Wenigen Bands gelingt gleich mit dem ersten Album ein solcher Treffer, wie ihn Kat Ott-Alavi, Karo Paschedag und Mary Westphal mit “Stress” landeten: Neben begeisterten Besprechungen konnten sich die drei sogar über Cover-Storys freuen, traten im WDR Rockpalast und beim Berliner Pop-Kultur Festival auf, begleiteten Bands wie Dream Wife und Team Scheisse auf Tour. Dass sich 24/7 Diva Heaven nicht mit einmaligem Erfolg zufriedengeben, sondern auf Langfristigkeit setzen, zeigen sie mit ihrem zweiten, ebenfalls beim Berliner Label Noisolution erscheinenden Album “Gift”, auf dem sie ihre so harte wie catchy-melodiöse Gangart fortsetzen. Wir haben mit Kat Ott-Alavi, die ja auch VISIONS-Kolumnistin ist, gesprochen.
Wut als treibende Kraft
Es heißt, die zweite Platte sei besonders schwierig. Gerade wenn das erste Album gut angekommen ist, also ein gewisser Erwartungsdruck herrscht. 24/7-Diva-Heaven-Sängerin und -Gitarristin Ott-Alavi erklärt, dass ihr Anspruch als Band von Anfang an hoch war, obwohl keine der drei Musikerinnen trotz langjähriger Banderfahrungen zuvor ein komplettes Album produziert hatte. „Wir wollten etwas abliefern, das vor allem unseren eigenen Vorstellungen entspricht. Für mich ist das Kniffligste immer die Erwartungshaltung an mich selbst. Wenn man schon so lange Musikfan ist und die Lieblingsmusik bis ins kleinste Detail durchanalysiert hat, aber erst mit 30 Jahren sein erstes Album schreibt, dann ist alles ganz schön aufgeladen“, sagt Ott-Alavi.
„Ich wollte gleich beim Debüt rauskitzeln, was ich an den Sounds meiner Lieblingsbands mochte, ohne jahrelange Erfahrung als Songschreiberin zu haben, weshalb der Songwriting-Prozess nicht immer leicht war. Als die ersten Ideen für die zweite Platte ‘Gift’ zu reifen begannen, bekam ich ein leichtes Imposter-Syndrom. Ich dachte, dass nun alle merken würden, dass ich gar nicht weiß, was ich tue. Doch dann habe ich gemerkt, wie unglaublich viel wir dazugelernt haben, und dass wir extrem gut eingespielt sind. Es fühlte sich an, als ob ein Schalter umgelegt wurde und wir plötzlich sehr genau wussten, was zu tun ist. Und ab diesem Zeitpunkt ist es aus uns herausgesprudelt. Alle sprechen immer vom berüchtigten zweiten Album, und dass man das eigentlich nur verkacken kann. Ich finde, dass wir bei ‘Gift’ nochmal mehr von uns zeigen und vieles besser auf den Punkt bringen. Wir haben an Souveränität gewonnen und widmen uns der eigentlichen Sache: ehrliche Songs zu schreiben, die uns selbst etwas bedeuten.”
Der Albumtitel steht schon fest, noch bevor alle Songs geschrieben sind: “Gift” knüpft in Knappheit und Doppeldeutigkeit an “Stress” an, funktioniert auf deutsch und englisch und transportiert Aggression und Angriffslust, die in den neuen Stücken deutlich hörbar sind. Vergleiche mit L7 – einer erklärten Lieblingsband von 24/7 Diva Heaven – und den britischen Hardcore-Feminist:innen Petrol Girls sind legitim, was für die drei grundsätzlich in Ordnung geht. Auch wenn es Ott-Alavi eher kritisch sieht, wenn bei aggressiver Musik automatisch eine extreme feministische Haltung erwartet wird: „Wut ist offensichtlich nicht die emotionale Reaktion, die man Frauen zuschreibt. Der aggressive Ton in vielen unserer Songs sorgt oft für Verwunderung. Daran erkennt man, wie tief verwurzelt manche Ansichten sind und dass es noch eine Weile dauern wird, bis man anerkennt, dass Frauen auch wütende Songs schreiben können und nicht gleichzeitig in jedem Text das Ende des Patriarchats fordern“, so Ott-Alavi.
„Die Songs zu ‘Gift’ entstanden aus verschiedenen Vibes, Wut war definitiv eine der treibenden Kräfte. Wie kann es auch anders sein, schaut man auf die aktuellen Verhältnisse in der Welt. Wir sehen uns nicht in der Tradition bestimmter Bands, auch wenn wir oft ähnliche Werte teilen und viele davon musikalisch schätzen. Dennoch denke ich, dass man sich für Gleichberechtigung starkmachen und das auch in Texten thematisieren kann, ohne als Teil einer definierten Linie gesehen zu werden. Auf unserem neuen Album gibt es jedenfalls nur einen von elf Songs mit explizit feministischem Inhalt.“
»Wut ist offensichtlich nicht die emotionale Reaktion, die man Frauen zuschreibt. Der aggressive Ton In vielen unserer Songs sorgt oft für Verwunderung.«
Kat Ott-Alavi
Am liebsten wäre es 24/7 Diva Heaven, wenn in Artikeln über sie ihr Geschlecht oder Begriffe wie „female fronted“ gar nicht genannt würden, jedoch sieht es danach vorerst nicht aus. Ott-Alavi nimmt es sportlich: „Wie sollte man sich je an diesen Alien-Status gewöhnen? Hier ist unser Deal: Sobald der Begriff ‚Male-Fronted-Band‘ oder ‚Male-Band‘ im Musikjournalismus Einzug gehalten hat, dann gewöhnen wir uns auch an diesen Umstand. Sollte das nicht der Fall sein, müssen wir wohl leider bockig bleiben.“
Social Media vs. persönlicher Kontakt
Überheblichkeit gegenüber Musikerinnen sei im verkrusteten Mainstream so hartnäckig wie ein „alter dicker Rottweiler, der das Haus hütet und niemanden reinlässt“, so Ott-Alavi. Es gäbe zwar erfreuliche Entwicklungen, aber die fänden vor allem im Underground statt. Es sei an der Zeit, dass die großen Player aktiv Veränderungen einleiten würden. Bis das passiert, nehmen 24/7 Diva Heaven die Dinge selbst in die Hand: Ott-Alavi, die viele Jahre als Bookerin und Eventmanagerin gearbeitet hat und deren Eltern einen Rockclub betreiben, weiß, wie wichtig Networking ist. Zusammen mit Diva-Schlagzeugerin Mary Westphal und anderen befreundeten Musikerinnen gründet sie 2019 das Kollektiv Grrrl-Noisy, das Flinta*-Künstler:innen unterstützt, Festivals veranstaltet und sich um Auftrittsmöglichkeiten kümmert. Selbstverständlich ehrenamtlich, und das hat seine Tücken: Mangels Fördergeldern und fehlender bezahlbarer Kulturräume muss Grrrl-Noisy vorerst pausieren. Ott-Alavi prangert an, dass wegen rücksichtsloser Gentrifizierung viele Clubs verschwinden, Auftrittsorte aus Kostengründen wegrationalisiert werden. „Das hat zur Folge, dass Leute wie wir, die sich ohne Profit engagieren, ihre Projekte nur schwer fortführen können. Es ist ein Trauerspiel, was aktuell in Berlin passiert. Nichtsdestotrotz wächst die Grrrl-Noisy-Community, und wir merken deutlich, dass die bisher in der Musikindustrie wenig beachteten Menschen nicht mehr still sitzen, sondern endlich mitmischen wollen und Vernetzungsorte wie Grrrl-Noisy umso mehr schätzen.“
Social Media eröffnet Möglichkeiten, von denen Bands vor einigen Jahren höchstens geträumt haben, und auch 24/7 Diva Heaven nutzen Instagram und andere Kanäle, „um unsere Musik, Tourneen und schlechte Witze zu verbreiten.“ Nervig dagegen sei der Stellenwert, den Likes, Follower:innen-Zahlen und Klicks hätten. Viele Leute läsen schlicht an den Zahlen ab, ob eine Band interessant ist oder nicht. „Man muss unglaublich viel Energie und Zeit aufwenden, um den Algorithmus zu pleasen – dafür, dass Leute kurz über dein Reel wischen, um drei Sekunden später im nächsten Feed zu landen. Aufwand und Ertrag stehen hier in keiner Weise im Verhältnis“, sagt Ott-Alavi. Man fühle sich permanent getrieben und hätte noch dazu ein schlechtes Gewissen, nicht genug gemacht zu haben. „Es ist sehr schön, Musik und anderes mit seinen Fans zu teilen und viele Menschen zu erreichen. Wenn ich mich aber entscheiden müsste, wäre ich gerne weniger auf Social Media unterwegs und würde den persönlichen Kontakt zu Leuten auf unseren Konzerten bevorzugen.“ Umso wichtiger seien verlässliche Partner, die hinter den Künstler:innen stehen, wie etwa das Label Noisolution, die Bookingagentur dq Agency oder der Musikverlag La Chunga, die sich seit den Anfangstagen um die Band kümmern, als längst nicht abzusehen war, wohin es mit den dreien mal gehen wird.
In ihrem neuen Song “These Days” zeigt sich das Vernetzungstalent von 24/7 Diva Heaven auf besonders coole Weise: 2022 spielt die Band ein paar Termine mit den Beatsteaks zusammen, man versteht sich bestens. Im Entstehungsprozess von “These Days” kristallisiert sich die Idee heraus, dass eine zweite Gesangsstimme passen würde – und zwar die von Beatsteaks-Sänger Arnim Teutoburg-Weiss. „Ich habe ihn zufällig bei einem Konzert getroffen und einfach mal gefragt“, sagt Ott-Alavi und lacht. „Ist natürlich fies, denn in so einer Situation kann man schlecht nein sagen. Aber ich bin eben ein Fuchs!“