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Gründe der Tourabsage

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Vergangenen Mai mussten die Black Keys ihre US-Tour aufgrund schlechter Ticketverkäufe absagen. Nach der Trennung von ihrem Management hatte Schlagzeuger Patrick Carney angekündigt, die Gründe für die Absage irgendwann aufzuklären.

“Innerhalb der Tour gab es ungefähr zehn Arenakonzerte, die sich nicht gut verkauft hatten. Sie waren einfach an Orten geplant, an denen sie nicht hätten stattfinden können”, erklärt Carney in einem gestern veröffentlichten Interview mit dem Rolling Stone. “In dieser Situation hätten wir neue Veranstaltungsorte finden müssen, stattdessen wurde uns dazu geraten, die gesamte Tour abzusagen. Uns wurde gesagt, dass neue, kleinere Konzerte geplant werden würden, und dass alles gut sei. Das ist so nicht passiert.”

Fans sahen den Hauptgrund für die mauen Ticketverkäufe in den hohen Preisen zwischen 100 und 300 US-Dollar. Laut Carney stecke jedoch mehr dahinter: “Die ganze Industrie ist so ineinander verflochten, von Ticketverkäufen über Promotion bis zum Management. Man ist den Launen von Leuten ausgesetzt, die ganz andere Interessen verfolgen als man selbst. Und als Künstler ist es fast unmöglich, darüber zu sprechen.”

Im Laufe des Jahres hatten die Black Keys noch einzelne Konzerte gespielt, die jedoch teilweise Kritik hervorgerufen hatten. Als Teil der “America Loves Crypto”-Tour, deren Ziel es gewesen zu sein scheint, den demokratischen Senator Sherrod Brown, einen Kryptowährungs-Kritiker, abzusetzen, spielte die Band am 25. Oktober eine Show in Akron, Ohio. Diese Entscheidung rechtfertigte Carney im Interview: “Wir hatten alle Einkünfte für den Rest des Jahres verloren. Uns wurde sehr viel Geld für diese Show geboten, und wir haben gesehen, dass die Black Pumas auf der gleichen Veranstaltung gespielt hatten. Die Entscheidung fiel sehr einfach.” Zur darauffolgenden Kritik meinte er zudem: “Natürlich haben wir all die Kritik gesehen, aber uns wurde gesagt, dass die Veranstaltung überparteilich sei. Wenn es die Wahl eines ganzen Bundesstaates beeinflussen würde, wenn wir ein Konzert für 300 Leute spielen, haben wir deutlich größere Probleme[, bro].”

Live: The Black Keys

01.07. Berlin – Zitadelle
02.07. Zürich – The Hall

Erste Single mit neuer Band

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Rocky Votolato ist bisher vor allem mit seinen ruhigen Folk-Songs in Erscheinung getreten. Der Singer/ Songwriter aus Dallas hat mit seinem neuen Projekt Suzzallo jetzt jedoch eine neue Richtung eingeschlagen. Nachdem er 2021 eines seiner zwei Kinder verloren hatte, änderte sich sein Leben schlagartig. In einem Instagram-Post schreibt Votolato: „Ein Kind zu verlieren, verändert alles an dir als Mensch und Künstler. Ich brauchte einen neuen Kanal, um das auszudrücken, was ich durchmachte, und das Einzige, was für mich einen Sinn ergab, waren die lautesten und verzerrtesten Gitarrensounds, die ich finden konnte.“

Votolato hat mit Suzzallo ein neues kraftvolleres Ventil gefunden, um seiner Trauer Luft zu machen. Die erste Single „River“ ist ein intensiver Song mit lauten, fuzzgetränkten Gitarren und krachendem Schlagzeug.

Das bereits im Juli angekündigte Debütalbum „The Quiet Year“ soll am 02. Mai erscheinen und kann bereits vorbestellt werden. Der ersten Single nach zu urteilen wird es alles andere als leise.

Die Veröffentlichung des zuletzt erschienenen Albums des Songwriters “Wild Roots” liegt mittlerweile drei Jahre zurück. Zwei Jahre davon hat Votolato mit den Arbeiten an seinem neuen Projekt verbracht. Unterstützt wird er von Schlagzeuger Rudy Gajadhar und Bassist Steve Bonnell. Die Produktion hat John Goodmanson übernommen, der unter anderem auch Alben für Bikini Kill, Blonde Redhead oder Death Cab For Cutie produziert hat.

Suzzallo – “The Quiet Year”

Suzzallo the quiet year cover

01. “River”
02. “The Destroyer”
03. “Constellations”
04. “Tsunami Waves”
05. “Star String Radio”
06. “We Are The Clouds”
07. “Time Machine”
08. “Magical Thinking”
09. “Shattered Stars”
10. “Broken Dragon Wings”
11. “Eulogy”

»Seine Stimme ist so gut wie immer«

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Im Vorfeld der anstehenden, finalen Show von sowohl Black Sabbath als auch Sänger Ozzy Osbourne stehen noch einige Fragen im Raum, unter anderem nach Osbournes Gesundheitszustand. 2020 machte er seine Parkinson-Diagnose öffentlich, in den folgenden Jahren hatte er zudem mit schweren Eingriffen und den Nachwirkungen eines Unfalls zu kämpfen.

Osbournes Frau und Managerin Sharon Osbourne äußerte sich nun gegenüber der Sun zum Zustand ihres Mannes: “Er ist sehr glücklich und emotional über das alles. Parkinson ist eine fortschreitende Krankheit, man kann sie nicht anhalten. Sie wirkt sich bei jedem auf andere Körperteile aus, und bei Ozzy sind es die Beine. Seine Stimme ist jedoch so gut wie immer.” Im Rahmen der Radiosendung “Ozzy’s Boneyard” meinte Ozzy selbst: “Ich habe es bis 2025 geschafft. Ich kann zwar nicht mehr gehen, aber ich lebe noch. Und das, obwohl ich mich so viel beschwere.”

2023 hieß es nach Konzertabsagen von Osbourne noch: “Wenn ich nicht mehr regulär Shows spielen kann, wäre ich wenigstens gerne fit genug, um eine einzige Show zu spielen und allen zu sagen: ‘Hey Leute, Danke für mein Leben.’ Und wenn ich am Ende davon tot umfalle, werde ich glücklich sterben.”

Letztes Konzert für Black Sabbath

Am 5. Juli tritt die Gründungsbesetzung, bestehend aus Sänger Ozzy Osbourne, Gitarrist Tony Iommi, Bassist Geezer Butler und Schlagzeuger Bill Ward, zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten wieder zusammen auf. Das Konzert findet im Fußballstadion von Aston Villa in ihrer Heimatstadt Birmingham statt. Dabei bekommen sie Unterstützung von namhaften Mitstreitern. MetallicaSlayerPanteraGojiraAlice In ChainsHalestormLamb Of GodAnthrax und Mastodon werden auftreten, weitere Beiträge kommen von einer Supergroup mit wechselnder Besetzung. Unter anderem sollen Danny Carey (Tool), Billy Corgan (The Smashing Pumpkins) und Tom Morello (Rage Against The Machine) zusammen auftreten, außerdem Duff McKagan und Slash von Guns N’ Roses, David Draiman (Disturbed), Fred Durst (Limp Bizkit), Jonathan Davis (Korn), Lzzy Hale (Halestorm), Mike Bordin (Faith No More), II (Sleep Token), Papa V Perpetua (Ghost), Zakk Wylde und Wolfgang Van Halen. Vor der “finalen Verbeugung” mit seiner Band will Ozzy Osbourne sogar noch ein Soloset spielen.

Die Alben der Woche

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Album der Woche: Heartworms – “Glutton For Punishment”

Heartworms (Foto: Gilbert Trejo)
Heartworms (Foto: Gilbert Trejo)

Für ihr Debütalbum ließ sich Heartworms unter anderem von Militärgeschichte inspirieren. Generell mag die Londonerin Jojo Orme alles, was düster ist und so klingen auch ihre Songs, die zwischen Post-Punk, Krautrock und Goth hin und her pendeln. Jeder Ton hat seine Berechtigung, denn Orme überlässt nichts dem Zufall, wodurch ein einnehmender Sound entsteht.

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Squid – “Cowards”

squid cowards cover

Menschliche Abgründe, Mord, Apathie – textlich geht es auf dem dritten Squid-Album hoch her. Die Post-Punks schmeißen für den musikalischen Unterbau alles zusammen, was sie in die Finger bekommen: Verfremdete Instrumente, Jazz-Bläser, Noise, schiefer Gesang. Leicht im Abgang klingt anders, gut runter geht das trotzdem.

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Death By Unga Bunga – “Raw Muscular Power”

Death By Unga Bunga Raw Muscular Power Cover

Die norwegischen Power-Pop-Rocker Death By Unga Bunga bieten ein knackiges Workout in 27 Minuten. Das bringt kurzweiligen Spaß – als Soundtrack für die Muckibude oder den Motorradtrip – taugt aber auch als charmante Persiflage ihrer eigenen prolligen Männlichkeit. Das Herz haben sie auf jeden Fall am rechten Fleck.

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Dream Theater – “Parasomnia”

dream theater Parasomnia cover

Die Prog-Metal-Veteranen Dream Theater liefern mit Mike Portnoy am Schlagzeug den gewohnt hohen Standard. Die große Überwältigung bleibt jedoch aus: An die absurden spieltechnischen Künste ist man längst gewöhnt, cineastische Instrumentalschwelgereien fehlen. Mit natürlichem Klang kann die Band jedoch immer bestechen.

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Bikini Beach – “Cursed”

Bikini Beach Cursed

Das siebte Album der Garage-Punk-Band Bikini Beach fällt deutlich düsterer als vorherige Veröffentlichungen der Band aus Konstanz aus. Zu Texten über aktuelle Katastrophen wird es hypnotisch fuzzy, das Tempo der kurzen Songs bleibt jedoch hoch. Retro-Garage-Einflüsse der 60er Garage-Pioniere The Sonics lassen grüßen.

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Guided By Voices – “Universe Room”

Guided By Voices Universe Room Cover

Guided By Voices haben viel zu sagen. Ihr zwölftes Album in fünf Jahren besteht aus 17 meist kurzen Songs im gewohnt verschrammelten Garage-Rock-Sound, nur ganz knapp oberhalb von LoFi produziert. Kauzige Titel wie „19th Man To Fly An Airplane“ versprechen einen totalen Abstieg in den abgedrehten Gedankenkosmos der Band.


Inhaler – “Open Wide”

Inhaler Cover "Open Wide"

Inhaler machen das, was auf den Vorgängeralben schon funktioniert hat: Indierock mit Betonung auf Indie. Die Abstammung von U2-Frontmann Bono kann Elijah Hewson nicht mehr leugnen, zu tief sind die Einflüsse gesät. Dank phrasenhafter Texte dürfte die Band jedoch Schwierigkeiten haben, weitere Zielgruppen anzusprechen.

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Jinjer – “Duél”

Jinjer Duel Cover

Bei Jinjer dreht sich alles um Leid: Unsägliches, reales Leid durch die Invasion ihrer Heimat, fiktives, kafkaeskes Leid und alles dazwischen. Die beklemmende Atmosphäre wird durch den Einklang von brachialer Komplexität mit Eingängigkeit noch verstärkt. Trotz krasser Abwechslung kommen alle Songs gleich gut zur Geltung.

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The Vices – “Before It Might Be Gone”

The Vices Before It Might Be Gone Cover

Vor allem die verträumten, langsameren Songs sind die große Stärke der Niederländer Indie-Rock-Band The Vices. Ein Glück, dass davon einige auf ihrem dritten Album zu finden sind. In den Momenten macht die Band aus Groningen melancholisches Songwriting federleicht. Die energischen Songs können nicht immer so überzeugen.

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Texte von Fee Briesemeister und Julius von Glinski

Kurzfilm zum neuen Album

The Vices haben sich für die Veröffentlichung ihres dritten Albums „Before It Might Be Gone“ ein besonderes kurzfilm-artiges Video ausgedacht. Es soll die Reise durch das Leben verdeutlichen, die im Album zum Thema gemacht wird. Es handelt von Veränderung, Aufwachsen in einer fremden Umgebung und dem Finden von Schönheit im Unbekannten.

Das Video spielt in einem dubiosen Restaurant mit verschiedensten, ausgefallenen Charakteren. Als die Band ankommt, scheint sie nicht wirklich ins Bild zu passen. Begleitet wird dieses erste Kapitel vom zweiten Song des Albums „Gold“. Im zweiten Kapitel landet die Band hinter den Kulissen des Restaurants und es tritt eine Art Realitätsschock ein, dazu gibt es eine kurze Sequenz von „Lovers Eyes“. Darauf folgt eine Hinterhofschlägerei zu „Shaking Shoulder“ und Leadsänger Floris van Luijtelaar findet sich ganz schnell auf dem Boden der Tatsachen wieder. Im letzten Kapitel spielt die Band im Homecoming den Titeltrack „Before It Might Be Gone“ und scheint sich abgekämpft aber glücklich in die skurile Szenerie eingefügt zu haben.

Der dreiminütige Clip haben The Vices in Zusammenarbeit mit The Platform realisiert, einem kreativen Kollektiv aus Amsterdam.

Das heute erschienene Album bildet genau diesen Prozess der Selbstreflexion und dem Ankommen und Klarkommen in einer neuen Umgebung ab. Es stellt die Fragen: Wie kommst du mit der Person zurecht, die du in der Vergangenheit warst und wie findest du heraus, wer du eigentlich sein willst?

 

Doch keine Lust mehr

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“Ich bin stolz auf die Alben, ich bereue keins”, so Daron Malakian in einem neuen Interview in Rick Rubins Podcast “Tetragrammaton with Rick Rubin”. In über zwei Stunden berichtet Malakian dort über seinen musikalischen Werdegang und seine Vergangenheit mit System Of A Down, spricht aber ebenfalls darüber, dass er sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht vorstellen kann, ein neues Album mit seiner Band zu schreiben: “Es gab eine Zeit, in der [ein neues System-Of-A-Down-Album zu schreiben] etwas gewesen wäre, das ich gewollt hätte. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie sehr ich das will – und ich bin mir sicher, dass die Leute nicht allzu glücklich sein werden, das von mir zu hören. Ich bin nicht mehr an dem Punkt, an dem ich vielleicht vor 10 Jahren war.”

Als primäres Ausschlusskriterium sieht Malakian, dass mittlerweile fast 20 Jahre seit der Veröffentlichung der bislang letzten Alben von System Of A Down vergangen sind: “Es wäre schön gewesen zu sehen, wohin sich die Band entwickelt hätte, wenn wir weiterhin Musik herausgebracht hätten. Wenn wir jetzt ein Album veröffentlichen würden, wäre es so lange her seit ‘Mesmerize’ und ‘Hypnotize’, dass es die Geschichte nicht mehr weiter spannen könnte.”

Stattdessen verweist Malakian aber darauf, dass demnächst neue Musik von seinem Soloprojekt Daron Malakian And Scars On Broadway erscheinen soll. Erst Anfang Dezember hatte er damit zwei neue Songs veröffentlicht. Malakians aktuelles Album “Dictator” ist 2018 erschienen.

Erst Ende Januar hatte Malakians Bandkollege Shavo Odadjian darüber gesprochen, dass neben größeren Tourplänen auch möglicherweise neue Musik ansteht. Er bezeichnete die anstehenden Tourtermine von System Of A Down als “Stimmungstest” für mögliche weitere Touren. Zur Möglichkeit neuer Musik sagte Odadjian: “Es müsste wirklich das Beste sein, was wir je gemacht haben.” Frontmann Serj Tankian bezeichnete ein mögliches neues Album im vergangenen Jahr bereits als “Neustart in eine neue, schöne Richtung.”

Im Frühjahr und Sommer spielen System Of A Down dieses Jahr einige Konzerte in Süd- und Nordamerika. Tourdaten in Europa sind bislang keine angekündigt.

20 Jahre Drehorgel

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Im Spätherbst 2024 gab es mit “Mittelfinger” einen ersten neuen Song von Team Scheisse zu hören, dem die Band ein wunderbares Video spendierte. Darin übersetzt eine Gebärdendolmetscherin den Text simultan und spätestens beim Refrain kann dann auch jede Person mitmachen, die diese Sprache sonst nicht flüssig spricht.

Mit “Lok” gibt es nun einen weiteren Song, mit dem Team Scheisse auch ihr kommendes Album “20 Jahre Drehorgel” ankündigen. Ob nun der Text des Songs absurder ist oder das zugehörige Video, das aus Archivaufnahmen aus der Raumfahrt und einem Bodycam-Video von Team-Scheisse-Schlagzeuger Simon Barth besteht, muss jede:r für sich selbst entscheiden. Fest steht: Der Song zaubert einem ein Lächeln ins Gesicht.

“20 Jahre Drehorgel” erscheint am 07.03. bei Soulforce und kann auf der Labelseite  vorbestellt werden. Ab Anfang April sind Team Scheisse mit der neuen Platte auf Tour. Einige der Shows sind bereits ausverkauft. Tickets sind über die Website von Team Scheisse erhältlich.

Anfang Januar 2025 waren Team Scheisse im Rahmen der Demonstrationen gegen den AFD-Bundesparteitag in Riesa aufgetreten. VISIONS hatte die Band im vergangenen Jahr auf ihrer Tour mit Turbostaat durch kleine Clubs und AZs in Sachsen und Thüringen begleitet. “Uns ging und geht es immer noch nur darum, dass es diese Orte gibt, ganz egal wo sie sind. Und dass die wichtig sind. Dass wir sie gerne bespielen, weil wir wissen, dass uns die auch zu den Menschen gemacht haben, die wir sind”, sagte Team-Scheisse-Sänger Timo Warkus in unserer Reportage “Der Star ist der Club” über ihre Beweggründe. “Diese Orte sterben schon seit Jahrzehnten aus verschiedenen Gründen weg. Dann kam noch eine Pandemie dazwischen und dazu die ganze Nazi-Kiste. Aber dass es diese Orte nach wie vor gibt, finde ich fantastisch. Die Leute, die sich jeden Tag den Arsch aufreißen. Das zu unterstützen, ist mir wichtig. Und wenn wir dann auch noch ein tolles Konzert spielen, freue ich mich.”

Team Scheisse – “20 Jahre Drehorgel”

Team Scheisse 20 Jahre Drehorgel Cover

01. “Lok”
02. “Alle meine Hobbies”
03. “Altbauwohnung”
04. “Kaffee die Tage”
05. “Raufasertapete”
06. “Cop Killer von Body Count”
07. “Pluto”
08. “Raucherpausenvibes”
09. “Spuckstein”
10. “Mittelfinger”
11. “Beige”
12. “Der Wirtschaft”
13. “Ikeamensch”
14. “Erwachsenencosplay”
15. “Wo ich bin ist die Party (die Party bin ich) (ich bin die Party)”

Live: Team Scheisse

02.04. Osnabrück – Botschaft
03.04. Oberhausen – Turbinenhalle
04.04. Saarbrücken – Garage
05.04. Nürnberg – Z-Bau (ausverkauft)
06.04. Nürnberg – Z-Bau
09.04. Hamburg – Große Freiheit 36
10.04. Hamburg – Große Freiheit 36 (ausverkauft)
11.04. Rostock – M.A.U. Club (ausverkauft)
12.04. Kiel – MAX Nachttheater
30.04. Köln – Palladium
01.05. Wiesbaden – Schlachthof
02.05. München – Muffathalle
08.05. Hannover – Capitol
09.05. Berlin – Columbiahalle
10.05. Leipzig – Haus Auensee

Schluss mit Nekrophilie

In der warmen Sommernachtsluft hängt der Duft von Bier, Schweiß und großen Erwartungen. An diesem Samstag im August 2019 wird es eine doppelte Premiere auf dem Acker in Schleswig-Holstein geben, der gerne mal als “Mekka des Metal” bezeichnet wird: Zum ersten Mal headlinen Parkway Drive das Wacken Open Air – und sind damit zugleich die erste Metalcore-Band, die sich diese wohl größtmögliche Bühne erobert. Tags zuvor haben dort Slayer mit ihrer letzten Festival-Show auf deutschem Boden ihren Status als Götter des Thrash Metal zementiert. Die prominente Platzierung der Australier im Line-up ist im Vorfeld kontrovers diskutiert worden, im Anschluss an die epochale Show, die auf dem 2020er Livealbum “Viva The Underdogs” festgehalten ist und den Höhepunkt der gleichnamigen Dokumentation bildet, sind dann aber auch die härtesten Skeptiker mindestens beruhigt. Oder selbst zu Fans geworden.

Was sagt das über den Status quo des Metalcore aus, eines Genres, das in den 90ern aufkam, in den 2000ern zum nächsten heißen Scheiß nach Nu Metal deklariert wurde, zwangsläufig implodierte und mehrfach für tot erklärt wurde? Wie so oft gibt es nicht die eine richtige Antwort, vielmehr stecken hinter dem kulturellen Phänomen viele unterschiedliche Geschichten mit unterschiedlichen Ausgängen oder noch offenen Enden. Sicher ist aber: So tot, wie manche denken oder es sich vielleicht wünschen, ist Metalcore ganz bestimmt nicht. Wenn das nicht jeder erkennen mag, dann wohl auch deshalb, weil der Begriff so viele Stilausprägungen vereint, dass es ähnlich unübersichtlich wird wie bei Väterchen Heavy Metal. Selbst Parkway Drive um Frontmann Winston McCall lassen sich angesichts jüngerer Veröffentlichungen nur dann im Genre verorten, wenn man mindestens ein “aber” ergänzt. So sieht es auch Maik Weichert, Gitarrist von Heaven Shall Burn, der prominentesten einheimischen Band, die dem Genre – nicht ohne Diskussionen – zugeordnet wird. Die beiden Bands kennen sich gut (“Winston? Der hört doch nur Bad Religion!”), Weichert bringt bezüglich der ehemaligen Tour-Kollegen den Ausdruck “Stadionrock” ins Spiel und will damit sagen: “Sie sind inzwischen viel größer als das Genre – und das zu Recht!”

Parkway-Drive-Sänger McCall stimmt im Vorfeld des bislang letzten Albums “Reverence”, das die Band in Sachen Opulenz und Breitentauglichkeit auf eine neue Stufe gehoben hat, in Interviews zu, dass sie “dem Metalcore entwachsen” seien. Was er meint: Es geht dem Quintett nicht darum, Genrekonventionen auf Biegen und Brechen zu bedienen, sondern ihren eigenen Sound zu definieren. Dennoch hält er fest: “Wir sind immer noch Hardcore-Kids, die Metal spielen. Wenn man diese beiden Wörter zusammensetzt, ist es Metalcore.” Und liefert damit die beste, weil prägnanteste Definition dessen, was Metalcore im Kern war, ist und sein wird: Die Verbindung von Elementen aus verschiedenen Metal-Spielarten mit anderen aus dem Hardcore, gerne bereichert um Einflüsse aus weiteren Stilen – oder in den Worten von Weichert: “Für mich ist das ein Melting Pot, in dem das Beste zusammengeschmissen wurde.”

Hart und hart

Die Ursprünge dieses musikalischen Schmelztiegels liegen im großen Melting Pot jenseits des Atlantiks: Die USA sind in den 80ern wichtigster Schauplatz zweier Entwicklungen, die für die Entwicklung von Metalcore von entscheidender Bedeutung sind: Bands wie Black Flag, Bad Brains und Dead Kennedys nehmen Punk und machen ihn noch roher, aggressiver und vor allem in den Inhalten schärfer; die US-Version von Hardcore ist geboren. 1984 präsentieren dann etwa Black Flag nicht nur lange Haare, sondern auf “My War” auch Einflüsse von Black Sabbath – und müssen sich angeblich vorwerfen lassen, sie wären “Heavy Metal geworden”. Zugleich kombinieren Bands wie Slayer, Anthrax, Exodus, Testament, Overkill und natürlich Metallica die Musikalität der New Wave Of British Heavy Metal mit dem Furor von Punk und Hardcore zu Thrash Metal. Bands wie Dirty Rotten Imbeciles (D.R.I.), Suicidal Tendencies oder Stormtroopers Of Death (S.O.D.) legen den Schwerpunkt der Genre-Synthese dann eher auf die Hardcore- als auf die Metal-Seite, während etwa die New-York-Hardcore-Institution Agnostic Front auf ihrem zweiten Album “Cause For Alarm” deutliche Thrash-Anleihen offenbart.

In den 90ern passieren dann wiederum zwei Dinge, ohne die es Metalcore vermutlich nie gegeben hätte: In Schweden machen Bands wie In Flames, Dark Tranquillity, Entombed und At The Gates die Göteborger Schule des melodischen Death Metal populär, die den Spagat von Brutalität und Harmonien – insbesondere in den von Iron Maiden inspirierten Gitarren – sucht, wie er später von vielen Metalcore-Bands weitergedacht werden wird. Für Weichert ist vor allem At The Gates’ “Slaughter Of The Soul” “der heilige Gral”. In den USA spaltet sich Hardcore in zwei Bewegungen auf, die sich zwar auf grundlegende Ansichten, etwa den Straight-Edge-Lifestyle einigen können, in der Musik aber deutlich getrennte Wege gehen. Bands wie etwa H2O oder Good Clean Fun besinnen sich als Oldschool zurück auf die Punk-Wurzeln, während die New School um unter anderem Shai Hulud, Zao, Judge, Integrity, Snapcase, Vision Of Disorder und Hatebreed den Flirt mit Metal weitertreibt. Bands wie Botch, Coalesce und insbesondere Converge beginnen in dieser Zeit, noch komplexere Songs zu bauen und legen damit den Grundstein für das, was später als Mathcore bezeichnet werden wird.

Von besonderer Bedeutung für Metalcore sind die 1989 in New York gegründeten Earth Crisis, die dem Genre 1995 mit “Destroy The Machines” und ihrem Amalgam aus Hardcore und Death Metal einen ersten Meilenstein bescheren. Wie der Bandname schon andeutet, sind sie es auch, die Veganismus und Tierschutz mit einer Vehemenz auf die Tagesordnung bringen, die ihrem Sound gebührt. Auch Maik Weichert erreichen sie damit: “Ich war schon immer ein sehr politischer Mensch, und da hat sich für mich in der Metal-Szene wenig getan. Du hattest Napalm Death, Bolt Thrower, Kreator und Carcass, dann wurde es aber auch schon relativ dünn. Da hat man sich natürlich Bands zugewandt, die auch Brutalität und Kompromisslosigkeit versprühten – aber in einer politischen Dimension. Als ich das erste Mal einen Earth-Crisis-Song vor die Fresse geknallt bekommen habe, war das schon krass. Das war nicht der Hardcore, den ich von meinen Kumpels kannte – etwa Youth Of Today und Minor Threat –, der für mich als Death-Metal-Fan eher Punk war.“ Weichert, der 1996 zusammen mit dem Schlagzeuger Matthias Voigt im thüringischen Saalfeld Heaven Shall Burn gründet, betont zudem die Bedeutung der heute eher wenig beachteten belgischen Szene: “Wir haben angefangen, Musik zu machen, weil wir Liar und Congress geil fanden. Deshalb klingen wir auch so, wie wir klingen. Da war von Metalcore noch gar keine Rede, das war im Prinzip purer Metal mit Augenzwinkern von Hardcore-Kids.”

Parkway Drive entstehen zwar erst 2003, doch auch sie sind Hardcore-Kids, die allerdings unter der strahlenden Sonne im australischen Byron Bay surfen. Mit dem an Metallica und Machine Head geschulten Gitarristen Jeff Ling holen sie sich jemanden in die Probegarage, der sein Instrument “ordentlich beherrscht”, um auszuloten, was da noch gehen könnte. Die musikalische Annäherung kommt bei den Sonnyboys also aus einer anderen Richtung, ganz wie Weichert sieht aber auch McCall die Inhalte als wichtiges Erbe aus dem Hardcore: “Den meisten Bands ging es um Protest, um bestimmte Themen. Die Texte waren wenig abstrakt und in den Überzeugungen verwurzelt. Sie wollten Veränderungen. Das hat sich für mich im Metalcore fortgesetzt, nur eben vor einem anderen musikalischen Hintergrund. Das ‘-core’ darin bezieht sich für mich genau darauf, nicht auf Beatdowns oder Two-Step-Passagen.”

New England Wave Of Heavy Metal

Etwa 16.000 Kilometer Luftlinie von Byron Bay entfernt liegt die Wiege für den Hype, den Metalcore in den 00er Jahren erleben wird: In Massachusetts an der Ostküste der Vereinigten Staaten wird nicht nur am MIT in Boston an Revolutionen gearbeitet, sondern auch in den Proberäumen der Bands Overcast und Aftershock. Sie selbst erreichen zwar keine größere Popularität, nach ihrer Auflösung entsteht allerdings aus ihren Mitgliedern die Band, die mit ihrer Mischung aus harten, an Thrash-, Death- und Heavy Metal geschulten Gitarren-Riffs, Hardcore-Spirit sowie Gebrüll in den Strophen und maximaler Eingängigkeit in den Refrains die Blaupause für das nächste große Ding legt: Killswitch Engage.

Auch bei ihnen sind die Einflüsse der einzelnen Musiker bunt gemischt, wie Gitarrist Adam Dutkiewicz erklärt: Er selbst kommt durch seinen Bruder zu Punk und Hardcore, bevor er sich den musikalisch anspruchsvolleren Metal-Bands zuwendet, Bassist Mike D’Antonio “ist definitiv der Hardcore-Typ”. Sie alle teilen eine Vorliebe für Melodien, was bereits auf dem unbetitelten Debüt von 2000 deutlich zu hören ist. Produziert hat es der am Berklee College of Music ausgebildete Dutkiewicz selbst, der damals noch am Schlagzeug sitzt. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich diesen Vermerk im Booklet verdient, bereits das 1997 veröffentlichte Debüt “Somber Eyes To The Sky” von Shadows Fall trägt seine Handschrift. Diese Band ist ein gutes Beispiel für das, was Ende der 90er in New England passiert: Gegründet wurde sie vom ehemaligen Aftershock-Gitarristen Matt Bachand. Nachdem deren erster Sänger die Band verlässt, steigt der auch auf dem Debüt zu hörende Philip Labonte ein. Aufgrund persönlicher und künstlerischer Differenzen wird dieser wenig später aus der Band geworfen und gründet All That Remains, die in Sachen Pop-Appeal später sehr nah an Killswitch Engage herankommen und deswegen gerne auch zur Kategorie Melodic Metalcore gezählt werden. Neuer Sänger von Shadows Fall wird Brian Fair, zuvor bei Overcast und der Mensch mit den beeindruckendsten Dreadlocks im Metal. Dutkiewicz erinnert sich an die Stimmung in jenen Jahren: “Wir sind in einer Zeit groß geworden, die ziemlich cool für Bands wie uns war. Es gab diese tolle Szene in New England. Viele Bands, die einander unterstützt haben, viele DIY-Shows. Es hat geholfen, dass dieser Hardcore-Metal-Sound plötzlich so viel Aufmerksamkeit bekommen hat.”

Aufmerksamkeit bekommen Killswitch Engage unter anderem von Roadrunner, damals Label-Heimat von Slipknot, aber auch Nickelback. Obwohl in Dutkiewicz & Co. noch das Punk-Herz schlägt, unterschreiben sie – aus ganz pragmatischen Gründen: “Wir hatten alle noch die Einstellung: ‘Fuck the man!’, DYI, es geht um die Musik! Wenn man aber genauer darüber nachdenkt, gibt es keine bessere Möglichkeit, seine Musik und Message zu verbreiten als mit einem Label im Rücken. Daher haben wir gesagt, dass wir dem eine Chance geben. Wenn es dann nicht funktioniert, haben wir es wenigstens versucht.” Ihre DIY-Attitüde geben sie dabei aber nicht auf und lassen in den Vertrag schreiben, dass D’Antonio das Artwork betreut. Selbstverständlich übernimmt Dutkiewicz auch die Produktion des nächsten Albums “Alive Or Just Breathing”, das die Band von Oktober 2001 bis Februar 2002 in den Zing Studios in Westfield, Massachusetts, aufnimmt. Außerdem bringt er das Material für den Mix und das Mastering persönlich nach Großbritannien zu Andy Sneap, der zuvor unter anderem für Kreator, Machine Head, Testament und Obituary gearbeitet hat.

“Alive Or Just Breathing” erscheint am 12. Mai 2002 und wird allerorten euphorisch aufgenommen – und das nicht nur, weil es eine willkommene Abwechslung zum Nu Metal darstellt, der zu diesem Zeitpunkt gerade den Zenit seiner Popularität überschritten hat und ohnehin keinen besonders guten Ruf mehr genießt. Zwar machen auch Killswitch Engage, die etwa laut dem einflussreichen britischen Kerrang!-Magazin “out to kill nu-metal” sind, etwas Neues, aber bei ihnen ist das Bekenntnis zu Metal ganz offensichtlich, geradezu versöhnlich. Auch Bands wie Unearth, ebenfalls aus Massachusetts, verdienen sich mit ihren ebenfalls von Dutkiewicz produzierten Alben “The Stings Of Conscience” (2001) und “The Oncoming Storm” (2004) nicht zuletzt dank Flitzefinger Buz McGrath an der Lead-Gitarre das Wohlwollen gestandener Metalheads – oder wie es Weichert ausdrückt: “Was hatte jemand, der Mitte der 90er At The Gates geil fand, in den 2000ern? Der hat sich Undying oder Shadows Fall angehört, was Derivate aus völlig anderen Musikrichtungen waren, die das aber aufgegriffen haben.”

Positiver Spin

Die Songs von “Alive Or Just Breathing” schlagen Wellen: Das Video zu “My Last Serenade” läuft auf MTV, und in der ersten, von Metallica höchstpersönlich moderierten Episode des 2003 auf dem Sender gestarteten Metal-Formats “Headbangers Ball” (das später Hatebreed-Sänger Jamey Jasta moderieren wird) ist “Fixation On The Darkness” zu sehen. Diese Anschlussfähigkeit an die Metal-Szene ist es, die es Bands wie Killswitch Engage und Shadows Fall ermöglicht, 2003 auch auf der Ozzfest Tour mitzufahren. Durch eine andere populäre Festival-Tour kommen Anfang der 2000er auch eher dem Punk zugeneigte Fans in Berührung mit Metalcore: Auf der Vans Warped Tour sind unter anderem From Autumn To Ashes, Bleeding Through, Zao und Bands wie The Used, Silverstein oder Underoath zu sehen, von deren Post-Hardcore es nur ein Katzensprung zum Metalcore ist.

“Das ist es doch, was Metal an sich am Leben erhält: dass es immer wieder neue Lavawalzen gibt, die aus dem Erkalteten ausbrechen und losrollen, ohne dass die Wurzeln verleugnet oder unpopulär werden”, so Maik Weichert. “Maiden sind nach wie vor die geilste Band der Welt, da gibt es ja keine Diskussion. Dennoch war Metalcore eine Vitalitätsspritze für den Metal insgesamt, die dann wieder noch jüngeres, noch neueres Publikum rangebracht hat.” Zusätzlich führt er den Hit-Appeal von etwa Killswitch Engage als Grund an, warum Metalcore in Sachen Popularität explodiert ist. Hinzu kommt etwas, das Dutkiewicz hervorhebt: “Ich glaube, die Leute hatten genug von Metal-Songs über Nekrophilie und solchen Kram. Dem einen positiven Spin zu verpassen, macht die Musik besonders. Außerdem sind wir eben so. Ich denke, es ist gut, Dinge von sich selbst in der Musik preiszugeben.” Der Refrain von “Fixation On The Darkness” ist ein gutes Beispiel für das, was er meint: “Return to the womb, new life/ Lay your head to rest, mercy/ To give you a peace of mind/ Lay your head to rest.”

Winston McCall bringt die Faszination auf den Punkt, die einen guten Metalcore-Song ausmacht: “Wenn jemand diese Inhalte richtig gut singt, hast du eine Kombination, die auf unterschiedlichen emotionalen Ebenen trifft. Die harte, schnelle Musik beschleunigt deinen Herzschlag, du kannst dich mit den Texten identifizieren, und es gibt dir dieses ursprüngliche Gefühl, etwas kaputt hauen zu wollen. Es ist so eine gute Art, Energie loszuwerden.” Diese Energie ist es, die sich bei Konzerten in Moshpits, Wall of Deaths und Circle Pits entlädt, besonders bei den nahezu obligatorischen tiefer gestimmten, meist langsamen Breakdowns in den Songs. Woher dieses kompositorische Element kommt, ist – wie so vieles rund um Metalcore – umstritten. Manche führen Black Sabbaths “Sabbath Bloody Sabbath” ins Rennen, andere Gorilla Biscuits‘ “Start Today”, “Banned In D.C.” von den Bad Brains oder “Domination” von Pantera. Unumstritten ist, dass die durch sie verursachten liebevollen Kollisionen von verschwitzten Körpern besondere Momente sind – ebenso wie solche, die McCall mit hörbarer Begeisterung zeichnet: “Du konntest auf die Bühne springen, dir das Mikro schnappen, alle werfen sich auf einen Haufen und singen diese Worte, die so viel bedeuten. Und dann gehst du stagediven. Es gibt keine Barrieren, sondern eine unfassbar starke Verbindung.”

Alive And Breathing

Die erste Hälfte des Jahrtausends läuft es also prächtig für Metalcore. Zwar verlässt Sänger Jesse Leach aufgrund von Depressionen Killswitch Engage, mit Howard Jones findet die Band aber einen würdigen Nachfolger und heimst für den Titelsong ihres dritten Albums “The End Of Heartache” (2004) eine Grammy-Nominierung ein. Bands wie As I Lay Dying, Avenged Sevenfold, Trivium und Bullet For My Valentine sind mit ihrem so brutalen wie hymnisch-melodischen Sound nicht zuletzt beim jüngeren Publikum beliebt.

Auch in Deutschland entsteht eine vitale Szene rund ums Label Lifeforce, das bereits 1997 mit Day Of Sufferings “The Eternal Jihad” “das ‘Reign In Blood’ des Metalcore” (O-Ton Maik Weichert) veröffentlicht und zu dem Heaven Shall Burn – die 2004 mit “Antigone” eher unterbewusst auf der Welle mitschwimmen, aber dennoch an Popularität in den USA gewinnen –, Caliban, Fear My Thoughts oder auch Narziss gehören. Dennoch stößt das Genre nicht überall auf Gegenliebe, insbesondere bei Metal-Puristen: “Da steckt einfach so viel Tradition im ‘echten’ Metal”, sagt Weichert. “Und das wird immer so sein. Mir ist das auch sehr wichtig. Wenn ich selbst Death Metal höre, will ich keinen Gesang. Das soll reine Aggression sein, kranke, harte, brutale Riffs.”

McCall formuliert wiederum ein anderes Problem, das sich mit der explodierten Popularität bemerkbar macht: “Es gab so viele Bands, die genau dasselbe gemacht haben. Du konntest irgendeinen Namen auf irgendeinen Song packen. Es wurde komplett austauschbar: geschriene Strophen, zuckrige, pop-punkige Refrains, einfache Breakdowns. Wieder und wieder.” Wie beim Vorgänger-Hype wird auch die neue Musikrichtung der Stunde kommerziell gemolken, bis gar nichts mehr geht. Mit einem großen Unterschied: Während Nu Metal jenseits von Ausnahmen wie Korn und vielleicht Papa Roach eine Erzählung der Vergangenheit ist, existiert Metalcore noch heute als lebendiges Genre weiter.

Diese Langlebigkeit dürfte auch etwas mit dem vermeintlichen Sündenfall des Genres zu tun haben: Gegen Ende der 2000er stagniert Metalcore nicht nur musikalisch, manche Bands biedern sich zudem Mainstream und Kommerz an. Sinnbildlich dafür steht ein Video, das 2009 erscheint und von der Szene-Webseite Metal Injection folgendermaßen vorgestellt wird: “Did Attack! Attack! Just Put Out The Worst Song/Video Ever?” Gemeint ist der Clip zu “Stick Stickly”, der eine junge Band aus Ohio zeigt, die in viel zu engen Röhrenjeans und mit schwarz gefärbten, toupierten, über die Augen fallenden Haaren zuckrigen Gesang, Gekeife und Trance-Synthies in einen Song stopft. Ihr Gitarrist Andrew Whiting geht dazu seltsam breitbeinig in die Hocke – der Schmähbegriff “Crabcore” ist geboren.

Attack! Attack! stehen stellvertretend für die “Scene”-Jugendkultur, die insbesondere durch das soziale Netzwerk Myspace enorm populär geworden ist. Deren Anhänger sehen aus wie eine lebensbejahendere Version der Kids, die sich in dieser Zeit als Emos bezeichnen, hören aber statt Bands wie My Chemical Romance eher Crunkcore à la Brokencyde, also Rave-Musik mit Geschrei. Vermeintlich liegen die beiden angesagten Geschwister-Szenen miteinander im Clinch, tatsächlich können sie sich auf ein paar Bands mit Wurzeln in Hardcore und Metal einigen und tragen so dazu bei, dass diese weiter Gehör finden – wenngleich die Vorgängergenerationen nichts mehr damit anfangen können. Acts wie The Devil Wears Prada, Asking Alexandria und Black Veil Brides werden jenseits der “Scene” mit Grauen betrachtet und nur widerwillig mit dem Metalcore-Label versehen, wecken aber bei ihren trendbewussten jungen Fans auch Neugier darauf, was hinter dem Begriff noch an harter Musik wartet. Ehemalige Mitglieder von Attack! Attack! leben es vor: So trägt etwa deren Ex-Sänger Austin Carlile, gegen den 2020 Vergewaltigungsvorwürfe erhoben werden, entscheidend zur Popularität von Of Mice & Men bei, die heute ernstzunehmenden Metalcore spielen. Auch der ehemalige Attack!-Attack!-Sänger Caleb Shomo ist mit Beartooth noch heute eine relevante Figur im Genre.

Noch eine weitere Genre-Spielart bekommt nicht zuletzt dank Myspace die Aufmerksamkeit vieler Jugendlicher: Death­core, also die rabiatere, auf traditionellem Death Metal basierende Form von Metalcore, steht Ende der 00er Jahre dank Bands wie Suicide Silence, Whitechapel und Bring Me The Horizon hoch im Kurs. Letztere sind ein gutes Beispiel dafür, wie sich Genregrenzen transzendieren lassen: 2013 veröffentlichen die Briten mit “Sempiternal” ein atmosphärisch dichtes Album zwischen Metalcore und Pop, zu dem der neu hinzugekommene Keyboarder Jordan Fish einen entscheidenden Beitrag leistet. Auch danach zieht es die Band weiter in Richtung Mainstream, ironischerweise greift sie dafür auch auf Elemente aus dem Nu Metal zurück, der die Musiker maßgeblich geprägt hat.

Bring Me The Horizons Heimat Großbritannien gehört gleichzeitig dank Kollegen wie Architects, Bury Tomorrow, While She Sleeps und Bleed From Within heute mit zu den Bastionen eines “klassischen” Metalcore, der auf den Eckpfeilern Härte, Melodie und Emotionen steht. Auch am anderen Ende der Welt zeigt sich das Genre vital: In Australien sind es unter anderem Polaris, In Hearts Wake, Northlane, Void Of Vision und Thornhill, die Metalcore weitertragen und ihm neue Facetten hinzufügen. McCall dürfte recht haben, wenn er das auf den Erfolg zurückführt, den Parkway Drive 2007 mit “Horizons” in ihrer Heimat hatten, und auf die unzähligen Shows, die sie zu dieser Zeit unter anderem in High-Schools spielten: “Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir ein Mitglied dieser Bands irgendwann erzählt hat, dass eine ihrer ersten Liveerfahrungen eine Parkway-Drive-Show war. Du vergisst die Musik aus dieser Zeit deines Lebens nicht. Für mich waren es Pennywise, Blink-182, Surf-Punk und die Warped Tour, für sie war es Metalcore und mit deinen Freunden zu Parkway Drive zu gehen und zum ersten Mal zu stagediven.”

Auch Weichert, dessen Heaven Shall Burn sich mit ihrem aktuellen Doppelalbum “Of Truth And Sacrifice” (2020) experimentierfreudig und zugleich sattelfest gezeigt haben, macht sich keine Sorgen um den Nachwuchs: “Als das vor ein paar Jahren wieder eher in diesen kaputten Sound abgedriftet ist, so mit Code Orange und Knocked Loose, das fand ich wahnsinnig spannend. Die haben wieder ordentlich Aggressivität reingebracht und auch Innovation.” Angesichts des Erfolgs, den etwa Parkway Drive genießen, und dem Umstand, dass Killswitch Engage ebenfalls noch da sind, seit 2012 sogar wieder mit Jesse Leach am Mikro, stimmt Adam Dutkiewicz zu: “Metalcore ist quicklebendig.”


Dossier: Metalcore
Im Schmelztiegel

Inhalt

  1. Metalcore: die History – Schluss mit Nekrophilie
  2. Metalcore: die Album-Highlights – Der harte Kern

Der harte Kern

Unbroken Life. Love. Regret.

VÖ: 1994 | Label: New Age
Unbroken - Life. Love. Regret.

Fünf smarte Jungs aus San Diego taufen 1991 ihre Band Unbroken, um ihre Verbundenheit mit der Straight-Edge-Szene zu demonstrieren. Ihr Sound steht dem der Ostküste nahe, dem der bulligeren New Yorker Hardcore-Bands wie Judge, War Zone oder Cro-Mags. Unbroken aber nehmen das Tempo raus. Sie wollen klingen wie eine Straight-Edge-Band, die sich Slayers “South Of Heaven” vornimmt. Auf “Ritual” von 1993 sind sie noch nicht am Ziel angekommen, erst das düstere “Life. Love. Regret.” weist den Weg zu dem, was wir heute Metalcore nennen. Es ist – ketzerisch formuliert – mittelmäßig produzierter Death-Thrash. “In The Name Of Progression” kokettiert gar mit einem kurzen Blastbeat. Dazu passen die gesellschaftskritischen Inhalte, “Razor” geht so weit, sich via Suizid “denen da oben” zu verweigern. Gitarrist Eric Allen stirbt 1998 tatsächlich auf diese Weise, drei Jahre nach dem Ende der Band. Die anderen erfinden sich musikalisch neu in Bands wie Kill Holiday, Swing Kids, Over My Dead Body, Some Girls und Narrows.
Jan Schwarzkamp


Earth Crisis Destroy The Machines

VÖ: 1995 | Label: Victory
Earth Crisis - Destroy The Machines

Ihre große Hymne “Firestorm” haben sie 1995 längst auf die Hardcore-Szene losgelassen, dennoch läuten Earth Crisis mit ihrem Debütalbum “Destroy The Machines” in jenem Jahr eine neue Ära ein. Die Band aus Syracuse, New York steht in der Tradition des NY Hardcore und der Youth-Crew-Bewegung, trägt aber neben einer radikalen Vegan-Straight-Edge-Mentalität auch als eine der ersten mit Riffs à la Slayer und Sepultura den Metal in die Szene. Mit seinen 34 Minuten Spielzeit und relativ roher Produktion ist “Destroy The Machines” noch einfacher gestrickt als das, was sich später unter dem Banner Metalcore entwickeln soll. Die heavy groovenden Riffs und eine Härte und Aggression, die weniger im Zeichen des Punk denn des Metal stehen, unterscheiden das Album jedoch klar von Zeitgenossen. Nebenbei sind Earth Crisis so maßgeblich am Aufstieg des Labels Victory beteiligt. In den folgenden Jahren öffnet sich die Band zunehmend dem Metal, trotz zwischenzeitlichem kommerziellen Erfolg ist sie aber selten besser als hier.
Christina Wenig


Morning Again As Tradition Dies Slowly

VÖ: 1998 | Label: Revelation
Morning Again - As Tradition Dies Slowly

“As Tradition Dies Slowly” ist das einzige Album, das Morning Again in den vier Jahren ihrer Existenz zustande bringen. Auch, weil die Jahre 1995 bis 1999 von endlosen Besetzungswechseln bestimmt sind – vor allem mit der Schwester-Band Culture. Zuhause zwischen Gainesville, Cooper City und Fort Lauderdale im schwülen Florida, richten sich die veganen Straight Edger gegen die Regierung. Nach den ersten fünf Singles ist das Line-up stabil genug für ein Album. Das New Yorker Traditionslabel Revelation hat Bock auf die Band, “As Tradition Dies Slowly” wird eine der heaviesten, metallischsten Platten im Katalog. Der charismatische Sänger Damien Moyal (auch As Friends Rust, Shai Hulud u.a.) ist da schon nicht mehr Teil der Band, dafür Kevin Byers, der heiser keift und giftet. Die Band zimmert ihm ein Metal-Brett aus Death, Thrash und Breakdowns, das irgendwo zwischen Unbroken und Earth Crisis pendelt. 2018 gibt es mit der EP “Survival Instinct” nach 19 Jahren Release-Pause tatsächlich Nachschub.
Jan Schwarzkamp


Cave In Until Your Heart Stops

VÖ: 1998 | Label: Hydra Head
Cave In - Until Your Heart Stops

Künstlerisch gesprochen hat Stephen Brodsky den Arsch offen – bei Mutoid Man, als Stammgast im Two Minutes To Late Night-Ensemble und freilich bei Cave In: Auf seinem Debüt fabriziert das Quartett aus Massachusetts Metal mit Attitüde, Wahnsinn, Twin-Guitars, Geriffe, Doublebass und überbordender Musikalität. “Terminal Deity” und “Juggernaut” lehren jeder damals amtierenden Thrash-Band, was mit Leidenschaft möglich wäre – auch Slayer. Wie ein wildgewordener Haufen Kinder im Spielzeuggeschäft klingen Cave In auf “Until Your Heart Stops” – keine Scheu vor gar nichts, und Gitarrist Brodsky, der vor den Aufnahmen eher versehentlich zum Sänger wird, brilliert auch als Schreihals. Alleine in den acht Minuten von “The End Of Our Rope Is A Noose” ändern Cave In ihren Horizont gleich mehrmals, ohne auch nur ansatzweise verwirrt zu wirken. Ihr Ausflug zum Major-Label RCA bringt 2003 große Songs und kaum Erfolg. 2018 stirbt Bassist Caleb Scofield nach einem Verkehrsunfall. Thronfolger: Nate Newton (Converge).
Michael Setzer


Zao Where Blood And Fire Bring Rest

VÖ: 1998 | Label: Solid State
Zao - Where Blood And Fire Bring Rest

Man muss sich durch eine Menge Schmerz graben, um den religiösen Kern des dritten Zao-Albums zu finden. Auf den beiden Vorgängern preist Sänger Shawn Jonas unumwunden den Herrn, was der Band einen Vertrag mit dem frisch gegründeten, auf christlichen Hardcore spezialisierten Label Solid State einbringt. Ungünstig, dass 1997 ein Exodus Zao erfasst, nach dem nur Schlagzeuger und Gründer Jesse Smith übrig ist. Um den Moment nicht zu verspielen, besetzt er rasch nach, was den Stil entscheidend justiert. Wo Gitarrist Brett Detar (später The Juliana Theory) den rumpeligen Hardcore mit Metal aufraut, quält sich der neue Sänger Dan Weyandt durch Verluste in seinem Umfeld. Und das mit einem derart infernalischen Geschrei, dass letzte Referenzen an das Christentum kaum noch zu verstehen sind. “Where Blood And Fire Bring Rest” ist brachial bis zum siebenminütigen Finale “Violet”, in dem lediglich ein Piano über sphärisches Brodeln schwebt. Damit haben sich Zao vom Stigma des Christencore befreit und das gesamte Genre beeinflusst.
Sebastian Berlich


Botch We Are The Romans

VÖ: 1999 | Label: Hydra Head
Botch - We Are The Romans

So etwas wie Botch passiert, wenn Hardcore-Bands Humor und Pedalboards für sich entdecken. Etwa zeitgleich mit The Dillinger Escape Plan und Coalesce machen die Seattler die Szene mit ungeraden Taktarten, vertrackten Songstrukturen und unverschämt langen Songtiteln bekannt. Das Ziel: sich vom testosterongeladenen Sound der Marke Victory und Revelation abgrenzen, der zu dieser Zeit den Markt überschwemmt und Hardcore mit dem Vorschlaghammer praktiziert. Das Ergebnis: Mathcore. “We Are The Romans”, Botchs zweites und bereits letztes Album, ist voller chaotischer Irrpfade, die in sich dennoch schlüssig sind. Mit wahnwitzigen Tempo- und Taktwechseln, einem Gespür für elektrisierende ruhige Momente und effektüberlagertem Riffing zeigt sich die Band ebenso von Art- und Noise-Rock wie Hardcore beeinflusst. Man ist eben nicht nur aggressiv, sondern auch clever. Nach Botch überschreiten die Bandmitglieder bei These Arms Are Snakes, Roy, Minus The Bear, Sumac und Russian Circles weiter Genregrenzen.
Christina Wenig


Coalesce 0:12 Revolution In Just Listening

VÖ: 1999 | Label: Relapse
Coalesce - 0:12 Revolution In Just Listening

Schon im Opener “What Happens On The Road Always Comes Home” bulldozert sich das Quartett aus Kansas schamlos und fast funky an Black Sabbath ran, wie sich das zu diesem Zeitpunkt allenfalls Eyehategod trauen. Klare Pöbelei an die Hörerschaft, die noch mehr Math und noch mehr Brutalität von ihrer Lieblingsabrissbirne erwartet hätte. Das bekommen sie auch, doch Coalesce verdichten das auf ihrer dritten Platte zu einem kompakten Faustschlag – ins eigene Gesicht. Zum Zeitpunkt der Aufnahmen sind sie bereits ein völliger Sauhaufen, zerstritten und kaum gemeinsam im Studio anzutreffen. Drummer James Dewees kümmert sich lieber als Keyboarder um den Emopunk von The Get Up Kids, Bassist Nathan Ellis tourt mit The Casket Lottery. Gitarrist Jes Steineger hört den Gesang von Sean Ingram erstmals, als die Platte gerade gepresst wird. So klingt Entfremdung, so klingt Wut und so klingt eine Band, kurz bevor sie implodiert. Vier Reunions später sind Coalesce noch immer ein streitsüchtiger Sauhaufen.
Michael Setzer


Poison The Well The Opposite Of December

VÖ: 1999 | Label: Trustkill
Poison The Well - The Opposite Of December

Die Veröffentlichung im Dezember 1999 hat Symbolcharakter: Kurz vor Anbruch des neuen Jahrtausends zeigen Poison The Well, was mit metallischem Hardcore möglich ist, wenn sich Härte, Melodien und Technik nicht ausschließen. Mit “The Opposite Of December” befindet sich die Band noch klar im DIY-Modus, der Sound ist dreckig, der Refrain des kleinen Hits “Nerdy” wackelt, Spoken-Word-Passagen sind noch keine selbstsicheren Manifeste, sondern werden engagiert gemurmelt. Der Stil ist in Bewegung, nichts klingt hier abgebrüht. Stattdessen strahlt die Band eine gewinnende Naivität aus, was auch an den persönlichen Texten liegt, die Jeff Moreira so schön schreit wie nie wieder in seiner Karriere. Ihren Breakdowns verpassen Poison The Well damit ein emotionales Gegengewicht, das die Zukunft des Genres prägt. “The Opposite Of December” selbst ist mit seinen punkigen (“Slice Paper Wrists”) und ambitionierten (“To Mandate Heaven”) Momenten in der Entstehungszeit verankert – und damit bis heute charmant.
Sebastian Berlich


The Dillinger Escape Plan Calculating Infinity

VÖ: 1999 | Label: Relapse
The Dillinger Escape Plan - Calculating Infinity

Wenn Hardcore per Definition zum Kern der Sache vordringt, dann ist “Calculating Infinity” die vollzogene Kernspaltung. Auf ihrer ersten Platte betreiben Dillinger Escape Plan die Neuordnung musikalischer Gesetze, und das mit im Hardcore-Punk verpöntem Metal-Scheiß: Handwerklichkeit. Das Ergebnis ist – trotz Avantgarde, Prog und mathematischer Präzision – pure Energie, eine Splitterbombe. Ob “43% Burnt”, “Variations On A Cocktail Dress”, das Drum’n’Bass-lastige “Weekend Sex Change” oder das zermürbende Titelstück, das Quintett aus New Jersey gibt Rock’n’Roll die Gefahr zurück – heavy, kleinteilig, verspielt und wendig, und zwar ohne dabei Testosteron zu kotzen. Auf “Calculating Infinity” ist noch der ursprüngliche Sänger Dimitri Minakakis zu hören, Bassist Adam Doll leider nicht: nach einem Unfall gelähmt, übernimmt Gitarrist Ben Weinman hier auch den Bass. 20 Jahre lang währt diese musikalische Massenschlägerei von Physiknobelpreisträgern auf Speed, 2017 löst sich die Band auf. Die Radikalität bleibt.
Michael Setzer


Converge Jane Doe

VÖ: 2001 | Label: Equal Vision
Converge - Jane Doe

Auf ihrer vierten Platte erfinden Converge nicht nur sich selbst neu, sondern gleich ein ganzes Genre. Die Zeiten sind schwierig zwischen Metal und Hardcore, oft bleibt beides auf der Strecke oder ersäuft in dumpfem Machismo. Converge reiben sich auf dem Vorgänger “When Forever Comes Crashing” ebenfalls zwischen den Polen auf, mit “Jane Doe” findet das (damalige) Quintett aus Boston den Mut, über sich selbst und Genres hinauszuwachsen. Frisch verstärkt durch Bassist Nate Newton und Drummer Ben Koller, erlebt Hauptsongwriter Kurt Ballou neuen Kreativgeist im Camp – mehr Experimente, mehr Anspruch, mehr Kunst und mehr Poesie. Laute Selbstermächtigung. „Eine Platte machen, die die Hardcore-Kids hassen werden“, sagt Newton später. Klappte nicht, Hardcore und die Kids sind an “Jane Doe” gewachsen. Spätestens in den elf Minuten des ergreifenden Titelstücks ist die Sache durch: Meisterwerk. “Jane Doe” ist “My War” von Black Flag und Schwedischer Death Metal weitergedacht. Game Changer nennt man das.
Michael Setzer


From Autumn To Ashes Too Bad You’re Beautiful

VÖ: 2001 | Label: Ferret
From Autumn To Ashes - Too Bad You’re Beautiful

Wenige Bands werfen Hardcore, Metal, Screamo und viel zu viele Gefühle so schön durcheinander wie From Autumn To Ashes. Mit ihrem von Adam Dutkiewicz produzierten Debüt treffen sie voll ins Herz aufgewühlter Jugendlicher und Junggebliebener. Das Chaos auf “Too Bad You’re Beautiful” kann dabei schon etwas viel werden, macht das Album aber besonders – wie auch der gerne mal schiefe, aber immer leidenschaftliche Klargesang von Schlagzeuger Francis Mark. Sei es ein irrwitziger Heavy-Metal-Song wie “Cherry Kiss” oder ein Hardcore-Hit wie “The Royal Crown -Vs.- Blue Duchess”, From Autumn To Ashes wissen genau, was sie tun, auch wenn es nicht immer den Anschein hat. Das zeigen sie auch auf den etwas geordneteren Folgealben. 2009 kündigt die Band eine Pause auf unbestimmte Zeit an, 2015 wird ihre Reunion-Tour unterbrochen, weil Mark sich für Drogendelikte verantworten muss. Die Band ist bis heute aktiv und hat laut Gitarrist Jeff Gretz auch neue Songs geschrieben. Ob die jemals veröffentlicht werden, ist offen.
Stefan Reuter


Hatebreed Perseverance

VÖ: 2001 | Label: Universal
Hatebreed - Perseverance

Kontinuität hat einen Namen: Bei Hatebreed weiß man, was man bekommt. Was immer man auch an den „AC/DC des Metalcore“ aussetzen mag – es ist immer ein hochkonzentriertes Filtrat dessen, was US-Hardcore-Punks wie Agnostic Front und Sick Of It All seit den 80ern und Adepten wie Biohazard und Madball im Jahrzehnt darauf auf die globale Musikszene loslassen. Und das klingt auf “Perseverance”, dem ersten Album auf einem Majorlabel, richtig gut. Die Band aus Connecticut definiert hier auf Jahre hinaus, wie sie mit schweren Breakdowns, dem Hardcore-Gebell von Jamey Jasta und wilden Thrash-Sprints die Circle-Pits weltweit am Rotieren hält. Produzent Matt Hyde verantwortet ein Jahr zuvor den Sound von Slayers “God Hates Us All”. Der trockene, direkte Mix dort fällt vom selben Baum wie Hydes Arbeit für Hatebreed wenig später. Sänger Jasta nimmt heute regelmäßig Kurzurlaub von seinen sicheren Aktien bei Hatebreed, sei es beim Doom-Projekt Kingdom Of Sorrow mit Kirk Windstein oder auf Soloplatten.
Martin Iordanidis


Killswitch Engage Alive Or Just Breathing

VÖ: 2002 | Label: Roadrunner
Killswitch Engage - Alive Or Just Breathing

“Alive Or Just Breathing” ist eine Zäsur: Vorher wuchert das Genre im Underground, danach hat es eine klare Identität im Metal-Mainstream. Mit ihrem zweiten Album stoßen Killswitch Engage auf die hierfür entscheidende Formel, als sie Metalcore klanglich polieren, mit Melo-Death-Riffs aufpäppeln und dazu hymnische Refrains schreiben. In die wirft sich Jesse Leach mit einem entschlossenen Pathos, dass die tatsächlichen Zweifel an seiner Rolle als Sänger kaum zu erahnen sind. Selbst Plattitüden wie der titelgebenden Frage ringt er eine auf dem Papier undenkbare Intensität ab, geht zudem auf jeden Stilwechsel ein, den Mastermind Adam Dutkiewicz in den damals noch enorm flexiblen Songs platziert. Der avanciert parallel zum Hofproduzenten des Genres, was den Einfluss der Band festigt. Diesen Aufstieg stoppt auch Leachs Ausstieg auf der folgenden Tour nicht. Mit dem ähnlich charismatischen Howard Jones (Blood Has Been Shed) gelingen zwei Alben auf Augenhöhe, mittlerweile pausen Killswitch Engage bei sich selbst ab.
Sebastian Berlich


Norma Jean Bless The Martyr And Kiss The Child

VÖ: 2002 | Label: Solid State
Norma Jean - Bless The Martyr And Kiss The Child

Stilistisch wurzeln Norma Jean in den 90ern, beim chaotischen Krach von Botch oder Converge und dem Christencore des Labels Solid State. Dennoch ist “Bless The Martyr And Kiss The Child” klar in der Gegenwart verortet. Dass Produzent Adam Dutkiewicz die Band im Studio live spielen lässt, hilft dabei sicherlich, zugleich belegt er die Songs mit knirschendem Feedback. So entsteht eine unangenehme Atmosphäre, in die sich das aufreibende Songwriting wunderbar fügt. Die dissonanten, hektisch ausschlagenden Riffs erinnern an Mathcore, Norma Jean entfalten jedoch eine hypnotische Schwere, wie sie zeitgleich nur Post-Metal-Bands gelingt. Diese Trademarks lassen das Album wie aus einem Guss scheinen, obwohl sich hier mit dem knappen Brecher “Shotgun Message” und dem 15-minütigen, repetitiven “Pretty Soon I Don’t Know What But Something Is Going To Happen” deutlich verschiedene Ansätze im Songwriting finden. Spätere Alben stellen diese Dynamik stärker aus, die klaustrophobische Dichte des Debüts ist unerreicht.
Sebastian Berlich


Avenged Sevenfold Waking The Fallen

VÖ: 2003 | Label: Hopeless
Avenged Sevenfold - Waking The Fallen

Nüchtern betrachtet besitzen Avenged Sevenfold aus Orange County genauso viel Lokalkolorit wie miesepetriger Schlechtwetter-Core aus New York. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass im wilden Genre-Mix der kalifornischen Paradiesvögel meist die Sonne scheint. Abgekürzt A7X, brettert das Quintett in der Frühphase in doppelter Geschwindigkeit durch den Album-Kanon von Iron Maiden. Unterwegs stopft sich “Waking The Fallen” auch sonst alles in die Taschen, was nach frühem Melodic Metal riecht. Die charakteristisch großen Chöre der Band unterlegt Sänger M. Shadows wahlweise mit Hardrock-Gesang oder Core-typischen Shouts in den tieferen Registern. Ihre optisch zuweilen überbetonten L.A.-ismen verzeiht die Metalcore-Welt der Band am liebsten dann, wenn die Gitarristen Synyster Gates und Zacky Vengeance Mucker-Lorbeer aus der Community einheimsen – was regelmäßig passiert. Mit exzellenten Produktionen strecken sich A7X immer weiter Richtung Mainstream, der spätestens 2010 mit “Nightmare” gekapert ist.
Martin Iordanidis


Chimaira The Impossibility Of Reason

VÖ: 2003 | Label: Roadrunner
Chimaira - The Impossibility Of Reason

Chimaira debütieren 2001 auf Roadrunner, als der Name des Labels synonym für Nu Metal steht. Stilistisch passt das leider zu gut, zitiert der Neuzugang doch unentschlossen die großen Bands des Labels. Zwei Jahre später setzt Roadrunner seine Hoffnung auf Metalcore, auch davon lassen sich Chimaira inspirieren. Bei einer Kopie bleibt es nicht, das Sextett erweitert seine Palette auf “The Impossiblity Of Reason” gleich um Thrash und Groove Metal, Sinistres wie das schleichende “Crawl” und eben Breakdowns. Zugleich sind die Kompositionen runder, setzen die Potenziale der Riffs präzise um, was dem Album auch dank Mark Hunters brachialem Geschrei den Vorwurf der Eindimensionalität einbringt. Sicher, der stampfende Titelsong, das wummernde “Pictures In The Gold Room” oder das sprechend benannte “Pure Hatred” sind nicht filigran. Dass sich Chimaira hier aber nicht mit einem Kompromiss zwischen Trend und US-Metal-Tradition aufhalten, macht ihr zweites Album zum Paradebeispiel für effektiven, modernen Metal.
Sebastian Berlich


Horse The Band R. Borlax

VÖ: 2003 | Label: Bluto
Horse The Band - R. Borlax

Das mit der Ernsthaftigkeit wollen ein paar Freaks’n’Geeks aus dem kalifornischen Lake Forest nicht einsehen. Hinter einem kindlich-naiven Artwork verbirgt sich mit “R. Borlax” (Wer oder was auch immer das sein mag) nach zwei Demos das erste Album von Horse The Band, die – der Name deutet es an – die Pfanne heiß haben. Mit stoischem Ernst prügelt und schreit sich das Quintett durch seine Metalcore-Party-Songs. “Cutsman” etwa, benannt nach einem Endgegner im Nintendo-Game “Mega Man”, beginnt mit einem Auszug aus dem Videospiel-Roadmovie “The Wizard”. Mit scheppernder Double-Bass geht es zum Breakdown, drum herum imitiert das Keyboard von Erik Engstrom, der aussieht wie der Bruder von Napoleon Dynamite, entweder Van Halens “Jump” oder den 8-Bit-Sound früher Videospiele. Es kommt nicht von ungefähr, dass Sänger Nathan Winneke den Sound seiner Band nicht ganz ernstgemeint als „Nintendocore“ bezeichnet. Lösen können sich Horse The Band danach nie wieder davon. Verdient haben sie dieses Alleinstellungsmerkmal.
Jan Schwarzkamp


Every Time I Die Hot Damn!

VÖ: 2003 | Label: Roadrunner
Every Time I Die - Hot Damn!

Bereits mit der Debüt-EP “The Burial Plot Bidding War” (2000) beweisen Every Time I Die, dass man mit ihnen rechnen muss. Fürs erste Album “Last Night In Town” gewinnen sie Killswitch Engages Adam Dutkiewicz als Produzenten und entfesseln gnadenlos chaotischen, komplexen Hardcore mit fiesen Riffs, noch fieserem Geschrei und einem Defizit an Melodie – irgendwo zwischen The Dillinger Escape Plan und Drowningman. Erst mit “Hot Damn!” findet die Band aus Buffalo, New York in ihre Spur, der sie seitdem über sechs weitere grandiose Alben treu bleibt. Die Platte löst sich vom ungezähmten Chaos, Eric Rachel entwirrt den Sound. Trotz aller Brutalität schwingt immer wieder Southern-Rock mit, siehe auch: Norma Jean, The Chariot, He Is Legend. Das laszive Artwork gestaltet Converges Jacob Bannon, und der angehende Englischlehrer Keith Buckley geht in seinen Texten literaturbeflissen dahin, wo es weh tut – und croont zwischen dem Gebrüll sogar mal eine Zeile. Wie heißt es in “Ebolarama”: „This is a rock and roll takeover.“
Jan Schwarzkamp


Shai Hulud That Within Blood Ill-Tempered

VÖ: 2003 | Label: Revelation
Shai Hulud - That Within Blood Ill-Tempered

Die nach dem “Dune”-Sandwurm benannten Shai Hulud aus Florida gehören mit der Gründung 1995 zur ursprünglichen Metallic-Hardcore-Riege, als der Begriff „Metalcore“ noch eher scherzhaft verwendet wird. Ihr zweites Album erscheint, als die nächste Bandwelle das Genre langsam populär und trendy macht. Davon wird sich die ständig anders besetzte Band um Songwriter, Gitarrist und einzige Konstante Matt Fox in Interviews später abgrenzen. Mit ihrem Sound und Ethos sind Shai Hulud ganz klar im Hardcore verwurzelt: Ihre intelligenten, gesellschaftskritischen Texte, die teilweise rasende Geschwindigkeit und die dauerhaften Gang-Shouts erinnern an die Youth-Crew-Szene. Den Metal-Anstrich bekommt ihre Musik nicht mit harten, rhythmischen Breakdowns, sondern dank der progressiven und melodischen Leadgitarren, die sich zwischen den Riffs duellieren. Keine Refrains, dafür erzählerischer Stream-of-consciousness zu sich stetig wandelnder Untermalung – damit sind sie bis heute eine Institution im Genre-Underground.
Gerrit Köppl


Atreyu The Curse

VÖ: 2004 | Label: Victoria
Atreyu - The Curse

Wenn Alex Varkatzas, der inzwischen ehemalige Shouter von Atreyu, 2018 in einem Interview behauptet, die Band habe Metalcore erfunden, ist das natürlich leicht zu widerlegen. Dass sie das Genre aber zumindest mustergültig bedienen können, zeigen sie schon auf dem Debüt “Suicide Notes And Butterfly Kisses”, mit “The Curse” hieven sie ihre Mischung aus Hardcore, Melodic-Death-Gitarren und zuckersüßen Refrains – gesungen von Schlagzeuger Brandon Saller – auf Champions-League-Niveau. Neu ist dabei, dass sie ihre Vorliebe für Glam nicht mehr subtil ausleben, sondern mit “Right Side Of The Bed” in vollem Anlauf durch die Stadionpforte brechen und als Bonus-Track Bon Jovis “You Give Love A Bad Name” covern. Hinter den weiteren Songs mit niedlichen Klischee-Gothic-Titeln wie “Bleeding Mascara”, “The Crimson” oder “My Sanity On The Funeral Pyre” verbergen sich dann allerdings satte Metal-Songs mit Sonnenscheinmelodien und hohem Unterhaltungsfaktor. Keine Pionierleistung, aber ausgesprochen professionell.
Stefan Reuter


Misery Signals Of Malice And The Magnum Heart

VÖ: 2004 | Label: Ferret
Misery Signals - Of Malice And The Magnum Heart

Die Mitglieder von Misery Signals kennen sich aus verschiedenen Bands der Metalcore-Szene Wisconsins und beginnen 2002 nach deren Zerfall, gemeinsam Musik zu machen. Zu den Vorläufern gehören 7 Angels 7 Plagues, deren einziges Album “Jhazmyne’s Lullaby” mit seinen Jazz-Einflüssen eine gesonderte Erwähnung verdient. Dieser Wille, die Verbindung von Hardcore und Metal mit weiteren Ideen anzureichern, macht sich auf dem Debüt “Of Malice And The Magnum Heart” weiter bemerkbar, ohne sich im Prog zu verlieren. Vielmehr verdichten Misery Signals mithilfe von Produzent Devin Townsend ihren Sound zu schwermütigen und atmosphärischen Songs wie dem überragenden Closer “Difference Of Vengeance And Wrongs”. 2005 wird Sänger Jesse Zaraska wegen Differenzen aus der Band geworfen, die bis 2013 drei Alben veröffentlicht, die nicht an “Of Malice…” heranreichen. Eine Tour zu dessen zehnjährigem Jubiläum mit Zaraska am Mikro lässt auf eine Reunion hoffen, die 2016 bestätigt wird und 2020 im tollen “Ultraviolet” gipfelt.
Stefan Reuter


Shadows Fall The War Within

VÖ: 2004 | Label: Century Media
Shadows Fall - The War Within

Mit “The War Within” denken Shadows Fall die stilistische Vielfalt des Vorgängers “The Art Of Balance” weiter – und erreichen ihren kommerziellen Zenit. Zwar verleugnet die Band ihre Metalcore-Wurzeln nicht, doch Songs wie das melancholische “What Drives The Weak” gehen beinahe als Alternative Rock durch, wenn man von den Metal-Shouts absieht. Dieser Hang zu poppiger Eingängigkeit öffnet der Band einige zuvor verschlossene Türen. Die griffigen Hooks reißen Fans modernen Metals ebenso mit wie die an Groove Metal der Marke Pantera erinnernde Gitarrenarbeit im stampfenden Stillness. Metalcore dominiert schnelle Stücke wie das eröffnende “The Light That Blinds”. Im Anschluss an die Platte öffnet sich die Band immer mehr den Mechanismen des Mainstreams, ohne die Verkaufszahlen entsprechend zu steigern. Nach “Threads Of Life” (2007) wird ihr das zum Verhängnis, 2012 erscheint die bislang letzte Platte. Seitdem befriedigen Shadows Fall auf gelegentlichen Touren allenfalls die Nostalgiebedürfnisse ihrer Fans.
Dominik Rothe


Heaven Shall Burn Antigone

VÖ: 2004 | Label: Century Media
Heaven Shall Burn - Antigone

Bedächtig starten Heaven Shall Burn in ihr drittes Album “Antigone”. Das Streicher-Intro zeigt, wie wichtig es der Band ist, zwischen Wut und Aggression Raum für atmosphärische Momente zu lassen. Dieses Bedürfnis spiegelt sich im anschließenden “The Weapon They Fear” wider, in dem harte Riffs auch mal zarten Keyboards Platz machen. Trotzdem gehören Heaven Shall Burn zweifellos zu den extremsten Vertretern des Metalcore. Ihre Nähe zum schwedischen Death Metal verschafft ihnen eine Menge Anerkennung bei alteingesessenen Metalfans, die angesichts neuer Trends sonst stets die Nase rümpfen. Zudem bringen die Thüringer ein sozialkritisches Bewusstsein mit, das im Metalcore zu diesem Zeitpunkt selten ist. In “Voice Of The Voiceless” prangern sie die Ausbeutung der Tierwelt durch die Menschheit an. “Bleeding To Death” lässt sich als Warnung vor dem Klimawandel lesen – und das schon 2004. Ihr stets vorwärts gerichteter Blick lässt die Band im Anschluss von einem Erfolg zum nächsten rasen.
Dominik Rothe


Unearth The Oncoming Storm

VÖ: 2004 | Label: Metal Blade
Unearth - The Oncoming Storm

Als Metalcore Anfang der 2000er zum Massenphänomen wird, schreiben die meisten Genrevertreter insbesondere das „-core“ in der Stilbezeichnung groß. Für Unearth gilt das nicht. Trotz mancher Breakdowns wie in “The Great Dividers” ist “The Oncoming Storm” spürbar stark im klassischen Heavy- und Thrash-Metal verwurzelt. Die Einflüsse britischer Legenden wie Iron Maiden zeigen sich im häufigen Einsatz zweistimmiger Gitarrenmelodien, der Thrash-Faktor wiederum kommt in den zumeist pfeilschnellen Riffs durch. Zudem räumen Unearth instrumentalen Superlativen deutlich mehr Raum ein als ihre zeitgleich aufkommende Konkurrenz: Ausufernde Soli wie in “Zombie Autopilot” finden sich 2004 im Metalcore nur selten. Dass Bands wie Darkest Hour und All That Remains in der Folge vermehrt auf solche Virtuosität setzen, zeigt den Einfluss von Unearth auf die Szene. Das Quintett selbst wendet sich mit dem Nachfolger “III: In The Eyes Of Fire” noch mehr traditionellen Metal-Stilen zu, was ihm eine eigene Nische sichert.
Dominik Rothe


Bullet For My Valentine The Poison

VÖ: 2005 | Label: Gun
Bullet For My Valentine - The Poison

Rückblickend betrachtet ist es erstaunlich, wie ausdifferenziert Bullet For My Valentine bereits auf ihrem Debütalbum klingen. Die zwölf Songs plus Intro (mit Cello-Feature von Apocalyptica) erscheinen zur Hochphase von Bands wie den damals noch relevanten Thirty Seconds To Mars und holen gleichermaßen Metalheads und Emo-Kids ab. Das liegt am Wechsel aus Gesang und Geschrei von Frontmann Matthew Tuck, aber auch an Zeilen wie „Your tears don’t fall, they crash around me“. Zudem steuern die Songs der Waliser selten auf austauschbare Breakdowns zu, sondern vornehmlich auf eingängige Refrains und erstklassige Gitarrensolos, entnommen aus Heavy- und Thrash-Metal. Dem zollt das Quartett zudem mit einem Cover von “Welcome Home (Sanitarium)” von Metallica auf der Deluxe Version der Platte Tribut. “The Poison” bleibt bis heute in der Band-Diskografie unerreicht, bis auf den Ausrutscher “Temper Temper” (2013) bleibt die Gruppe trotz Annäherungen an rockigere Genres aber eine mindestens solide Metalcore-Band.
Jonathan Schütz


Darkest Hour Undoing Ruin

VÖ: 2005 | Label: Victory
Darkest Hour - Undoing Ruin

Man kann streiten, ob “Undoing Ruin” die perfekte Wahl ist, wenn es um Darkest Hour und Metalcore geht. Zum einen schielt die US-Band um Gitarrist Mike Schleibaum von Anfang an für ihren Sound nach Schweden, zum anderen fokussiert sie sich mit Produzent Fredrik Nordström (In Flames, At The Gates) ab dem dritten Album “Hidden Hands Of A Sadist Nation” (2003) stärker auf Melodic Death Metal als zuvor. Aber: Ein Song wie die bei MTV2s Headbangers Ball laufende Single “Convalescence” mit ihrer eigentümlichen Mischung aus Faustschlag, Metal-Nachglanz und Emo-Pathos wäre in Göteborg wohl nie und in Washington, D.C. zumindest nicht ohne den parallelen Metalcore-Hype entstanden. Während andere Bands sich schnell an jenem verbrennen, bleiben Darkest Hour jedoch immer bei sich – und etablieren sich mit “Undoing Hour” und Songs wie “Sound The Surrender” oder “District Divided” endgültig als eine Best-of-both-worlds-Band, die mühelos zwischen melodiöser Metal-Power und gewaltigen Core-Schellen umschaltet.
Dennis Drögemüller


Trivium Ascendancy

VÖ: 2005 | Label: Roadrunner
Trivium - Ascendancy

Wie sehr Trivium vom 80er-Metal kommen, fällt anfangs kaum auf: Die Einflüsse aus Melodic-Death- und Thrash-Metal sind auf “Ascendancy” zwar offensichtlich, aber mit jener martialischen Aggression verdichtet, mit der Metalcore Mitte der 2000er als Nu-Metal-Erbe die Aggression der Jugend kanalisiert. Während die Teenager um Frontmann Matt Heafy auf ihrem Debüt “Ember To Inferno” (2003) noch etwas unbeholfen Riffs und Klargesang jonglieren, fügt sich auf dem Nachfolger alles ineinander: Zwischen sozialer Unsicherheit und überlebensgroßen Metal-Fantasien brechen hier Songs aus den 19-jährigen Newcomern heraus, deren brutale Präzision, Power und Hymnenhaftigkeit staunen lässt. Albumsongs wie “Pull Harder…” oder “A Gunshot…” sind bis heute Live-Klassiker, populär macht Trivium aber erst kurz darauf ihr Metallica-Moment: Auf “The Crusade” (2006) klingt Heafy plötzlich ständig wie James Hetfield und alles nach 1983, erst mit der Zeit versöhnt die Band doppelläufige Leads und Breakdowns in ihrem Sound.
Dennis Drögemüller


All That Remains The Fall Of Ideals

VÖ: 2006 | Label: Prosthetic
All That Remains - The Fall Of Ideals

Mit ihrem dritten Album “The Fall Of Ideals” gelingt es All That Remains, sich auf Augenhöhe mit Killswitch Engage zu begeben, ihren Kumpanen aus der Szene von Massachusetts. Deren Gitarrist Adam Dutkiewicz ist auch hier wieder beteiligt und bereitet der Band um den ehemaligen Shadows-Fall-Sänger Phil Labonte mit seiner klaren, aber druckvollen Produktion das perfekte Fundament für ihren vor Selbstbewusstsein strotzenden Melodic Metalcore. Mit einem gewaltigen Urschrei eröffnet “This Calling” diesen Reigen von Genre-Hits, deren unverschämte Eingängigkeit auch heute noch greift. Zugegeben, viele Songs fallen formelhaft aus, so sehr, dass “The Weak Willed” als Death-Metal-Fingerübung den Fluss stört. Das reißt die Band mit Details wie dem ruhigen Intermezzo im Guitar-Hero-Klassiker “Six” aber wieder heraus. Später sorgen All That Remains nur noch selten mit ihrer Musik für Aufmerksamkeit, eher noch mit fragwürdigen Aussagen Labontes. Die Qualität von “The Fall Of Ideals” bleibt aber unstrittig.
Stefan Reuter


Neaera Let The Tempest Come

VÖ: 2006 | Label: Metal Blade
Neaera - Let The Tempest Come

Der Begriff Metalcore lässt eine große Spannbreite zwischen Hardcore und Metal zu. Neaera wenden sich auf “Let The Tempest Come” letzterem zu. Den Anteil an Breakdowns fahren die Münsteraner gegenüber dem von Heaven Shall Burn beeinflussten Debüt “The Rising Tide Of Oblivion” zurück. Dafür strotzen Songs wie das Titelstück oder “Paradigm Lost” vor Querverweisen zu In Flames und At The Gates. Das Album ist der Startschuss für eine Entwicklung, in deren Verlauf Neaera ihren eigenen Stil finden. Auf den folgenden Platten “Armamentarium” und “Omnicide” fügen sie ihrem Mix aus Melodic Death Metal und Hardcore-Attitüde jede Menge Black Metal hinzu. Mit dieser Experimentierfreude erspielen sie sich eine treue Fangemeinde, auch wenn es kommerziell nie für die erste Liga reicht. Der Erfolg ihres Comeback-Albums nach fast sieben Jahren Albumpause zeigt 2020 aber, wie sehr die Band im kollektiven Szenegedächtnis verankert ist. Ohne den kreativen Befreiungsschlag “Let The Tempest Come” wäre es nicht dazu gekommen.
Dominik Rothe


Caliban The Undying Darkness

VÖ: 2006 | Label: Roadrunner
Caliban - The Undying Darkness

Schon “The Opposite From Within” zeigt 2004, dass Caliban die großen Bühnen zum Ziel haben. Mit dem zwei Jahre später erscheinenden “The Undying Darkness” schließen sie endgültig mit dem ungeschönten, fiesen Sound ihrer Anfangstage ab: Präziser, kontrollierter und sauberer produziert präsentiert sich das Quintett. Außerdem kommt der Klargesang von Gitarrist Denis Schmidt noch häufiger zum Einsatz als auf dem Vorgänger, die Refrains von “I Rape Myself” oder “It’s Our Burden To Bleed” werden so zu astreinen Mitsinghits. Dadurch rückt die Band nahe an US-Vorbilder wie Killswitch Engage heran, deren “Alive Or Just Breathing” zweifellos als Blaupause dient. Im brutalen Song “About Killing” oder dem von Kreator-Frontmann Mille Petrozza unterstützten “Moment Of Clarity” zeigt sich aber, dass die Essener ihre brachialen Wurzeln nicht vergessen. “The Undying Darkness” katapultiert Caliban an die Spitze der deutschen Metalcore-Bewegung direkt neben Heaven Shall Burn. Und dort stehen sie bis heute.
Dominik Rothe


Parkway Drive Horizons

VÖ: 2007 | Label: Epitaph
Parkway Drive - Horizons

Auf ihrem zweiten Album setzen Parkway Drive neue Maßstäbe für das Herzstück des Metalcore: Mit einer nie dagewesenen Brutalität spielen die Australier hier Breakdowns bis zur absoluten Eskalation. Was auf dem Debütalbum “Killing With A Smile” noch wüst und ungeschliffen klingt, perfektionieren Parkway Drive auf “Horizons” zum kontrollierten Chaos. Gekonnt aufgebaute Spannungsbögen aus melodischen Parts und bitterbösem Geschrei ebnen in Songs wie “Carrion” oder “Boneyards” den Weg für jene zerstörerische Energie, die Parkway Drive zu einer der einflussreichsten Bands im Metalcore macht. Seitdem entwickeln sich die Australier stetig weiter: Erst 2018 haben sie mit “Reverence” ein weiteres Metal(core)-Meisterwerk veröffentlicht, das sich zunehmend auch bei anderen Subgenres (etwa: Power Metal) bedient. Ausverkaufte Hallen, eine Doku über die Bandgeschichte und die aktuelle Arbeit an einem neuen Album beweisen: Auch nach 18 Jahren Erfolgsgeschichte sind Parkway Drive noch lange nicht auserzählt.
Alana Vandekerkhof


Suicide Silence No Time To Bleed

VÖ: 2009 | Label: Century Media
Suicide Silence - No Time To Bleed

Am anderen Ende der Telefonleitung schreit eine Frau panisch: „He ripped her face off!“ Er ist ein Schimpanse, den die Anruferin bei sich zuhause hält und der nun auf ihre Freundin losgeht. Dass Suicide Silence den realen Notruf in “…And Then She Bled” einbauen, zeigt, dass sie die Kompromisslosigkeit ihrer Death-Metal-Vorbilder teilen. Reichlich verstörend – und effektiv in Szene gesetzt. Mit derart unbarmherziger und versierter musikalischer Gewalt etablieren sich Suicide Silence auf ihrem zweiten Album “No Time To Bleed” an der Spitze der Deathcore-Bewegung. Großen Anteil daran hat Sänger Mitch Lucker, der sich in Sachen extremer Gesangstechniken vor niemandem verstecken muss. Entsprechend schwer wiegt sein Unfalltod 2012. Die Band macht mit All-Shall-Perish-Sänger Eddie Hermida weiter und wendet sich Nu Metal zu. Die Reaktionen fallen weitestgehend negativ aus, mit Cannibal-Corpse-Ikone George „Corpsegrinder“ Fisher bewahren sie sich aber einen prominenten Fürsprecher.
Stefan Reuter


August Burns Red Constellations

VÖ: 2009 | Label: Hassle
August Burns Red - Constellations

Es wäre so einfach, August Burns Red schon anhand der Eckdaten direkt links liegen zu lassen: Metalcore von einer Band mit christlichem Background, die sich einen solchen Namen gegeben hat? Muss nicht sein. Aber wie immer gilt: Es wäre ein großer Fehler, sich von Oberflächlichkeiten zu einem Urteil verleiten zu lassen. Denn seit Gründung 2003 liefert das Quintett aus Pennsylvania regelmäßig Alben voll pfiffiger Ideen, die es technisch virtuos in die Tat umsetzt – ohne dabei in Muckertum zu verfallen, geht es hier um Vollkontakt. Das oft beschworene entscheidende dritte Album, “Constellations”, ist in diesem Fall ein gutes Beispiel dafür, wie sich ihre gerne mal nerdige Gitarrenarbeit mit unumstößlichem Rhythmusgefühl selbst im wildesten Break und die Dauer-Anfeuerung durch Sänger Jake Luhrs zu einem Genre-Highlight verbinden. Dazu gehören auch Überraschungen wie Jazz-Experimente in “Ocean Of Apathy” oder das im Midtempo gehaltene “Meridian”. Wenn schon Bibelkunde, dann bitte so.
Stefan Reuter


A Day To Remember What Separates Me From You

VÖ: 2010 | Label: Victory
A Day To Remember - What Separates Me From You

Metalcore meets Pop-Punk – in dieser Nische sind A Day To Remember zweifellos die profiliertesten Protagonisten. Ihr viertes Album “What Separates Me From You” ist das erste, in dem in gleichen Teilen Unearth und Blink-182 stecken, während vorher die Härte überwog. Damit jetzt in der Szene keiner flennt, beginnt die Platte mit einem „in your face“-Statement: “Sticks & Bricks”, in dem Frontmann Jeremy McKinnon zum brachialen Intro-Riff den Hatern „I am fueled by all forms of failure“ entgegengrowlt. Ansonsten bedient die Band mit Songs über die Wichtigkeit von Freundschaft, das Leben als Rockstars, die Eigenarten der Heimat Florida und jeder Menge Teenage Angst jedes Pop-Punk-Klischee auf unerhört charmante und ansteckende Art. Dazwischen gibt es auf die Fresse – etwa mit “2nd Sucks”, ein Song wie ein einziger Breakdown. Dass ADTR hier stehen müssen, zeigt das Allstar-Musikvideo zu “All I Want” („…is a place to call my own“), in dem circa die Hälfte aller Namen in dieser Liste ein Lipsync-Cameo feiert.
Gerrit Köppl


While She Sleeps This Is The Six

VÖ: 2012 | Label: Sony
While She Sleeps - This Is The Six

Schon bevor While She Sleeps 2012 ihr erstes Album “This Is The Six” veröffentlichen, können sich die Briten mit ihrer viel gelobten EP “The North Stands For Nothing” Auftritte im Vorprogramm von Metalcore-Größen wie Parkway Drive und Bring Me The Horizon sichern. Diese Nähe zu ihren Genre-Kollegen schlägt sich zwar auch im Sound ihres Debütalbums nieder, wie ein Klon klingen While She Sleeps dennoch nicht. Die charakteristischen Breakdowns kombiniert das Quintett in Stücken wie dem Titelsong oder “Until The Death” mit brachialen Thrash-Metal-Riffs, zu denen sich immer wieder Ohrwurm-taugliche Melodien gesellen. Für noch mehr Abwechslung sorgen von Klavierspiel umrahmte Chöre, die Songs wie “False Freedom” und “Death Toll” zusätzlich eine emotionale Note verleihen. Mit dieser Experimentierfreude wagen sich die Briten über das Einmaleins des Metalcore hinaus – ein Merkmal, das auch die folgenden drei Alben auszeichnet. Nachschub mit dem Titel “Sleeps Society” gibt es im April.
Alana Vandekerkhof


Bring Me The Horizon Sempiternal

VÖ: 2013 | Label: RAC/Epitaph
Bring Me The Horizon - Sempiternal

Wie viele Metalcore-Bands haben sich an Platten wie “Sempiternal” versucht? Spätestens mit Anbruch der 10er Jahre ist die alte Formel ausgereizt, zugleich wollen viele erfolgreiche Acts weiter in den Mainstream expandieren. Auch Bring Me The Horizon haben ihren Deathcore 2013 längst um den ersten Teil des Genre-Namens erleichtert und sich eingängigen Melodien, elektronischen Sounds und orchestralen Ornamenten geöffnet. Die vor allem auf Oli Sykes Posterboy-Appeal schielenden Sellout-Vorwürfe befeuert das, dabei geht die Band einfach konsequent an, worum der Rest des Genres nur verschämt tänzelt. Auf “Sempiternal” verschmelzen Gangshouts und Chöre, knallende Drums und fragile Keyboard-Figuren, Keifen und Singen zu alchemistischem Pop-Metalcore. Produzent Terry Date ist der Richtige für solche Grenzgänge und verdichtet den Sound, damit an Hits wie dem uferlosen “Sleepwalking” oder dem fiebrigen Opener “Can You Feel My Heart” bloß nichts ausfranst. Ein makel-, aber nicht seelenloses Spektakel.
Sebastian Berlich


Code Orange Forever

VÖ: 2017 | Label: Roadrunner
Code Orange - Forever

„Code Orange is forever“: dass das Quintett aus Pittsburgh, Pennsylvania mit seinem dritten Album eine mittelgroße musikalische Revolution im inzwischen etwas festgefahrenen Genre Metalcore lostritt, scheint es selbst am besten gewusst zu haben. Dass für Code Orange eine Genrezuschreibung nicht genug ist, deutet bereits der zitierte, “Forever” eröffnende Titelsong mit seinem Sludge-Breakdown an. In die weiteren zehn Stücke schleichen sich Glitch-Effekte und Ambient-Sounds ein. “Forever” besitzt zudem mehr Horror-Ästhetik als mancher Horrorfilm und ist das perfekte Bindeglied zwischen dem Industrial der Nine Inch Nails und dem Hardcore von Bands wie Nails. Die Midtempo-Single “Bleeding In The Blur” steckt mit dem Klargesang von Gitarristin Reba Meyers zudem erstmals den Pfad ins Stadion, den Code Orange mit dem Nachfolger “Underneath” bewusster aufnehmen. Sollte es sie endgültig dorthin verschlagen: Eine Jugendfreigabe scheint angesichts der schieren Brutalität auf Textebene unwahrscheinlich.
Jonathan Schütz


Architects Lost Forever // Lost Together

VÖ: 2014 | Label: Roadrunner
Architects - Lost Forever // Lost Together

Architects stechen im Metalcore heraus, weil es ihnen meisterhaft gelingt, sehr technische Riffs in einer einnehmenden Inszenierung aufgehen zu lassen. Auf ihren jüngeren Alben zieht es die Band aus dem südenglischen Brighton zunehmend hin zu immer cineastischeren Songs, mit dem 2014 erschienenen “Lost Forever // Lost Together” hat sie in dieser Entwicklung die ideale Mitte zwischen zwei Polen gefunden. Ein Song wie “Naysayer” bringt es auf beeindruckende Art und Weise fertig, seinen muskulösen Refrain mit akrobatischen Griffbrett-Tänzen und urtümlichen Hardcore-Elementen zu verbinden, die so gleichermaßen in Richtung Zukunft und Vergangenheit des Metalcore weisen. Gleichzeitig demonstrieren Architects auf ihrem sechsten Album erstmals einen Hang zu großer Orchestrierung, die die Musik wesentlich vielschichtiger macht. Dass dieser Schritt nur ein Jahr nach Bring Me The Horizons epochalem Meilenstein “Sempiternal” erfolgt, darf man als weiteres Zeugnis für den enormen Einfluss dieses Werks deuten.
Jakob Uhlig


Vein.fm Errorzone

VÖ: 2018 | Label: Closed Casket Activities
Vein.fm - Errorzone

Im 90s Revival geben sich zahlreiche Bands, die eigentlich viel zu jung dafür sind, dem nostalgischen Gedenken an den metallischen Hardcore des letzten Jahrtausends hin. Die besten von ihnen drehen und verbiegen das Genre mit neuen Mitteln zu etwas ganz Eigenem: Während Code Orange mit Industrial experimentieren und Knocked Loose Death Metal einstreuen, sind Vein (mittlerweile offiziell Vein.fm) von der Anfangs- und Blütezeit des Mathcore und Nu Metal beeinflusst – Botch meets Slipknot, oder Converge meets Deftones, quasi. Die Bostoner geben auf ihrem bislang einzigen Album ihre Einflüsse durch eine verzerrende Linse wider; zeichnen mit wilden Strichen ein Bild der Dystopie des digitalen Zeitalters, das sich in jeder Sekunde ihrer mechanisch klingenden und experimentellen Songs aufdrängt. “Errorzone” ist nicht nur brutal, sondern so spannungsgeladen und unvorhersehbar, dass auch die ruhigen und melodischen Momente des Albums keine Erlösung bieten. Das größte Manko: Es gibt noch nicht mehr davon.
Christina Wenig


Knocked Loose A Different Shade Of Blue

VÖ: 2019 | Label: Pure Noise
Knocked Loose - A Different Shade Of Blue

Einen „neuen Benchmark“ für alle Core-Genres nannten wir das zweite Album dieser Sensation in VISIONS #318. Bis heute hat niemand beweisen können, dass Metalcore tatsächlich härter klingen kann als auf “A Different Shade Of Blue”. Wer Knocked Loose wegen der ultratiefen Gitarren-Tunings und der brutalen Moshpits bei Konzerten als solch grausige Beatdown-Bros abtut, bei denen Songs nur aus Breakdowns bei etwa drei BPM bestehen, hat mit dieser Vorverurteilung weit gefehlt. Mit ihren zahlreichen Querverweisen auf Death- und Thrash-Metal, Math und Oldschool-Hardcore gehören sie zu den mit Abstand innovativsten Bands, die der Metalcore der Gegenwart zu bieten hat. Frontmann Bryan Garris schreit mit der Eindringlichkeit eines Jacob Bannon über zutiefst persönlichen Schmerz, während die Instrumentalisten mit extremen Tempowechseln, an Slayer erinnernden Leadgitarren, unberechenbaren Rhythmen und atemberaubender Stop-and-go-Dynamik rücksichtslos die Grenzsteine des Genres versetzen. State of the art.
Gerrit Köppl


Dossier: Metalcore
Im Schmelztiegel

Inhalt

  1. Metalcore: die History – Schluss mit Nekrophilie
  2. Metalcore: die Album-Highlights – Der harte Kern

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