11. September 2017, Berlin. Dave Grohl ist in der Stadt, um über das neue Album seiner Band Foo Fighters zu sprechen. Noch lieber als über Musik redet der Frontmann allerdings über das, was sich hinterm Tellerrand des erforschten Universums befindet. Sein Faible für Ufologie und Astrophysik ist bestens bekannt, schließlich taufte er seine Band einst nach rätselhaften Leuchterscheinungen, die sich am Himmel zeigten. Auch während des Gesprächs blickt Grohl gerne aus dem Fenster im 20. Stockwerk, als hätte er da draußen noch eine Verabredung.
Herr Grohl, Sie haben immer wieder davon gesprochen, mit ihrer Band eines Tages ein Konzert in der sagenumwobenen Area 51 zu geben, der Militärbasis in Roswell, wo sich 1947 ein Ufo-Absturz zugetragen haben soll. Hat sich dieser Traum inzwischen erfüllt?
Wir sind tatsächlich dort aufgetreten. Angeblich haben sie damals ja die Trümmerteile aufgelesen und in einen Flugzeughangar verfrachtet, wo sie sich heute noch befinden sollen. Und wir haben in dem Hangar gleich nebenan gespielt. Das war schon witzig, hat mir aber auch gezeigt, dass der ganze Ufo-Glaube mit Vorsicht zu genießen ist. Es gibt so viele Verschwörungstheorien, dass man schnell an einen Punkt angelangen kann, an dem es vornehmlich um Nonsens geht. Manche Leute denken, der Mond wäre hohl und Aliens lebten auf der Innenseite, andere Leute denken das gleiche von der Erde. Solche Sachen eben. Für einige haben diese Gedanken eine Macht angenommen, die sie von ihrem realen Leben abhält. Das sind Menschen, die nur darauf warten, dass ihre fixe Idee Wirklichkeit wird und sich endlich die Außerirdischen zeigen. So weit geht es bei mir nicht. Aber die Vorstellung, dass wir nicht alleine sind, ist mir nicht fremd. Ich empfinde sie sogar als befreiend.
Worauf beruht diese Vorstellung bei Ihnen?
Das hat ganz früh angefangen. Als ich ein Kind war, habe ich in einem Buch über das “Project Blue Book” gelesen. Dabei handelt es sich um eine US-amerikanische Militärorganisation, die damit beauftragt worden ist, außerirdischem Leben nachzuspüren und in Erfahrung zu bringen, ob es Ufos tatsächlich gibt. In Wahrheit steckt hinter der Organisation aber die Mission, die Bevölkerung vom Ufo-Glauben abzubringen. Ihre Erkenntnisse standen also schon von vornherein fest: Es ist alles ein großer Schwindel, wir sollten uns alle keine Sorgen machen.
Und das machte Sie misstrauisch.
Genau. Bei mir hat es bewirkt, dass ich neugierig auf alles wurde, was mit dem Weltraum zu tun hatte. Der Spielberg-Film “Unheimliche Begegnung der dritten Art” lief im Kino und faszinierte mich, genau wie “Feuer am Himmel” einige Jahre später. Ich habe mich damals gerne nachts in den Vorgarten unseres Hauses gelegt und das Firmament angestarrt, in der Hoffnung, dort etwas zu entdecken. Ich war bereit daran zu glauben, dass sich mir auf diese Weise etwas enthüllen würde.
Sind Sie religiös erzogen worden?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin nie zur Kirche gegangen, auch später nicht, als mich meine Eltern zur Besserung auf eine katholische Schule schickten. Ich besaß nie diese religiöse Vorstellung, dass wir Menschen als Krone der Schöpfung die einzigen sind, die einen Planeten bevölkern – in einem Universum mit Milliarden von Galaxien. Die Möglichkeit, dass es woanders noch Leben geben könnte, lag für mich schon immer eindeutig auf der Hand. Es war die Frage der Wahrscheinlichkeit, die für mich wesentlich plausibler war als die Entstehungsgeschichte der Welt, wie die Bibel sie beschreibt. (überlegt) Wissen Sie was? Als Teenager habe ich sehr oft sehr lebendig geträumt, angenehme Träume waren das. In einem wanderte ich in einer italienischen Kleinstadt am Mittelmeer entlang. Die Sonne ging am Horizont unter, und der Hafen wurde in ein malerisches Zwielicht getaucht, als plötzlich die Sterne zum Vorschein kamen. Sobald sie alle zu sehen waren, sind sie in einen riesigen Schwarm kreisender Ufos explodiert. Alle Beobachter sanken in die Knie, während die außerirdischen Besucher eine Art Film auf den Nachthimmel projizierten, der die Entstehung des Menschen zum Thema hatte. Es war aber nicht wie in einem Kino, sondern eher wie bei einem telepathischen Phänomen: Jeder konnte die Botschaft im Innern seines Kopfes hören und sehen. Es war der Beginn einer zivilisatorischen Mission, bei der den Menschen als erstes klar gemacht wurde, dass sie eben nicht alleine im Universum sind. Früher habe ich häufig solche Sachen geträumt, das Thema hat mich quasi in den Schlaf verfolgt. (lacht)
Was interessiert sie heute als Erwachsener daran?
Mehr noch als an den wissenschaftlichen Details bin ich daran interessiert, was der Gedanke mit einem selbst macht. Ich glaube, er sorgt in erster Linie für einen offenen Geist. Das ist so ähnlich wie bei Musik, es gibt kein richtig und kein falsch, sondern nur ein offenes: Warum nicht? Die Welt selbst ist ein wachsender Organismus, da macht es keinen Sinn, wenn man als Individuum stehenbleibt.
Das klingt nun schon mehr nach Philosophie als nach Naturwissenschaft.
Es gibt ein Zitat von Neil deGrasse Tyson, das mir seit ein paar Jahren nicht mehr aus dem Kopf geht. Jemand fragte ihn, einen der brillantesten Astrophysiker der Welt, was seiner Meinung nach die verblüffendste Tatsache schlechthin sei. Er sagte: “Dieselben Atome, die einst ganze Sonnensysteme ausmachten, sind durch den Zerfall derselben in alle Richtungen des Universums hinausgetragen worden, haben Gaswolken gebildet, die irgendwann dann wiederum unsere Erde und alles auf ihr entstehen haben lassen. Wenn man also den Sternenhimmel betrachtet, sollte man sich nicht alleine fühlen, sondern verbunden.” Womit wir tatsächlich bei der orientalischen Philosophie wären. Und es stimmt ja auch: Jeder von uns möchte sich mit etwas verbunden fühlen. Es ist doch eine Schande, dass wir diese Verbundenheit nicht mehr spüren. Woran liegt das? Ist es eine Sünde, sich ein Leben jenseits unseres Planeten vorzustellen, ketzerisch, diese vermeintliche Gewissheit zu hinterfragen? Für manche Leute sicherlich, aber nicht für mich. Ich glaube an Koexistenz.
Dann können Sie mir vielleicht sagen, ob es einen Grund gibt, warum scheinbar alle Ufos ausgerechnet von den Vereinigten Staaten aus gesichtet werden?
Werden sie gar nicht. Es gibt Sichtungen auch in Südamerika, in Russland und in Europa. Es gibt einen brillanten Forscher namens Steven M. Greer, der ein Unternehmen namens “Disclosure Project” leitet. Darin versammelt er Berichte von Ufo-Sichtungen auf der ganzen Welt, und zwar von Hunderten von Augenzeugen, darunter auch dem ehemaligen kanadischen Verteidigungsminister oder der Direktor von NORAD, dem Nordamerikanischen Luft- und Weltraum-Verteidigungskommando. Das sind keine Spinner, die sich da äußern, sondern hochrangige Militärs, die jede Menge Einsicht in klassifizierte Akten gehabt haben und lediglich berichten, was sie erlebt haben. Das kann man natürlich glauben oder nicht.
Und Sie glauben es?
Warum nicht? (lacht)
Etwas konkreter, bitte.
Ich will es mal so ausdrücken: Statt an eine konkrete Ufo-Sichtung zu glauben, glaube ich an die Möglichkeit, dass es sie geben könnte. Ufos und Außerirdische sind für mich ohne Weiteres denkbar.
Denkbarer als der Glaube an Himmel und Hölle zum Beispiel?
Tja, das ist ein kompliziertes Feld. Bevor ich auf die katholische Schule kam, hatte ich mich gar nicht mit Religion befasst, plötzlich fand ich mich beim Studium der Bibel und anderer Schriften wieder. Der Kurs, der mir am besten gefiel, hieß “Seinen Glauben verstehen”, denn hier hatte ich das Gefühl, das Phänomen des Glaubens erklärt zu bekommen, von dem ich bis dato gar keinen Begriff hatte. Der Glaube ist eine merkwürdige Sache, denn er bedeutet, dass persönliche Überzeugungen bedingungslos werden. Eine Debatte findet nicht mehr statt, kann auch nicht mehr stattfinden. Man kann im Internet Christopher Hitchens – immerhin einem der größten Redner unserer Zeit – stundenlang dabei zuhören, wie er das Konzept von Himmel und Hölle mit einem religiösen Menschen ausdiskutiert, ohne ihn dadurch von seinem Glauben abzubringen. Ich fand es irgendwie immer wundervoll, wie ein Gläubiger gegen einen Christopher Hitchens, der die Tatsachen, die Wissenschaft und die Realität auf seiner Seite hat, seine Position verteidigt. In Glaubenssachen lässt sich nämlich niemand überreden.
Noch ein Zitat von Neil deGrasse Tyson: “Wenn man den Sternenhimmel betrachtet und sich dann klein fühlt, hatte man vorher ein beträchtlich aufgeblähtes Ego.” Könnte man das nicht auch von religiösem Glauben sagen?
Vielleicht haben Sie Recht. Die Menschen tendieren dazu, sich in ihrer eigenen Welt zu verlieren. Sie halten sich gerne für den Mittelpunkt des Universums, und es ist leicht, seine Demut zu verlieren. Vor einer Weile war ich in Island und stand auf einem Gletscher mitten im Nirgendwo. Das war eine Erfahrung von Demut für mich. Könnte ich in so einer Umgebung überleben? Eher nicht. Könnte mich der Gletscher verschlingen und die Lawinen mich begraben? Jederzeit. Deshalb empfehle ich: Legt euch auf den Rücken und sehr euch den Sternenhimmel an, wenn ihr ein vernünftiges Verhältnis zu euch selbst bekommen wollt. (lacht)
In den Städten funktioniert das wegen der Lichtverschmutzung ja schon gar nicht mehr.
Die Welt ist viel zu sehr ausgeleuchtet, da gebe ich Ihnen Recht.
Gilt das auch für das Privatleben von Rockstars wie Ihnen?
Der Himmel ist interessanter, mein Leben sollte man sich nicht aufregend vorstellen. Wenn ich nicht gerade auf der Bühne stehe, bin ich mir meiner Sterblichkeit, meiner Unsicherheit und meiner vielen Beulen genauso bewusst wie alle anderen auch. Man braucht schon ein Mikrofon, eine riesige Verstärkeranlage und 50.000 Menschen vor der Bühne, um sich kurzfristig wie ein Zirkusdompteur oder wie der Dirigent eines Orchesters zu fühlen. Wenn ich im Bett liege und Fernsehen gucke, esse ich ein Stück Käse wie jeder andere auch. Es gibt zwar Sachen, auf die ich stolz bin und die ich mit Selbstbewusstsein tue, aber das sind nicht allzu viele.
Zurück ins Weltall: Wie würden Sie sich die außerirdische Vorhut vorstellen, gutartig wie die bei “Unheimliche Begegnung der dritten Art” oder unangenehm wie die kleinen Mistkerle bei “Mars Attacks”?
Genau so wie es auf der Erde allerhand unterschiedliche Spezies gibt, würde es auch im Weltall die verschiedensten Arten von Aliens geben. Das wäre doch nur logisch, wenn man sich die Unterschiede zwischen einem Bakterium und einem Elefanten ansieht. Stelle ich mir kleine grüne Männchen vor? Nicht wirklich. Reptilienartige Wesen oder die klassischen grauen mit großen Augen und drei Fingern? Ich weiß nicht. Es könnte sich genauso gut um eine Art intelligenten Schaum handeln, wer weiß. Genau genommen könnten auch alle Menschen um mich herum Außerirdische sein.
Stephen Hawking hat gesagt, dass wir gut daran täten, möglichst keinen Kontakt mit Außerirdischen aufzunehmen. Sie könnten uns nicht besonders gewogen sein.
Da hat er wahrscheinlich Recht. Ich habe sogar in meiner Straße ein paar Nachbarn, bei denen ich ungern zum Abendessen reinschauen würde. Was außerirdische Besucher angeht: Ich glaube, es lohnt sich, darüber nachzudenken, aber es lohnt sich nicht, vor ihnen Angst zu haben.
Wenn die Aliens in Ihrem Vorgarten landen würden und sie auf eine Spazierfahrt mitnehmen wollten – würden Sie einsteigen, um vor der Welt zu flüchten?
Schwer zu sagen. Ich genieße mein Leben auf diesem Planeten. Klar ist die Erde ein Ort mit vielen Problemen, aber dauerhaft würde ich sie nicht missen wollen. Andererseits: Neugierig wäre ich schon. Würden Sie nein sagen?
Das käme wahrscheinlich auf den Tonfall der Frage an.
(lacht) Ja, und ob sie von einem Zwölf-Meter-Typ mit massig Zähnen gestellt würde. Im Ernst: Ich finde schon, dass die Menschen nicht nur über die nächsten zwei oder drei Jahre nachdenken sollten, sondern über die nächsten 200. Die Zeit fliegt, und die menschliche Zivilisation ist nur ein Augenzwinkern im großen kosmischen Ganzen. Daher muss man einem Phänomen wie der Erderwärmung allein aus bloßem Verantwortungsgefühl aufgeschlossen gegenüberstehen.
Und doch hat man gerade im Moment den Eindruck, dass diese Dinge total beliebig werden. Erwachsene Menschen denken wieder, die Welt sei eine Scheibe, bloß weil sie noch nie in Australien waren.
Das stimmt leider. Dass die Klimadebatte in Amerika zu einer politischen Streitfrage geworden ist, ist natürlich lächerlich. Das hat man gerade wieder an Hurrikan Irma gemerkt, der Florida verwüstet hat. Eine der kontroversesten Figuren in den USA ist der erzkonservative Radiomoderator Rush Limbaugh, der die globale Erwärmung bisher als linksliberale Verschwörung abgetan hat. Jahrelang und vor einem Millionenpublikum. Und jetzt hat er gerade sein Sendestudio evakuieren müssen, um nicht vom Hurrikan weggepustet zu werden. Da schwingt dann schon eine gewisse poetische Gerechtigkeit mit. Und trotzdem leben wir gerade in einer Zeit, in der die Menschen nicht zu wissen scheinen, was sie glauben sollen. Das geht wieder zurück auf die Gedanken über Glaube und Wahrheit: Man kann diesen Leuten die wissenschaftlichen Beweise oder die empirische Realität um die Ohren schlagen, ohne dass sie deswegen von ihrem Glauben abrücken. Da geht in diesen Tagen einiges drunter und drüber.
Fällt es da nicht gerade den Ufologen und Science-Fiction-Fans zu, den Weg in eine fortschrittlichere Welt zu weisen? Eine Fernsehserie wie “Star Trek” war Mitte der 60er Jahre in ihrem Zukunftsdenken weiter als breite Teile der heutigen Gesellschaft.
Ich bin zwar kein Trekkie, aber der Begriff Science Fiction hat mich immer ein bisschen gestört. Es gab immer Köpfe, die Ideen hatten, die zu ihrer Zeit unvorstellbar oder lächerlich schienen. Der Film “2001 – Odyssee im Weltraum” versammelt viele dieser kontroversen Vorstellungen. Doch es handelt sich häufig nicht um fiktionale oder technische Visionen, sondern um gesellschaftliche Ideen. Damals hat man das als Fantasterei abgetan, dabei gibt es keinen Grund, weshalb die in diesem Film verhandelten Gedanken zur Evolution des menschlichen Bewusstseins nicht eines Tages Wirklichkeit werden sollten. Für mich läuft das wieder auf unseren ursprünglichen Gedanken hinaus: Es ist wichtig, einen offenen Geist zu behalten. Wenn man jung ist, hat man schnell das Gefühl, alles zu wissen, weil man eben das Zentrum seines eigenen narzisstischen Universums bildet. Wenn man älter wird, erkennen viele – nicht alle – dagegen, wie wenig sie tatsächlich wissen. Es wäre zu schade, wenn sich unsere Gesellschaft hier kollektiv wie ein Teenager benehmen würde.
(aus GALORE 25, 10/2017)
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