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A-(REC)-nophopia

Okay, bei dem Wohnblock handelt es sich nicht um irgendeinen x-beliebigen, sondern um die postmodernen Arènes de Picasso des spanischen Architekten Manuel Núñez Yanowsky, Anfang der 80er in Noisy-le-Grand in der Nähe von Paris errichtet. Von außen machen die halbrunden Zwillingsbauten was her – innen ist es düster und dreckig. Und sobald wir mit Kaleb (Théo Christine) und seiner neu erstandenen Sandspinne dort einziehen, gibt es auch kein Entkommen mehr. Denn: Kalebs Krabbler büxt aus, verpuppt und vermehrt sich – und nach dem ersten Spinnenbissopfer geht alles ganz schnell. Die Polizei riegelt das Gebäude ab, während sich drinnen Szenen zwischen “Arachnophobia” und dem spanischen Zombie-Quarantäne-Horror “REC” abspielen.

Spinnenhorror hat seit “Tarantula” viele Formen angenommen. Spielfilmdebütant Sébastien Vaniček platziert seinen Horror vor der Kulisse eines französischen Ghetto-Sozialdramas. Das verleiht den Protagonist*innen Hintergrund – und der ist am Ende fast interessanter, als die Spinneninvasion, die man auf keinen Fall auf Logik abklopfen sollte. So oder so hat Horror-Spezialist Sam Raimi (“Evil Dead”) genug Potenzial in Vaničeks Debüt gesehen, um ihn für den nächsten Teil der “Evil Dead”-Reihe zu verpflichten. “Spiders” – oder: “Vermines”, also Ungeziefer im Original – hat gerade zu Beginn einen guten Look und ein gutes Tempo. Am Ende ist es aber doch nur eine sympathische aber spinnerte Verbeugung vor besseren Vorbildern.

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Ende offen

Am 21. Oktober 2003 wird kurz nach 12 Uhr mittags ein Rettungswagen in die Lemoyne Street in Los Angeles gerufen. Die Rettungssanitäter finden den 34-jährigen Elliott Smith vor, zwei tiefe Stichwunden in der Brust. Smith wird in ein Krankenhaus eingeliefert und um 13:36 Uhr Ortszeit für tot erklärt. Eine Autopsie findet Antidepressiva in handelsüblichen Mengen in seinem Blut, aber keine Spuren von Alkohol oder anderen Drogen. Die polizeiliche Untersuchung kommt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Suizid scheint wahrscheinlich, Fremdeinwirkung wird aber nicht ausgeschlossen.

Als Zeugin steht lediglich Smiths Freundin Jennifer Chiba zur Verfügung, mit der er eine turbulente Beziehung führte. Am fraglichen Tag soll es zu einem von vielen lautstarken Streits gekommen sein. Chiba gibt an, sich im Bad eingeschlossen zu haben, als sie einen Schrei hört und die Tür öffnet. Vor ihr steht Smith, ein Küchenmesser in der Brust, das Chiba sofort herauszieht und den Notruf absetzt. So etwas wie einen Abschiedsbrief hat der Sänger auf einem Post-it hinterlassen. “I’m so sorry. Love, Elliott. God forgive me.” Das Internet ist kurz darauf voll von Spekulationen. Weil Suizid per Küchenmesser umständlich, außergewöhnlich schmerzhaft und deshalb sehr selten ist, gehen Fans von Mord aus und verdächtigen neben Chiba diverse andere dunkle Mächte. Das Hauptargument: So gesund und lebensfroh hatte Smith schon lange nicht mehr gewirkt.

Weiche Schale, harter Kern

Das war nicht immer so. Smith hat Zeit seines Lebens erheblichen seelischen Ballast mit sich herumgetragen, der sich spätestens seit seiner klassischen Single “Needle In The Hay” auch in seiner Musik niederschlägt. Der Sänger gibt an, als Kind von seinem Stiefvater missbraucht worden zu sein, als Erwachsener folgen Depressionen und Suchterkrankungen. Als Smith 1997 von Portland, Oregon nach New York zieht, erzählt er seinen Freunden, dass sie ihn womöglich nicht mehr lebend wiedersehen werden. Besagte Freunde hatten eine sogenannte Intervention initiiert, um ihrer Sorge um ihn Ausdruck zu verleihen, doch der Sänger zeigt sich eher indigniert als dankbar. In New York bleibt er Tage am Stück wach, läuft nachts durch die U-Bahn-Tunnel und konsumiert heftig. Der kommerzielle Erfolg von Alben wie “Either/Or” und “X/O” finanziert seine Sucht, Kritiker und Fans feiern währenddessen die Hüllenlosigkeit seiner Musik. Die Presse tauft ihn “Mr. Misery”, nach seinem bekanntesten Song “Miss Misery”, und die Legende vom leidenden Künstler, der seine kaputte Seele zum Trost seines feinfühligen Publikums offenbart, erhält neuen Auftrieb. Schönheit und Schmerz im Engtanz umschlungen – eine Story, die so alt ist wie Musik selbst.

Autumn de Wilde, die Fotografin, die Smith unter anderem auf dem Cover von “Figure 8” ins rechte Licht rückte, rückt auch diese Lesart zurecht. “Elliott lief nicht wie ein trauriger kleiner Junge herum”, sagt sie. “Er war ein harter Kerl, der zufällig herzzerreißende Lieder schrieb. Er war ein Kämpfer. Ich möchte, dass die Leute sich daran erinnern.” Andere Wegbegleiter stoßen in ein ganz ähnliches Horn. Smith hätte nie der verletzlich-introspektive Songwriter sein wollen, sondern ein Pop-Künstler im universellsten Sinne des Wortes. Als passionierter Beatles-Fan wollte er “Figure 8” so abwechslungsreich, ambitioniert und raumgreifend wie möglich gestalten, doch was auf Platte durchaus gelingen sollte, war auf Tour offenbar eine eher einsame Erfahrung. Als Smith nach der Tour zurück nach Los Angeles kommt, ist er abhängig von Heroin und Crack und betreibt Raubbau am eigenen Körper. Seine Kreativität läuft gleichzeitig auf Hochtouren. Nichts weniger als sein persönliches “White Album” schwebt ihm für seine nächste Platte vor, und mit Produzent Jon Brion spielt er rasch ein Dutzend Songs ein.

Doch die Sessions kommen zu einem abrupten Ende. Brion möchte sich Smiths ausufernden Drogenkonsum nicht länger ansehen, woraufhin der Sänger ihm die Freundschaft kündigt und einen Ersatzmann hinter den Reglern sucht. Fündig wird er bei David McConnell, in dessen Studio in Malibu in den nächsten zwölf Monaten die meisten Songs von “From A Basement On The Hill” entstehen. Die Regeln stellt Smith selber auf, es steht eine ungewöhnliche Beharrlichkeit im Raum. “Er sagte: ‘Schau, ich nehme eine Menge Drogen. Und ich werde sie vor dir nehmen, und ich möchte nicht, dass du mich dafür kritisierst'”, erinnert sich McConnell. “Das war eines der ersten Dinge, mit denen ich mich auseinandersetzen musste. Er wollte nicht für seine schlechten Entscheidungen kritisiert werden, und ich glaube, das ist wahrscheinlich das Beste, wenn jemand Probleme hat. Also tat ich das nicht. Stattdessen wollte ich ihm einfach unter die Arme greifen, ein Freund sein und versuchen, ihn zu beschützen. Als er so viele Drogen nahm, dass ich Angst bekam, er könnte eine Überdosis nehmen oder etwas Dummes tun, versuchte ich, auf ihn aufzupassen und dafür zu sorgen, dass er in Sicherheit war. Ich war immer bereit, bei Bedarf Hilfe zu rufen, und viel damit beschäftigt, ihn zu ermutigen, sich auf den Aufnahmeprozess zu konzentrieren und zwischendurch etwas zu essen. Ich sagte dann immer: ‘Wenn du über das Album reden willst, musst du mit mir Mittagessen gehen.'”

Produktivität und Paranoia

Der Aufnahmeprozess ist erratisch, aber fruchtbar. Mit McConnell nimmt Smith mehr als 30 Songs auf, die ein vollumfängliches Bild seiner musikalischen Vision abgeben sollen. Nicht notwendigerweise ein besonders hübsches. Ganze drei Konzerte gibt er im Jahr 2002, es sind fahrige, Besorgnis erregende Auftritte, die das Schlimmste für seine Gesundheit fürchten lassen. In einem der seltenen Interviews aus dieser Zeit verrät Smith dem Magazin Under The Radar gegenüber: “Die Texte auf dieser Platte sind viel weniger impressionistisch; außerdem klingt die Produktion anders als bei den letzten beiden Platten. Der Großteil dieser Platte wurde im ersten oder zweiten Take aufgenommen, was ein ziemlich großer Unterschied ist. Auch die Songs klingen alle ziemlich unterschiedlich. Manche wurden auf einem 24-Spur-Gerät mit 2-Zoll-Band aufgenommen, manche in anderen Formaten. Die Songs werden im Lauf der Zeit immer seltsamer, und dann, wenn man sich dem Ende der Platte nähert, kommen die wirklich seltsamen. Sie sind irgendwie lauter und die Tonhöhe ist völlig verzerrt. In letzter Zeit habe ich einfach viel Lärm gemacht. Es könnte ein Song sein, wenn ich meine Stimme darüberlegen würde, aber es hat an und für sich keine Struktur.”

Seltsam, verzerrt, weniger impressionistisch, ohne Struktur. “From A Basement On The Hill” soll alles beinhalten, was ein Elliott-Smith-Album bisher ausmacht – und gleichzeitig wahrhaftiger sein als das zuvor Dagewesene. Inhaltlich geht das durchaus an die Nieren. Songs wie “Shooting Star”, “Memory Lane”, “A Fond Farewell” und “Strung Out Again” thematisieren zerbrechende Beziehungen und aus dem Ruder gelaufenen Drogenkonsum. Laut McDonnell verjubelt Smith zeitweise bis zu 1.500 Dollar täglich für Rauschgift, zwei prägnante Stücke namens “Abused” und “Suicide Machine” werden es später nicht auf das fertige Album schaffen. Stattdessen enthalten: “King’s Crossing”, eine wahrlich alptraumhafte Komposition, die mit der Zeile “I can’t prepare for death any more than I already have” alle Alarmglocken zum Schrillen bringt.

Im Frühjahr 2003 befindet sich Elliott Smith an einem Scheideweg. Er nutzt sich in perfektionistischen Aufnahmesessions – nun auch in seinem Heimstudio namens New Monkey – ab, und während die Anzahl der neuen Songs wächst, wächst auch die drogeninduzierte Paranoia. Der Sänger ist der Meinung, das Label Dreamworks, bei dem er nach wie vor unter Vertrag steht, würde ihn verfolgen, observieren und sich an seinen Computer-Files zu schaffen machen. Um vorzeitig aus dem Kontrakt entlassen zu werden, droht Smith mit Selbstmord – nicht das einzige Mal in seinem Leben, dass er diese Karte zieht.

Um seinen Geburtstag Anfang August herum sieht dann alles plötzlich überraschend rosig aus. Smith begibt sich beim sogenannten Neurotransmitter Restauration Center in Beverly Hills in Behandlung und schwört den Drogen ab. Fleisch, Zucker und Kaffee fliegen ebenfalls von der Einkaufsliste. Ein letztes Konzert in Salt Lake City präsentiert ihn in alter Stärke, als finalen Song spielt er “Long, Long, Long” von den Beatles. Einen Monat später ist Smith trotzdem tot, die Umstände seines Ablebens erinnern fatal an Kurt Cobains unglückliche letzte Tage. Die Mythologisierung ist ebenfalls sofort zur Stelle. Die reine Seele, die an der harten Welt zerbricht. Der künstlerische Anspruch, auf die Knie gezwungen von den Anforderungen einer gewinnorientierten Musikindustrie. Der kreative Kompass, aus dem Gleichgewicht gebracht von irritierenden Magnetfeldern. Und überhaupt: ein tragisches Leben, das in ein bequemes Schema passt.

Gegen das Narrativ

Vor allem die Menschen, die Smith näher kannten, reiben sich an dieser Bequemlichkeit. Wenige Monate nach seinem Tod bekommt Produzent Rob Schnapf von Smiths Familie den Auftrag, aus den hinterlassenen Aufnahmen ein letztes, aussagekräftiges Album zusammenzustellen. Schnapf hatte die vorherigen Platten des Sängers betreut und genießt deswegen das Vertrauen der Erben. Mehr als 45 Stunden an Material geht der Produzent durch, eine Arbeit, die er als “forensisch” beschreibt. Am Ende steht kein Doppelalbum, sondern eine 15 Songs starke LP, die sich so weit wie möglich Smiths persönlichen Vorstellungen annähern soll. Auch was das lebensanschauliche Vermächtnis angeht. “Wir wollten die Erzählung kontrollieren und uns auf die Musik konzentrieren und nicht auf den einfachen Teil des Schreibens über ‘Oh, den traurigen selbstmörderischen Troubadour, bla
bla bla'”, sagt Schnapf. “Er hatte nichts von dem geplant, was passierte. Er machte eine Platte, und das war die Platte, die er machte.” Es ist auch deshalb eine erfrischende Einschätzung, weil Smith nachweislich noch zu Lebzeiten mit seinem Ruf als sensibler Leidensmann haderte; lieber wollte er ein Paul McCartney oder ein Brian Wilson sein, der souverän und mit stolzer Milde über seinen zauberhaften Kreationen thront.

Es ist ein Wunsch, der posthum in Erfüllung gegangen ist. “From A Basement On The Hill” ist nicht nur ein hervorragendes Elliott-Smith-Album, sondern auch eine Platte, die das Schlaglicht weg von der Tragödie, zurück auf die Musik richtet. Die 15 Songs, die letzten Endes auf der LP gelandet sind, durchmessen sein ganzes musikalisches Universum und präsentieren eine Vielfalt, die mehr bietet als monochromes Grau. Smith wäre vermutlich stolz darauf gewesen. Und er hätte sich bestenfalls davon motiviert gefühlt, diesen Weg weiter zu gehen. Clean, aufgeräumt und voller Zuversicht, dass ihn seine Fans um seinetwillen lieben. Und nicht wegen einer abgeschmackten Vorstellung von tragischer Romantik. Faktisch bleibt es leider bei einem offenen Ende. “Bei vielen dieser Dinge – Überdosis, Selbstmord – handelt es sich nur um einenbeinzigen Fehler”, meint Schnapf. “Und das hinterlässt am Ende für immer Spuren in der Erinnerung. Es wirft einen riesigen Schatten auf ein ganzes Leben, aber in Wirklichkeit ist es diese eine Entscheidung. Es gibt keine Hinweise. Es ergibt keinen Sinn. Das war nicht geplant. Wer weiß, was zum Teufel da passiert ist? Ich weiß es nicht. Und niemand wird es herausfinden.”

Neue Folge mit Wolf Biermann

Wolf Biermann kommt im November 1936 in Hamburg zur Welt. Sein Vater Dagobert wird 1943 im KZ Auschwitz hingerichtet. Im selben Jahr wird sein Wohnhaus bei einem Luftangriff zerstört. Mutter Emma rettet sich und ihren Sohn durch einen Sprung in den Kanal. Über 30 Familienmitglieder hat Biermann im Zweiten Weltkrieg verloren.

Im Gespräch erinnert sich Biermann daran, wie er neben der Milch von seiner Mutter auch stetig mit Liedern gesäugt wird und wie sich so zum einen schon früh seine Berufung offenbart, die Liebe zum Gesang aber gleichzeitig auch für den katastrophalen Ausgang des einzigen Treffens mit seinem Vater sorgt, als Biermann gerade fünf Jahre alt ist.

Vier Jahre später lernt er das 1933 von Häftlingen des Konzentrationslagers Börgermoor geschriebene Lied „Die Moorsoldaten“ auf dem Klavier zu spielen. Die genauen Umstände bilden nur einen von vielen außergewöhnlichen Lebensmomenten, die Biermann in der aktuellen Podcastfolge anschneidet. Spannend, viel ausführlicher und gewohnt lyrisch, erzählt er davon in seiner Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten“.

1953 wandert Biermann in die DDR aus. Er ist junger Kommunist und hegt den Wunsch, den demokratischen Staat mitformen zu können. Es folgen Internat, FDJ, Abitur, diverse angefangene Studiengänge, die SED-Kandidatur, das Berliner Arbeiter-Theater, Lyrikabende, ein verweigertes Philosophie-Diplom, Gespräche mir Margot Honecker, ein Auftritts- und Publikationsverbot und 1976 dann die Verweigerung der Wiedereinreise in die DDR, deren schärfster Kritiker er zwischenzeitlich geworden ist.

Seit 1969 ist Biermann mit diversen Preisen ausgezeichnet worden, darunter Ehrenbürger von Berlin und Ehrendoktor der Philosophie der Humboldt-Universität. Er hat etwa 28 Bücher und Lyrikbände und rund 300 Songs geschrieben. Mit all dem hat er sich als eine der wichtigsten Stimmen Deutschlands etabliert.

Wie Biermann durch einen selbstlosen Tausch im Hamburger Freihafen zu seinem ersten Klavier kam, weshalb es wichtig ist, dass die Generationen nach ihm seine Lieder kennen und was „Jüngling“ Wolfgang Niedecken damit zu tun hat, hört ihr in der aktuellen Episode:

Harmonisch unharmonisch

Mit dem 2014 veröffentlichten, fünften Album des Ambient-Künstlers, Soundtrack-Komponisten und Elektro-Avantgardisten Ben Frost transformiert der Isländer mit australischen Wurzeln seine Musik in ein euphorisch perkussives Durcheinander. Adieu kontemplative Sphäre, hallo archaische Rhythmen. Kombiniert mit Noise, hysterischen Synthesizer-Melodien und einer großen Portion Unberechenbarkeit wird “Aurora” zur vielleicht wichtigsten Station auf dem Weg der Selbstfindung. Frosts Universalität führt ihn sowohl in die Hochkultur als auch ins Berghain. Zum 10-Jährigen erscheint “Aurora” (Mute, 11.10.) neu, inklusive des Mitschnittes eines Konzertes in eben diesem Club.

Das Soloprojekt von Lightning Bolt-Schlagzeuger Brian Chippendale ist hingegen alles andere als universell. Als Black Pus füllt er das Album “Terrestrial Seethings” (Thrill Jockey, 01.11.) mit acht improvisierten Stücken, die er alleine im Noise-erprobten Machines With Magnets Studio von Seth Manchester aufnimmt. Während er in sein Headset-Mikro schreit und sprechsingt, spielt er gleichzeitig Schlagzeug und Keyboard. Die so in einer entfesselten Performance aufgenommenen Stücke entbehren nachvollziehbaren Strukturen. Zusätzlich verfremdet die nahezu komplette Verzerrung aller Kanäle außer des Schlagzeugs die musikalische Summe zu einem brummenden Etwas, das ganz vielleicht im Vorprogramm von The Body funktioniert.

Ganz eventuell würden Black Pus auch mit Caspar Brötzmann Bass Totem “harmonieren”. Mit “The Lovers And Destroyers” (Exile On Mainstream, 11.10.) veröffentlicht der Improvisationskünstler die Aufnahme eines Stückes, das er für das zwölfte und letzte Avantgarde-Festival A L’arme! in Berlin komponiert hat. Die Veröffentlichung in der Kleinstauflage von 300 Exemplaren auf Vinyl (jedes Cover ein vom Künstler veredeltes Unikat) präsentiert Brötzmann am verzerrten E-Bass als Suchenden. Brutal, disharmonisch, dann wieder klagend und somnambul erkundet “The Lovers And Destroyers” die akustischen Phänomene abseits konventioneller Tonalität. Ein Totem verbindet Mensch und Natur, Brötzmann schafft diese Verbindung durch das Aufbrechen von Hörgewohnheiten und den Perspektivwechsel vom hörbaren zur körperlichen Erfahrung von Klang.

Diesen hat Einstürzende Neubauten-Ikone Blixa Bargeld lange hinter sich. Lange vorbei sind die Zeiten von Presslufthämmern auf Stahlblechen. Heutzutage richtet er sein Augenmerk auf eher lyrische Projekte, wie “Christian & Mauro” (Specula, 25.10.) von Teho Teardo & Blixa Bargeld demonstriert. Das bereits dritte Album des Duos ist ein angenehmes Stück Kammermusik mit Bargeld-typischen, unsere Zeit sezierenden Beobachtungen, multilingual, pointiert und eindringlich. Die hyperharmonische Komposition macht das Album zu einem sehr intimen Feldversuch, was auch der Albumtitel signalisiert, der sich aus den realen Vornamen der Musiker zusammensetzt.

Zum Neumond im Oktober, dem “Hunter Moon” erscheint schließlich der dritte Teil von Steve Von Tills Trilogie als Harvestman. Die Themen der ersten beiden Teile kulminieren in einem Kompendium aus psychedelischem Endzeitgroove. Delays, Hall, Verzerrung und unerbittliche Kompression lassen Synthesizer, Bassläufe und weltmusikalisches Allerlei in unendlichen Weiten verschwinden. Seine Liebe zu Kosmos und musikalischer Meditation wird im Verlauf von “Triptych Part Three” (Neurot, 17.10.) ein weiteres Mal fett unterstrichen, indem sich verzerrte Ambientpatterns und monotonale Improvisationen in dynamischem Auf und Ab ausbreiten. Von Till ist mit seiner trippigen Trilogie durch eine Tür gegangen, hinter der er eine Millionen Jahre selbstvergessen weiter musizieren kann.

Das kleine 1×1

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Horsegirl haben mit ihrem Debüt „Versions Of Modern Performance“ vor zwei Jahren bereits bewiesen, dass sie sich den eher schwammigen Begriff „Indie“ zu eigen machen können. Mit Gastauftritten von Steve Shelley und Lee Ronaldo von Sonic Youth und dem Produzenten John Agnello (Dinosaur Jr.) war die Richtung, in die sich der Sound des jungen Chicagoer Trios bewegte, zwar erkennbar, sie verliehen dem Ganzen jedoch mit Genreverknüpfungen von Post-Punk über Shoegaze zu Grunge, reduzierten Vocals und avantgardistischen Klangexperimenten oft ihre persönliche Note.

Jetzt kündigen Horsegirl ihr zweites Studioalbum „Phonetics On And On“ mit der Single „2468“ und dem dazugehörigen Video an. Das Album soll Mitte Februar erscheinen. Für „Phonetics On And On“ tat sich das Trio erstmalig mit der Produzentin und Sängerin Cate Le Bon zusammen, diese arbeitete zuvor mit unter anderem St. Vincent, Wilco und Kurt Vile zusammen.

Was sich auf dem Vorgängeralbum noch in Teilen voneinander abgegrenzt hatte, wird bei „2468“ jetzt zusammengeführt. Die experimentelle Ader des Debütalbums, die sich vor allem durch die kurzen instrumentalen Stücke zeigte, wird für „2468“ um monotonen Sprechgesang ergänzt. Das Ergebnis ist ein Sound-Puzzle aus minimalistischen Bestandteilen wie Streichern, dezenten Gitarren und Percussions, wodurch eine ähnliche Dynamik wie bei The Velvet Undergrounds “Heroin” entsteht. Bei der Single ging es laut Band um das Experimentieren mit dem Aufnahmeprozess selbst, zu dem sie Le Bon motivierte. Letztere fügte dem Sound der Anfang 20-Jährigen zudem eine etwas hellere Klangästhetik hinzu, wodurch eine verspieltere Atmosphäre entstand.

Horsegirl probieren sich weiter aus, so auch mit dem Musikvideo zu „2468“, das in Zusammenarbeit mit Schriftstellerin und Regisseurin Eliza Callahan und Choreografin Alexa West entstanden ist. Das Crescendo des Songs erinnert an ein immer schneller und intensiver werdendes Klatschspiel, was man noch vom Schulhof kennt. Ebenso werden hier mit Set-Design und Aufbau des Videos Parallelen zum monotonen Schulalltag gezogen.

“Phonetics On And On” erscheint am 14. Februar und kann bereits vorbestellt werden.

Billy Corgan bietet auf handgeschriebene Hole-Texte

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Ex-Hole-Frontfrau Courtney Love hat vor einer Woche die Verlosung einer ihrer handschriftlichen Notizen angekündigt. Dabei handelt es sich um den Text des Hole-Songs “Violet”, der 1994 auf dem Album “Live Through This” veröffentlicht wurde.

Schon länger wurde spekuliert, dass der Text von Smashing Pumpkins-Frontmann Billy Corgan handeln soll, mit dem Love um 1990 zusammen war. Im Rahmen der Ankündigung äußerte sich Love: “Es geht nicht nur um Billy Corgan, wie viele annehmen; es geht darum, am Notausgang seiner Wohnung zu sitzen, billigen Wein zu trinken und Vicodin [Hydrocodon, ein Opioid] zu nehmen (ach, die Jugend!), während die Sonne über Chicago untergeht und einen amethysten Himmel hinterlässt.”

Weiter meinte sie: “Mir ist klar, dass mein Kommentar bei Jools Holland ein bisschen gemein war – ich war einfach zickig. Aber irgendjemand muss den Standard für gute alte Zickereien aufrechterhalten!” Love bezieht sich auf einen Auftritt in der britischen Fernsehsendung “Later…with Jools Holland”, bei dem sie 1995 meinte, “Violet” handle von “einem Trottel”, den sie “verhext” habe, und der deswegen seine Haare verliert.

Corgan selbst hat nun in einem Video seine Teilnahme an der Verlosung bestätigt. “Ich glaube, es geht um jemanden, über den ich ein wenig weiß. Und ich würde [diese Notiz] gerne an meine Wand hängen”, heißt es im Video.

 

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Tickets für die Teilnahme sind noch bis zum 15. Dezember erhältlich. Die Einnahmen sollen der Ellis-Park-Wildtierstation auf Sumatra zugutekommen, die von Nick Cave & The Bad Seeds-Mitglied Warren Ellis mitbegründet wurde. Über die Webseite der Organisation können auch andere Objekte ersteigert werden, so zum Beispiel eine unterschriebene Bassgitarre von Red Hot Chili Peppers-Bassist Flea, oder ein signiertes Foto von Pearl Jam-Frontmann Eddie Vedder.

Neues Album angekündigt

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Die ersten beiden Singles haben es bereits angedeutet, “Whiplash” liefert nun einen weiteren Beweis: Architects dürften auf ihrem neuen Album wieder härtere Töne anschlagen. “The Sky, The Earth And All Between” heißt dieses und erscheint am 28. Februar via Epitaph. Es kann bereits in verschiedenen Varianten vorbestellt werden. 2022 hatte die britische Metalcore-Band ihr bislang letztes Album “The Classic Symptoms Of A Broken Spirit” veröffentlicht, auf welchem sie sich an Industrial-Elementen ausprobiert haben.

“Whiplash” ist die bereits dritte Single aus dem kommenden Album, zuvor waren Ende 2023 “Seeing Red” und im April “Curse” erschienen. Drummer Dan Searle erläutert zur neuen Single: “‘Whiplash’ markiert den Beginn einer neuen Ära für Architects. Es ist ein Song, der von Tribalismus spricht, von einer sich vertiefenden Kluft, die zwischen Menschen liegt, die nur auf Meinungen und Überzeugungen basiert. Es gab uns die Möglichkeit, diese Konzepte auf eine Art und Weise zu erforschen, wie wir es vorher nicht getan haben, und zum ersten Mal seit einer Weile gab es uns Treibstoff, etwas wirklich Heftiges zu schreiben.”

Im nächsten Jahr spielen Architects im Vorprogramm von Linkin Park einige Shows in Deutschland. Tickets für die Konzerte sind ab morgen im allgemeinen Vorverkauf erhältlich.

Architects – “The Sky, The Earth And All Between”

Architects - The Sky, The Earth & All Between

01. “Elegy”
02. “Whiplash”
03. “Blackhole”
04. “Everything Ends”
05. “Brain Dead” (feat. House of Protection)
06. “Evil Eyes”
07. “Landmines”
08. “Judgement Day” (feat. Amira Elfeky)
09. “Broken Mirror”
10. “Curse”
11. “Seeing Red”
12. “Chandelier”

Live: Architects (Support für Linkin Park)

16.06. Hannover – Heinz-von-Heiden-Arena
18.06. Berlin – Olympiastadion
01.07. Düsseldorf – Merkur Spiel Arena
08.07. Frankfurt – Deutsche Bank Park

Erste Tour seit Tod von Shane MacGowan

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The Pogues haben sich neu formiert und ihre erste Tour seit dem Tod des Sängers Shane MacGowan vergangenes Jahr angekündigt. Auch so ist es die erste richtige Tour irischen Folk-Punk-Legenden seit 2012. Die letzten Konzerte mit ihrem ikonischen Frontmann fanden 2014 auf einigen Festivals statt.

Angeführt von den Originalmitgliedern Spider Stacy, James Fearnley und Jem Finer spielen The Pogues kommenden Mai sechs Shows in Großbritannien zum 40-jährigen Jubiläum des zweiten Albums “Rum Sodomy & The Lash” von 1985. Der langjährige Schlagzeuger Andrew Ranken wird die Tournee aus gesundheitlichen Gründen nicht begleiten, einige noch nicht angekündigte Gäste werden die drei Bandmitglieder dafür aber unterstützen.

 

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Die anstehende Jubiläumsshow zum 40. Jahrestag des Debütalbums “Red Roses for Me” (1984) am 17. Dezember in Dublin deutet aber bereits an, wie namhaft die Gästeliste ausfallen könnte: Stacy, Fearnley und Finer werden dabei von den Fontaines D.C.-Mitgliedern Grian Chatten und Tom Coll unterstützt. Ebenfalls dabei: unter anderem Mitglieder von Lankum, The Bad Seeds, Goat Girl und The Mary Wallopers.

 

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Die Vorverkaufsregistrierung für die Tour im Frühjahr 2025 läuft ab sofort bis heute um 18 Uhr. Für alle Registrierten beginnt der Vorverkauf dann am Mittwoch und der öffentliche Vorverkauf am Freitag.

MacGowan starb vergangenen Dezember im Alter von 65 Jahren im Krankenhaus an einer Lungenentzündung, wie seine Frau Victoria Mary Clarke wenig später öffentlich machte. Tage zuvor hatte er einen langen Krankenhausaufenthalt beendet, nachdem bei ihm im Dezember Enzephalitis diagnostiziert wurde. Zahllose Musiker:innen wie etwa Nick Cave, Tom Waits, Bruce Springsteen, Brian Fallon oder Flea teilten in den Tagen danach Erinnerungen an den Sänger und zollten ihm via Social Media Tribut. Auch an der Trauerfeier nahmen prominente Gäste wie Cave, Johnny Depp und Glen Hansard teil.

Vor seinem Tod soll MacGowan wohl noch ein letztes Album aufgenommen haben. Die Platte soll 15 Songs umfassen, inklusive einiger Cover. Das verriet zumindest Johnny Cronin. Er ist Frontmann des irischen Alternative-Projekts Cronin und arbeitete wohl zusammen mit seinem Bruder Mick als Produzent an MacGowans letztem Album. Über eine Veröffentlichung ist aber noch nichts bekannt.

Gemeinsame Ziellosigkeit

Mit der Single “Move/Procession” hat das Neo-Kraut-Duo Zement vor einigen Wochen sein neues Album “Passagen” angekündigt. Den gekonnten Stilmix haben sie bereits auf dem Vorgänger “Rohstoff” bewiesen, das neue Material deutet jedoch in eine weniger psychedelische Richtung und stattdessen hin zu Post-Punk. Eine weitere Veränderung lässt sich an der zweiten Auskopplung “Station To Station” ablesen: verstärkter Einsatz von Gesang.

Zement-Sänger und Textschreiber Philipp Hager behandelt Themen rund um Selbstfindung und Ziellosigkeit, erzählt in repetitiven Versen und unaufgeregt monotoner Stimme. “Station To Station” stellt den bis dato poppigsten Song der Band dar, und auch den textintensivsten.

Im begleitenden Video zu sehen: Hager und Christian Bündel, die zweite Hälfte des Duos. Sie gehen mit Ponys spazieren, posieren in Hawaiihemden und halshohem Wasser. Den roten Faden sucht man vergebens, ein gewisser ironischer Unterton findet sich jedoch in jeder Einstellung.

“Passagen” soll am 14. Februar erscheinen und kann über Crazysane vorbestellt werden.

Zement – “Passagen”

Zement Passagen Cover

01. “Move/Procession”
02. “Station To Station”
03. “Making A Living (I Don’t Know What I Want, But I Know How To Get It)”
04. “Journeys To A Beautiful Nowhere”
05. “Back To My Looping Cave”
06. “Better (Always Means Worse, For Some)”
07. “Baptised At The Discotheque”
08. “The Night We Saw The Holy Ghost”

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