Die Madmans Zwischen den Jahren 1981
Die Madmans gründen sich 1979 als Schülerband in Weimar und sind damit DDR-Frühpunk. Mit Creepers hat die Stadt noch eine “Stunde Null”-Gruppe, die Bands teilen sich den PCW-One, Weimars Punkclub Nummer 1, einen Proberaum-Treff im Waschkeller. Aus dem drängen sie 1981 an die Öffentlichkeit, wenn auch vorerst nur jene der evangelischen Kirche. Ende des Jahres kommt dieses energische Material aufs Tonband, das Spielfreude, Humor und Pop-Punk-Hitgespür offenbart, angereichert um Rumpel-Ska. Vorreiter sind sie aber auch woanders: Bereits 1983 machen sie die Einstufung und verlassen damit den Underground.
Wutanfall 81-83
“81-83” verpackt den Urschrei des “Messestadtpunk” in eine Box, die zum gut bebilderten Mythos der ersten Punk-Band Leipzigs endlich Sound liefert. Einen ruppigen, dreckigen Sound, der vor allem unbändige Wut ausdrückt, herausgebrüllt vom charismatischen Jung-Nihilisten Jürgen “Chaos” Gutjahr. Sänger aber gelten als Anführer, und so ist er brutaler Verfolgung ausgesetzt, die Stasi hat auch einen IM (inoffiziellen Mitarbeiter) in der Band. Bedroht, aber auch frustriert von den Grenzen des Punk, steigt Chaos aus beziehungsweise um: Im Projekt Pffft…! verarbeitet er Einflüsse aus dem Industrial, Wutanfall zerfallen danach langsam.
Zwitschermaschine/Sau-Kerle eNDe. DDR von unten
Das erste Punk-Produkt aus der Zone. Dimitri Hegemann, Westberliner Musiker und bald Macher der Atonal-Festivals, trifft 1982 erstmals Punks in Ostberlin und schreibt Szeneberichte. Die Idee einer DDR-Compilation wird geboren, mit Poet und Sänger Sascha Anderson von den Dresdenern Zwitschermaschine setzt er sie um. Deren feingeistiger Proto-Art-Punk ziert eine Seite dieser Split, die andere erzittert vom Brachial-Punk der Sau-Kerle – ein unnützer Tarnname von Schleim-Keim, dank IM Anderson ist die Stasi längst informiert. Verhindern kann sie trotzdem nur den Beitrag von Rosa Extra aus Berlin.
Rosa Beton Greatest Hits
Obwohl Rosa Beton in ihrer knapp einjährigen Existenz nie auftreten, werden sie zur Legende – weil das Duo 1983 diese Vierspur-Kinderzimmer-Aufnahme als Kassette in die Szene einspeist. Auf der melden sich wahre Krach-Pop-Talente vom Berliner Randgebiet, wobei auch die frühreife Teenager-Lyrik von Thomas Wagner vom Üblichen abweicht. Die letzten zwei Stücke deuten zudem dessen Weg zum Experiment an, der zum Vater-Sohn-Projekt Herr Blum und zu Tom Terror & Das Beil führt, während Schlagzeuger Ronald “Mausi” Mausolf zu Hardcore-Bands wie Reasors Exzesz, aber auch ins Skinhead-Lager driftet.
Namenlos 1983-89
Namenlos ragen heraus. Nicht nur, weil sie paritätisch mit Männern und Frauen besetzt sind, zumal mit extra wilden Individualistinnen, sondern auch, weil ihre geradeaus scheppernde Punk-Opposition – unterfüttert vom Anarcho-Ernst des Gitarristen Michael Horschig und prägnant ausgedrückt in Songs wie “Nazis wieder in Ost-Berlin” oder “MfS” mit seiner unmissverständlichen “MM-ff-SS”-Verdopplung – sie nach wenigen aktiven Monaten 1983 komplett hinter Gitter bringt; nur die minderjährige Schlagzeugerin ist bald wieder frei. Namenlos bleiben unbeugsam: Wieder in DDR-Freiheit machen sie sofort schonungslos weiter.
Klick & Aus AIDS delikat
Die von Künstlern gegründeten Zwitschermaschine oder die mit Dichtern arbeitenden Rosa Extra stehen für einen eher intellektuellen Punk, der Brücken von Proto- zu Post-Punk bauen kann. In dieser Linie explodieren 1984 auch Klick & Aus um den exaltierten Poeten, Performer und Super-8-Filmer Thom di Roes. Zu dessen Drum-Attacken röhrt entweder die Gitarre oder bolzt wirksam der Bass, jedoch nie rockistisch zusammen, kombiniert mit schräger Trompete und Saxofon. Ein überbordender Sondercharakter, der zudem den Querverweis zum Schamanenpunk der ungarischen Rasenden Leichenbeschauer subkultiviert.
Paranoia 1984
Dresdens Szene ist in Relation zur Stadtgröße klein, bringt aber mit Paranoia eine der besten Bands der Frühzeit hervor, die zudem live oft präsent ist. Ihr klassischer Punk klingt energisch wie melodiös und bringt erstaunliche Text-Sensibilität mit. Gerade noch selbst hervorgegangen aus der Band Rotzjungen, wenden sich Paranoia aber auch offensiv gegen die nächsten “Kidpunx” – in ihren Augen Spießer, die sie uniform eingekleidet “frisch aus Ungarn” zurückwähnen. Insofern weht auch ein halbironisches “Oi!” durch ihr 84er Tape “Here We Are For Everyone Who Needs A Kultband”, das hiermit zugänglich wird.
Die Zucht Live '85
“Live ’85” liegt gleich mehrfach auf Grenzlinien: Musikalisch geht es vom Punk, der noch Energie sowie Tempo bringt und besonders in der schrillen Gitarre nachwirkt, mit leichten Verdunklungstendenzen gen Post-Punk, den dann ab und an ein Saxofon süßt. Vor allem aber ist es ein Konzertmitschnitt auf ofziellem Terrain, aufgenommen beim 1. Leipziger Rockfestival am 15. Juni 1985, kurz vor der Legalisierung der Band durch eine Einstufung. Bei der lehnen die Staatskulturhüter jedoch den Namen ab, Die Zucht werden geordnet und zu Die Art, einer anschließend stetig populärer werdenden Darkwave-Band.
Antitrott 84-87
Das brutal vorwärts stürmende Trio aus Frankfurt/Oder bricht alle Szene-Geschwindigkeitsrekorde und erfüllt auch sonst die Kriterien, um vage als Discharge der DDR durchzugehen. Unter den zumeist politischen Texten findet sich sogar einer gegen Homophobie, eine Seltenheit damals. Diese Werkschau, die teils erstaunlich druckvoll produziert rattert, teils als grimmiger Grind-Brei rast, basiert auf der als Play Loud Records selbst verlegten 86er Kassette, die via ZK Tapes sogar in Polen kursierte. Sie fügt aber genug hinzu, um drei LP-Seiten zu füllen – und auf der vierten prangt das Anarchie-Zeichen.
KG Rest Panem Et Circensis
KG Rest, auch kurz Rest, entstehen 1984 aus Mitgliedern der Weimarer Urpunk-Formationen Madmans und Ernst F.All, den ehemaligen Creepers. Der Zeitgeist der Mitt-80er ist aber nicht nur nach ersten Repressionserfahrungen der Musiker eher düster, und so verfinstert sich der Sound. Den verewigt die Band auf Initiative eines bald ausreisenden Mitglieds im Studio, um ihn dann im Westen veröffentlichen zu können. Von dort sickert auch etwas von der Miniauflage zurück durch den Eisernen Vorhang und verbreitet einen Ost-Post-Punk, dessen “negativ-dekadente” Tristesse-Lyrik mit Thüringer Idiom transportiert wird.
L'Attentat Made In GDR
Personell mit den frühen Leipziger Bands Wutanfall und H.A.U. verbunden, setzen L’Attentat ab 1984 neue Maßstäbe aktivistischen Anarcho-Punks mit radikaler Unbedingtheit – basierend auf endgültiger Abkehr: Der Kern der Band hat die Ausreise beantragt und agiert nun mit dem Rücken zur DDR, allein der Szene und dem Westen zugewandt, wo gute Kontakte das geschmuggelte Material in Umlauf bringen. Dort ist auch schon der nach Verrat des Band-IMs inhaftierte und vom Knast ausgereiste erste Sänger Bernd Stracke, dessen Stimme erst auf der Seven-Inch-Beilage des Majorlabel-Rereleases von 2014 zu hören ist.
Schleim-Keim Nichts gewonnen, nichts verloren – Vol. 1
Von Stotternheim bei Erfurt auf ranzige Lederjacken bundesweit: Der 1981 eingeschlagene Weg von Schleim-Keim um den talentierten Fleischersohn Otze ist schräg, wild, filmreif. Ihr teils kulthafter Nachruhm erklärt sich aber nicht nur durch die frühe Westdebüt-Sonderrolle als Sau-Kerle, die rasante Durchschlagskraft ihres Mundart-Hardcore oder die bemerkenswert tragische Otze-Biografie. Er ist auch dem Höhnie-Label geschuldet, wo ab Anfang der 90er aktuelle Alben und dann auch diese Materialsammlungen erscheinen – randvoll mit röhrendem Thüringer Punkrock-Rotz und gedroschenem “DDR von unten”-Dreck.
Wartburgs für Walter Complete Works
Entstanden als Ableitung des elektronischeren Punk-Projekts Grabnoct, finden Wartburgs für Walter nach einer illegalen Polen-Tour Ende 1987 zu einem Mix, der Punkenergie mit schattigem Post-Punk koppelt. Frontfrau Ina Pallas singt dazu meist schneidend kühles Englisch – was die Reibung mit dem System minimiert, das nun Spielwiesen anbietet, auf welche die Band nach Anfängen im gewohnten Kirchen-Underground wechselt, bevor auch hier 1989 alles mit der Ausreise endet. Zurück bleibt ein Demo, das hier nicht zuletzt dank eines eine ganze Vinylseite umfassenden Post-Punk-Dub-Dance-Monsters zur Doppel-LP wird.
Kaltfront Zieh dich warm an
Die neue Band des Paranoia-Bassisten Jörg Löfer setzt nicht nur die Qualität der persönlichen, mit emotionaler Dringlichkeit vorgetragenen Texte fort, sondern übernimmt sogar einige Texte. Löfer, der vorher schon Szenedogmen kritisiert, geht allerdings nach seiner Haftstrafe wegen Kontakten zu West-Fanzines auch neue Wege und probiert es ab 1986 legal. Die Verbreitung von Kassetten auf seinem Label Zieh dich warm an, aus denen diese Sammlung sich bedient, ist es allerdings bis zum DDR-Ende nicht, selbst wenn Musik und Adresse in der Sendung “Parocktikum” des Jugendradios DT64 gestreut werden.
Die fanatischen Frisöre Die fanatischen Frisöre
Das nächste Stück Thüringen-Punk, wo sogar in Kleinstädten wie Saalfeld, Hermsdorf oder Eisenberg Subkultur blüht – oder in diesem Fall eben in Eisenach. Um Fun und Frisuren geht es hier dem Bandnamen zum Trotz jedoch nicht, sondern in forderndem Frau-Mann-Wechselgesang gegen Armee, Apathie und Alltag, melodiös und gelegentlich mit New-Wave-Dekoration. Als Songs dieser Hinterhofproduction-Kassette von 1988 im “Parocktikum” laufen, muss Moderator Lutz Schramm sich wegen lokaler Beschwerden rechtfertigen, wie eine politisch so unzuverlässige Band ins Radio käme. Die Stasi in Erfurt hört also mit.
Papierkrieg 1987-89
Papierkrieg nehmen als letzte Deutschpunk-Generation aus Frankfurt/Oder die Wiedervereinigung insofern vorweg, dass sie auf dem 89er Tape “Noch nie hat ein Diktator seine Volksabstimmung verloren” gleich mehrere West-Bands (und eine finnische) neotraditionalistisch covern: Slime, Canal Terror, Daily Terror… Neben Chile geht ihr Blick auch nach Afrika und Bitterfeld sowie nach rechts, wo es arg bedrohlich gärt. Der Song “Neonazis” jedoch darf bald auf höhere Weisung nicht mehr im “Parocktikum” laufen. Niemand soll das schöne DDR-Scheinbild stören – bis dann die Diktatur ihr Volk verliert.
Die Skeptiker Die anderen Bands
Geht (echter) Punk mit FDJ-Fördervertrag? Wohl kaum! Aber Die Skeptiker wedeln mit jenem nicht umher und sind überaus beliebt wegen der zum Pogo treibenden Fähigkeit, so schnell wie eingängig zu spielen. Außerdem fallen sie mit einem trainierten Sänger auf, der auch von 20er-Jahre-Schellack her tönen könnte. Deshalb und auch der grundsätzlichen Dada-Punk-Connection wegen passt “Dada in Berlin” hier, der Hit dieser ersten Single der bald eingestellten “Die anderen Bands”-Serie im üblichen Amiga-Dünnsound. Der spätere Rest ist dann punky Perestroika-Protest, der die karrieregefährdenden Grenzen kennt.
Feeling B Hea Hoa Hoa Hea Hea Hoa
Allein das Notausgang-Cover ist ein Geniestreich! Aber das Lebensfreude-Kommando um den weitaus älteren Sänger Aljoscha Rompe und seine heute bei Rammstein dienenden Mitstreiter Flake und Paul Landers kapert nicht nur 1987 den Film “Flüstern & Schreien” und platziert sich infolgedessen laut lachend vorn bei den “anderen Bands”, sondern schafft es nun sogar, den Irrsinn im Amiga-Studio adäquat auf Vinyl zu bannen. Dafür finden in den heiligen Räumen wilde Grillparty-Sessions statt, werden betrunkene Massenchöre rekrutiert und ertönen die schiefen Bläser der Bolschewistischen Kurkapelle oder Komsomolzen-Raps.
Die Firma Kinder der Maschinenrepublik
“Die Firma” ist ein Stasi-Synonym. Wie treffend der provokante Name aber ist, wird erst die frühe IM-Selbstenttarnung von zwei der Front-Figuren der Band demonstrieren. Zuvor trägt die 1983 gegründete Gruppe einen fortschreitend gewagteren Punk extremer stilistischer Vielfalt bei, der nicht zuletzt entsprechend der Diversität der Persönlichkeiten zwischen straight gebellten Revoluzzer-Parolen und tief geraunter Poesie pendelt. Die CD, eine Art Best-of mit ein paar neuen Stücken, entsteht kurz vor dem Ende, dann gehen zwei Mitwirkende Richtung Rammstein, andere zum Anarcho-Blues oder Hörspiel.
Müllstation 1977
Müllstation aus Eisleben gründen sich 1980 und spielen bereits seit 1979 zusammen, wenn auch lange auf eine Art, die eher an Geniale Dilettanten denken lässt. So zu hören in einer Radiosendung des NDR2 von 1982, nach der sogar Alfred Hilsberg von Zickzack Interesse zeigt. Woraus nichts wird beziehungsweise was später nicht mehr geht, weil die dann auch übers “Parocktikum” bekannt gewordene Band sich retrostilistisch entwickelt, zurück zum prägenden Punk à la ’77. Dem huldigt sie hier offensiv, teils mit frühmelancholischer Erinnerungsperspektive, aber auch einigen älteren Stücken, allerdings im Sound von 1994.