hinter der Geschichte um Bogdan, den Zähne stehlenden Tierarzt?
Also, mein Hund hat zwei Tierärzte, und ich verwechsle sie immer. Der eine ist Kroate und der andere Australier. Ich wollte mir nur vorstellen, wie es sich für einen Hund anfühlen muss, zum Tierarzt zu gehen, einzuschlafen und dann ohne Zähne wieder aufzuwachen. Das muss einen schon fertig machen – und mein Hund hat nur noch drei Zähne! Da stecken aber auch ein bisschen Paranoia im Allgemeinen und ein paar Verschwörungsmythen mit drin.
Hältst du dich für einen empathischen Menschen, weil du dich so gut in deinen Hund reinversetzten kannst?
Ich versuche zumindest zu glauben, dass ich das bin. Warum das aber bei mir besonders auf Hunde zutrifft? Wahrscheinlich muss ich mit meinem Therapeuten darüber reden, aber vielleicht hat es damit zu tun, dass ich Menschen ziemlich schrecklich finde. Ich war schon immer irgendwie fasziniert von allen Tieren. Ich liebe einfach all die kleinen Viecher und Kreaturen oder etwas, das mich an kleine Goblins erinnert. Deshalb mag ich Shrimps und Würmer und all das gruselige Krabbelzeug.
Du hast also ein Herz für Außenseiter. Niemand würde sonst sagen: “Oh, schau dir diesen Shrimp an – wie süß!”
(kichert) Genau, aber ich mag eben diese Freaks der Natur.
Du singst in “Man Made Of Meat” aber auch über menschliche Freaks, allerdings sind die nicht so liebenswürdig. Warum wolltest du über komische Leute im Walmart schreiben?
Ich war eigentlich nur sehr schockiert; als ich auf Tour irgendwo in North Dakota zum Walmart ging, konnte man sich dort elektrische Rollstühle ausleihen, um durch den Laden zu fahren. Für mich ist es unfassbar, wie die USA an vorderster Stelle der Zivilisation stehen wollen, aber gleichzeitig diese Art Mensch beherbergen, die 500 Pfund wiegt und ohne Rollstuhl nicht einmal Lebensmittel im Laden kaufen kann. Das sind dieselben Leute, die oft ziemlich beschissene Ideen haben, Einwanderer hassen oder sie als faul betiteln. Es war eine bizarre Welt, in der ich mich befand.
Denkst du oft an dein Leben in den USA zurück?
Ja, sehr sogar. Ich bin im eher liberalen San Francisco aufgewachsen, das sich sehr vom Rest des Landes unterscheidet. Es hat sich viel geändert. Damals waren die Technologieunternehmen noch nicht dort ansässig, es war viel erschwinglicher, dort zu leben, und es gab jede Menge coole Sachen zu sehen. Viel Kunst, viele Konzerte. Ich liebe San Francisco und Kalifornien deswegen – und ich vermisse auf jeden Fall das Wetter. Hier in Schweden ist es im Winter sehr dunkel und kalt. Mir fehlt definitiv die Sonne.
Zwischen Techno und Punk, zwischen Leben und Tod: Viagra Boys (Foto: Chris Shonting)
»Seit ich ein Teenager war, habe ich immer wieder versucht, mich mit allem, was schlecht für einen ist, umzubringen.«
Sebastian Murphy
Vor ein paar Jahren war ich zwar nicht in Schweden, aber nahe der dänischen Grenze, um mir Moorleichen anzugucken. Warum hast du ihnen ein ganzes Lied gewidmet?
Ich habe ein allgemeines Interesse an Kryptiden wie Big Foot oder Moorleichen. Diese seltsamen Naturphänomene haben es mir einfach angetan. Eigentlich war es aber meine Freundin, die eine Zeit lang davon besessen war. Bevor sie einschläft, liest sie auf dem Smartphone immer so seltsame Geschichten, und es gab Wochen, in denen sie sich nur auf Moorleichen konzentrieren konnte. Ich dachte mir nur: “Ach, komm schon.” Aber dann hatte ich die Idee für einen Song über jemanden, der eifersüchtig auf eine Moorleiche ist.
In “Pyramid Of Health” spielst du auf Magenprobleme und eine Endoskopie an. Sprichst du da aus eigener Erfahrung?
Ja, ich hatte eine Endoskopie, und es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens, ich habe es gehasst. Ich habe gekotzt und geheult, es war einfach schrecklich. Vor kurzem haben sie mir eine Kamera in den Arsch geschoben, das war viel besser. Das ging vielleicht schnell und einfach. (lacht) Aber ja, zuerst ging es in dem Song um körperliche Gesundheit, doch dann wurde es zu einer Kritik an der spirituellen Gesundheit. Manche Leute denken, dass sie all ihre Probleme lösen können, indem sie einen Kristall reiben, irgendeine magische Medizin trinken oder so einen Scheiß. Ich kann diese Leute nicht ausstehen. Das sind die gleichen Leute, die nicht an Impfstoffe oder an die Wissenschaft glauben. Die denken, dass alles durch Psychedelika gelöst werden kann, aber es löst einen Scheiß! Naja, es hilft ein bisschen, wenn man sich selbst finden will, aber es wird dir nicht das Sorgerecht für die Kinder verschaffen.
Du bist ist also resistent gegen dieses Pseudo-Zeug. Was machst du stattdessen für deine spirituelle Gesundheit?
Wir gehen in die Sauna, und dann tauchen wir durch ein Eisloch ins kalte Wasser. Das mache ich heute Abend mit einem Haufen Kerle. Spirituelle Kerle! (lacht)
Ist dein körperlicher Verfall etwas, das dich generell beunruhigt?
Allerdings. Ich habe meinem Körper sehr viel zugemutet. Seit ich ein Teenager war, habe ich immer wieder versucht, mich mit allem, was schlecht für einen ist, umzubringen. Jetzt, mit Mitte 30, spüre ich definitiv die Auswirkungen davon. Je älter ich wurde, desto mehr wurde mir klar, dass ich mich um diese Dinge kümmern sollte, wenn ich ein langes Leben führen will. Meine zwei größten Ängste im Leben sind schlechte Gesundheit und Krieg. Das war’s dann auch schon.
Du hast gleichzeitig eine Art morbide Faszination für den Tod.
Es ist lustig, dass ich den spirituellen Hokuspokus kritisiere, denn ich habe früher viel Ayahuasca getrunken. Als ich in meinen frühen 20ern war, habe ich es mit Schamanen und allen möglichen verrückten Leuten genommen. Seit meiner Kindheit treibt mich das Thema um, aber ein Teil des Älterwerdens besteht darin, den Tod zu akzeptieren.
Und hast du dich schon damit abgefunden?
Ich denke schon. Einfach weil ich den Tod durch Psychedelika schon so oft erlebt habe, habe ich nicht mehr so viel Angst davor. Früher lag ich im Bett und hatte Angst vor dem Sterben. Heute liege ich wach, weil ich etwas vor sechs Monaten auf einer Party zu einem Typen gesagt habe, als ich betrunken war. (lacht)
Auch in “Medicine For Horses” setzt du dich mit dem einigen Tod auseinander – wenn auch sehr abstrakt. Worum ging es dir da genau?
Es geht darum, ein Vermächtnis zu hinterlassen – wenn das überhaupt wichtig ist. Für manche Leute ist es offenbar sehr wichtig, Kinder zu haben oder etwas zu hinterlassen. Ich will keine Kinder. Für mich sind Vermächtnisse nur Bullshit: Wenn du tot bist, bist du tot. Gleichzeitig ist es ein angenehmes Gefühl, etwas zu hinterlassen – und für mich ist das Musik. Das Schöne daran ist, dass die Leute sie hoffentlich noch hören werden, wenn du schon tot bist. Man wird also für immer durch die Musik leben.
Du bist also nicht scharf auf einen Wikipedia-Eintrag.
Wir haben einmal versucht, ihn zu erreichen, als wir in Australien waren, um sich mit uns zu treffen. Er hat am selben Tag wie ich Geburtstag – dem 6. März 1990. Vielleicht haben wir dieselbe DNA. Vielleicht schreibe ich eines Tages ein Konzeptalbum über ihn und über sein Leben als Pferdejockey.
Chronische Tiefstapler: Die Viagra Boys um Front-Assi Sebastian Murphy (Foto: Fredrik Bengtsson)
»Es gibt viel Schönes, das aus Dummheit entsteht. Hoffentlich stehe ich auf der richtigen Seite der Dummheit.«
Sebastian Murphy
Vor allem hast du dieses Mal ein paar Liebeslieder geschrieben. You Need Me und River King.
“You Need Me” ist vielmehr ein dummer “Ich bin scheiße”-Song – eine Art Selbsthass-Song. (lacht) Aber “River King” ist definitiv die erste Liebesballade, die ich je geschrieben habe. Ich wollte einen schönen Song für meine Freundin machen, weil ich immer nur über Shrimps und Hunde und anderen Scheiß schreibe – sie verdient einen Song dafür, dass sie sich um mich kümmert.
Wie war es für dich, deinen Gesang so im Zentrum des Songs zu haben?
Ein bisschen unangenehm. Als Pelle [Gunnerfeldt] das Album abgemischt hat, habe ich darum gebeten, den verdammten Gesang leiser zu stellen. Ich kann es nicht ertragen, mich selbst so sehr zu hören, aber er meinte: “Das wollen die Leute! Sie wollen dich hören, die Musik ist ihnen scheißegal!” Für mich ist es auch heute noch ein bisschen zu viel, aber es hat trotzdem Spaß gemacht, zu singen und neue Sachen auszuprobieren. Vielleicht wird das nächste Album nur aus ruhigen, schönen Liedern bestehen.
Angeblich soll es bei euch jeweils ein Team Punk und ein Team Techno geben. Wie ist es euch gelungen, eine gemeinsame Basis zu finden?
Wir waren alle inspiriert vom Rock der frühen 90er, von Bands wie Nirvana und den Pixies. Eigentlich hätte es noch mehr in diese Richtung gehen sollen. Einige frühe Versionen von etwa “Dirty Boys” waren viel härter, aber dann hat unser Produzent die Synthies aufgedreht und auch wir fanden, dass es vielleicht cooler so wäre. Manchmal ändert man gegen Ende nochmal die ganze Richtung eines Songs. Aber bei uns ist es oft so, dass die erste Aufnahme anders klingt. Das ist wohl der Grund, warum die Leute sagen, dass wir live so viel besser sind. Ich mag es, dass wir ganz anders klingen können als auf der Platte.
Wie gehst du bei der Arbeit heutzutage mit deinem ADS um?
Ich habe Leute, die mich zwingen, gewisse Dinge zu tun. Wenn es nach mir ginge, würde ich wahrscheinlich gar nichts zustande bringen. Ich kann mich nicht länger als zwei Minuten auf etwas konzentrieren. Es gibt viele Teams die mich dabei unterstützen, Dinge zu tun, die ich nicht tun will. Diese Leute und Fristen sind die einzige Möglichkeit für mich, produktiv zu sein. Ich mache alles in letzter Minute, wenn möglich.
Was steckt dahinter, dass ihr nun auf eurem eigenen Label Shrimptech veröffentlicht?
Wir wollen, dass Shrimptech ein etablierter Markenname wird – nicht. (lacht) Aber wir wollen schon, dass es alles etwas größer wird. Es hat auch mit dem Aufbau unseres Universums zu tun – dem Viagra-Boys-Marvel-Universum. Wir wollen mehrere verschiedene Charaktere, vielleicht mehrere Bands, mehrere CEOs der Firma und, wer weiß, Kurzfilme, Filme … wir wollen eine Welt erschaffen, in der alle möglichen Sachen passieren. Außerdem haben wir nie einen guten Deal gehabt. Es gibt keine Plattenfirma, die uns jemals etwas Gutes angeboten hat, also zur Hölle mit ihnen. Wir machen jetzt unseren eigenen Scheiß!
Alles läuft aber erstmal auf euer Tourfinale in der Avicii Arena hinaus. Hast du Angst, dass sie ein bisschen zu groß sein könnte? Robbie Williams, Katy Perry oder etwa The Cure haben dort vor 16.000 Menschen gespielt.
Ja, es könnte ein bisschen zu groß sein. Ich meine: Fake it till you make it! Bringt bitte ein paar Freunde mit, sonst müssen wir Obdachlose bezahlen, damit sie kommen oder so. (lacht)
Das wird schon. Einige Bereiche sind in der Arena ja schon ausverkauft. Was gibt es für dich denn mit der Band überhaupt noch zu erreichen?
Ich möchte einfach, dass unser Publikum größer wird und wir hoffentlich unser Universum etablieren können. Ansonsten ist der Plan, den Schwung mitzunehmen. Ich bin sehr glücklich mit dem, wo wir jetzt sind. Also weiter so.
Und was willst du persönlich noch erreichen?
Ich möchte eines Tages in einem Haus wohnen, aber das ist sehr teuer, und im Moment muss ich wegen der Band in Stockholm sein. Wenn es aber gut läuft, können wir hoffentlich irgendwann ein Haus an einem Fluss kaufen, in dem ich Fliegenfischen kann.
Dann wirst du der “River King”!
Und zwar der einzig wahre “River King”!
Eine letzte Frage: Warum neigst du eigentlich dazu, immer chronisch zu untertreiben, was deine Fähigkeiten angeht?
Nun, ich komme mir oft ziemlich dumm vor. Ich habe mein Gehirn schon vor Jahren frittiert, aber es gibt viel Schönes, das aus Dummheit entsteht. Hoffentlich stehe ich nur auf der richtigen Seite der Dummheit. (lacht)
VISIONS empfiehlt: Viagra Boys
08.05. Berlin – Columbiahalle (ausverkauft)
11.06. Zürich – Xtra
“Viagr Aboys” erscheint am 25. April über Shrimptech Enterprises.