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Grind & Growls: Mit dem Brecheisen

Extreme Metal mit Michael Setzer

Mit dem Brecheisen
Grind & Growls als Lebenshilfe oder die Antwort auf die Frage, warum das Brecheisen manchmal besser ist als der Schlüsselbund. Mit am Hebel: Kavrila, Purified In Blood und Verheerer.
Grind & Growls: Kavrila (Foto: Jette Busch)
Kavrila (Foto: Jette Busch)

Schlechte Zeiten für Hoffnung oder Experimente, die Hamburger Doom-Punks Kavrila versuchen es trotzdem. Als Überbrückung zur dritten Platte gibt sich das Quartett ergebnisoffen einer EP-Trilogie und etwas Dogma hin: Vier-Spur-Recorder, alles direkt auf Kassette aufnehmen, keine mutwillige Architektur – nicht lang schnacken, Knüppel in den Nacken, sich selbst überraschen. Ähnlich wie ihre tolle “Mor”-Platte geht auch “Heretics I” (Supreme Chaos, 28.03.) rundum niederschmetternd in seinen Gefühlswallungen auf und macht das Elend und den Schmutz zwischen Mantar, Darkthrone und, äh, poppigen Hellhammer förmlich greifbar. In “Embers” oder “Chains” greifen Kavrila kurz nach den Sternen, holen aber stattdessen wehmütige Melodien vom Himmel. Geiler Move.

Auch eine Art Move: Norwegens Purified In Blood raffen sich nach grob zwölf Jahren wieder zu einer Platte auf. Auf dem nun vierten Schlag “Primal Pulse Thunder” (Indie Recordings, 14.03.) hat das Quintett aus Stavanger keimfreien Metalcore und das Sologegniedel größtenteils zugunsten von aufgeräumtem und fast episch melodischem Death Metal eingedampft. Der Rest: Brecheisen, weil man damit schneller von A nach B kommt als mit dem Schlüsselbund. Herzallerliebst sind die elf Minuten von “Portal”, in denen die Norweger ihre ganze Wucht auf den Tisch hauen – und sogar den Eso-Post-Metal-Krampf von “Spiritual Thirst” wieder wett machen.

Oha, Flensburgs Black-Metal-Ästheten Verheerer gönnen einem auf ihrer dritten Platte mehr Humanismus als jede “Tagesschau”-Meldung der vergangenen Monate. Auf “Urgewalt” (Vendetta, 04.04.) gibt’s zwar auch Krieg ohne Ende, aber eben mit dem Wissen, dass dabei Menschen sterben und das selten gut ist. Viel besser: Flirrende Melodien, Punkschmiss, ergreifende Dynamik und der wunderbare grimmige Sprechgesang von Bastian Hinz machen den breit aufgestellten Black Metal von “Totenvolk” oder das wunderbare “Grabenwurm” zu einer stilsicheren Abreibung, in der selbst die Sprachsamples nicht nerven. “Arsonist” und “Kriegstreiber” überraschen derweil mit windschiefem Klargesang und geschmackvoller Tiefe. Fantastisch ist das – vom wunderschönen Artwork bis zum letzten Ton.

Kurzer Newsflash: Der Award für den albernsten Bandnamen des Monats geht an die Herren von Industrial Puke aus dem Großraum Göteborg. Preis: ein Boss HM2-Verzerrer. Von der nostalgischen HM2-Brut, die in den vergangenen Jahren alles mit der “Buzzsaw” schreddert, hebt sich das Quintett freundlicherweise trotzdem ab. Auf ihrer zweiten Platte “Alive To No Avail” (Suicide, 28.03.) bleiben die Schweden eng genug am Juz-Hardcore, aber eben mit grobkörniger Verzerrung und trotz fiebrigem Überschwang beängstigender Präzision. Zwölf Schlägereien in einer halben Stunde – und jede davon scheint von ganzem Herzen zu kommen. Wenn dann noch “Rational Asshole” zum ehrlichen Lächeln verführt, nicken sich auch die letzten Bescheidwisser zu: Der Frühling kann kommen. Raus auf die Straße. Faschismus zerschlagen.

Aber dabei bitte nicht über die Unordnung stolpern, die Portugals Visceral auf ihrer zweiten Platte “Eyes, Teeth & Bones” (Raging Planet, 04.04.) hinterlassen. Klar, das Gegurgel von Gitarrist und Sänger Bruno Joel Correia ist in etwa so übertrieben wie Chris Barnes’ Gekasper bei Six Feet Under, aber ansonsten grenzt das hier an Impressionismus. Das Trio umreißt übermächtige Landschaften aus dissonantem Death Metal, anstrengendem Grindcore, seltsamen Melodien und von hinten links kommt irgendwo ein großer Schatten aus Noise und anderen Störgeräuschen auf. Vielleicht auch etwas viel Schlimmeres. Monster oder so. Man weiß es nicht, fühlt es nur. Ungefähr da wird dieses bösartige Getöse zu toller Kunst.

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