Wer Fan davon ist, das Wachstum einer Band aus stochastischer Sicht zu bewerten, der schaue sich im Falle von Idles die Größe der Kölner Venues an, in denen das Quintett über die Jahre gespielt hat: Waren es für das 2017er Debütalbum “Brutalism” und den Nachfolger “Joy As An Act Of Resistance” noch jeweils 400 Besucher:innen, steigerte sich die Zahl in den folgenden Jahren erst auf 800, dann auf 1.500. Was die bisherigen Konzerte in der Domstadt gemein haben, ist die Tatsache, dass sie innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren – so auch die Show zum aktuellen Album “Tangk”, die wegen des immer größer werdenden Andrangs vom kleineren E-Werk ins doppelt so große Palladium auf der anderen Straßenseite zog und trotzdem aus allen Nähten platzt.
Spannend bleibt dabei zu sehen, wie heterogen sich die Idles-Fangemeinschaft zusammensetzt: Für eine Band, die aus dem Punk mit dem gelegentlichen Post-Präfix kommt, sind kaum stereotype Punks zu sehen. Sowieso scheint keine Subkultur besonders vorzuherrschen, vielmehr ist es die herzerwärmende Attitüde, die die Menge an diesem Abend vereint. Bei wenigen anderen Bands dürfte man sich sicher sein, dass die Arschloch-Quote derart niedrig ist – sind es doch die Botschaften von Frontmann Joe Talbot, die so deutlich gegen toxisches Gedankengut ankämpfen, dass sich entsprechende Störenfriede in der Regel von selbst heraussieben.
Ihre Präsenz kündigen Idles mit dem Doppel aus “Idea 01” und “Colossus” zuerst andächtig und dann bedrohlich brodelnd an: Startet der “Tangk”-Opener noch sachte pochend und leicht melancholisch, schmeißt der folgende Song die treibende Energie, die Talbot mit seiner Band so meisterlich beherrscht, immer schneller an. Mit jedem “goes and it goes and it goes” schlägt sich der Sänger fester auf die Brust, die Schockwellen davon pulsieren immer heftiger durch das Publikum. Die Texte des neuen Albums sitzen zwar noch nicht wie beim alten Material, die Menge ist aber gewillt, gebannt zu lauschen und die feierliche Entschleunigung zu genießen, die die neuen Tracks ins Set bringen.
Talbot bedankt sich sichtlich gerührt für die Reaktionen und wäre wahrscheinlich auch damit zufrieden, wenn er das Tempo gar nicht mehr anziehen müsste. So brutal ehrlich und direkt seine Texte sind, so sind es auch die Botschaften, die der Sänger zwischen den Songs zu verstehen gibt: Die Solidarität mit den Palästinenser:innen findet ebenso Platz wie die “neue britische Hymne”, die als einzigen Text “fuck the king” bietet und nahtlos zu “I’m Scum” übergeht. Langsam werden Idles doch noch ruppig und peitschen mit punkigeren Songs die Menschenmenge an. Diese verschärft die sowieso schon enge Quetschpartie durch freudiges Schubsen und Mitsingen, die Temperatur im Saal steigt rasant.
Gerade mit den Aussagen zum Gaza-Konflikt eckten Idles während der Tour in einschlägigen Medien an, nachdem kritische Stimmen der Band aus Bristol zuvor noch eher zu wenig Engagement vorwarfen. Dass sich die Briten quasi am laufenden Band politisch äußern und die Palästina-Solidarität für niemanden überraschend sein sollte, der auch nur ansatzweise mit ihren Ansichten vertraut ist – geschenkt. Idles sind plakative Kritik an ihrer Einstellung gewohnt, seit sie sich gegen toxische Männlichkeit und rechte Politik positionieren. Ihre Standhaftigkeit begrüßt das Publikum mit kräftigem Applaus nach jeder Ansage, ob sie nun kritischer, bedeutungsschwangerer oder auch einfach dankbarer Natur ist.
Üppige 24 Songs in exakt zwei Stunden spielen Idles, die Zugabe lässt die Band am Ende weg. Das Theaterspiel vom Verlassen und nochmaligen Betreten der Bühne passt ohnehin nicht zur aufrichtigen Art der Briten. Der raue Selbstliebe-Punk funktioniert nicht nur auf den großen Bühnen, dort blüht er regelrecht auf – das haben Talbot und Kumpanen längst bewiesen. Am Ende gehen daher auch die größten, die bärtigsten und sowieso die tätowiertesten Kerle verschwitzt, aber mit einem warmen Lächeln aus dem Saal, nehmen ihre Freunde in den Arm und zeigen Gefühle. Botschaft angekommen.