Alex, du hast im Vorgespräch anklingen lassen, dass du ein eigenes Presswerk betreibst. Wie kam es dazu?
Vor gut einem Jahr hatten Jeff [Beaulieu], der Bassist meiner Band, und ich die Idee. Wir gingen zu unseren Freunden von Third Man Records, dem Label und Presswerk von Jack White, um uns dort über das notwendige Handwerk und die Maschinen zu informieren. Jetzt haben wir unser eigenes Presswerk, und ich sitze nun plötzlich an der anderen Seite des Schreibtisches.
Inwiefern?
Es kommen Labels und Bands zu mir, die sehr aufgeregt sind, weil sie eine Platte pressen lassen wollen. Das Gute ist: Ich kann diese Aufregung verstehen, denn ich habe sie ja auch, wenn ich eine Veröffentlichung plane. Mein Job ist es in diesem Fall, die zumeist kleinen Labels und Bands auf ihrer Reise zu begleiten. Was ich am ganzen Prozess des Plattenpressens besonders mag, ist die Leidenschaft, die dahintersteckt. Was die Mechanik betrifft, das auch. Aber die Passion ist entlang der gesamten Produktion erkennbar – und das liebe ich.
Welchen Moment der Vinylproduktion magst du besonders?
Der Augenblick, wenn aus einem Haufen Plastik durch den Pressvorgang eine LP entsteht. Das ist der Moment, wenn Musik, wenn Klang einen Körper erhält. Das ist für mich ein sehr schöner, inspirierender, beinahe hypnotischer Vorgang. Aber auch der chemische Veredelungsprozess ist sehr faszinierend, wenn die Lackplatte verkupfert wird. Man hat ihn als Band oder Plattenkäufer nicht so sehr auf dem Schirm, weil man es nur mit dem Endprodukt zu tun hat, also der fertigen LP. Es handelt sich um eine ziemlich alte Technologie, die beinahe magisch wirkt. Ich glaube, es gibt eine Poesie der Berührung. Man nimmt eine Verbindung mit dem auf diese Weise hergestellten Gegenstand auf. Eine Verbindung, die viel persönlicher und intimer ist, als wenn man einfach auf sein Smartphone drückt, um Musik zu hören. Auch wenn das bequemer ist, als Vinyl aufzulegen.
Aber ist Streaming überhaupt so bequem, wie es einem häufig suggeriert wird? Ein Beispiel: Wenn ich abends über meinen Service Musik aussuchen soll, bin ich häufig überfordert. Viel einfacher ist es für mich, eine Platte aus dem Regal zu greifen.
Absolut! Oft bemerke ich, wie einige meiner Freunde versuchen, etwas auf Netflix zu finden: Sie verbringen mehr Zeit mit der Suche als mit dem Schauen der Serie. Manchmal sind sie sogar so genervt, dass sie am Ende gar nichts gucken.
Was mir bei deinen Shows auffällt, ist die extrem hohe Dichte an Menschen, die ein T-Shirt von dir tragen. Das kenne ich sonst nur von Metal-Konzerten. Wie nimmst du das wahr?
Das gefällt mir sehr. Nicht, weil ich es super fände, meinen Namen auf einem Shirt zu sehen. Das ist mir nämlich eher unangenehm. Sondern weil mich jedes Shirt, das sich sehe, zu dem Ort, zu der Platte oder zu dem Ereignis zurückführt, für das es entstanden ist. Mal ist es ein Festival. Mal eine Show, bei der nur 15 Leute anwesend waren, die aber trotzdem Eindruck hinterlassen hat. Auf diese Art entsteht eine Verbindung zu meinem Publikum. Es entstehen Mikroverbindungen, die am Ende dafür sorgen, dass wir an diesem Abend zu einer Gemeinschaft werden. Wobei Gemeinschaft nicht heißt, dass alle gleich sind. Im Gegenteil: Jeder ist anders. So verschieden, wie die T-Shirts sind, die ich im Publikum sehen.
Eine Gemeinschaft der Andersartigkeit.
Ja, und deshalb sind Konzerte für mich in vielerlei Hinsicht ein Ritual. Mit der Musik als Ausrede.
Als Ausrede wofür?
Als Ausrede, um alle zu versammeln, um einen weiteren Moment der Gemeinschaft zu erschaffen. Auch deshalb ist jeder Abend eine Art Experiment für sich. Weil ich schaue, wie die Menschen auf meine Musik reagieren. Und das tun sie oft total unterschiedlich. Manche springen, andere halten ihre Hände in die Luft. Es gibt Menschen, die weinen oder schreien. Andere sind ganz ruhig und in sich gekehrt. Was dabei für mich wichtig ist: Das alles hat nichts mit mir zu tun. Es hat mit dem Gemeinschaftsgefühl zu tun. Mit der Gewissheit, dass sich an diesen Abenden jeder sicher fühlen kann, man selbst sein zu dürfen.
Gilt das auch für euch auf der Bühne?
Ja, sonst würde es nicht funktionieren. Ich würde es nicht befriedigend finden, wenn wir die Songs immer wieder auf die gleiche Art und Weise spielen würden. Dafür gibt es CDs und Schallplatten. Die Songs nehmen auf der Bühne verschiedene Formen an, weil wir der Stimmung folgen, die an diesem Ort entsteht. Ich lasse mich lieber von dieser Atmosphäre beeinflussen, statt zu versuchen, die Songs dem Publikum so aufzudrängen, wie ich mir das im Vorfeld überlegt habe.
Damit gibst du von deiner Macht als Performer ab.
Ja, ich bin genauso ein Teil des Abends, wie jeder andere auch. Ich bin nicht derjenige, der etwas kanalisiert. Wir erlauben es den Songs, sich gehen zu lassen, sich auf viele Minuten auszudehnen. Wie experimentieren damit.
Du verbringst viel Zeit in Tanger, einer Hafenstadt im Norden von Marokko, wo du zusammen mit einem Partner das Boutique-Hotel “La Maison de Tanger” betreibst. Welche Erfahrungen sammelst du dort, die für deine eigene Musik wichtig sind?
Als ich zum ersten Mal dort war, war gerade mein Vater gestorben. Ich war sehr verzweifelt, emotional sehr angegriffen. Man bezeichnet Tanger als das Tor zu Afrika, es ist aber auch das Tor zu Europa, weil es sehr nah an Spanien liegt. Es sind viele Leute in der Stadt, die aus ganz Afrika kommen. Abends versammeln sie sich und machen zusammen Musik. Als ich das erste Mal dort war, sah ich, wie diese Menschen beim Musizieren ganz in einen Moment versunken waren. Es entstand ein Zusammenhalt, obwohl sich diese Leute nicht kannten. Sie kamen aus allen Teilen Afrikas, spielten verschiedene Instrumente und Musik aus den vielen Kulturen Afrikas. Und da stand ich nun als einziger Weißer …
Du warst der Fremde.
Ja, absolut. Ein Fremder unter Fremden. Man gab mir eine Trommel, und ich weiß noch, wie ich erstarrte. Ich – der Musiker – wusste nicht, was ich damit anfangen sollte. Ich war wie gelähmt. Ein Typ kam zu mir und sagte: „Lass einfach los. Du weißt schon, drück dich einfach aus. Es spielt keine Rolle, wie du es machst.“ Das hat mich wirklich beeindruckt, weil ich zu dieser Zeit das Loslassen verlernt hatte. Ich war frustriert, weil ich mich standardisiert fühlte. Aber gleichzeitig wusste ich nicht, wie ich aus dieser Form ausbrechen und als Künstler frei sein sollte. Diese Erfahrung war ein entscheidender Moment für mich.
Wie hilft Musik bei dem, was du als „loslassen“ bezeichnest?
Ich gebe dir ein Beispiel. Ich bin ein großer Fan von Swans, gesehen habe ich sie in Tokio in einem kleinen, nicht besonders vollen Club. Es war sehr warm, das weiß ich noch. Und das Publikum war sehr gemischt, da standen Punks neben Geschäftsleuten in Anzügen. Swans begannen zu spielen, indem sie ein und den denselben Akkord 45 Minuten in die Länge zogen. Sogar ich, als großer Fan, dachte mir: „Okay…“ Aber am Ende dieser 45 Minuten habe ich es verstanden. Swans erschufen auf ihre Art einen kleinen, transzendierenden, gemeinschaftlichen Moment. Ähnlich wie der Moment, den ich in Tanger erlebt hatte. Und ich bin sehr glücklich, wenn es mir mit meinen Shows gelingt, ebenfalls solche Momente zu kreieren.
Die Aufnahme deiner Show in Köln aus dem Sommer 2024 erscheint mit dem Titel “A Nightfall Ritual” als Live-Album. War dieser Abend für dich geprägt von solchen Momenten?
Diesen Eindruck habe ich, ja. Mit dem Album will ich mich bei allen Leuten bedanken, die an diesem Abend dabei waren. Ich sage das nicht, weil wir jetzt zusammen sprechen, aber der Text bei VISIONS zu diesem Konzert hat ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen. Ich lese kaum Rezensionen über meine Arbeit, es tut mir nicht gut, weil man entweder denkt, man müsste alles andern, oder, man müsse es genauso noch einmal machen. Aber dieser Text zeigte mir: So, wie das dort steht, habe ich es auch erlebt. Und damit stehen die Chancen gut, dass es den vielen anderen auch so ergangen ist. Was mich dazu brachte, dieser Gemeinschaft mit diesem Live-Album danke zu sagen.
“A Nightfall Ritual” erscheint am 16. Mai und bietet vier lange Songs, aufgenommen am 27. Juli 2024 in der Kantine in Köln. Zwei davon sind hier exklusiv zu hören. Sie sind damit auch Vorboten für ein neues Studioalbum von Alex Henry Foster, das im Herbst 2025 erscheinen wird.