0,00 EUR

Es befinden sich keine Produkte im Warenkorb.

Start Blog Seite 451

Vereint unter Freunden

“Thanks Rival Schools for bringing us here”, sagt Ian Shelton, Sänger von Militarie Gun, nach zwei Songs. “We have never seen them before.” Das verwundert nicht. Rival Schools haben sich in den vergangenen Jahren rar gemacht. Sänger und Gitarrist Walter Schreifels hat sich um das Comeback seiner Band Quicksand gekümmert und tourte immer wieder mit dem alten Katalog der Gorilla Biscuits und Youth Of Today. Das zweite Rival-Schools-Album “Pedals” ist zwölf Jahre alt – und als das Debüt “United By Fate” 2001 veröffentlicht wird, waren Militarie Gun im Kindergarten- oder maximal Grundschulalter.

Militarie Gun, Hole44 Berlin (Foto: Jan Schwarzkamp)
Militarie Gun sind etwas statisch – außer Ian Shelton, der sich windet (Foto: Jan Schwarzkamp)

Wohlgemerkt sollte man der Band aus Los Angeles nicht unterstellen, keine Ahnung zu haben, weil die fünf Musiker verhältnismäßig jung sind. Nach dem rauen Hardcore-Auftakt ihrer ersten EPs haben sich Militarie Gun eben erst mit ihrem frischen Debütalbum “Life Under The Gun” längst als Connaisseurs von 90s-Indie zu erkennen gegeben. Nicht von ungefähr trägt Shelton ein altes T-Shirt von Guided By Voices. Shelton windet sich über die Bühne und beschwört mit rauen Worten seine raue Jugend. Doch während mit seinen Dämonen hadert, geht es hinter, links und rechts von ihm recht statisch zu. Die Songs sind einwandfrei, mit “Pressure Cooker” und “Very High” sind richtige Hits dabei – aber von vitalem Hardcore-Esprit kann bei der Performance keine Rede sein.

Rival Schools, Hole44 Berlin (Foto: Maren Michaelis)
Rival Schools haben sehr gute Laune (Foto: Maren Michaelis)

Bei Rival Schools sieht die Gemengelage anders aus. Der mittlerweile nach Salt Lake City umgezogene Cache Tolman am Bass hat mit seiner Band The Iceburn Collective in den 90ern einfach mal Jazz auf Revelation Records veröffentlicht. Gitarrist Ian Love hat sich vor allem nach dem ersten Album von Rival Schools in Bands und Projekten wie Atlantic/Pacific und I Is Another sowie als Singer/Songwriter auf einem Soloalbum ausgetobt. Mittlerweile kümmert er sich beruflich vor allem um extravagante Holzmöbel. Schlagzeuger Sam(my) Siegler wiederum ist umtriebige Legende, seitdem er ab seinem zwölften Lebensjahr New Yorker Hardcore-Geschichte mitgeschrieben hat. Oder wie Walter Schreifels es ausdrückt: “He’s a fucking awesome drummer.”

Rival Schools, Hole44 Berlin (Foto: Maren Michaelis)
Links von Walter Schreifels: Bassist Cache Tolman (Foto: Maren Michaelis)

Vom ersten Song an – “Travel By Telephone”, der Opener von “United By Fate” – sieht sich die Band mit freudestrahlenden Gesichtern konfrontiert, mit Menschen, die die Songs mitsingen und die Zeilen mit Fingern und Gesten untermalen. Nach einigen Songs merkt Schreifels an, dass das Publikum ihm und seiner Band wahrscheinlich schon auf die Schlichte gekommen ist, dass sie “United By Fate” in exakter Reihenfolge durchspielen. Das feierte vor zwei Jahren seinen 20. Geburtstag. Aber 2021 sah die Welt pandemiebedingt noch anders aus.

Rival Schools, Hole44 Berlin (Foto: Maren Michaelis)
Rival Schools festgehalten von der Empore des Hole44 in Berlin Neukölln (Foto: Maren Michaelis)

Das herrlich optimistische “Good Things” verführt Schreifels dazu, seine typisch trippelnde Haltung auf der Bühne einzunehmen, eher ein Wippen als ein Springen. Das Publikum dankt mit lautem Applaus – und dem vorfreudigen Wissen darüber, dass als nächstes der große Hit “Used For Glue” folgt. Vor “So Down On” merkt Schreifels an: “The next song is the trickiest one because we never played this live back in the day.” Es geht trotzdem alles gut aus.

Rival Schools, Hole44 Berlin (Foto: Maren Michaelis)
Walter Schreifels bedankt sich bei Fans und Freunden – davon hat er gerade in Berlin einige (Foto: Maren Michaelis)

An das hymnische Finale “Hooligans For Life” lässt sich am besten mit dem Hit “Wring It Out” vom Nachfolger “Pedals” anschließen. Und dann gibt es noch eine Sache zu erledigen, denn: Ian Love hat heute Geburtstag, “meinen 28ten”, witzelt er. Der Tourmanager kommt mit einem Kuchen auf die Bühne, das Publikum singt “Happy Birthday” und Schreifels kommentiert: “We keep it birthday night every night on this tour.” Aber Geburtstage und Älterwerden fällt bei diesen fitten Legenden gar nicht ins Gewicht. In fünf Monaten, am 16. Oktober, wird Schreifels wieder in der Stadt sein, in der er von 2006 bis 2009 gelebt hat. Diesmal bringt er Quicksand mit.

Blutbefleckt

0

Bereits bekannt bedeutet aber nicht uralt, sondern knapp einen halben Monat jung. Am 20. Juni lud das norwegische Noiserock-Duo mit Sitz in Schweden “We Want Blood” in zweifacher Ausführung auf seinem Bandcamp-Profil hoch. Einmal als reguläre Version, einmal als Radio-Edit.

Die orientalische Hook von “We Want Blood” evoziert andere Bilder als der Clip des Regie-Ehepaars Trude und Pål Laukli zeigt. Gefilmt rund ums Årabrot-Hauptquartier, einer zum Wohnstudio umgebauten Kirche im schwedischen Örtchen Djura, wandern Sänger und Gitarrist Kjetil Nernes und seine Frau, Sängerin und Keyboarderin Karin Park, mit ihrer Gefolgschaft in ein Feld.

Im weiteren Verlauf: “Midsommar”-artige Szenen, das Aufstellen eines Kreuzes (bekannt vom Cover der EP “The World Must Be Destroyed” und auch auf dem “Of Darkness And Light”-Cover zu sehen) und die Andeutung der rituellen Opferung eines Schafs namens Theo. Das im Songtitel geforderte Blut taucht indes an anderer Stelle auf, und auch nur in geringen Mengen.

“Of Darkness And Light”, zehntes Årabrot-Album und Nachfolger des großartigen “Norwegian Gothic” (2021), erscheint am 13. Oktober bei Pelagic. Als Produzent fungierte der unter anderem von Eleven und Queens Of The Stone Age bekannte Alain Johannes. Nernes und Park waren angetan von Johannes’ Arbeit am letzten Mark Lanegan-Album “Straight Songs Of Sorrow” (2020), Johannes wiederum war angetan von Årabrot und verbrachte für die “Of Darkness And Light”-Sessions einen Monat in Djura.

Zuletzt hatten Årabrot Ende 2022 die Cover-EP “Heart” veröffentlicht. Nur wenige Monate älter ist Parks siebtes Soloalbum “Private Collection”.

Årabrot – “Of Darkness And Light”

01. “Hangman’s House”
02. “You Cast Long Shadows”
03. “Horrors Of The Past”
04. “Madness”
05. “Cathedral Light”
06. “We Want Blood”
07. “Fire!”
08. “Skeletons Trip The Light Fantastic”
09. “Swan Killer”
10. “Love Under Will”

Im Kampf gegen das System

0

Dass Florian Fussel, Sebastian Gödde und Moritz Hüls von Aufbau West nochmal durch einen vermeintlichen Schicksalsschlag zusammenkommen sollten, hatte bei der Auflösung 2018 sicher keiner gedacht. Zum Glück entpuppte sich eine bei Gödde festgestellte schwere Krankheit als Fehldiagnose, doch der Entschluss nochmal ein Platte zu machen, wurde bereits gefasst – und zwar als Arkaden. Stilistisch verorten sie sich nun mit zwei neuen Mitgliedern mehr im Punk als im Indie. Selbst gestecktes Ziel: “Eine Popband mit Gitarren, die über das Gewaltpotential in einer Brust […] singt” – “Pöbel-Pop” eben.

Mit der neuen Single “Dispodisko” nehmen sie den Kampf gegen ein verkorkstes System auf, in dem Menschlichkeit oftmals eine untergeordnete Rolle spielt. Ihren inhaltlichen Fokus richten sie dabei auf die Demonstrationen rund um das Dorf Lützerath und Konzerne, die vor allem eins wittern: das große Geld.

“Ein Mensch verlässt morgens die Tür seiner Wohnung/ 40 Stunden und kein Jahresbonus/ Das Auto, die Kinder und die Hypothek/ Ein Mensch wurde schon lang nicht gefragt, wie es ihm geht/ Wo Flüsse waren, sind Gräben/ Wo Brücken standen, Krähne”, heißt es im Track. So lassen Arkaden ihre Kritik an Profitgier und mangelnder Empathie in dem Drum-betonten Song im Stile von Lygo oder den frühen Marathonmann laut werden.

Zwischen all dem Chaos und den weltweiten Krisen wirkt “Dispodisko” –  wie der Soundtrack für ein Leben auf Pump; eine Utopie, in der laut Band “alle Menschen sein dürfen, wie sie sind und in der die menschliche Gier neben dem Schlafittchen an der Garderobe abgegeben wird.” Den großen Knall gibt es am Ende des Songs zwar nicht, dafür endet das Stück mit einem Schrei, der unmissverständlich klarmacht: “Wenn wir schon untergehen, dann tanzen wir vorher wenigstens noch auf den Überresten unserer Hoffnung.”

Dabei soll der Song eine “Hymne für uns Verlierer:innen” sein, wie die Band in einem Instagram-Post verkündet. Weiter erklären sie: “Vielleicht ist die ‘Dispodisko’ aber auch das letzte Aufbegehren, der Toast auf das (Über)Leben, während Lobbyist:innen unsere Lebensgrundlage verfeuern.”

Arkaden spielen noch einen verbleibenden Termin auf ihrer Sommer-Tour. Die neue Single wird also sicherlich Teil der Setlist sein.

Live: Arkaden

26.08. Dorweiler – Waldeck Freakquenz Festival

Road Trippin’ in der Krise

0

The Hirsch Effekt haben ihr sechstes Album “Urian” mit der neuen Single “Agora” angekündigt. Schubladendenken ist zwar bei kaum einer anderen Band weniger angesagt, doch: Klangen die jemals so sanft? Das fragt man sich gerade im Vergleich zu ersten Single “Urian”, auf der sie noch zwischen Black- und Death-Metal wilderten.

Der neue Song ist nämlich vor allem reduziert, luftig und ein kompletter Gegenpol zu dem oft fordernden Alles-auf-einmal-Metal des Hannoveraner Trios. “Agora” wird einzig von Akustikgitarre, E-Bass und Cello getragen und wurde laut Band während eines gemeinsamen Ferienhausaufenthaltes 2021 geschrieben. Durch die Vorliebe von Nils Wittrock (Gitarre, Gesang) und Ilja John Lappin (Bass, Gesang) zur “Californication” von den Red Hot Chili Peppers, gab die Band zu, dass sie den Song “Road Trippin'” dabei im Hinterkopf hatten.

Anderes als die Chili Peppers hatten The Hirsch Effekt aber keinen sommerlichen Eskapismus im Kopf, es geht in “Agora” um “den Umstand, endgültig im Zeitalter der Krisen angekommen zu sein” sowie “buchstäbliche und gefühlte Enge” – daher auch wohl der Titel “Agora”. Wittrocks Text dazu ist eindeutig: “Dieser Krieg, diese Pest, meine Welt findet nicht mehr zu mir zurück. Entgleist, entrückt.” 

Das neue Album “Urian” erscheint am 29. September über Long Branch und kann bereits vorbestellt werden. Im Herbst gehen The Hirsch Effekt dann auf umfangreiche Tour.

The Hirsch Effekt – Urian

01. “Agora”
02. “Otus”
03. “2054”
04. “Urian”
05. “Stegodon”
06. “Granica”
07. “Blud”
08. “Eristys”

Live: The Hirsch Effekt

20.07.2023 DE, Cuxhaven – Deichbrand Festival
30.09.2023 DE, Köln – Euroblast Festival
18.10.2023 DE, München – Backstage
19.10.2023 DE, Karlsruhe – Jubez
20.10.2023 DE, Siegen – Vortex
21.10.2023 DE, Leipzig – Soltmann
25.10.2023 DE, Münster – Sputnikhalle
26.10.2023 DE, Frankfurt – Nachtleben
27.10.2023 DE, Kassel – Goldgrube
28.10.2023 DE, Aukrug – Bobble Cap Festival
02.11.2023 DE, Potsdam – Waschhaus
03.11.2023 DE, Hamburg – Logo
09.11.2023 DE, Bremen – Tower
10.11.2023 DE, Hannover – Musikzentrum
11.11.2023 DE, Oberhausen – Druckluft

Zurück in die Urzeit

0

Da haben Bilderbuch wohl mal an dem guten Zeug von King Gizzard geschnüffelt. Nicht umsonst startet auch das nun veröffentlichte Video zur bereits veröffentlichten Single “Dino” mit einer Zuschauerwarnung vor schnell aufblitzenden Bildern. Was noch recht harmlos mit ruckeligen Sequenzen wie aus einem Videospiel der frühen 2000er beginnt, entpuppt sich schnell zu einem psychedelischen Massaker aus skurrilen Virtual-Reality- und Konzert-Szenen. Währenddessen schließen die Indie-Rocker mit den Ungerechtigkeiten der Welt ab und geben sich pseudo-spirituell in ihren gewohnt denglischen Texten: “Wenn alles brennt/ Geh aus dieser Welt/ Like a Dinosauria.”

Bereits Mitte Juni hatten die Österreicher die Doppelsingle “Dino” und “Softpower” veröffentlicht, die beide starke Neo-Psychedelia und Psychrock-Spuren mit Big-Beat-Unterboden aufweisen und sich damit deutlich von den Schlager-Pop-Ambitionen ihres bislang letzten Albums “Gelb ist das Feld” abgrenzen. Ob die beiden Songs ein erster Vorbote auf ein neues Album sind, ist bislang nicht bekannt.

Diesen Sommer sind Bilderbuch auf verschiedenen Festivals zu finden, unter anderem Mitte August auf dem Taubertal Festival.

Tourtermine angekündigt

0

Seit ihrer Gründung Mitte der 90er Jahre haben sich Kula Shaker vor allem einer Sache verschrieben:  Britpop gepaart mit indischem Mystizismus. Vom Debüt – in VISIONS 351 zu einer der 35 wichtigsten Britpop-Platten gekürt -, dessen Cover der selbsternannte Magier und Comic-Buch-Autor Alan Moore gestaltet hat, bis zum prägnanten psychedelischen Sound der Band: Ihrem Hang zur Vermischung von Mystik und Musik ist die Band in den letzten Jahrzehnten und über mehrere Alben hinweg treu geblieben. Im letzten Jahr veröffentlichte die Psychedelic-Britrock-Institution um Sänger Crispian Mills dann mit “1st Congregational Church Of Eternal Love And Free Hugs” ihr sechstes Studioalbum, mit dem sie einen Blick zurück auf die Musikgeschichte der 60er und 70er Jahre warfen.

Für Oktober haben Kula Shaker ihre Tour bekannt gegeben, für die die Band auch nach Deutschland kommen wird. Das erste Konzert werden sie am 22. Oktober im Heimathafen in Neukölln spielen, geplant sind außerdem eine Show in Hamburg und ein Konzert in Köln. Tickets gibt es an allen bekannten Vorverkaufstellen.

VISIONS empfiehlt: Kula Shaker

22.10.2023  Berlin, Heimathafen Neukölln
23.10.2023  Hamburg, Uebel & Gefährlich
25.10.2023  Köln, Bürgerhaus Stollwerck

 

Amerikanischer Traum

0

Mit den Zeilen “Well, it’s true what they say/ The American way is built on someone’s tears/ They alone are the lucky ones/ Take when they came, with promises made” läuten The Voidz ihre aktuelle Songveröffentlichung “American Way” ein, die als kritische Auseinandersetzung mit dem oft zitierten Traum des “American Way of Life” gelesen werden kann.

Mit dem im Stream zur Verfügung gestellten Song präsentiert die Band um Frontmann Julian Casablancsas die B-Seite ihrer erst vor kurzem erschienen CD-Single “Prophecy Of The Dragon” auch als Stream.

Sinnierten The Voidz auf dem Song “Prophecy Of The Dragon” noch darüber, wie sich das Flüstern Gottes wohl anfühlen würde, geht es nun um weltlichere Themen: Der Song ist denjenigen gewidmet, auf dessen Rücken der amerikanische Traum in den letzten Jahrzehnten ausgetragen wurde – und immer noch wird. So heißt es in der Lo-Fi-Ballade unter anderem “But now you’ve gone and thrown it all away/ You are king of the world/ Yet you plunder, always saying/ Something new, pleasе/ Mmh, mmh/ I can’t guide them anymore/ I saw what thеy did”. Damit formulieren The Voidz ihre Kritik an einem System, das nur einen Weg kennt: den des Erfolgs und des kapitalistischen Aufschwungs.

Mit “Prophecy Of The Dragon” lieferte die Band um Strokes-Sänger Julian Casablancas im Mai die erste Veröffentlichung seit dem “GTA V”-Song “Alien Crime Lord” 2020. Daneben war Casablancas mit The Voidz zuletzt auf dem bereits 2013  entstanden Track “Infinity Repeating” auf der neuen Reissue von Daft Punks “Random Access Memories” zu hören. Das bisher letzte The-Voidz-Album “Virtue” erschien 2018.

Dave Smalley (u.a. Don’t Sleep, All, Down By Law)

Diese Songs lassen dich schweben. Entweder ruhig und friedlich, oder sie schießen dich wie ein Komet durch den Weltraum. Sie verbinden dich mit höheren Gedankenwelten und zeitlosen Emotionen und inspirieren uns auf viele verschiedene Arten, auch in stillen Momenten. Alle rocken, auf ihre eigene Art und Weise. Sie haben mich als Musiker und Mensch beeinflusst, als ich aufwuchs, und tun dies auch heute noch. Ein Hoch auf Eckhart Tolle, dessen Bücher genau zum richtigen Zeitpunkt die richtige Wirkung entfachten.

01. Jimmy Cliff – “Sitting in Limbo”

Dies ist eines der schönsten Lieder, die je geschrieben, gesungen oder gespielt wurden. Jimmy Cliff hat eine erstaunliche, runde, hohe Tenorstimme, und dieser Song bringt sie bestens zur Geltung. Er baut sich auf, sowohl textlich als auch musikalisch – die Flöte und das Schlagzeug, die in der zweiten Strophe einsetzen, sind brillant. “Sitting here in limbo, waiting for the dice to roll/ Sitting here in limbo, got some time to search my soul”. Perfekt. Wir alle haben diese Gefühle schon erlebt. Manchmal sind die wertvollsten Momente im Leben die, in denen wir aufhören, Dinge zu tun und einfach nachdenken und fühlen.

02. Midnight Oil – “King Of The Mountain”

Eine der innovativsten, fesselndsten Bands, die immer mit einer eindringlichen Botschaft an die Menschlichkeit appellieren, die hier als Allegorie, fast als Poesie, zum Ausdruck kommt. Dieser Song entführt einen in die australische Wildnis, wobei der besungene Berg als moralische Instanz dargestellt wird, mit lebhaften Bildern von der Wahl, ob man auf den Berggipfel gehen will oder nicht. “Over liquid tarmac wastelands of cactus and heat/ Down cobblestone alleyways of washing day sheets/ Up ghost prairie mountains of sunset and space/ Down the road at a familiar place/ Across the wilderness/ Out further than the bush, I will follow you.” Tolle Harmonien, Hintergrundgesang und Texte.

03. Ozzy Osbourne – “Over The Mountain”

Ozzy war mit Randy Rhoads in Bestform, und das will viel heißen, denn Ozzy hat jahrzehntelang für Furore gesorgt, auch jetzt noch. Die Welt hat einen ihrer hellsten Shootingstars verloren, als Randy 1982 im Alter von 25 Jahren starb. Ich habe ein Bild von ihm in meinem Musikzimmer, das mich täglich inspiriert. Das Universum jedoch hat seine Brillanz aufgesogen. Vielleicht werde ich eines Tages mit Randy da draußen im Rock’n’Roll-Valhalla jammen. Dieser Song ist wahnsinnig gut, nicht nur wegen Randy, sondern auch wegen des Textes: “Over the mountain, take me across the sky/ Something in my vision, something deep inside/ Where did I wandered, where do you think I wandered to?/ I’ve seen life’s magic astral plane I travel through.” Das ist ein Gedanke, der das Universum anregt. Manche Leute machen sich über Ozzy lustig, weil sie nur den Fledermaus-Zwischenfall oder die Fernsehshow sehen. Er ist einzigartig einfühlsam, und ich bin froh, dass ich ihn viele Male live gesehen habe. Er und Lemmy sind zwei der großen Punkrocker im Metal.

04. Stevie Wonder – “Higher Ground”

Stevie Wonder – Mannomann! Einer der größten Allround-Musiker – nicht nur Sänger oder Songwriter, sondern ein Musiker, der mehrere Instrumente beherrscht, und die Grooves, die er auf diesem Album hervorbringt, sind nicht zu toppen; er hat alle Instrumente gespielt. Das ist schon eine Inspiration. Textlich ist dies ein harter Song, der auf brillante Weise die Idee der Reinkarnation und des Optimismus einbringt: “I’m so glad he let me try again/ Cause my last time on Earth, I lived a whole world of sin/ Gonna keep on trying, til I reach my highest ground.” Der einzigartige, spirituelle Optimismus dieses Liedes hilft uns, die Dinge im Großen und Ganzen zu sehen.

05. Iron Maiden – “Aces High”

Wir sollten zwar nicht in der Vergangenheit leben, vor allem nicht, wenn wir dadurch die Gegenwart ignorieren, aber wir können uns durchaus von Mut und Tapferkeit in der Geschichte der Menschheit inspirieren lassen. Die Schlacht um England, bei der sich oft unerfahrene RAF-Piloten mit den besser ausgebildeten deutschen Piloten über England ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten und dabei siegten, ist sicherlich ein Beispiel dafür. Letztlich kommt es nicht auf die Taten, sondern auf den Geist an – aber die Schlacht um England spiegelt eine mächtige Kombination von Geistern wider und schafft ein positives universelles Karma für uns in diesem Moment. Hätten sie nicht gewonnen, gäbe es dieses Gespräch vielleicht gar nicht. Eddie im Cockpit zu haben, ist ein großer Bonus.

06. Black Flag – “Rise Above”

Es fällt mir schwer, objektiv über einen Song zu schreiben, der mich und Tausende andere Kids geprägt hat und eine der größten Hymnen jener Zeit für Individualität und das Ausbrechen aus dem Alltag ist. Dieser Song ist so krass, textlich und musikalisch brillant und inspirierend. Viele gesellschaftliche Kräfte versuchten damals, Punk- und Hardcore-Shows und -Alben zu unterdrücken, und der Text dieses Liedes – einschließlich “try to stop us, but it’s no use!” – ist ein Zeugnis für den menschlichen Geist, der sich im Universum verteilen wird, wenn wir unsere Hülle ablegen. Verdammt, dieser Song rockt hart.

07. Buzzcocks – “Why Can’t I Touch It”

Einer der musikalisch und textlich innovativsten Songs von einer der besten Gruppen aller Zeiten im Punkrock. Die Idee, unsere Definitionen von Realität infrage zu stellen:  Was ist denn nun real? Ist die Realität nicht nur eine Wahrnehmung, bei der eine Person etwas als real und eine andere Person dasselbe als zeitlich oder ätherisch wahrnehmen kann? Es war für das Genre und die damalige Zeit wirklich tiefgründig, und ich denke, dass es einer der Songs war, der die Buzzcocks in den Rang der Visionäre erhob, einschließlich der zurückhaltenden, aber dennoch kraftvollen, perfekt langatmigen Musik des Tracks selbst. Sicherlich müssen wir alle darüber nachdenken, wie viel Wert wir auf Dinge, Status und Besitz legen, im Gegensatz zu dem, was wirklich real ist – nämlich unser Weg zum göttlichen, universellen Bewusstsein. Ich habe das Gefühl, dass Pete Shelly hier auf dem richtigen Weg war.

08. Toots And The Maytals – “Freedom Train”

Der Kampf der Menschen um Freiheit von Unterdrückung ist eine der größten Inspirationen für die Menschheit im Laufe der Geschichte. Hier vereinen sich Ska und Rocksteady-Beat zu einem nicht-predigenden Aufruf zum Handeln – “The freedom train is coming/Can’t you hear the whistle blowing?/It’s time to get your ticket and get on board” – geschrieben zu einer Zeit, als Menschen auf der ganzen Welt, einschließlich Jamaika und den USA, zusammenkamen, um gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen. Diese Kombination aus Tun und gleichzeitigem spirituellen Sein im Jetzt ist eine der schwierigsten Gratwanderungen auf unserem Weg zur Gegenwart. Toots bringt es hier auf den Punkt. Großartig gespielt und gesungen.

09. Wayne Hancock – “Thunderstorms And Neon Signs”

Wayne “The Train” Hancock sollte jedem ein Begriff sein, auch oder gerade Nicht-Country-Western-Fans. Er hat eine tolle Stimme und einfühlsame Songs, die unglaublich eingängig sind. Die Band besteht aus einigen großartigen Musikern, darunter der Steel-Gitarrist. Ich habe schon so manchen Indie/Hardcore/Punk-Fan auf seinen Konzerten gesehen, Seite an Seite mit Cowboyhüten und Stiefeln. “Lord, I sure love thunderstorms and neon signs”: eine Geschichte, die so schön und universell ausgedrückt ist. Waynes Melodien helfen uns, aus der Hektik des Alltags auszusteigen und zu sein.

10. Boston – “Don’t Look Back”

“It took so long to realize: I’m much too strong not to compromise/ Now I see what I am is holding me down/ I finally see the dawn arising/  I see beyond the road I’m driving.” Wow! Ein aufrichtiger und wortgewandter Schritt weg vom Ego. Im Punk und Hardcore existierten wir so eindeutig außerhalb des Mainstreams, der kommerziell erfolgreichen Rockbands, dass wir manchmal vergessen: Es gab tolle Musik und Texte von Supergroups. Das war mit Sicherheit bei diesem Song von Boston der Fall, der introspektiv ist und uns direkt von der Idee des Egos, des Besitzes und der Eroberungen wegführt und stattdessen dazu aufruft, die Prioritäten im Leben neu zu überdenken. Tom Scholz ist nach wie vor einer der besten Songwriter für Rock-Riffs, und Brad Delps Gesang ist wunderschön und innig.

11. Motörhead – “Overkill”

Motörhead im Jahr 1979 singen und spielen, wie nur sie es konnten, und fangen die chaotische Kraft von Punk, Rock und schwerstem Metal ein. Der Song fängt die Lebendigkeit des Rocks und die Explosion einer Show ein. Wir sprechen darüber, im Jetzt zu sein. Eine der Gruppen, die ich schon seit ihren Anfängen liebe, weil sie sich auf das Karma dieser Musik konzentrieren, die wir alle lieben. Philthy Phils Schlagzeug-Intro hier ist so perfekt!

Und das waren jetzt elf. Ups.

Tränchen im dritten Auge

Rund um den Hermannplatz beginnen sich zahllose Männer mittleren Alters zusammenzurotten. Einige tragen Dreadlocks, einige tragen keine Schuhe, alle aber tragen sie ein T-Shirt der Gruppe Tool. Das kann nur eines bedeuten: Puscifer sind in der Stadt!

Puscifer sei nur eine stinknormale Heavy-Metal-Band, gekommen, um stinknormale Heavy-Metal-Musik zum Besten zu geben – versichert zumindest Sänger Maynard James Keenan dem Publikum des an beiden Abenden sehr gut gefüllten Huxleys. Er weiß, an wem er ist, auch wenn der Agentendress anderes suggeriert, sei man hingegen keinesfalls eine Spezialeinheit auf geheimer Mission, fährt er fort.

Puscifer, Huxleys Berlin (Foto: Christina Wenig)
Carina Round und Maynard James Keenan laden zur großen Puscifer-Show (Foto: Christina Wenig)

Erst einmal steht aber die Band Night Club an. Das Duo besteht aus DJ und Sängerin und begleitet den Keenan-schen Varieté-Akt schon eine ganze Weile, hat es am zweiten Abend sogar noch etwas schwerer, ihren mit massig Zuckerguss zugekleisterten Industrial Pop den Keenan-Superfans schmackhaft zu machen. Zwar passt ihr tanzbarer Düsterpop (circa erstes Lady-Gaga-Album produziert von Trent Reznor) gut zu Puscifers seichteren Melodien, an der recht verhaltenen Reaktion des Berliner Publikums lässt sich jedoch klar ablesen, dass viele hier wohl keine Puscifer-Fans sind, sondern schlicht Fans vom großen Keenan selbst. Das höllisch laute Playback brutzelt in Anlage und Ohr, Sängerin Emily Kavanaugh erdolcht den Krach des Öfteren mit einem lauten “Germany!”. Der Fluch der meisten Vorbands: eine Erwähnung des Headliners zieht den größten Jubel nach sich.

Der lässt eine weitere halbe Stunde bei gedämpftem Licht und angenehm leisem Country auf sich warten, übertrumpft dann von einer sonoren Stimme aus dem Äther, die die Nutzung aufnahmefähiger Gerätschaften während des Konzertes strengstens untersagt. Die Fans sind es gewohnt: Auch bei Keenans anderen Projekten wird dieses Verbot mittlerweile rigoros durchgesetzt, was an beiden Abenden maßgeblich zum angenehmen Ambiente beiträgt. Auf der minimalistisch gehaltenen Bühne stehen ein Gerüst samt Aussichtsplattform, darunter opulentes Schlagwerk, rechts und links thronen zwei große LED-Monitore. Drei ominös blinkende Gerätschaften gibt es noch — Verstärker, Pedale und dergleichen allerdings sucht man vergebens: alles kabellos, alles hochmodern und strengstens durchgetaktet.

Puscifer, Huxleys Berlin (Foto: Christina Wenig)
Hochmodernes Instrumentarium und ein grimassierender Keenan (Foto: Christina Wenig)

Puscifer ist eine Band mehrerer Ebenen. Die Musik ist die eine Sache, es gibt zig Versionen von zig Songs, von Country bis zum Nine Inch Nails-Remix. Es gibt Puscifer-Produkte: Bartkämme, Hausschuhe, die aussehen wie Hummer, Seifen, spritzigen Wein aus der Dose und vieles mehr. Es gibt wiederkehrende Charaktere: die gehörnte Gottheit Queen B etwa, ein Symbol der Weiblichkeit und des Lebens. Maynard trägt sie auf seiner Motorradjacke und auch im Artwork des aktuellen Albums taucht sie wieder auf. Es gibt den Geheimagenten Dick Merkin und den Südstaaten-Tunichtgut Billy D. Berger und seine Ex-Frau Hildy. Eine lose Mär, die all das irgendwie verbindet, gibt es auch. Wenn man eintauchen und jede der 1.000 schlauen Anspielungen Keenans entdecken, dekodieren und kapieren möchte, dann macht so ein Konzert Spaß. Und wenn man einfach nur ein paar Lieder nett findet und für ein bis zwei Stunden gut unterhalten werden will, dann macht das Konzert genau so viel Spaß.

Puscifer, Huxleys Berlin (Foto: Christina Wenig)
Die Men in Black schnappen sich einen Tunichtgut (Foto: Christina Wenig)

Perfektionist Keenan, seinem musikalischen Direktor Mat Mitchell und Multiinstrumentalistin Carina Round gelingt zusammen mit Gunnar Olson (ehemals bei Springsteen am Schlagzeug) und Greg Edwards von Failure und Autolux ein fesselndes Amalgam aus Konzert, Theaterstück und Performance-Kunst. Besonders der Klang von Olsons Schlagzeug ist klar und immens druckvoll, alle anderen spielen alles gleich gut: Gitarren ohne Headstock, Bässe ohne Frets und neuartige Synthesizer. Carina jagt den an ihren Oberkörper befestigten Mikrofonständer über die Bretter, als sei er ein Pferd, fällt später vor den für jeden Song eigens liebevoll animierten Begleitbildern in einen perfekten Spagat.

Maynard singt seine Songs perfekt, der gemeine Tool-Fan ist, ob dessen nie gesehener Bewegungsfreude und Redseligkeit, geradezu schockiert. Filmende Fans, die zu Aufstrich verarbeitet werden, geben sich mit auf Hinterteile fixierte Aliens und die wiederum mit geklonten “Men in Black” auf der Bühne die Klinke in die Hand. Dazwischen wird in den Einblendungen in enervierender Max-Headroom-Manier die Digitalisierung, Starkult um Influencer und der Kopf der Gruppe selbst immer wieder durch den Kakao gezogen.

Puscifer, Huxleys Berlin (Foto: Christina Wenig)
Wenn sie will, kann sie auch einen perfekten Spagat: Carina Round (Foto: Christina Wenig)

Spätestens nachdem Keenan den ihn wie eine Gottheit verehrenden Fans erlaubt, endlich die Handys zu zücken und seine Rede über den desolaten Zustand der Welt zu filmen – unter der Bedingung, versteht sich, dass man ihm hoch und heilig verspricht, ab jetzt diese kaputte Welt mit kleinen Akten der Nettigkeit besser zu machen – kullert auch beim letzten Fan ein Tränchen aus dem third eye.

VISIONS ON INSTAGRAM

ABONNIERE UNSEREN NEWSLETTER

[newsletter2go form_type=subscribe]