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Milk & Honey: Pakt für Mondsüchtige

Indiepop mit Daniel Thomas

Pakt für Mondsüchtige
Vom ehemaligen One-Hit-Wonder bis zum Fan irischer Poeten – “Milk & Honey” nimmt euch wieder mit auf einen Streifzug durch die sanften Welten des Indiepop und Folk.
Milk & Honey: Anna B Savage (Foto: Katie Silvester)
Anna B Savage (Foto: Katie Silvester)

Die grüne Insel, Heimat von Literaten wie Oscar Wilde und James Joyce, gilt manchen als Sehnsuchtsort der Poesie. So auch Anna B Savage, die in Dublin studierte und die Werke des irischen Lyrikers Seamus Heaney verehrt. “You & I Are Earth” (City Slang, 24.01.), das dritte Album der Songwriterin ist deshalb eine Art Liebeserklärung an Irland geworden, hervorgehoben in Zeilen wie “You’re learning Irish/ They didn’t teach you in the north/ While I’m learning about you and being English”. “Mo Cheol Thú” heißt das zugehörige Stück, das als Beinahe-Schlaflied die zärtliche Verschmelzung von Folk, Artpop und experimentellen Klängen exemplarisch unterstreicht. Ihre Songs besitzen bei aller Getragenheit allerdings ein unruhiges Grundrauschen, das sie jederzeit von echten Schlafliedern abhebt. “You & I Are Earth” ist nach den von der Kritik gelobten Alben “A Common Turn” und “In|Flux” Savages dritter großer Wurf in Folge, gestrickt aus dem Fundus ihrer Vergangenheit.

Sich dieser sanft zu entledigen, versucht Eddie Chacon. In den 90ern war ihm als Teil des Duos Charles & Eddie vor allem dank “Would I Lie To You” größerer Erfolg beschieden. Auf seinem dritten Soloalbum “Lay Low” (Stones Throw, 31.01.) emanzipiert er sich mit diesigem R&B weiter unauffällig von seiner Vergangenheit, ohne mit ihr zu brechen. Subtil und verschwommen wie das angelaufene Cover, hinter dem sich der Protagonist versteckt, wirkt er auf “Lay Low” wie ein Künstler, der sich nicht beeilen muss. Man könnte ihn auch als Spätzünder bezeichnen, der mit Stücken wie “Let The Devil In” zwischen Cocorosie und Marvin Gaye unaufdringliche Klasse beweist.

Im Ton ist ihm Marylou Mayniel alias Oklou nicht unähnlich, sehr wohl aber in den Mitteln. Die Französin schreibt elektronische Sehnsuchtsballaden für den Nachhauseweg in angetrunkenem Zustand. Ihre Kombination von Ambient-Sounds, Minimalbeats und zarten Synthesizer-Arpeggios brachte sie ins Vorprogramm von Flume und schließlich zu Casey MQ, der ihr Debüt “Choke Enough” (Virgin, 07.02.) coproduzierte und aufmerksamen Leser:innen dieser Kolumne häufiger begegnet sein dürfte. Gemeinsam stricken sie ein elektrifiziertes Wunderland, durch das man hindurchgreifen kann wie durch einen dicken Nebelschleier. Doch Vorsicht: Allzu hastige Bewegungen könnten den doomig-melancholischen Zauber dieser Platte stören.

Jasmine.4.T wiederum profitiert von Boygenius als Produzententrio. Lucy Dacus nahm die Künstlerin mit auf Tour, Phoebe Bridgers daraufhin unter Vertrag. Mit Julien Baker sorgte die Supergroup dafür, dass “You Are The Morning” (Saddest Factory, 17.01.) im richtigen Licht erstrahlt. Jasmine.4.T selbst verhandelt darauf ihr Trans-Outing, eine Trennung, die sie zeitweise in die Obdachlosigkeit führte, und neue queere Beziehungen. Genug Stoff für nachdenkliche Songs, sollte man meinen. Doch zwischen versonnenen Gitarrenakkorden und Streichern ist die Platte gespickt mit erbaulichem Indiefolk, der zwischen Romanze und Katharsis kaum einen Unterschied macht – allen voran das mit Bridgers aufgenommene “Guy Fawkes Tesco Dissociation”, das mit den zwölf weiteren Songs ein hervorragendes Debüt einer britischen Künstlerin auf Saddest Factory abwirft.

Tunng werfen 20 Jahre nach ihrem Debüt “Mother’s Daughter And Other Songs” ihrerseits den Blick zurück auf die Folktronica jener Tage, auf die sie ein Patent zu haben scheinen. “Love You All Over Again” (Full Time Hobby, 24.01.), das achte Album von Sam Genders und Mike Lindsay entspricht abermals einer Symbiose aus Rustikalem und Synthetischem, es vermengt Texturen und Töne. Poröse Elektronik schmiedet mit folkloristischem Ansatz einen mitternächtlichen Pakt für Mondsüchtige.