Für VISIONS 281 haben wir im August 2016 mit dem Deftones-Frontmann über Social Media gesprochen.
Chino, eines der Kernelemente der Deftones – seien es Cover, Texte, Website oder euer generelles Verhalten gegenüber der Öffentlichkeit – war schon immer Understatement. Ist Social Media nicht das Gegenteil davon?
Chino Moreno: Ja, darum fällt es mir auch schwer, mich mit diesem Kommunikationsweg anzufreunden. Wir als Band oder ich als Person wollten immer einen gewissen Grad an Anonymität wahren. Wegen der Privatsphäre, aber auch aus stilistischen und künstlerischen Gründen. Unsere Vorbilder waren Bands wie Nine Inch Nails, über die man wenig weiß, was ihre Musik aber umso interessanter macht. Natürlich wollen wir uns auch promoten. (überlegt kurz) Bis auf Stephen (Carpenter, Gitarrist). Er ist der Meinung, dass wir nie Interviews geben oder Fotos und Videos machen sollten. Er findet, wir sollten nicht einmal ein neues Album ankündigen oder einen Song im Radio spielen lassen. Er ist aber echt extrem in der Hinsicht.
Warum mögt ihr es, euch bedeckt zu halten?
Erstens fühlt es sich auch für uns selbst immer besser an, etwas selbst zu entdecken, anstatt es buchstabiert zu bekommen. Zweitens verstehe ich zwar, dass wir uns nicht ganz verschließen dürfen, aber ich finde Öffentlichkeit an sich problematisch. Über meine Texte zum Beispiel rede ich nie. Die Leute sollen ihre eigenen Erfahrungen damit machen. Das ist viel mehr wert, als wenn ihnen jemand sagt, was sie denken sollen.
Euer Social-Media-Kompromiss sieht so aus: In Bandpausen geht fast gar nichts auf euren Accounts, ansonsten gibt es fast nur Fotos – vereinzelte Schnappschüsse, viele atmosphärische Konzertbilder, ein bisschen Eigenwerbung, aber nicht viel Konkretes oder Persönliches, vor allem nicht von dir.
Das stimmt. Frank (Delgado, DJ) betreut unser Instagram-Konto. Ab und an schicken Abe (Cunningham, Schlagzeuger) oder ich ihm mal ein Bild, aber ehrlich gesagt, habe ich nicht mal ein Passwort. Ich habe private Instagram- und Facebook-Kontos, aber selbst da habe ich wenige Freunde, und das sind alles Menschen, die ich persönlich kenne. Es gibt auch Fake-Profile bei Facebook von mir, mit denen ich aber nichts zu tun habe. Ich muss die sogar ab und an sperren lassen. Als Chi (Cheng, ehemaliger Bassist) gestorben ist, hat jemand auf einem Fake-Account etwas in meinem Namen geschrieben. Ich war fassungslos. Der Inhalt war nichts Schlimmes, aber das geht gar nicht. Da geht es ums Prinzip.
Verfolgst du Seiten und Accounts von Deftones-Fans, Foren und so weiter?
Kaum. Ich finde es natürlich schön, dass Menschen so viel Energie in unsere Band stecken, aber ich lese das fast nie. Auch weil ich, als ich da noch öfter mal reingeschaut habe, fast nur gelesen habe, wie scheiße wir angeblich seien. Wenn ich kein Selbstvertrauen hätte, würde ich mich vielleicht umbringen wollen, nachdem ich all das gelesen habe. Ich brauche nichts über meine Performance zu lesen, um sie zu beurteilen. Ich weiß, wann ich schlecht bin und wann gut. (lacht) Ich bin beides, wenn auch etwas öfter gut als schlecht. (grinst)
Es gibt Studien, die zeigen, dass Leute, denen es schlecht geht, nicht gerade besser draufkommen, wenn sie bei Facebook sind, wo sich jede und jeder permanent möglichst perfekt inszeniert.
Das kann ich mir mehr als gut vorstellen.
Wenn ich mir eure Social-Media-Accounts anschaue, könnte ich zu dem Schluss kommen, dass euer gesamtes Tour-Leben aus geil ausgeleuchteten Auftritten besteht, derben Backstage-Partys, 1A-Sightseeing und Saufen.
Ja genau! (lacht) Sagen wir so: Wir haben neulich mit Iron Maiden gespielt, und ich hatte mir deshalb mal den Tourfilm “Flight 666” angeschaut. Da gibt es diese Szene, in der Maiden nach einem gigantischen Auftritt vor über 100.000 Leuten im Jubel von der Bühne gehen, und ein paar Sekunden später sieht man Schlagzeuger Nicko McBrain auf dem Rücksitz eines Shuttle-Autos völlig allein ein kaltes Stück Pizza essen und aus dem Fenster ins Nichts schauen. Das ist die Realität einer Rockband. Du wirst gefeiert, dann folgt vielleicht noch eine Backstage-Party, aber dann ist es vorbei. Oft gehe ich nach Auftritten einfach in unseren Raum und höre Musik. Manchmal stundenlang. Es ist nicht immer einfach, in der Realität anzukommen.
Wobei die Grenze zwischen Inszenierung und Realität inzwischen verschwindet. Social Media scheint so tief in unser Leben eingedrungen zu sein, dass viele es gar nicht mehr merken.
Das sehe ich auch so. Wenn man morgens aufwacht, was macht man dann? Man nimmt sein Telefon. Bevor der Tag zu einem spricht, bevor man zu sich kommt, bevor man mit anderen Menschen kommuniziert. Gleich nach dem Öffnen der Augen fließen all diese Informationen durch einen durch, und man schreibt sich mit Menschen, die gar nicht da sind. Ich mache das auch ab und zu, aber versuche, es zu vermeiden. Zum Beispiel war mein Akku vor ein paar Stunden leer. Ich habe ihn noch nicht wieder aufgeladen. Keine Lust drauf. Fühlt sich gut an. Ich habe auch immer noch keinen Telefonanbieter in Europa. Ich will das nicht. Mein Tourmanager hasst mich dafür. (lacht)
Sind das Gedanken einer –Verzeihung – alten Generation?
Das sind definitiv nicht die Gedanken eines 20-Jährigen, aber deshalb sind sie genauso relevant. Es ist wichtig zu sagen, dass es früher auch ohne ging. Als unsere Karriere richtig Fahrt aufnahm, als “White Pony“ zum Beispiel herauskam, um die Jahrtausendwende etwa, hatten wir vielleicht gerade unsere erste Website am Start. Kein Facebook, selbst Myspace gab es nicht, oder? Es gab vielleicht Chat-Rooms oder so, aber das Leben spielte sich in der Realität ab. Und es funktionierte. Man interagierte mit Menschen aus Fleisch und Blut, nicht nur mit der künstlichen Inszenierung der coolsten, schönsten, nettesten Person auf diesem Planeten.
Deine Kinder sind 11, 19 und 21. Sagen die nicht „Fuck you, Daddy, du bist alt!“, wenn du solche Sachen von dir gibst?
Klar haben sie einen natürlicheren Bezug zu neuen Medien, aber sie kennen es auch nicht anders. Ich finde, dass sie sich das anhören müssen. Genauso hat es mich zu interessieren, dass meine Großeltern damals zusammen vor dem Radio gesessen haben. Sie mussten ihre Vorstellungskraft benutzen – ist das etwas Schlimmes oder ein Privileg? Wir waren mit der Band neulich an einem freien Tag im Schloss Versailles bei Paris. Ich war überwältigt von den riesigen Gemälden dort. Wunderschön! Fast alle Besucher machten in einer Tour Fotos. Ich konnte es nicht fassen. Die schönste Kunst befand sich genau vor ihnen, aber sie schauten sie nur durch einen Bildschirm an, der ihre Größe eh nicht einfangen kann. Wofür? Schauen sie dann zuhause drauf und freuen sich mehr als vor Ort? Das ist wie mit Smartphones auf Konzerten. Nehmt die Dinger runter! Seid hier, im Jetzt – und vertraut eurer Erinnerung!