Nach fünf Jahren veröffentlichen The Penske File wieder ein Album. Passend dazu stimmen die kanadischen Punkrocker auch mit einem Musikvideo zu “Bad Dreams” visuell darauf ein.
Mit seinem großen Refrain, reichlich Nostalgie und nicht zuletzt seiner Eingängigkeit lässt der Song echte Freudengefühle aufkommen. “Dieser Song existierte in vielen Iterationen vor der endgültigen Version. Ich hatte das Riff und die Akkordstruktur schon seit Monaten, vielleicht sogar Jahren im Kopf”, so Frontmann Travis Miles. “Im Wesentlichen geht es in dem Lied darum, inmitten einer überwältigenden Angst vor sich selbst und der modernen Welt nach Optimismus zu streben.”
Das neue Album von The Penske File mit dem Titel “Half Glow” ist heute via Gunner/Stomp erschienen. Es kann direkt beim Label bestellt werden. Ihr bislang letztes Album “Salvation” feierte bereits 2018 Premiere bei VISIONS.
Nun trauen sich die kalifornischen Garagepunks an eine Art heilige Kuh. “Nookie” (1999) von Limp Bizkit haben nämlich kaum namenhafte Bands bislang gecovert – zumindest aus dem VISIONS-Kosmos. Ihre Interpretation: nochmal deutlich schneller, aggressiver und so sehr im Noise verhaftet, dass Zac Carpers (Gesang, Gitarre) ironische Rap-Eskapaden nur halb so peinlich wirken wie im Original von Fred Durst.
Erst im März haben Fidlar mit ihrer in Eigenregie veröffentlichten EP “That’s Life” ihre Liebe zu den 90ern klanglich und textlich unter Beweis gestellt. Wann ein neues Album der mittlerweile zum Trio geschrumpften Band erscheint, ist noch nicht bekannt. Die aktuelle LP “Almost Free” stammt von 2019.
Damon Albarn ist eigentlich kein Mensch, der gerne in alten Zeiten schwelgt. Als Künstler ist er stets auf der Suche nach neuen Projekten und Herausforderungen. Doch am 19. Mai wird der 55-Jährige tatsächlich ein bisschen nostalgisch. An jenem Abend soll seine Band Blur ein intimes Konzert vor nur 400 Fans im Arts Center in Colchester spielen – jener Stadt, in der die Geschichte der Britpop-Ikonen einst ihren Anfang nahm. Am Nachmittag macht Albarn noch einen kleinen Spaziergang, schlendert durch die Straßen, die seine Jugend prägten, und kommt dabei an einem ganz besonderen Ort vorbei. “Ich lebte damals zehn Meilen außerhalb der Stadt, am tiefsten Punkt eines Tals. Zur Schule waren es sechs Meilen, die ich immer mit dem Fahrrad fuhr – was bedeutete, dass ich diesen riesigen Hügel hinaufradeln musste. Obendrauf trug ich vor der Schule noch Zeitungen aus. Ich fuhr als Jugendlicher also viel Fahrrad. Sehr viel!”, sagt er. “Auch samstags radelte ich immer nach Colchester rein, denn meine große Obsession war der örtliche Musikladen, der Axe Music hieß. Ich war besessen von den Synthesizern, die sie hatten – sie ließen mich aber nie darauf spielen, weil sie dachten, ich sei mit meinen 13 Jahren kein ernstzunehmender Kunde.”
Später kaufte Albarn dann tatsächlich seinen ersten Synthesizer bei Axe Music. Die Jahre gingen ins Land, das Musikgeschäft musste schließen und ein chinesischer Lebensmittelladen übernahm die Räumlichkeiten. Inzwischen ist auch der wieder verschwunden. Das Gebäude steht zum Verkauf, die ehemaligen Besitzer des chinesischen Ladens haben ihr Schild bereits abgebaut. “Und deshalb war, als ich vor unserer Show an dem Gebäude vorbeikam, das alte Schild von Axe Music wieder zu sehen! In einer Fragerunde mit der örtlichen Zeitung sagte ich wenig später, dass ich das Schild gerne haben würde. Und jetzt wird es gerade sauber gemacht und mir in ein paar Wochen übergeben! Also ja, mit Colchester verbinde ich schon ein wenig Sentimentalität. Aber ich würde nicht zu viel zugeben wollen”, sagt Albarn und grinst dieses schelmische Grinsen, mit dem man ihn kennt. Das Konzert im Colchester Arts Center bildet den Auftakt der Kampagne zum neuen Blur-Album “The Ballad Of Darren” – und das ist natürlich alles andere als nostalgisch. Es ist ihr erstes Album seit dem vor acht Jahren veröffentlichten “The Magic Whip” und in Albarns Augen sogar das erste richtige Blur-Album seit “13” ausdem Jahr 1999. “Bei “Think Tank” waren wir nur zu dritt und “The Magic Whip” entstand in einer viertägigen Session in einem kleinen Studio in Hongkong”, sagt er.
“Es sind beides interessante Platten, und man kann aus verschiedenen Gründen sagen, dass es sich gelohnt hat, sie zu machen. Aber wir waren seit 13 nicht so im Einklang wie auf unserem neuen Album.” Warum nicht? Gibt es einen konkreten Grund oder liegt es einfach an der zwischenmenschlichen Chemie, die gerade wieder passt? “Genau das ist es”, so Albarn. “Das ist Zeitgeist, nicht wahr?” Es ist also wieder Zeit für Blur. “Genau. Blurzeit”, stimmt er zu und grinst wieder breit. An Wortspielen wie diesen hat Albarn sichtlich große Freude. Überhaupt kommt er beim Interview immer dann ins Reden, wenn er abschweift und dabei entweder philosophisch wird oder totalen Quatsch redet. “Blurzeit ist gut, oder? Stelle ich dir nicht in Rechnung…”
Kurze Zeitreise
Die Geschichte von Blur beginnt Anfang der 80er, als Damon Albarn 12 Jahre alt ist. “Ich hatte damals nicht viele Freunde, denn ich war nicht besonders beliebt in der Schule”, erinnert er sich. “Ich kam mit Violinenkoffer ins Klassenzimmer, was im Essex der 80er nicht unbedingt etwas war, das als akzeptabel galt.” In Graham Coxon findet er jedoch bald einen Verbündeten. Die beiden brennen für Bands wie The Jam, The Beatles, The Human League, XTC und Madness. 1988 gründen sie die Gruppe Seymour, die sie wenig später in Blur umbenennt – gemeinsam mit Schlagzeuger Dave Rowntree, mit dem Coxon schon in Colchester in Bands gespielt hat, und Bassist Alex James, den sie während ihres Studiums am Londoner Goldsmiths College kennenlernen. Ihr 1991 veröffentlichtes Debütalbum “Leisure” ist noch stark vom Manchester Rave beeinflusst, doch auf dem folgenden “Modern Life Is Rubbish” (1993) ändern sie ihren Stil merklich. Eine erfolglose Tour durch die USA und ihre Aversion gegenüber Grunge und Amerika im Allgemeinen sorgen dafür, dass Blur sich auf britische, gitarrenlastige Rock- und Popmusik von Bands wie The Kinks und The Small Faces zurückbesinnen.
“Die Texte fallen mir im Gegensatz zur Musik schwer, und wenn ich nicht weiß, wohin die Reise geht, verliere ich mich in cleveren Wortspielen. Ein Art Überlebensmechanismus.” – Damon Albarn
Damit legen sie den Grundstein für “Parklife”, das ein Jahr später Platz 1 der britischen Charts belegt und Blur, wie Coxon es später formuliert, von der “left field arty Band zur fantastischen neuen Pop-Sensation” macht. Blur werden damit einer der wichtigsten Vertreter des Britpop. Gemeinsam mit The Great Escape”, das 1995 erscheint, bilden “Modern Life Is Rubbish” und “Parklife” was Blur später als die “Life”-Trilogie bezeichnen: Alle drei Alben drehen sich um britische Themen. Britpop befindet sich damals auf seinem Höhepunkt, die Rivalität zwischen Blur und Oasis wird von den britischen Medien bis aufs Äußerste ausgeschlachtet – doch während Oasis als Arbeiterklasse-Helden gesehen werden, haben Blur plötzlich das Image der unauthentischen Mittelklasse-Pop-Band. Nach dem sensationellen Erfolg des Oasis-Albums “(What’s The Story) Morning Glory?” haben Blur deshalb das Gefühl, dass es erneut Zeit für einen Stilwechsel ist.
Ihr fünftes Album “Blur” von 1997 ist mit seinem experimentellen LoFi-Sound stark von Coxons Liebe zu amerikanischen Indierock-Bands wie Pavement geprägt und enthält ihren bis heute größten Hit “Song 2”. Zwei Jahre später folgt “13”, mit dem Blur sich noch mehr vom Britpop-Sound entfernen. Albarn hat gerade mit der Trennung von seiner langjährigen Partnerin Justine Frischmann von Elastica zu tun, was sich auch in den Texten widerspiegelt. Die musikalische Regie allerdings überlässt er weitgehend Graham Coxon. Zum ersten Mal in ihrer Karriere arbeiten sie nicht mit ihrem Langzeit-Produzenten Stephen Street. Statt ihm sitzt der aus der elektronischen Musik stammende William Orbit, mit dem Blur zuvor bereits an einem Remix gearbeitet hatten, am Mischpult und verleiht den Songs einen elektronischen, psychedelischen Sound. “13” wird Blurs viertes Nummer-1-Album in Folge, und das von Coxon gesungene “Coffee & TV” mit demniedlichen Milchkarton-Video entwickelt sich zum Indie-Hit.
Nicht mehr in Einklang
Danach beginnt die Zeit, in der Blur laut Albarn nicht mehr wirklich “in tune” sind. Die vier widmen sich anderen Projekten: Albarn gründet gemeinsam mit Comiczeichner Jamie Hewlett die virtuelle Band Gorillaz und Coxon veröffentlicht seine ersten Soloalben. Kurz nach Beginn der Aufnahmen zum nächsten Blur-Album “Think Tank” verlässt Coxon, der gerade einen Alkoholentzug hinter sich hat, aufgrund persönlicher und künstlerischer Differenzen die Band. Lediglich auf dem letzten Stück “Battery In Your Leg” ist er zu hören. Resultierend aus Albarns stetig wachsenden musikalischen Interessen sind auf der 2003 veröffentlichten Platte noch mehr elektronische Sounds sowie Einflüsse aus HipHop, Dub, Jazz und afrikanischer Musik zu hören. Albarn gibt damals zu Protokoll, dass er auf eine Rückkehr von Coxon hoffe und die Arbeit mit Blur so lange ruhen lassen würde. Mit den Gorillaz und seiner 2007 gemeinsam mit dem ehemaligen The-Verve-Gitarristen Simon Tong und Paul Simonon von The Clash gegründeten Band The Good, The Bad & The Queen hat er erst mal genug zu tun, außerdem wird beim Manchester International Film Festival seine erste Oper “Monkey: Journey To The West” uraufgeführt.
Blur live in Colchester (Foto: Warner Music)
Im Sommer 2009 kommt es dann tatsächlich zu Reunion-Shows mit Graham Coxon. Doch bis zum nächsten Blur-Album “The Magic Whip” vergehen insgesamt zwölf Jahre. Es entsteht auf ungewöhnliche Art und Weise: Als Blur 2013 in Asien spielen, wird ein Festivalauftritt in Japan kurzfristig abgesagt, sie haben einige Tage frei und mieten sich kurzerhand in den Avon Studios in Hongkong ein. Graham Coxon lassen die Demos nicht los, und er beginnt ein Jahr später mit Stephen Street daran weiterzuarbeiten, im Folgejahr arbeitet Damon Albarn dann an den Texten. “Weil die Musik in Hongkong entstanden war, entschied ich, dass ich Songs über Hongkong schreiben muss – was ziemlich schwer ist, wenn der Moment längst vorbei ist”, sagt Albarn rückblickend. Vor dem Hintergrund ist es kein Wunder, dass er “The Magic Whip” nicht als richtiges Blur-Album betrachtet. In den Folgejahren scheint niemand mehr Zeit für Blur zu haben. Alex James ist mit seiner 80 Hektar großenFarm zu einem erfolgreichen Käseproduzenten geworden, Dave Rowntree engagiert sich in der Londoner Lokalpolitik, tritt mehrmals als Wahlkandidat für die Labour Party an, wird 2017 schließlich Ratsmitglied des Norfolk County Council und veröffentlicht Anfang 2023 sein erstes Soloalbum. Graham Coxon widmet sich neben seiner Solokarriere dem Schreiben von Soundtracks, gründet mit seinem Kumpel Jamie Davis sowie Muse-Sänger Matt Bellamy, Miles Kane, Nic Cester von Jet und Sean Payne von The Zutons die Supergroup The Jaded Hearts Club und später die Band The Waeve. Und Albarn hat sowieso alle Hände voll zu tun. Er ruft unter anderem das Non-Profit-Projekt Africa Express, das afrikanische und westliche Musiker zusammenbringt, ins Leben, veröffentlicht zwei Soloalben und seine zweite Oper “Dr Dee: An English Opera”.
Blur sind zurück
Und dann plötzlich, im November vergangenen Jahres, kündigen Blur für Anfang Juli 2023 zwei Shows im Londoner Wembley Stadium an. “Es könnten unsere letzten Shows sein, oder sie könnten zu einem neuen Album führen”, lässt Alex James damals verlauten. Dass Letzteres eingetreten ist und mit “The Ballad Of Darren” jetzt das neunte Album von Blur vorliegt, ist Albarns Getriebenheit geschuldet. “Als ich im Herbst mit den Gorillaz in Amerika auf Tour war, hatte ich das Gefühl, dass ich mir selbst, der Band und allen, die zur Wembley-Show kommen, nicht gerecht werden würde, wenn es begleitend nicht etwas Wahres und Bedeutendes wie ein Album geben würde. Dann wäre es zwangsläufig nostalgisch”, sagt er. Nostalgie sei laut Albarn zwar etwas Unvermeidliches. “So wie alle englischen Wörter, die auf ‘ia’ enden, gehört sie zum Leben dazu. Nostalgie ist menschlich. Aber wenn es um Musik geht, interessiere ich mich mehr für die Sehnsucht. Diese imaginäre Nostalgie erscheint mir spannender.” Sprich: etwas Neues schaffen, statt zurückzublicken.
Die Demos für “The Ballad Of Darren” entstehen größtenteils in Hotelzimmern, während Albarn mit den Gorillaz auf Tournee ist. “Wenn ich Songs schreibe, denke ich dabei nicht darüber nach, wofür sie sind. Ich schreibe einfach, weil ich das menschlicher Interaktion bevorzuge”, sagt er. “Und auf Tour zu schreiben, ist für mich perfekt, weil ich da so viel freie Zeit habe. Ich fülle damit einfach die leeren Stunden meiner Existenz.” Erst im Januar dieses Jahres trommelt er seine Bandkollegen im Studio zusammen und präsentiert ihnen das neue Material. “Ich sagte: ‘Tadah, ich habe 20 Songs geschrieben. Hört sie euch an, sucht die aus, die ihr mögt, und vielleicht machen wir dann ein Album.'”, so Albarn weiter. Und wie haben Coxon, James und Rowntree reagiert? “Sie haben die ausgesucht, die ihnen gefallen haben, und wir haben ein Album gemacht”, grinst Albarn wieder schelmisch. “Im Ernst: Sie waren sehr glücklich, dass wir etwas hatten, das so wohlüberlegt ist. Und das geht mir genauso! Das schlimmste für mich ist, wenn ich nicht weiß, worüber ich singe. Das ist meine Vorstellung von Hölle. Die Texte fallen mir im Gegensatz zur Musik sowieso schwer genug, und wenn ich nicht weiß, wohin die Reise geht, verliere ich mich in cleveren Wortspielen. Eine Art Überlebensmechanismus”, sagt er lachend. “Dieses Mal wusste ich allerdings ganz genau, wohin ich emotional wollte. Ich wollte aber auch, dass die Songs nicht nur von mir handeln. Deswegen habe ich es ‘The Ballad Of Darren’ genannt.”
Blur (Foto: Josine Matography)
Darren ist ein Jedermann
Benannt ist das Album nach Darren “Smoggy” Evans, laut Internet der ehemalige Bodyguard der Band, der inzwischen für Albarn arbeitet. “Ich weiß, das ist so zu lesen, aber Bodyguard ist lächerlich. Er ist mein Kumpel!”, so Albarn. “Auf dem Album geht es aber nicht unbedingt um ihn. Es handelt von uns allen.” Von allen Darrens und Damons da draußen also, von allen Grahams, Daves und Alex’. “Und von allen Denises und Dohertys”, so Albarn. “Darren ist ein Jedermann.” Er steht für Albarns ganze Generation. In der Presseerklärung bezeichnet Albarn die Platte als “Nachbeben, Reflexion und Kommentar dazu, wo wir uns derzeit befinden.” “Es geht um viele verschiedene Themen”, sagt er. “Da sind meine persönlichen Turbulenzen, meine Kämpfe mit der Existenz, meine Traurigkeit – aber auch meine Freude. Auf der anderen Seite sind da die ‘grey painted aeroplanes’ in “Avalon” und die “Russian Strings”. Und es geht auch um Natur.”
Die Natur ist für Albarn, der inzwischen auf dem Land in Großbritannien lebt, aber auch ein Haus in Island besitzt, schon länger ein großer Einfluss. So ist sein zweites Soloalbum “The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows” inspiriert von den Landschaften Islands. “Durch die Pandemie war ich zwar ein paar Jahre nicht dort. Aber meine Besuche in Städten sind in den vergangenen Jahren immer seltener geworden”, sagt er. “Im Herzen bin ich ein Naturkind. Zumindest hoffe ich das.” Auf “The Ballad Of Darren” scheint das etwa in der mit Streichern verzierten Akustikballade “The Everglades (For Leonard)” durch. “Die Everglades sind ein Ort, der zugleich beängstigend und beeindruckend ist. Weißt du, was ich meine? Das ist Existentialismus! ‘We are searching the Everglades/ Suing God with change’, heißt es in dem Song. Eine sehr dramatische Nebeneinanderstellung.”
Blur (Foto: Warner Music)
“Wir erleben gerade ein noch nie dagewesenes Level an Narzissmus” – Damon Albarn
Mit Leonard ist übrigens Leonard Cohen gemeint. Albarn schrieb den Song in Montreal, wo sich genau gegenüber seines Hotelzimmers ein großes Wandgemälde des 2016 verstorbenen Sängers befand. “Er hat einfach diesen Look mit seinem Hut und starrte mich von gegenüber an”, so Albarn. “Und ich dachte nur: ‘Fucking hell, heute muss ich einen guten Song schreiben, weil Leonard Cohen mich die ganze Zeit anguckt, und er ist nun mal einfach einer der besten Songschreiber aller Zeiten.'” Songs wie “St. Charles Square”, “Barbaric” und “Goodbye Albert” derweil fallen klar in die Kategorie der persönlichen Songs. Es ist kein Geheimnis, dass Albarn in der Vergangenheit unter Depressionen und Panikattacken gelitten hat. “Goodbye depression parade/ Like a weather front at dawn/ It could fade’, beschwört er in “Goodbye Albert”. In dem schrammeligen “St. Charles Square” derweil geht es um Einsamkeit. “I fucked up”, erkennt Albarn, bevor er davon singt, dass etwas unter den Dielen lebt und ihn am Nacken packt. Und in “Barbaric” klagt er zu einer verspielten Melodie: “I have lost that feeling that I thought I would never ever lose”, und fragt sich anschließend: “Now where am I going?”
Dem gegenüber stehen Stücke wie “Avalon”, “Russian Strings” und “The Narcissist”, in denen Albarn den Blick auf das große Ganze richtet. “What is the point in building Avalon/ If you can’t be happy when it’s done?”, sinniert er in “Avalon”, bevor es heißt: “And then gray painted aeroplanes fly over/ On their way to war.” In “Russian Strings” derweil geht es laut Albarn um die Idee, dass “alles miteinander verbunden ist an verschiedenen Momenten in der Geschichte”. “The tenement blocks came crashing down”, singt er, und dann “there are strings attached to all of us”. Am Ende steht die Erkenntnis: “There’s nothing in the end only dust”. Und auch in der ersten Single “The Narcissist” wirft er einen Blick auf unserer Gesellschaft. “Es gab nie eine narzisstischere Zeit als jetzt – in dem Sinne, dass die Leute ständig mit ihrem eigenen Image beschäftigt sind”, sagt er. “Wir erleben gerade ein noch nie dagewesenes Level an Narzissmus.”
Momente purer Freude
Aufgenommen haben Blur das Album Anfang des Jahres in Damon Albarns Studio 13 in London und Devon. Als Produzent engagierten sie James Ford, der zuvor nicht nur mit Bands wie Depeche Mode und den Arctic Monkeys, sondern auch mit den Gorillaz und Coxons Band The Waeve gearbeitet hat. Heraus kamen zehn Songs, die überwiegend ruhigeren Tempos sind, dabei aber mühelos den Bogen von den 90ern bis heute spannen. Da sind Songs wie “St. Charles Square”, das mit den schrägen Gitarren an die frühen Blur erinnert, aber auch Stücke wie das opulent angelegte “Russian Strings” oder das in experimentelle Soundeffekte eingebettete “Goodbye Albert”, die unüberhörbar von der Opulenz und Vielschichtigkeit von Albarns Nebenprojekten beeinflusst sind. Das Eröffnungsstück “The Ballad” geht sogar direkt zurück auf seine 2003 nur auf Vinyl veröffentlichte Doppel-EP “Democrazy”, deren Stücke während der “Think Tank”-Tour entstanden und eher wie Demos anmuten.
Darren Evans, nach dem Blur ihr neues Album benannt haben, gefiel speziell das Stück “Half A Song” so gut, dass er Albarn jahrelang mit der Frage nervte, wann er es endlich fertigstellen würde. Für “The Ballad Of Darren” hat Albarn das Demo nun überarbeitet und zu einer erhabenen Ballade gemacht. “Momente purer Freude” habe es während der Aufnahmen gegeben, erklärte Alex James bei einer Pressekonferenz zum Album. “Aus dem einfachen Grund, dass es so gut klang!”, sagt Albarn. “Weißt du, wie schwer es ist, wenn du 55 bist und mit Leuten Musik machst, die du schon fast dein ganzes Leben kennst, so frisch zu klingen? Das ist verdammt schwer! Es ist wirklich eine Überraschung, dass es uns gelungen ist. Und es bedeutet, dass wir alle sehr aufeinander abgestimmt waren. Es heißt, dass dieses Album etwas bedeutet, es fühlt sich einfach wahnsinnig echt an.”
Nicht zu viel nachdenken, sondern einfach machen sei die generelle Einstellung bei den Aufnahmen gewesen, so Albarn. “Jeder von uns bringt etwas mit, wenn wir ins Studio gehen, das ist wunderbar! Graham ist ein außergewöhnlicher Gitarrist, Dave kann inzwischen auch Harmonien singen, und Alex hat fünf Kinder und eine super betriebsame Käsefarm. Wir sind alle an einem ziemlich guten Punkt – was nicht immer der Fall war, um es gelinde auszurücken. Das kann sich morgen wieder ändern, aber im Moment sind wir sehr glücklich zusammen. Und man soll das Eisen ja schmieden, solange es heiß ist.” Was bedeuten Blur Albarn denn heute, 35 Jahre nach der Gründung? Ist die Band eins von vielen künstlerischen Vehikeln? “Ich habe für dieses Album lustigerweise eine Zeile geschrieben, die ich am Ende doch nicht nutzte, und die lautete: ‘The vessel that remains empty is tied to the past’. Es war an mir, dieses Vehikel mit etwas zu füllen, und das ist “The Ballad Of Darren””, sagt er und verliert sich anschließend noch mal in einem Wortspiel rund um den Begriff “vessel”. “Wegen meiner alchemistischen Studien vor zehn Jahren habe ich zahlreiche Gefäße voll mit einem speziellen Konzentrat, und wenn ich irgendetwas dort rein gebe, kann ich je nachdem, welche Farbe es annimmt, sehen, ob es ein Blur-Song ist. Nein. Ich rede Quatsch! Ich kenne Graham, seit ich zwölf bin. Blur bedeutet mir natürlich eine Menge. Das sind meine Brüder.”
Damon Albarn (Foto: Josine Matography)
Zu sehen ist das, als die Band Anfang Juli die zwei Konzerte im Londoner Wembley Stadium spielen. Triumphierend streckt Albarn beide Hände in die Luft, als er die Bühne betritt. Von “The Ballad Of Darren” spielen Blur zwar nur zwei Songs, aber wie eine reine Nostalgieveranstaltung fühlt sich die Show trotzdem nicht an. Dafür sind Blurs Songs viel zu gut gealtert – das weiß auch Albarn. “Viele Songs sind ja in der dritten Person geschrieben, und ich sang damals über so verrückte Sachen – dadurch klingen die Songs immer noch modern, wenn ich sie heute singe”, grinst er. “Jetzt trage ich auch noch eine Brille und sehe viel mehr nach Kunsthochschule aus als damals. Nur meine Knie sind nicht mehr so gut, das ist ein kleines Problem.” Bleibt nur eine Frage: Was um alles in der Welt hat Albarn mit dem Schild von Axe Music vor? “Ach, das werde ich an meine Wand hängen oder in eines meiner Studios. Ich habe auch das alte Schild vom London Astoria in der Charing Cross Road, das 2009 abgerissen wurde”, berichtet er. “Ich mag solche Dinge einfach. Es verbindet mich mit meinen bescheidenen und nicht so bescheidenen Wurzeln.” Womit wir wieder beim Thema Nostalgie wären. “Stimmt wohl. Aber ich singe nicht über Nostalgie. Und deswegen bin ich nicht nostalgisch.”
Für den Titelsong “History Books” haben sich The Gaslight Anthem nämlich niemand geringeren als Bruce Springsteen als Gast hinzugeholt. Dabei soll der langjährige Förderer selbst die Initiative ergriffen haben: “Als Bruce Springsteen sagte, ich solle ein Duett für uns schreiben, ist mein Kopf explodiert”, so Frontmann Brian Fallon. “Dass einer der größten Songwriter der Welt und die Stimme einer meiner Helden für immer in einem Song verewigt sein wird, den ich an einem kleinen Holztisch in New Jersey geschrieben habe – das wird nie langweilig werden.”
“History Books” ist ein thematisch schwererer Song, der sich mit dem Loslassen von Dingen beschäftigt, die einem nicht mehr guttun und der Kraft, die man dafür eventuell aufbringen muss. “Ich denke, dass Vergebung auf so vielen Ebenen wichtig ist, aber ich habe gelernt, dass man in manchen Fällen die Verbindung zu den Menschen, die einem Schaden zugefügt haben, beenden muss”, erklärt Fallon. Im Text spiegelt der Titelsong auch die Themen des Albums wider: Vergänglichkeit und Transzendenz. “In gewisser Weise ist jeder Song ein eigenes Buch – jeder von ihnen erzählt eine Geschichte aus der Vergangenheit und von all den Dingen, die wir hinter uns gelassen haben”, so Fallon weiter.
Für den Nachfolger von “Get Hurt” aus dem Jahr 2014 arbeiteten The Gaslight Anthem mit Produzenten und Tontechniker Peter Katis (u.a. The National, Interpol, Death Cab for Cutie) zusammen. “Wir hatten kein Interesse daran, den Sound von The Gaslight Anthem neu zu erfinden”, verrät Fallon. “Wir wollten uns selbst treu bleiben, aber auch Peter das tun lassen, was er am besten kann, nämlich die Dinge schön und traurig und lustig und aufregend zugleich klingen lassen.”
Im April hatte die Band mit “Positive Charge” bereits einen ersten Vorgeschmack auf das kommende Album geliefert. Dazu hatte uns Brian Fallon im exklusiven Interview auch einige Fragen beantwortet.
Das neue Album “History Books” erscheint am 27. Oktober via Rich Mahogany/Thirty Tigers und kann ab sofort vorbestellt werden. Im Herbst sind The Gaslight Anthem auf Tour in den USA, Termine in Europa stehen bisher nicht fest. Bruce Springsteen spielt an diesem Wochenende die letzten beiden Deutschlandkonzerte seiner aktuellen Tour, Resttickets gibt es bei allen gängigen Vorverkaufsstellen.
The Gaslight Anthem – “History Books”
01. “Spider Bites”
02. “History Books” (feat. Bruce Springsteen)
03. “Autumn”
04. “Positive Charge”
05. “Michigan, 1975”
06. “Little Fires”
07. “The Weatherman”
08. “Empires”
09. “I Live In The Room Above Her”
10. “A Lifetime Of Preludes”
Live: Bruce Springsteen & The E-Street-Band
21.07. Hockenheim – Hockenheimring
23.07. München – Olympiastadion
“Dieses Kind vor dem Reichstag, es zetert und schreit/ Sollte es nicht in der Schule sein?/ Für das Ende der Erde hab ich keine Zeit”, singt Felix Schönfuss von Adam Angst allein am Klavier zu Anfang von “Die Lösung für dein Problem”. Der Song ist die erste Auskopplung aus dem frisch angekündigten Album “Twist”. Inhaltlich ist der Song eine Auseinandersetzung mit einer Gesellschaft, die das Patentrezept für ihre Probleme immer häufiger in inhaltsleeren Parolen und seichten Heilsversprechen sucht. All das sieht die Punk-Band vor allem in einer Partei verkörpert: der AfD. Das dazugehörige Video zeigt eine Welt in kompletter Dunkelheit, die am Rad dreht. Genauer gesagt am Riesenrad.
Entstanden ist “Die Lösung für deine Probleme” bereits 2021. Zwei Jahre und einen kürzlich gewählten AfD-Landrat später scheint der Song nicht weniger relevant. So bringt er das politische Klima auf den Punkt und zeichnet eine braune Landschaft in düsteren Farben – begleitet von Klaviermusik, Streichern, Bläsern, die den Song zu einer großen Hymne anschwellen lassen. Das erinnert etwas “Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt” von Danger Dan – und hebt sich entscheidend von vorherigen Veröffentlichungen der Band ab.
Angetrieben wurde Schönfuss von der Frage, was Menschen dazu bringt, die AfD zu wählen. Die Antwort macht der Sänger bereits mit dem Titel unmissverständlich klar: “Einer der Gründe ist sicher das Versprechen von einfachen Lösungen, so menschenverachtend sie auch sein mögen. Ich finde es dabei fast schon faszinierend, wie dermaßen unverschämt diese Partei in ihren Kampagnen einfach nur die niedersten Instinkte anspricht, ohne selbst auch nur die leiseste Ahnung zu haben, wie man irgendetwas umsetzt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.”
“Twist” erscheint am 17. November über Grand Hotel van Cleef und kann bereits vorbestellt werden. Daneben haben Adam Angst ihre Tourtermine für nächstes Jahr bekannt gegeben. Auftakt wird am 21. Februar in Bremen im Schlachthof sein. Der allgemeine Vorverkauf startet am 25. Juli um 10 Uhr.
Zuletzt veröffentlichten Adam Angst “Neintology” 2018.
Adam Angst – “Twist”
01. “Die Lösung für deine Probleme” 02. “Unangenehm (feat. Wutgruppe 0)” 03. “Unter meinem Fenster” 04. “Mindset” 05. “Angst” 06. “Wir sind zusammen” 07. “Mord” 08. “Eau de Toilette” 09. “Schmerz” 10. “Range Rover” 11. “Dass du bleibst”
Damon Albarn neigt bei seinen Solo-Werken als und auch bei den Gorillaz zu einem leicht verschleppten, müde-melancholischen Klang. Wenn er auch auf “The Ballad Of Darren” nicht ganz davon loskommt, knüpfen Blur gebührend an “Modern Life Is Rubbish” (1993), “Parklife” (1994) und “13” (1999) an. Dafür sorgt eine Bandbreite von Cocktail-Pop bis zu süffigen Arrangements mit Gitarren und Bläsern.
Der Vergleich mit Led Zeppelin ist einer, der Greta Van Fleet nicht sonderlich fern ist. Und auch “Starcatcher” zollt den Rock-Legenden gewissermaßen Tribut. Doch auch immer mehr eigenständige Kreationen von psychedelischem Ausmaß lassen die neue Platte scheinen.
Zu ihrem 40. Bandjubiläum spielen Voivod ihre alten Werke neu ein. Die kanadischen SciFi-Metal-Visionäre bedienen sich dabei an diversen Titeln aus ihrer Bandgeschichte. Nicht nur das Wiederhören mit Interims-Sänger Eric Forrest und der neu komponierte Titelsong fügen sich harmonisch in das Gesamtbild ein.
Gods Of Sometimes legen mit ihrem gleichnamigen Debüt ein folkiges Indierock-Album vor, das mit dem harten Sound ihrer Hauptbands nicht viel am Hut hat. Mit watteweichen Melodien und entspannten Psychedelic-Sound beamt einen das Duo Richtung 60er und 70er und erinnert dabei an Neil Young und die Beatles.
Lobsterbomb lassen ihrer Vielseitigkeit mit knatschigem Gesang und verzerrten Gitarren auf ihrem Debüt freien Lauf. Die Berliner:innen haben kein festgelegtes Stil-Manifest und kommen aus ihrem Glam-Indie-Punk mit einer Mischung aus Destroy Boys, Indigo De Souza und Bully heraus.
MF Ruckus – “The Front Lines Of Good Times Vol. I”
MF Ruckus huldigen dem britischen Proto-Metal ebenso ironisch wie ernsthaft. Das zeigt sich beispielsweise in “Hall Of Champions” und der Begeisterung für Judas Priest. Ihren ironischen Unterton verfeinern sie mit handwerklichen Skills, die von mehrstimmigen Pirouetten bis hin zu Hill Country Blues reichen.
Krawallrock mit nachdenklichen Momenten: Saint Agnes thematisieren auf “Bloodsuckers” den Tod der Mutter von Sängerin Kitty A. Austen und widmen sich auch unerfüllter Liebe und angestauter Wut. Gefühle, die ihren Ausdruck in Klavierballaden und aufrührerischem Gesang finden.
Von Albträumen geplagt und inspiriert, vom Prog-Metal Gojiras beeinflusst – “Desiderium” liefert Sludge-Metal, der zwischen Brutalität und Todesangst, Ruhe und Tiefgründigkeit schwankt. Die neue Platte weckt die Hoffnung, dass Somnuri weiterhin ihre Träume vertonen.
The Penske File liefern optimistischen Folk-Punk, mit dem sie Zuversicht in Krisenzeiten vermitteln. Plädiert “Will We Ever Know?” für Vergebung, holen sie auf “Chorus Girl” die Americana-Gitarren raus und legen einem ihren warmen Sound wie eine Decke um. Ein Album, das einen mit positiver Attitüde zurücklässt.
Upper Wilds entführen einen in die verschrobenen Ecken des Noiserock. Dort sollte man die Taschenlampe besser parat halten, um nicht über den Pool an Effektgeräten zu stolpern. Denn auf “Jupiter” quietscht, groovt und dröhnt es mit so viel Hingabe, dass man sich wie auf einem anderen Planeten fühlt.
Um die schon grenzwertige Außentemperatur an diesem Juli-Abend im Kölner Kellerclub MTC gefühlt zu verdoppeln, haben sich Clowns mit Angry Youth Elite und Die Negation passende Mitstreiter ausgesucht. Erstere heizen mit unspektakulären Skatepunk der Fat-Wreck-Schule ein, Letztere mit wütendem Taktgeballer und noch wütenderen Geschrei von Sänger Michael Laur de Manos – und das kommt mit Songs wie “Zornhochzehn” durchaus gut an. “Punk und Hardcore leben von Interkation”, skandiert Laur de Manos und bittet das Publikum noch zwei Meter nach vorne. Das Thermostat schießt schon jetzt in die Höhe: keine Chance für die schwachbrüstige Klimaanlage.
Luftküsse und Mittelfinger: Clowns-Bassistin Hanny J und Gitarrist Jarrod Goon (Foto: Tim Lasche)
Lange wird danach umgebaut, die Australier:innen stolpern erst 15 Minuten später als geplant zu Run DMCs “It’s Tricky” auf die Bühne. Eigentlich kein Problem würde es nicht schon brodelnd heiß im Keller sein. Doch Clowns setzen noch einen drauf: Zum 80s-Metal-Intro vom kommenden Album “Endless” schmeißen sie die Nebelmaschine an und verwandeln aus dem MTC eine finnische australische Dampfsauna.
Wer schreit lauter? (Foto: Tim Lasche)
Zwei-Meter-Hüne Cam Rust und Jarrod Goon (beide Gitarre) halten tapfer die Pommesgabel im Nebel hoch, ehe sie mit der ersten Single der neuen Platte loslegen. “Formaldehyde” ist zwar erst knapp einen Monat alt, doch die Texte sitzen und die Leute fliegen auf Anhieb von links nach rechts. “Heiße Scheiße Koln”, merkt dann auch Williams in seinen Hot Pants und AC/DC-Crop-Top – und nimmt dann auch direkt selbst ein Bad in der Menge, um nochmal ganz sicherzugehen.
Gibt alles auch bei 40 Grad: Stevie Williams (Foto: Tim Lasche)
Während die fünf Australier:innen mit “Euthanise Me” und “Destroy Ze Evidence”, ihren Hits der Alben “Bad Blood” und “Lucid Again”, erst so richtig aufdrehen, kommt das stagedivende Publikum zwischendurch an seine Grenzen. Verschnaufpausen zwischen ihren teils drei bis vierminütigen Highspeed-Hardcore-Peitschen werden dankend in Kauf genommen.
Ein Fels in der Brandung mit Pommesgabel: Gitarrist Cam Rust (Foto: Tim Lasche)
Clowns wissen das Durchhaltevermögen zu schätzen: immer wieder gibt es reichlich Handshakes und Fistbumps. “Who needs a gym membership, when I can play to sicks cunts like you?!”, fragt sich Williams lachend, dessen Stimme nach zwei großen Open-Air-Shows in zwei Tagen als Support von Feine Sahne Fischfilet schon etwas angeschlagen klingt. Das tut der lupenreinen Performance allerdings keinen Abbruch: Williams aalt und windet sich zu seinem inbrünstigen Geschrei wie eh und je, Bassistin Hanny J, Drummer Jake Laderman und die beiden Gitarristen kämpfen sichtlich mit der Temperatur, lassen es sich aber nicht nehmen, so zu spielen, als ginge es um ihr Leben.
Mit “Bisexual Awakening” folgt dann noch eine weitere Single von “Endless”, die laut Williams so klingen soll, als wären The Bronx “a bunch of bisexual motherfuckers”, bevor Clowns zum großen Finale ausholen: “Not Coping”, ihren vielleicht besten Song überhaupt, ziehen sie mit endlosen Instrumental-Passagen zwischen Hardcore und Psych weit über die 10-Minuten-Grenze hinaus. Ein klitschnasser Williams setzt zu einem letzten langen Stagedive an und lässt sich mit einem ebenso nassen Mikrokabel über den Köpfen aller Anwesenden fast bis zur Bar tragen. Eine Zugabe sparen sich Clowns – nicht, dass jemand gefragt hätte.
Auf dem Weg zur Bar: Stevie Williams (Foto: Tim Lasche)
Großes Publikum bei den Open-Airs zuletzt hin oder her: Clowns funktionieren am besten in einem rappelvollen Kellerclub mit niedriger Bühne und Decke wie diesem. Verdient hätten sie als eine der besten australischen (Live-)Bands zurzeit allemal ein größeres Publikum, aber wenn es doch immer so schön sein kann.
In einer australischen Kleinstadt ist die mysteriöse Skulptur einer Hand im Umlauf. Mit ihr versetzen sich ganze Freundesgruppen nacheinander in Trance und beschwören Tote aus dem Jenseits. Handyvideos von besessenen Mitschülern machen schließlich auch die besten Freundinnen Mia und Jade neugierig: Die beiden beschließen, selbst an einer Séance teilzunehmen. Doch als Mias verstorbene Mutter mithilfe der Hand Kontakt zu ihr aufnimmt, schlägt das Spiel in tödlichen Ernst um. Die Regeln des Rituals sind gebrochen – die Tür zur Geisterwelt steht einen Spaltbreit offen …
Das Spielfilmdebüt der beiden YouTube-Stars Danny und Michael Philippou ist originell und stilsicher inszenierter und ein moderner Horrorfilm. Mit einem unvergleichlich authentischen Gespür für das Teenager-Dasein in der aktuellen Zeit, brachte Talk To Me den Philippou-Brüdern direkt einen Vertrag mit dem Erfolgsstudio A24 (“Hereditary – Das Vermächtnis”, “Everything Everywhere All at Once”) ein. Die Inspiration zum Film stammt von der Beobachtung der Jugendlichen in der Nachbarschaft, in der sie aufwuchsen.
Danny berichtet: “Einer der Jugendlichen experimentierte mit Drogen – seine Freunde filmten die Erfahrung. Er reagierte sehr negativ auf die Droge, lag auf dem Boden und hatte Krämpfe. Andere filmten ihn dabei und lachten. Ich fand die Aufnahmen ziemlich beeindruckend und erschreckend zugleich.” Als Daley Pearson, ein Freund der Brüder, ihnen ein Kurzfilmdrehbuch vorstellte, das er über eine Gruppe von Teenagern geschrieben hatte, die eine Art spirituelle Besessenheit nutzten, um high zu werden, regte das Konzept Dannys Fantasie an. Gemeinsam mit seinem Co-Autor Bill Hinzman begann er, das Konzept auszuarbeiten: “In der ersten Entwurfsphase floss die Geschichte nur so dahin, die Charaktere fühlten sich echt an, und sie entwickelte sich ganz natürlich. Ich habe die ersten 80 Seiten mit Szenen, Ideen und Figuren geschrieben, und von da an hat Hinzman angefangen, seine Ideen einzubringen, um das Thema und die Struktur zu finden.”
Der Film erzählt von einem Mädchen im Teenageralter, das süchtig danach wird, von Geistern besessen zu sein, um ein neues Hochgefühl zu erleben. Aber auf einer tieferen Ebene geht es um junge Menschen, die mit Sucht und psychischen Krankheiten 5 zu tun haben, und darum, wie das, was als Flucht vor unterdrücktem Schmerz beginnt, zu einem erschreckenden Ausbruch dieses Schmerzes werden kann.
Nach der Weltpremiere auf dem diesjährigen Sundance Film Festival und der Europapremiere bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin bringt Capelight Pictures “Talk To Me” am 27.07.2023, parallel zum US-Kinostart, bundesweit in die deutschen Kinos. Wir verlosen 3×2 Freikarten!
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Mit “Jenny From Thebes” hat die Indie-Folk-Band The Mountain Goats den Nachfolger von “Bleed Out” (2022) angekündigt. Die nun veröffentlichte Leadsingle “Clean State” gibt einen ersten Vorgeschmack auf die kommende LP. Diese führt als Sequel von “All Hail West Texas” (2002) die Geschichte von Protagonistin Jenny fort. Wurde sie auf dem sechsten Studioalbum in den Songs “Night Light”, “Straight Six” und “Jenny” eingeführt, widmet die Band besagter Figur nun ein ganzes Album.
Angelehnt ist die Protagonistin an Bertolt Brechts Figur der “Seeräuber-Jenny”, bekannt aus der Dreigroschenoper. Sänger und Gitarrist John Darnielle sagt über die Idee zur Fortsetzung: “Wenn wir eine Fortsetzung eines Albums machen, das fast ausschließlich mit einem Ghettoblaster aufgenommen wurde, warum dann nicht das Gegenteil tun und es so groß wie möglich machen?”
Als Konzeptalbum sehen The Mountain Goats “Jenny From Thebes” allerdings nicht. Vielmehr ist das Album eine Rocker-Oper über eine Frau, die ihre Vergangenheit hinter sich lässt und sich mit ihrem Motorrad in eine ungewisse Zukunft aufmacht. Zu dieser Aufbruch-Geschichte liefert “Clean State” den Rahmen. So handelt der Song von dem Ort, an dem für die Protagonistin alles begann. Das Haus, in dem sie anderen Menschen Obdach gewährt hat und an dem sie die Entscheidung traf, einen Neustart zu wagen. Dafür braucht sie nicht mehr als ihre Kawasaki und den Mut, nochmal bei null anzufangen. Begleitet wird die Erzählung um Jenny und die anderen Hausbewohner:innen von Klaviermusik und Bläsern.
Das neue Album wird am 27. Oktober via Merge erscheinen und kann bereits vorbestellt werden.
The Mountain Goats – “Jenny From Thebes”
01. “Clean Slate”
02. “Ground Level”
03. “Only One Way”
04. “Fresh Tattoo”
05. “Cleaning Crew”
06. “Murder At The 18th St. Garage”
07. “From The Nebraska Plant”
08. “Same As Cash”
09. “Water Tower”
10. “Jenny III”
11. “Going To Dallas”
12. “Great Pirates”