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Alle Alben von Primal Scream im Ranking

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Primal Scream

VÖ: 1989 | Label: Creation
 - Primal Scream

Die Schotten sind Mitte der 80er-Jahre als verhuschte Indiepop-Nostalgiker gestartet. Schon mit dem zweiten Album zeigt die Band, dass sie jedoch nicht vorhat, sich mit ihren Platten zu wiederholen. Das führt hier zu einem Cover, auf dem sich Primal Scream als Rockband inszenieren. Passend dazu der erste Song: “Ivy Ivy Ivy”, knapp über drei Minuten lang, Powerpop trifft Schweinerock – fast so, als verfolge die Band das Ziel, die schottischen Replacements zu werden. Auch der maschinelle Rocksound von The Jesus And Mary Chain, perfektioniert im gleichen Jahr bei “Automatic”, ist ein Einfluss. Nur, dass Primal Scream das längst nicht so lässig spielen. Die Geister scheiden sich auch bei den Balladen: “You’re Just Dead Skin To Me” ist fantastisch, auf einem Niveau mit den Tränenziehern von Nick Cave & The Bad Seeds aus dieser Zeit. Bei “I’m Losing More Than I’ll Ever Have” versucht die Band, Rock und Ballade zusammenzudenken. Was in dem Moment, in dem Bobby Gillespie stimmlich alles gibt, unfreiwillig komisch klingt. Interessant ist, dass das Stück einen psychedelischen Groove entwickelt, der bald für Primal Scream sehr wichtig werden wird. Ein Album nicht ohne Charme – aber mit recht vielen schwachen Songs.


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Chaosmosis

VÖ: 2016 | Label: First Internatiol/Ignition
 - Chaosmosis

Bobby Gillespie versucht, an Modern Pop anzudocken. Auf der Gästeliste stehen Haim und Sky Ferreira, wohl in der Hoffnung, mit diesen Namen ein junges Publikum zu gewinnen. Die Platte beginnt mit “Trippin‘ On Your Love”: Primal Scream nach Regelbuch, ein Song wie ein verdrogter Baggy-Trip, klanglich jedoch erstaunlich flach, da helfen auch der Gesang von Haim nicht. Das gilt auch für “(Feeling Like A) Demon Again”, ein Stück, das der Formel einer anderen Band folgt, nämlich New Order. Was auch hier fehlt, ist der Tiefgang. Beinahe wirkt es, als habe Primal Scream, eine Band für große Soundsystems, diese Platte eigens für kleine Boxen produziert. Und so tröpfelt “Chaosmosis” dahin, bis zwei fantastische Stücke die Platte retten: “100% Or Nothing” ist ein wuchtig-stampfendes Plädoyer für die absolute Hingabe, von Gillespie sensationell gesungen. Super auch der Track mit Sky Frerreira: “Bei Where The Lights Get It” einigen sich die beiden darauf, dass das Licht die Seele über die Wunden erreicht.


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Riot City Blues

VÖ: 2006 | Label: Columbia
 - Riot City Blues

In den späten 90er- und frühen 00er-Jahren waren Primal Scream eine abenteuerlustige Techno-Rock-Band. Mit “Riot City Blues” kehren sie zum Rock’n’Roll zurück, der eben auch in ihrer DNA steckt. Wie immer, wenn Primal Scream Nostalgie entdecken, sind die Rolling Stones die großen Vorbilder. Und so eröffnen die Band das Album mit “Country Girl”, einem unwiderstehlichen Hit zwischen Folk, Blues, Country und jubilierendem Rock’n’Roll. Ganz früher hat Rod Stewart Songs dieser Art spielen lassen. Wobei sich Bobby Gillespie große Mühe gibt, den lässigen Rocker zu geben. So großartig dieser erste Song ist: “Riot City Blues” ist ein Album wie eine Geste, nicht mehr, nicht weniger. Einige Liedtitel geben brav das Motto vor: “We’re Gonna Boogie”. Andere handeln vom “99th Floor” oder von “Suicide Sally & Johnny Guitar” – prima Zeugs für den kleinen Rockclub um die Ecke. Was man sich beim Hören aber auch denkt: Es gibt für diesen Vintage-Spaß bessere Bands und bessere Sänger.


9

Beautiful Future

VÖ: 2008 | Label: B-Unique
 - Beautiful Future

War “Riot City Blues” eine reine Roots-Veranstaltung, führen Primal Scream zwei Jahre später den Gedanken des Vorgängers fort, verpacken ihn jedoch in einen etwas weniger nostalgischen Sound. Der Titeltrack spielt mit Phil Spectors Idee von der „Wall of Sound“, Bimmelbammel inklusive. Man hätte sich die Produktion allerdings mutiger gewünscht: Die Band konzipiert “Beautiful Future” als große Pop-Platte, bleibt dann jedoch auf halber Strecke stehen. “The Glory Of Love” ist dafür ein gutes Beispiel: Zu einem Bubbelgum-Pop-Beat stellt Bobby Gillespie allerhand Überlegungen über die Liebe an, Harmonien aus Fernost bringen Exotik ins Spiel, aber auch hier: der große Wumms bleibt aus. Dafür stimmt an anderen Stellen Tempo: Der Druck von “Can’t Go Back” ist beachtlich, der “Necro Hex Blues” wird auch Jack White gefallen, “Beautiful Summer” ist eine lässige Übung in Psychedelic.


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Evil Heat

VÖ: 2002 | Label: Columbia
 - Evil Heat

Der letzte der drei Electro-Brocken, die Primal Scream rund ums Millennium veröffentlichen, ist der am wenigsten gelungene. Was “Evil Heat” nicht zu einem schwachen Album macht. Aber eben auch nicht zu einem, das einen unmittelbar umhaut. Stark ist “Evil Heat”, wenn Primal Scream hemmungslos ihrer Liebe zum Krautrock ausleben: “Miss Lucifer” und “Autobahn 66” führen kosmische Musik in eine Art Cyberpunk-Prärie, bei zweiterem sind die Kraftwerk-Keyboard-Melodien eine offensichtliche Verbeugung in Richtung Düsseldorf. “Detroit” nimmt den damals angesagten Electroclash-Trend auf: Primal Scream spielen Electro für die Rockdisco – oder umgekehrt. Der Rock’n’Roll von “Rise” oder “Skull X” klingt, als hätten Computerviren die Festplatten zerschossen. Was definitiv cool klingt. Einem aber auch auf die Nerven gehen kann. Für Schlagzeilen sorgt Gillespies Duo mit Kate Moss: Der blasse Schotte und das Supermodel singen Lee Hazlewoods “Some Velvet Morning” in einem Stil für Fashion-Shows – elektrisch-glamourös, aber letztlich flach.


7

Sonic Flower Groove

VÖ: 1987 | Label: Elevation
 - Sonic Flower Groove

In ihrer frühen Phase sind Primal Scream Mitglieder der C86-Clique, benannt nach einem Tape, das im Mai 1986 dem New Musical Express beiliegt. Mit Songs von Bands der „Class of 86“, die für einen neuen britischen Indie-Sound steht: handgemachter Jingle-Jangle-Gitarrenpop in Paisley-Hemden und schüchternen Sängern. Ein Gegenmodell zum 80s-Pop also. Primal Scream eröffnen das Tape mit ihrer ersten Single “Velocity Girl” – ein perfekter Popsong für alle, die ein wenig Windschiefe im Vortrag ertragen können. Auf dem ersten Album, das ein Jahr später erscheint, spielen die Schotten ihren Indiepop bereits mit minimal mehr Druck. Dennoch ist “Sonic Flower Groove” meilenweit von dem entfernt, was diese Band später abliefern wird. Wer sich auf die sanfte Psychedelic von Songs wie “May The Sun Shine Bright For You”, “Imperial” oder “Sonic Sister Love” einlässt, hört mit diesem Debüt einen Indiepop-Klassiker, nicht weit entfernt von dem Sound, den auch die ganz jungen Stone Roses gespielt haben.


6

More Light

VÖ: 2013 | Label: Ignition
 - More Light

Benannt nach den letzten Worten von Goethe: Bevor dieser die Augen für immer schloss, soll er noch einmal nach „mehr Licht“ verlangt haben. Primal Scream nehmen die Forderung zum Anlass, eine zugleich sehr seltsame und sehr gute Platte zu produzieren. Bekommt man viele andere Alben der Band sofort zu greifen, entzieht sich das von David Holmes co-produzierte “More Light” jeder Kategorisierung. Schon der erste Track “2013” ist alles und nichts, besitzt aber ein grandioses Saxofon und eine magische Anziehungskraft. Danach fließt der “River Of Pain” sieben Minuten lang dahin, bluesig, folkig, dröhnend – plötzlich spielen Primal Scream Meditationsmusik. Um direkt im Anschluss mit dem Electro-Rock von “Culturecide” den Zeitgeist zu kritisieren – mit Bobby Gillespie als Rapper zum Gospelchor. Ein zentraler Song von More Light ist “Tenement Kid”, acht Jahre später der Titel von Gillespies Autobiografie, mit einen Schwerpunkt auf seine Kindheit und Jugendjahre in einer Mietshaussiedlung in Glasgow.


5

Give Out But Don't Give Up

VÖ: 1994 | Label: Creation
 - Give Out But Don't Give Up

Fähnchen im Winde oder Seismografen des Zeitgeistes? Für Primal Scream ist 1994 das Rave-Age schon wieder vorbei, mit “Give Out But Don’t Give Up” gibt sich die Band einer von den Rolling Stones und alten US-Blues-Musikern beeinflussten Rock’n’Roll-Musik hin. Alle hören 1994 verdutzt hin, als Primal Scream mit den Single-Auskopplungen “Rocks” und “Jailbird” um die Ecke kommen: Hier hat sich eine Band komplett neu erfunden. Oder auf alt getrimmt. Je nach Sichtweise. Einige Fans wenden sich entsetzt ab, werfen den immer links und progressiv denkenden Primal Scream sogar Konservatismus vor. Getriggert vom Cover, dem Bild der Konföderationsflagge. Das Foto ist Teil einer Reihe des US-Künstlers William Eggleston, der im Mississippi-Delta nach Spuren des amerikanischen Mythos suchte. Und genauso machen das Primal Scream auf diesem Album auch. Große Balladen wie “(I’m Gonna) Cry Myself Blind” inklusive.


4

Come Ahead

VÖ: 2024 | Label: BMG/Warner
 - Come Ahead

Bei ihrer erneuten Zusammenarbeit mit dem irischen Produzenten David Holmes finden Primal Scream zu einem cineastischen und packenden Sound. Im Kern besitzt “Come Ahead” zwei Ebenen. Da sind erstens die Disco-Soul-Tracks, Songs wie “Ready To Go Home” oder “Love Insurrection”, die pumpen und jubilieren sowie dem Tod entgegentreten, der Einzug in Gillespies Kosmos gefunden hatte: sein Vater erlag einer langen Krankheit, er ziert das Cover, auch der Keyboarder Martin Duffy verstarb. Auf der zweiten Ebene finden sich sehr traurige, nachdenkliche Singer/Songwriter-Songs. Man kann die Erzählung von “Melancholy Man” als selbstmitleidig empfinden. Und die Protestlieder “False Flags” (gegen den Krieg) und “Settlers Blues” (gegen Kolonialismus und Kapitalismus) mögen ein paar Strophen zu viel haben. Aber der dichte und drückende Sound von Holmes macht sie dennoch hörenswert. Über allem schwebt das Stück “Deep Dark Waters”, eine mitreißende Apokalypse-Erzählung, mit grandiosen Gitarren von Andrew Innes – der damit auch den Eindruck widerlegt, bei Primal Scream handele es sich nur noch um ein Soloding von Gillespie.


3

Screamadelica

VÖ: 1991 | Label: Creation
 - Screamadelica

Blickt man nur auf die Relevanz, ist “Screamadelica” die Nummer eins. Dies ist das Album, mit dem man Primal Scream noch in 50 Jahren verbinden wird. Die Platte erscheint im Herbst 1991 am Peak der Baggy-Bewegung, die Singles wie “Loaded” und “Come Together” haben bereits 1990 den Weg geebnet. Das Album bündelt die Hits, die Tracks zum Auffüllen sind alle nicht übel, dennoch ist “Screamadelica” im Kern eine Singles-Paket. Oder vielmehr: ein Maxi-Single-Paket. Weshalb die 2021 veröffentlichte “Screamadelica”-12‘‘-Singles-Box der beste Weg ist, diese Musik zu hören. Ein Klassiker ist das Album natürlich dennoch. In einer der waghalsigsten Metamorphosen der Rock-Geschichte wandeln sich Primal Scream in nur wenigen Monaten von einer soliden Indie-Gitarrenband in eine Groove-Maschine. “Screamadelica” ist eine Party-Platte für die verrauschten Momente zwischen dunkelster Nacht und dem ersten Morgengrauen. Die Verbindung aus Beats und Slogans erhebt, der Klang ist von zeitloser Klasse. Gillespie tritt als Sänger kaum in Erscheinung. Er ist hier eher: der Zeremonienmeister.


2

Vanishing Point

VÖ: 1997 | Label: Creation
 - Vanishing Point

Von Indiepop über Rave und Rock bis zu Alternative-Dance innerhalb einer Dekade: die Abenteuerlust von Bobby Gillespie und seinen Leuten kennt keine Grenzen. Einige Kritiker, die über den Rock’n’Roll von “Give Out But Don’t Give Up” geschimpft haben, schimpfen nun weiter: Was soll dieser Electro-Rock? Entstanden ist er zur Zeit von Big-Beat und TripHop. Primal Scream nehmen sich diese von Grooves, Filmmusik und Samples geprägte Musik und überführen sie in den Rock-Kosmos. Tracks wie “Kowalski” über einen fiktiven und unfassbar coolen Outlaw wirken wie in Songs gepackte Filme, ausgestattet mit Sprach- und Musiksamples aus der Soundtrack- und Soul-Geschichte. Das lange Cool-Jazz-Instrumental “Trainspotting” kennt man schon vom Soundtrack des gleichnamigen Films – was zeigt, wie sehr Primal Scream mit dem Sound von “Vanishing Point” den musikalischen Zeitgeist der auf ihr Ende zusteuernden 90er-Jahre treffen. Einen Popsong bietet das Album aber auch: “Star”, eine Schönheit zwischen Dub und Electro.


1

XTRMNTR

VÖ: 2000 | Label: Creation
 - XTRMNTR

Wer denkt, Primal Scream hätten sich mit “Vanishing Point” ausgetobt und würden nun wieder Rockmusik spielen, täuscht sich gewaltig. Das neue Jahrtausend ist gerade mal 31 Tage alt, da verzichtet die Band auf die milden Vokale, setzt auf harte Konsonanten: PRML SCRM: XTRMNTR. Das lässt sich nicht unfallfrei aussprechen. So wenig, wie sich das Album unfallfrei hören lässt. Bobby Gillespie hat “XTRMNTR” als eine Projektion aller Protestplatten aller Zeiten konzipiert. Das Album ist wütend und working class. Es zitiert Bob Dylan, der so viele Fragen stellte, und „A Clockwork Orange“, den Film, der so viele verstörende Antworten fand. Damit keine Verwechslungen aufkommen: Gleich zu Beginn fordern Primal Scream “Kill All Hippies”. Auf Basis eines Samples aus Dennis Hoppers Film „Out Of The Blue“ aus dem Jahr 1980, der die Geschichte eines Mädchens erzählt, das im sozialen Elend der vom Neoliberalismus geprägten frühen 80er-Jahre Halt im Punk und Rock findet. Und eben nicht mehr in der Gefühlsseligkeit der 70er. Der Song entwickelt sich zu einem Funk-Track zwischen Hitze und Kühle, bevor “Accelerator” mit beinahe unzumutbaren lauten Gitarren aufwartet.

So mischt nur einer: Kevin Shields von My Bloody Valentine, auf diesem Album ein informelles Mitglied von Primal Scream, mit seinen ultimativen Gitarren auch prägende Figur bei den Stücken “MBV Arkestra (If They Move Kill’Em)” und “Shoot Speed/Kill Light”. Neben Shields ist noch ein weiterer Britpop-Promi dabei: Mani, Bassist der Stone Roses, bei “Keep Your Dreams” auch als Songwriter beteiligt. Sein Stück ist einer der wenigen Ruhepole in diesem Furor. Der Klassiker der Platte ist gleich zweimal vertreten: “Swastika Eyes” gibt es in Mix-Versionen von den Chemical Brothers und Jagz Kooner. Der Titel ist eine Provokation, der Sound lehnt sich an Electronic Body Music an, vor allem an die Produktionen von D.A.F. aus Düsseldorf – die Liebe von Primal Scream für deutsche Musik aus dem Underground kennt auf auch ihrem stärksten Album keine Grenzen.


Albenlisten
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Inhalt

  1. Die 50 Alben des Jahres 2024 – Harte Musik für harte Zeiten
  2. Von Flop bis Top – Alle Alben von Linkin Park im Ranking
  3. Die besten Soloalben: 2012-2024 – Für sich (auf)genommen
  4. Die besten Soloalben 1994-2011 – Einzig und allein
  5. Von Flop bis Top – Alle Alben von Primal Scream im Ranking
  6. Von Flop bis Top – Alle Alben von The Cure im Ranking
  7. Von Flop bis Top – Alle Alben von Blur im Ranking
  8. Die 50 wichtigsten Noiserock-Platten – Mutwillig am Hit vorbei
  9. Von Flop bis Top – Alle Alben von Oasis im Ranking
  10. Von Flop bis Top – Alle Alben von Nick Cave & The Bad Seeds im Ranking
  11. Von Flop bis Top – Alle Alben von Weezer im Ranking
  12. Die 50 wichtigsten Soundtracks – Bilder hören
  13. Zwölf umweltbewusste Alben – Sendungsbewusstsein
  14. Von Flop bis Top – Alle Alben der Beatsteaks im Ranking
  15. Von Flop bis Top – Alle Alben von Frank Turner im Ranking
  16. Von Flop bis Top – Alle Alben der Foo Fighters im Ranking
  17. Global Beat - Die wichtigsten Platten – Der Beat geht weiter
  18. Jahresrückblick 2023: Die 50 Alben des Jahres – Es müsste immer Musik da sein
  19. 1993 in 50 Platten – Re(ar)viewmirror
  20. Die 25 besten Heartland-Rock-Platten – Bewusstsein schaffen
  21. Shoegaze: Die 40 besten Platten – Dream On
  22. Tribute-Alben: 25 Meilensteine – Wem Ehre gebührt
  23. Supergroups: Die 50 besten Alben – Alles super
  24. Supergroups: Superduos – Ein Fall für zwei
  25. Die 33 wichtigsten Koop-Alben – Kommt zusammen
  26. Sludge Metal: Die besten Platten – Schlammschlacht
  27. Die 2010er: Die Plattenliste – Die 100 besten Alben der 2010er
  28. Okkult-Rock - Die Plattenliste – Diabolus in Musica
  29. Proto-Punk: Die 20 wichtigsten Platten – Paten des Punk
  30. Jahresrückblick 2022: Die 50 Alben des Jahres – Kommentare zur Zeit
  31. Britpop - Die Plattenliste – Cool Britannia
  32. Post-Punk: Die besten Alben der ersten Welle – Pinke Flagge, schwarzes Gewand
  33. Post-Punk: Die besten Alben des Revivals – Widerhall in der Fabrikhalle
  34. Von Grunge bis Drum'n'Bass – Die 100 wichtigsten Platten der 90er

Party für alleine

Kim Deal muss lachen, und zwar laut und lange. “Das muss eine der dümmsten Fragen sein, die ich jemals gehört habe!”, kräht die Sängerin und hält sich praktisch den Bauch, um nicht platzen zu müssen. Für den Explosionstod einer legendären Alternative-Rock-Heldin verantwortlich zu sein, ist natürlich kein schönes Gefühl, ausgelacht zu werden aber auch nicht. Und außerdem ist “Ms Deal, wie geht es Ihnen gerade?” nun wirklich eine höfliche Frage zum Einstieg. Wie das denn gemeint sei, fragt sie zurück. Na, ganz allgemein eben. Die aktuelle Gemütslage, das seelische Wohlbefinden, die Zufriedenheit mit sich selbst. Ob sie sich gerade an einem guten Ort wähnt. Ob all ihre Rockstar-Träume wahr geworden sind. Das ist der Moment des Lach-Flashs, der geschlagene zehn Sekunden andauert. Als er vorüber ist, japst sie noch kurz und sagt dann: “Oh ja! Die Zukunft ist so hell, ich brauche eine Sonnenbrille!”

Mit der Ironie ist das natürlich so eine Sache. Kleine Kinder kennen sie noch nicht, und deshalb macht es so viel Spaß, die Blagen die ersten Jahre ihres Lebens ungestraft zu irritieren. Mit zehn oder so haben sie den Dreh dann selbst raus und schlagen thermonuklear zurück. Plötzlich ist alles Ironie. Das Mittagessen (“Ich liiiebe Spinat!”), die Hausaufgaben (“Ich liiiebe Hausaufgaben!”), die zweite Bundesliga (“Schalke ist ja richtig gut diese Saison!”). Gerade wenn man denkt, dass sich das alles eingependelt hat, trifft man Kim Deal. Anlass ist die Veröffentlichung ihres Albums “Nobody Loves You More”, Ort der Handlung ein Berliner Hotel. Deal, die bis heute gerne betont, dass sie aus Dayton, Ohio stammt, ist genauso gekleidet, als käme sie im Moment aus Dayton, Ohio. Weite schwarze Hose, Flanellhemd, No-Bullshit-Frisur. Die Sängerin sieht aus wie jemand, der gerade einen Ölwechsel an seinem Truck vorgenommen hat und jetzt in den Wald fährt, um sich einen Strauß Bäume zu pflücken. Oder Musikjournalisten.

Songs für Teenager

Weil sie ihr Hotelzimmer nicht finden kann, startet das Gespräch mit Verspätung, aber Kim Deal ist ganz bei der Sache. So sehr sogar, dass man sich fragt, ob die ganzen aufmunternden Zwischenrufe von ihr ernst gemeint sind oder doch eher die Taktik einer Sonderpädagogin, die nicht will, dass man sich schlecht fühlt, weil man noch keine Schleife binden kann. Im Interview geht es natürlich um ihr neues Album, das zumindest für sie selbst gar nicht so neu ist. Einzelne Songs darauf entstanden schon 2011, als Deal noch mit den wiedervereinigten Pixies um die Welt tourte und höchstens nebenbei ein bisschen Zeit für eigene Musik fand. Andere Songs nahmen erste Gestalt an als sie mit den Breeders an deren Album “All Nerve” von 2018 arbeitete. Wobei die Übergänge offenbar fließend sein können. “Bei den Breeders läuft das für gewöhnlich so, dass ich Jim anrufe, wenn ich gerade ein gutes Riff habe”, so Deal. “Er kommt dann vorbei uns spielt sein Schlagzeug dazu. Ich sage dann immer: Lass es uns zweimal probieren, das müsste dann schon reichen für ein späteres Arrangement. Bei einigen der neuen Songs sind wir genau so verfahren, bei anderen habe ich mich selber hinter das Schlagzeug gesetzt, bei wieder anderen habe ich mich an Britt Walford gewandt, weil sein Feel dazu passt.”

Tatsächlich ist die musikalische Gästeliste auf “Nobody Loves You More” für ein Soloalbum ziemlich lang. Neben ihrer Schwester und Breeders-Kollege Jim MacPherson umfasst sie Teilzeit-Chili-Pepper Josh Klinghoffer und ein Dutzend anderer Gehilfen, inklusive den im Frühjahr verstorbenen Steve Albini, mit dem sie eine für Albinis Verhältnisse enge Freundschaft verband. Der Produzent/Toningenieur war es auch, der einst über ihre Songs sagte, sie wären “intensive, persönliche kleine Meisterwerke, die wiederholtes Hören belohnen, so wie ein großer Roman wiederholtes Lesen belohnt.” Weil die Sängerin bei den Pixies nie wirklich die Gelegenheit bekam, mit diesen kleinen Meisterwerken Frank Blacks Kreise zu stören, ist es kein Wunder, dass ihre ersten Soloschritte noch eher bedächtig ausfielen. Und praktisch unter Ausschluss der plattenkaufenden Öffentlichkeit. Zwischen 2012 und 2015 gibt die Sängerin trotzdem fünf 7-Inch-Singles im Selbstvertrieb heraus, hauptsächlich für die Jukebox im eigenen Kopf.

“Diese fünf Singles waren so eine Art Einstiegsdroge für mich”, sagt sie. “Dafür zu sorgen, dass zwei Songs richtig, richtig gut werden, hat mir Spaß gemacht, und das Format liebe ich auch. Kennst du das, wenn du so eine 7-Inch-Party ganz für dich alleine schmeißt? 7-Inch-Singles hört man nicht von seinem besten Sessel aus, sondern wie ein Teenager am Boden sitzend, meinetwegen auf einem tragbaren Plattenspieler. Die Tonqualität ist Mist, aber bei einer 7-Inch-Single ist die auch nicht so wichtig. Gleichzeitig ist es schon nervig, alle drei Minuten aufzustehen, um eine Platte umzudrehen, also habe ich mir überlegt, die ganzen Songs nochmal zu bündeln und auf ein Album zu packen. Die Leute müssten die ganze Musik dann zwar zweimal kaufen, aber dafür bietet ein Album auch eine erwachsene Art, Musik zu hören. Vielleicht würde ich noch drei neue Stücke als Kaufanreiz dazupacken, damit das nicht die totale Abzocke ist.” Die Sängerin muss schon wieder lachen. “Das ist so die Art von Problemen, die ich in meinem Kopf herumwälze. Da denke ich nach wie vor alles andere als digital.”

Letzten Endes verwirft Kim Deal den Gedanken einer nachträglichen Compilation und betrachtet die fünf Singles als eine Art “Vorspann zu meinem Album”. Nur eine davon, und zwar “Are You Mine?” / “Wish I Was”, befindet sich auch auf der neuen LP. “Are You Mine?” ist schon damals ein besonderer Song, denn er handelt von Deals Mutter, die an Alzheimer erkrankt war und bis zu ihrem Tod von ihren Töchtern gepflegt werden musste. Die Frage “Are you mine?” kommt direkt aus dem Abgrund der Krankheit, und wurde von ihrer Mutter zu einem Zeitpunkt an Deal gerichtet, als die Erinnerung schon von großen Löchern durchsiebt war. Es ist eine Familientragödie, die nicht nur die Produktivität der Deal-Schwestern einschränkt, sondern die Lebensqualität ganz allgemein. Ob und welche Rockstar-Träume sich im Leben erfüllen, spielt da jahrelang keine Rolle mehr. Zwischen 2019 und 2020 sterben dann nicht nur Mutter und Vater Deal, sondern auch ein Onkel und eine Tante, der Familienstammbaum verliert seine dicksten Äste. Kim Deal nimmt ihren Tod auch als Befreiung wahr und vergleicht ihr Leben danach mit dem einer Teenagerin, die endlich wieder tun und lassen kann, was sie möchte.

Lektionen der Liebe

Das Gefühl währt nur kurz, denn als die Corona-Pandemie um die Welt schwappt, hält sich die Sängerin in Florida auf, abseits von Freunden und Bekannten und nur umgeben von “Trump-Wimpeln in Vorgärten”, wie sie es ausdrückt. Auf der anderen Seite hat sie zum ersten Mal wirklich die Muße für neue Musik. Musik, die auch ohne die “Band-Mentalität der Breeders” funktionieren soll und trotz ihrer bevorzugten surrealen Bildsprache etwas über ihr per­sönliches Innenleben aussagen soll. Der Schlüssel dazu ist gleich das erste Stück der Platte, der Titelsong “Nobody Loves You More”. “Ich mag Songs über Teenager-Liebe, aber dieser klingt für mich nicht wie Teenager-Liebe”, sagt die Sängerin und stimmt auch gleich die erste Strophe an. “Für mich ist ‘Nobody Loves You More’ ein Statement, das noch nie gesagt wurde, das aber unbedingt gesagt werden muss. Warum wurde es noch nie gesagt? Weil es von unerwiderter Liebe handelt? Oder ist es etwas anderes? Für mich ist es in erster Linie ein interessantes Gefühl, weil es eben nicht so ein Allerweltsgefühl ist.” Von der Liebe, sagt die Sängerin, wüsste sie im Grunde noch genauso wenig wie damals, und trotzdem hätte sich in der Zwischenzeit irgendetwas verändert, so wie sich vielleicht das Tageslicht zwischen 14 und 15 Uhr verändert.

Die Rückschau spielt wie zu erwarten eine größere Rolle auf “Nobody Loves You More”, und gerade auf den ruhigeren Stücken klingt dabei auch eine gewisse Melancholie an. Die spiegelt sich auch in den Arrangements wider. Gleich mehrere Songs sind von üppiger Orchesterbegleitung untermalt, bei “Coast” ist sogar eine Marching Band namens Mucca Pazza mit von der Partie. Der Effekt ist etwas unwirklich, so als reise man in eine Fantasie-Vergangenheit zurück, die nie existiert hat, aber aus den Scherben von Doo-Wop, Crooner-Gesang und klassischem amerikanischem Songbook zusammengesetzt ist. Sterblichkeit scheint ein Thema zu sein, das man plötzlich nicht mehr weglachen kann. Weil die Freunde, die das Leben erst lebenswert machen, es gleichzeitig so schwer machen, wenn sie nicht mehr da sind. Eine Widmung wie “This record would not be possible without the friendship and guidance of Steve Albini” haut da ganz anders rein als noch vor Jahren, als der berühmte Produzent noch als mun­terer Misanthrop bekannt war.

“Ich fürchte, meine Stimme wird mit dem Alter immer schärfer”, sagt Deal. “Das hat neulich eine Violinistin zu mir gesagt, und ich meinte: ‘Echt? Nicht dein Ernst!’ Aber wenn ich mich jetzt selbst so höre, ist da vielleicht doch etwas dran. Meine Stimme scheint in letzter Zeit immer ein bisschen neben den Songs zu liegen.” Eigentlich sollte es nur ein Kompliment sein für eine unverwechselbare Stimme, die auch jetzt noch all das kann, was die Gitarre auf “Cannonball” seit 1993 kann, aber die Sängerin ist wieder in ihrem Erklär-Modus, der daran zweifeln lässt, wie ernst sie es wirklich meint. “Ich möchte gerne cool klingen, aber damit meine ich nicht lässig oder abgeklärt wie ein Mr. Cool, sondern eben nicht schrill oder lärmig”, sagt sie. “Das fände ich nicht sehr angenehm. Ich mag Sängerinnen mit guter Stimme, deshalb versuche ich auch, gut zu singen. Dabei kann ich zwar etwas lauter werden, aber ich kreische deswegen nicht rum. Obwohl das natürlich auch nicht schlecht sein muss. Ich höre mir gerne Kathleen Hanna oder Grace Slick an, weil die stimmlich eine Lage höher kommen als ich. Aber selbst dort oben singen sie noch anstatt nur zu schreien.”

Dass Deal noch sehr gut bei Stimme ist, davon konnte man sich zuletzt auf der Europatournee ihrer Breeders überzeugen. Auch wenn die Setlist zu einem gut eingespielten Best-of geronnen war, grinste die Sängerin zwischen den Songs sehr zufrieden ins Publikum und gab der vor der Bühne versammelten Generation X das gute Gefühl, doch ziemlich viel richtig gemacht zu haben in ihrem Leben. Das ist auf “Nobody Loves You More” nicht unbedingt der Fall, denn die Teenage-Angst, die man als Erwachsener hinter sich gelassen zu haben glaubt, stellt sich zwischen den Zeilen als Dauerzustand heraus. “I go where I want/ While I’m still on the planet/ One day I’ll take a dive/ Off the radar and rock” heißt es in “Disobedience”, einem der stärksten Songs auf der neuen Platte.

Anlässlich seiner Entstehung kommt Deal auf Courtney Barnett zu sprechen. Die beiden trafen sich erstmals zu einem Radiogespräch, bei dem die eine die andere interviewen musste, und seitdem ist aus einer gemeinsamen Wellenlänge gegenseitiges Fantum und gemeinsame Freundschaft entstanden. “Lustig ist, dass wir uns vor allem über typischen Musikerkram unterhalten haben”, sagt Deal. “Wie unsere Studios ausgestattet sind zum Beispiel. Ich wäre viel zu gehemmt, um mit ihr über meine Texte zu sprechen, und ich kann mir vorstellen, dass ihr das ähnlich geht. Gleichzeitig liebe ich die Offenheit und die Zutraulichkeit in ihren Texten. Sie sind gleichzeitig ernst und sehr lustig. Einer ihrer Songs heißt “Nobody Really Cares If You Don’t Go To The Party”. Und wenn das kein guter Songtitel ist, dann weiß ich es auch nicht.”

Was bedeutet es ihr, in der Position zu sein, sich mit Kollegen und Kolleginnen, mit anderen Kreativen über ihre Musik austauschen zu können? Auf Augenhöhe sozusagen, und nicht mit Fans oder mit Journalisten, die ihre Zeit höchstens in kleinen Scheibchen beanspruchen und deswegen vielleicht auch nur einen kleineren Ausschnitt von dem zu sehen bekommen, was sie eigentlich sagen will? Von den Pixies weiß man bekanntlich, dass Kommunikation bei dieser Band nicht an erster Stelle steht. Erst vor kurzem gab deren Gitarrist Joey Santiago zu Protokoll, dass er nicht mehr mit Kim Deal in Kontakt stünde, dass das im Grunde aber auch auf den Rest der Gruppe untereinander zuträfe. Mit Frank Black zum Beispiel würde er auch nicht mehr reden, sobald eine Tour beendet und der gemeinsame Heimflug absolviert wäre.

Reise ohne Wiederkehr

Die Sängerin überlegt einen Augenblick und greift dann nach einer frisch gepressten Vinyl-LP von “Nobody Loves You More”; es ist die erste Platte, auf deren Cover sie selbst abgebildet ist. Dass das bei den Pixies, bei den Breeders und bei den Amps (und bei ihren fünf Solo-Singles) bisher anders war, lag an 4AD-Designer Vaughan Oliver (1957-2019), der stets mit klarem Konzept an die Arbeit ging. “Du bist ein Arschloch, wenn du auf dem Cover sein willst”, pflegte er zu sagen. “Du willst nur, dass dich die Leute auf der Straße erkennen.” Dieser Maxime hätte sie nie widersprechen wollen, auch wenn der Wunsch nach Anonymität nicht unbedingt ihr eigener war. Ihre Haltung änderte sich erst, als sie 2022 das Musikvideo zu St. Vincents “New York” sah, dessen plakative Buntheit einen gehörigen Eindruck auf sie machte. “Ein fantastisches Video!”, sagt sie. “Als ich es zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich: ‘Großer Gott! Wie können Menschen so tolle Videos machen? Und warum kenne ich keinen von ihnen?'”

Wie sich herausstellte, war die Welt in dieser Beziehung kleiner als gedacht. Auf einer Breeders-Tournee stellte ihr ihre Schwester Kelley einen Freund vor, den sie von ihrer Zweitband R. Ring kennt. Und dieser Freund wiederum war mit Alex de Corte liiert, dem Videoregisseur von New York. De Corte, Jahrgang 1980, ist zwar nicht in erster Linie Breeders-Fan, gilt mit seiner an Pop Art geschulten Multimediakunst aber aktuell als einer der gefragtesten Kreativgesichter, “ziemlich fancy”, wie Deal sich ausdrückt. Nach kurzer Kontaktaufnahme besucht sie ihn in seinem Studio in Philadelphia, wo er sich bereiterklärt, den Job als Designer ihres neuen Albums zu übernehmen. De Corte hat völlig freie Hand bei seinem Entwurf, und doch ist seine Arbeit für die Sängerin ein hervorragendes Beispiel an kreativer Synergie, die ihrer eigenen künstlerischen Vision eine weitere Dimension verleiht. Zu sehen auf dem Cover: Kim Deal auf ihrer eigenen einsamen Insel samt Flamingo, Gitarre, Monitor- und Verstärkerbox, im Hintergrund ein ominöser dunkler Himmel. Für die Musikerin ist die Gestaltung ein Volltreffer und ein perfektes Beispiel für blindes Verständnis. “Es ist keine einsame Insel, sondern ein Schiff, das ich steuere”, sagt sie. “Der Stuhl, an dem ich lehne, hat nur zwei Beine, weil er den dritten wegretuschiert hat. Als ich fragte, warum ein Bein weniger, sagte er nur: Guck dir den Flamingo an! Cool, oder?” Bei dem Motiv hat sich da Costa von der Irrfahrt eines gewissen Bas Jan Ader inspirieren lassen, eines anderen Konzeptkünstlers, der 1975 zu einer Atlantiküberquerung in einem winzigen Boot aufbrach und nie an seinem Ziel in Großbritannien ankam.

Eine Reise ohne Wiederkehr als Sinnbild für das eigene Leben also? Nicht für Deal. Im Gegenteil. Jetzt, wo “Nobody Loves You More” fertig ist, fühle sie eine gewisse Aufbruchsstimmung, sagt die Sängerin. Und zwar eine, die mit erhöhter Produktivität einhergeht. “Es gibt Songs, an denen ich gerade arbeite”, sagt sie. “Manche von ihnen sind schon fertig, anderen fehlen noch die Texte, wieder andere stehen noch ganz am Anfang. Ein Problem ist, dass meine Songs dazu neigen, in ihrer Demo-Version am besten zu klingen. Egal, wie ich mich anschließend anstrenge, ich frage mich immer: Was habe ich falsch gemacht? Und dann probiere ich weiter herum.” Vielleicht ist das Herumprobieren aber auch gar nicht nötig. Vielleicht steht es sogar dem im Weg, was die Künstlerin und ihre Musik im Grunde ausmacht. “Wenn ich einen Song höre und das Gefühl habe, das er rüberbringt, was er rüberbringen möchte, geht es mir gut”, sagt sie. “Ich weiß deswegen nicht, ob es anderen Menschen auch so geht. Ich hoffe, dass es so ist, aber irgendwo spielt es auch keine Rolle. Aber nicht, weil ich mein Publikum mit anstrengender oder unzugänglicher Musik traktieren möchte. Nach dem Motto: ‘Das hier ist mein ‘Metal Machine Music’! Genießt es oder ihr seid Idioten!'” Kim Deal muss schon wieder lachen. Diesmal ist es auf jeden Fall ernst gemeint.

Zusammen in die Zukunft

Mit einem Saxofon verpassen Amyl And The Sniffers ihrem Pub-Punk auf dem neuen Album „Cartoon Darkness“ zwar so etwas wie einen neuen Anstrich, allein deswegen nehmen sie auf Europatour aber nicht eine Band mit, die zur Hälfte aus einem Saxofon besteht. Kirsty Tickle und Drummer Jonathan Boulet von Party Dozen sind nämlich so etwas wie eine kleine Naturgewalt. Mit dem Bass auf Anschlag drehen die beiden von der ersten Sekunde durch, Tickle springt über die Bühne, trötet sich die Seele aus dem Leib oder schreit direkt ins verzerrte Saxofon.

Party Dozen spielen ihre erste Deutschland-Show überhaupt (Foto: Tim Lasche)
Party Dozen spielen ihre erste Deutschland-Show überhaupt (Foto: Tim Lasche)

Ihre bessere Hälfte scheppert sich völlig unangestrengt massive Grooves mit jazziger Präzision zurecht. Eigentlich eine Frechheit, dass dieses grenzgeniale Duo aus Sydney heute erst seine allererste Deutschland-Show spielt – und das, obwohl sie sich vor sieben Jahren in Berlin gegründet haben, vier Alben draußen haben und sogar Nick Cave für ein Feature gewinnen konnten.

Bei Party Dozen für die präzisen Grooves verantwortlich: Jonathan Boulet (Foto: Tim Lasche)
Bei Party Dozen für die präzisen Grooves verantwortlich: Jonathan Boulet (Foto: Tim Lasche)

Sei’s drum, die grauen Haare im schon vor Monaten ausverkauften Carlswerk Victoria bringen sie immerhin zum Kopfnicken. Für den kompletten Abriss scheint Party Dozens musikgewordener Fiebertraum für das Hinterzimmer des Großhirns noch zu speziell. Umso schöner, dass Amyl And The Sniffers ihre exponentiell steigende Aufmerksamkeit nutzen, um auch kleineren australischen Bands eine Bühne zu bieten. Immerhin wurden sie selbst von Green Day, den Smashing Pumpkins und den Foo Fighters hofiert, bis sie selbst zu einer Art australischen Foo Fighters wurden. Gut, in Arenen spielen sie dann doch nicht, und an AC/DC gilt es auch noch vorbeizukommen, aber die Welttour mit 10.000er Venues im nächsten Jahr steht schon.

Halb Rapperin, halb Kampfmaschine: Amy Taylor von Amyl And The Sniffers (Foto: Tim Lasche)
Halb Rapperin, halb Kampfmaschine: Amy Taylor von Amyl And The Sniffers (Foto: Tim Lasche)

Groß denken darf Amy Taylor mit ihrer atzigen Gang sowieso, wie auch die Show in Köln heute wieder beweist. Nach dem Abba-Intro braucht es nicht viel, um in nur wenigen Momenten ihr glühendes Aussie-Barbecue anzuschmeißen und zumindest die Hälfte der Halle in ein vor Anstrengung ächzendes Durcheinander zu verwandeln.

Ob sich Abba ihren Boogie so vorgestellt haben? (Foto: Tim Lasche)
Ob sich Abba ihren Boogie so vorgestellt haben? (Foto: Tim Lasche)

Taylors Bühnenpräsenz ist dabei noch deutlicher zu spüren als bei der Festivalrutsche im Sommer: Die Punk-Queen im Muschel-Bikini mit Working-Class-Rapskills, die man wohl nur in einem Vorort von Melbourne bekommt, treibt das Publikum, ihre Bandkollegen vor sich her wie ein Rudel ausgehungerter Schlittenhunde: Hüftschwung, Posen, Sprünge, Muskelspiele, der Griff in den Schritt bei „Tiny Bikini“ auf dem Drumpodest  – alles sitzt bei Taylor, während sie dreckige Aggro-Hits wie „Freaks To The Front“ oder „Balaclava Lover Boogie“ mit der Grazie eines tollwütigen Dingos spittet.

Hat das Carlswerk auf Anhieb im Griff: Amy Taylor und ihre Gang (Foto: Tim Lasche)
Haben das Carlswerk auf Anhieb um den Finger gewickelt: Amy Taylor und ihre Gang (Foto: Tim Lasche)

Um die 20 Songs pumpen Amyl And The Sniffers so heraus, bevor jemand im Publikum – oder auf der Bühne – zusammenbricht. Alle davon sind Hits. „Security“, „Hertz“ oder „U Should Not Be Doing That“ dabei die größeren. Taylors Lieblingssong “Me And The Girls” fällt zunächst etwas ab, weil die Dec Martens‘ Redneck-Gitarre live nicht so wie auf dem Album funktioniert, dafür gibt er mit Vocoder-Stimmeffekt immerhin „Dec The Robot“ und erntet ebenso viel Applaus, wie für seine vielen Solos, bei denen AC/DC wohl das beste Stichwort ist.

Lässt als einziges Mitglied die Klamotten an: Gitarrist Declan Mehrtens aka Dec Martens (Foto: Tim Lasche)
Lässt als einziges Mitglied die Klamotten an: Gitarrist Declan Mehrtens aka Dec Martens (Foto: Tim Lasche)

Wie sich die Australier:innen, allen voran Taylor, bis auf die Knochen verausgaben, wirkt dabei nie einstudiert oder verstellt. Dabei kaum oder nur kurze Verschnaufpausen zu machen, ohne die Besinnung zu verlieren, verdient dazu doppelt Respekt. Das gilt auch für die einleitende Ansage, auf sich gegenseitig aufzupassen und Leute nicht anzufassen, die nicht angefasst werden wollen. Offensichtlich, aber leider immer noch nötig. Auch am Merchstand weisen Schilder darauf hin, dass auf Amyl-Shows kein sexuelles Fehlverhalten toleriert wird.

Immer an der Grenze zum Schleudertrauma: Amy Taylor (Foto: Tim Lasche)
Immer an der Grenze zum Schleudertrauma: Amy Taylor (Foto: Tim Lasche)

 

Das Miteinander steht generell im Fokus: Generationen- und geschlechterübergreifend drängen von Gothkids über Altpunks und trendige Vokuhila-Träger:innen so ziemlich alle nach vorne, um meist friedlich durchzudrehen, während die Party auf die Leinwand hinter die Band projiziert wird, wie bei einem großen Spiegel. Jede:r soll sich selbst sehen und gesehen werden. Eine durchaus positive Message, die auch den rotzigen Punksongs von Amyl And The Sniffers innewohnt. Dennoch, und trotz Hype: eine lupenreine Punkshow, inklusive Becherwürfen – einige zum Teil gefährlich nach an den Bandmitgliedern vorbei – und Ekstase statt Eitelkeiten, die sich eine Band mit dem frischen Ruhm durchaus gönnen könnte.

Daran müssen sich alle großen Punk-Bands wohl künftig messen: die Shows von Amyl And The Sniffers (Foto: Tim Lasche)
Daran müssen sich alle großen Punk-Bands wohl künftig messen: die Shows von Amyl And The Sniffers (Foto: Tim Lasche)

Stattdessen schmeißen sie ihren glatzköpfigen Bassisten Gus Romer mit doppeltem Augenzwinkern auf den Partnermarkt oder freuen sich über Kippenschachteln auf der Bühne. Auch wenn ihre Show dabei ganz im Zeichen des Hedonismus und Trotzes gegenüber aller Widrigkeiten steht, nimmt sich Taylor nochmal kurz Zeit zu erklären, was sie auf dem neuen Album am meisten umtreibt: Dystopie, Instagram, Trump, Genozid, Konflikte. „Die Zukunft stresst mich.“ Trotzdem schaut sie mit kindlichem Staunen nach vorn, denn wenn man die Hoffnung aufgibt, hat man eh verloren. „Lasst und einfach aufs beste hoffen.“ Das lässt sich hier nach rund 80 Minuten Pep Talk keiner zweimal sagen.

Gus Romer (l.): Bassist, Kippen-Connaisseur und noch mit T-Shirt (Foto: Tim Lasche)
Gus Romer (l.): Bassist, Kippen-Connaisseur und (noch) im T-Shirt (Foto: Tim Lasche)

Zumindest angesichts ihrer Karriere müssen sich Amyl And The Sniffers keine Sorgen über die Zukunft machen, ihre größten Shows stehen noch bevor. Etwa am 25. Juni 2025 bei ihrer bisher größten eigenen Deutschland-Show in der Berliner Zitadelle.

Zweite Bandwelle mit Deftones und The Prodigy angekündigt

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Fans von The Prodigy haben im nächsten doppelt Sommer Glück: Neben ihrem Auftritt bei Rock am Ring und Rock im Park wurden die britischen Big-Beat-Größen ungewöhnlicherweise nun auch für die nächste Ausgabe des Hurricane und Southside Festivals angekündigt.

Ebenfalls neu bestätigt: die Deftones mit den ersten Deutschland-Auftritten seit 2022. Die Alternative-Metal-Größen kommen dann wahrscheinlich ohne Gitarrist Stephen Carpenter, der sich aufgrund seiner Flugangst und wohl anderen mentalen Problemen vom internationalen Touren mit seiner Band zurückzogen hat. Dafür aber vielleicht schon mit neuen Songs, immerhin arbeiten die Deftones wohl auf Hochtouren an einem neuen Album.

Außerdem vorne mit dabei: Sam Fender und Deutschrapper Apache 207. Weitere bestätigte Bands sind The Wombats, Girl In Red, Flogging Molly, Landmvrks, Antilopen Gang, Jimmy Eat World, Turbostaat, Lagwagon und Kadavar.

Hurricane Festival Line-up November 2024
Hurricane Festival Line-up November 2024
Southside Festival Line-up November 2024
Southside Festival Line-up November 2024

Die beiden Festival finden nächsten Sommer vom 20. bis 22. Juni in Scheeßel und Neuhausen ob Eck statt. In der ersten Bandwelle wurden unter anderem Green Day, Biffy Clyro, AnnenMayKantereit und Amyl And The Sniffers angekündigt. Tickets für die beiden Festivals sind in der aktuellen Preisstufe ab 239 Euro bzw. 279 Euro auf der Hurricane und Southside-Webseite erhältlich.

Jubiläumstour angekündigt

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Die Southern-Stoner-Rocker Clutch feiern 2025 das 30-jährige Jubiläum ihres gleichnamigen zweiten Albums. Die “Fortune Tellers Make A Killing These Days”-Tour verläuft zwischen November und Dezember durch Europa, Termine für Nordamerika sollen in Kürze folgen. Fünf Konzerte in Deutschland sind für diesen Zeitraum angesetzt, in Hamburg, Berlin, München, Wiesbaden und Köln.

 

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Clutch haben zudem angekündigt, das Album auf Tour in Gänze aufzuführen, mitsamt einer speziell designten Licht- und Bühnenshow. Ihr bisher letztes, zwölftes Album “Sunset On Slaughter Beach” ist 2022 erschienen.

Tickets für das Konzert im Schlachthof Wiesbaden sind über Reservix verfügbar. Für alle anderen Termine startet der allgemeine Vorverkauf morgen, am 22. November, auf der Webseite der Band.

Live: Clutch

02.12.2025 Hamburg – Große Freiheit 36
03.12.2025 Berlin – Festsaal Kreuzberg
07.12.2025 München – Backstage Werk
08.12.2025 Wiesbaden – Schlachthof
10.12.2025 Köln – Live Music Hall

Post-Punk und Pop-Maschinen

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Die Liverpooler Post-Punk-Band Courting hat bereits ein Jahr nach ihrem zweiten Album „New Last Name“ eine neue Platte am Start. Diese trägt den kurz und knackigen Titel: „Lust For Life, Or: How To Thread The Needle And Come Out The Other Side To Tell The Story“. Dazu nimmt Frontmann Sean Murphy-O’Neill wie folgend Stellung: „Lust for Life’ ist so ein toller Titel. Er wird so oft verwendet, weil er so viel bedeutet. Wir haben genauso viel von Iggy Pop wie von Lana Del Rey. Alles, was wir machen, ist wie eine Collage.”

Die erste Single “Pause At You”, mit zum Albumcover passendem Visualizer ist ab sofort verfügbar.

Courting zeichnen sich vor allem durch die interessante Vermengung von britischem Alt-Rock, Dance-Punk-Sound und der Verwendung von Stimmeffekten wie Vocodern und Auto-Tune aus, womit sie auch schon auf ihrem Debüt „Guitar Music“ experimentierten. Bei der ersten Auskopplung „Pause At You“, kommt dieser Mix ebenfalls wieder zum Einsatz und platziert die Single irgendwo zwischen Primal Scream, Idles und Charli XCX. Damit sollte klar sein, dass sie auch für den nächsten Brat-Indie-Summer gute Karten haben.

Im Vergleich zum Vorgängeralbum kann man sich beim kommenden Album auf einen etwas schärferen Sound freuen. „Wir wollten alles unglaublich direkt halten – um jeden ins Gesicht zu treffen“, erklärt Murphy-O’Neill. Auf die jetzt verfügbare Leadsingle ist der Sänger besonders stolz, denn: “‘Pause At You’ ist ein Höhepunkt von allem, woran wir in den letzten Jahren gearbeitet haben – eine Beobachtung über nächtliche Paranoia gemischt mit nächtlicher Ekstase.”

„Lust For Life, Or: ‚How To Thread The Needle And Come Out The Other Side To Tell The Story“ erscheint am 14. März über Lower Third und kann bereits vorbestellt werden.

Courting – „Lust For Life, Or: ‚How To Thread The Needle And Come Out The Other Side To Tell The Story’“

Cover Lust For Life Courting

01. “Intro”
02. “Stealth Rollback”
03. “Pause At You”
04. “Namcy”
05. “Eleven Sent (This Time)”
06. “After You”
07. “Lust For Life”
08. “Likely Place”

Neues Album angekündigt

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“Vaxis Act III: The Father Of Make Believe” heißt das neue Studioalbum von Coheed And Cambria und erscheint am 14. März via Virgin Music. Das Album setzt die fünfteilige Geschichte der beiden Vorgängeralben “Vaxis II: A Window Of The Waking Mind” und “Vaxis – Act I: The Unheavenly Creatures” fort.

Mit der Albumankündigung veröffentlicht die Band ebenfalls eine weitere Single, “Searching For Tomorrow”. Frontmann Claudio Sanchez erklärte dazu: “Der Song erinnert uns daran, dass die ständige Suche nach etwas Besserem im Leben uns die Möglichkeit raubt, die guten Dinge zu schätzen, die wir bereits haben.”

Auch das bereits Anfang Oktober veröffentlichte “Blind Side Sonny” wird als Teil des neuen Albums veröffentlicht. Sanchez äußerte sich ebenfalls zu seinen Ambitionen mit der neuen Platte: “Mit jedem Album versuche ich, das vorherige zu übertreffen oder zumindest etwas zu machen, das anders klingt und sich in irgendeiner Weise weiterentwickelt. Ich denke, dieser anfängliche Kampf hat zu dem Gefühl beigetragen, eine Art musikalische Midlife-Crisis zu haben […]. Das hat am Anfang mehr Mühe gekostet, aber am Ende denke ich, dass sich das Graben für den anschließenden Schub durchaus sehr gelohnt hat.”

“Vaxis Act III: The Father Of Make Believe” kann in verschiedenen Varianten, sowie mit exklusivem Merch vorbestellt werden.

Coheed And Cambria – “Vaxis Act III: The Father Of Make Believe”

Coheed and Cambria Vaxis Act III The Father Of Make Believe Cover

01. “Yesterday Lost”
02. “Goodbye, Sunshine”
03. “Searching For Tomorrow”
04. “The Father of Make Believe”
05. “Meri of Mercy”
06. “Blind Side Sonny”
07. “Play The Poet”
08. “One Last Miracle”
09. “Corner My Confidence”
10. “Someone Who Can”
11. “The Continuum I: Welcome to Forever, Mr. Nobody”
12. “The Continuum II: The Flood”
13. “The Continuum III: Tethered Together”
14. “The Continuum IV: So It Goes”

Abschiedsgeschenk

Auch wenn alle drei Mitglieder von Metz aus Kanada kommen, ist die Band vor allem heute Abend ein multinationales Phänomen. Im Konzertraum des vollgestopften Hafenklang haben sich neben Hamburger:innen auch Menschen aus England, Spanien und sogar Japan versammelt, um der Noisepunk-Band ein letztes Mal die Ehre zu erweisen. Denn nach der letzten Europashow in London am 29. November legt das Trio eine Pause auf unbestimmte Zeit ein. Da kann man schon mal in den Flieger steigen.

“Dieser Song geht raus an einen guten Freund, der für die Show extra aus Tokio gekommen ist. Er betreibt dort einen Club, in dem wir schon zig Mal gespielt haben. Leute wie er sind es, die die Szene am Laufen halten”, honoriert Sänger und Gitarrist Alex Edkins den weitgereisten Gast. “Musik ist einfach eine wunderschöne Sache.” Zu diesem Zeitpunkt haben Metz bereits ein Drittel ihres Sets absolviert und das erstaunlich betagte Publikum auf eine entsprechende Grundtemperatur inklusive zaghafter Schubspogoversuchen gebracht.

Metz, Hamburg (Foto: Sebastian Madej)
Alex Edkins kämpft mit seiner Gitarre gegen den mächtigen Bass an (Foto: Sebastian Madej)

Auch Edkins braucht etwas, um in Fahrt zu kommen und sucht zum ersten Mal beim vierten Song “Get Off” den Kontakt mit der Menge. Schlagzeuger Hayden Menzies und Bassist Chris Slorach hingegen gehen von Sekunde eins an komplett im hypnotischen, ekstatischen Sound auf. Menzies drischt mit einer Präzision auf sein Schlagzeug ein, die unheimlich ist, während Slorach in seinem Bereich der säuberlich dreigeteilten Bühne mehr Meter macht als mancher Langstreckenläufer.

Obwohl die Band mit “Up On Gravity Hill” erst kürzlich ein neues Album veröffentlicht hat, stehen die 60 Minuten heute aus genannten Gründen im Zeichen einer kompletten Werkschau. Bis auf “Strange Peace” von 2017, das nur mit “Mess Of Wires” in der Setlist vertreten ist, gibt es von jeder Platte drei bis vier Songs. Die fügen sich trotz des verstärkten Fokus auf Melodien des aktuellen Albums nahtlos ineinander – was auch daran liegt, dass Slorachs Bass den Sound dominiert und Edkins’ Gitarre ein bisschen untergeht.

Metz, Hamburg (Foto: Sebastian Madej)
Hayden Menzies drischt drauf – aber präzise (Foto: Sebastian Madej)

Schon die ersten vier Songs decken die Bandgeschichte komplett ab, inklusive des Hits “Acetate” vom 2015er Album “II”. Obwohl es sicherlich viele Anekdoten aus 17 Jahren Metz zu erzählen gäbe, hält sich Edkins an Ansagen, die man auf jeder anderen Show auch hören würde, und spricht auch das anstehende Ende der Band nicht direkt an. Vielleicht hat er es selbst noch nicht ganz verinnerlicht, vielleicht will er den Fans nicht den Abend verderben, vielleicht hat er einfach keine Lust, jeden Tag den gleichen Sermon abzuspulen.

Heute Abend ist es einfach wichtiger, 250 Menschen auf eine Wellenlänge zu bringen. “Ihr da in der Mitte, ich beobachte euch”, adressiert Edkins vor dem letzten Song im regulären Set, dem Motorik-Jam “A Boat To Drown In”, das mittlerweile wild wogende Publikum. “Ihr habt noch zehn Minuten, und ich möchte, dass ihr das hier die komplette verdammte Zeit am Laufen haltet.” Gesagt, getan. Für ein Abschiedsgeschenk hat man schließlich nur eine einzige Chance – und wenn es jemand verdient hat, dann Metz.

FC St. Pauli wird Religionsfeindlichkeit vorgeworfen

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Punkrock und der FC St. Pauli gehören einfach zusammen. Seit den 80ern ist der Hamburger Fußballclub mit der Punk- und Hausbesetzer-Szene verbunden, ist bekannt für seine linke und politisch aktive Fanszene und hat reichlich Anhänger:innen, die zwar mit Fußball nicht so viel am Hut haben, dafür mit der Club- und Musikszene.

 

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Eine Koop mit den US-Polit-Punk-Veteranen Bad Religion, die letztes Jahr zwei ausverkaufte Konzerte in Hamburg spielten und wohl auch im Stadion vorbeischauten, dürfte daher eigentlich keine große Sache sein. Angeboten werden Shirts und Schals, die das St-Pauli-Totenkopflogo mit dem Cover-Design von Albumklassiker “Suffer” und dem Bandlogo verbinden. Auf der Rückseite des Shirts steht etwa “Victory through Domination” und zeigt das charakteristische durchgestrichene Kreuz von Bad Religion.

Doch die Feier dieser “wunderbaren Beziehung” kommt nicht bei allen gut an. Für den 18-jährigen U17-Weltmeister Eric da Silva Moreira ist das Logo der Band nicht nur “kontrovers” und spricht gegen seinen “persönlichen Glauben”, sondern auch gegen die Werte, die der Verein versuche zu vermitteln, teilte der Fußballprofi via Instagram mit. Da Silva Moreira spielte bis Juli 2024 neun Jahre beim FC. St Pauli. Nun finde er es “mehr als fragwürdig”, dass das christliche Symbol missbraucht werde. In den sozialen Medien sprangen ihm viele Nutzer:innen zur Seite, sprachen von Doppelmoral bei der Verurteilung von Diskriminierung. Er selbst sei sich jedoch sicher, “dass die Intention niemals war, jemanden zu beleidigen oder auszugrenzen, dennoch fürchte ich, dass viele es so empfinden”.

Der FC St. Pauli bezog daher bereits Stellung und verteidigte die Kooperation: “Kritik an oder Ablehnung von Religion ist in einer säkularen und demokratischen Gesellschaft absolut zulässig, egal, welche Religion es ist – ob Christentum, Judentum, Islam oder andere”, so Präsident Oke Göttlich. Diese kritische Haltung gegenüber Religionen bedeute laut dem Verein aber nicht, dass man gegen Religionsfreiheit sei. “Jeder Mensch hat selbstverständlich und verfassungsrechtlich garantiert das Recht auf Religionsfreiheit und dies respektieren wir natürlich – frei nach dem Motto: ‘Glaub doch, an wen Du willst!'”

“Gleichzeitig muss aber auch Religionskritik respektiert werden, auch wenn es manchen schwerfallen mag”, heißt es weiter auf dem Blogeintrag des Vereins zum Thema. “Wichtig ist, dass es bei unterschiedlichen Meinungen dazu einen respektvollen Austausch gibt.”

Zum bewusst provokanten Logo und Bandnamen von Bad Religion schrieb der Verein: “[Der Bandname] richtet sich gegen alle Religionen und Autoritäten. Das ist der Kern der Punk-Bewegung. Die Band hat dafür stellvertretend das christliche Symbol genommen, weil das Christentum die dominierende Religion in den USA ist. Es wird stellvertretend verwendet für alle Religionen (die Band heißt ja Bad Religion, nicht Bad Christianity).” Außerdem glaube der FC St. Pauli aufgrund seiner langjährigen Verknüpfung zur Musikszene an die künstlerische Freiheit.

Der heute 60-jährige Sänger Greg Graffin, der das Logo – den “Crossbuster” – mit damals 15 Jahren entwarf, beschrieb die Aussagekraft seines Designs in der Live-Doku “Along The Way” (1990) mal so: “Es ist unsere Art zu zeigen, dass wir dogmatische Lebensweisen und dogmatische Ansichten über das Leben nicht mögen, und dass Religion im Allgemeinen in Dogmen und in der Einschränkung von Ideen, der Einschränkung des Denkens begründet ist, und es sind diese Dinge, die ich an der Religion für schlecht halte”, so Graffin damals. “Auch nationalistische Ansichten sind sehr schlecht, sie sind sehr schlecht … Das ist etwas, wovon die Menschheit als Gruppe nicht profitieren wird; es ist nur etwas, das […] zu Gewalt, zu Kämpfen und zur Nicht-Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen führen wird.”

Die Seite im Shop des FC St. Pauli mit dem Merch ist nicht mehr aufrufbar. Es soll schon ausverkauft sein. Der Schal ist allerdings noch bei Kingsroad Merch erhältlich, das Shirt gibt es noch im US-Shop von Bad Religion.

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