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"Kein Reel dieser Welt wird Menschenleben retten" - Hi! Spencer im Interview zum neuen Album "Oben"

Hi! Spencer im Interview

Übers Wetter reden
Sven Bensmann führt auf der Bühne zwei Leben. Einmal als erfolgreicher Comedian, einmal als Sänger und Kopf der Osnabrücker Band Hi! Spencer. Letztere veröffentlicht am 22. März ihr neues Album „Oben“, über das er mit uns im Interview spricht. Dabei geht es um gesunden Optimismus, Selbstoptimierung, das Wetter und Songs über Tiere.
Hi! Spencer (Foto: Debora Brune)
Hi! Spencer (Foto: Debora Brune)

Sven, du hast gerade die ersten Termine deiner Comedy-Solotour hinter dir. Bist du zufrieden bisher?

Sven Bensmann: Grundsätzlich bin ich immer auf Solotour. Bandtechnisch hängt das mit ein paar mehr Leuten zusammen, also stecken wir uns dafür im Jahr ein paar Zeiträume ab. Drumherum baut sich dann mein Solokram auf. Das ist mein Job, deswegen muss das regelmäßig laufen. Aber ich bin damit sehr zufrieden. Ich habe den Eindruck, dass die Leute etwas danach lechzen, unterhalten zu werden. Gott sei Dank ist das etwas, das ich ganz gut bedienen kann.

Ist es für dich eine Umstellung, im April dann wieder in den Bandmodus zu gehen?

Nicht wirklich. Zwar unterscheidet sich die Art, auf die Bühne zu gehen, aber das passiert bei mir sehr intuitiv. Sobald wir aber zu fünft oder zu sechst in einem Bulli sitzen, ist das wie eine spätpubertäre Klassenfahrt. Wenn man allein auf Tour ist, hat man nicht so viele Leute, mit denen man Scherze machen kann. Deswegen genieße ich es immer so sehr als lebendigen Ausgleich, wenn wir mit der Band unterwegs sind.

Hast du den Eindruck, dass dein Soloprogramm und die Musik mit der Band unterschiedliche Leute ansprechen?

Das würde ich schon sagen. Die Band ist in den Songs nicht gerade lustig oder auf eine jeckige Art unterhaltsam. Das ist bewusst ernstzunehmende Musik mit melancholischen, sogar tristen Texten. Gerade weil ich die Texte mitschreibe, habe ich in mir auch diese Seite, die lockerer an Themen rangehen und den Witz und den Spaß rausholen möchte. Aber es gibt inzwischen mehr Überschneidungen im Publikum. Vor einigen Jahren noch war das komplett voneinander getrennt. Die Leute haben es irgendwann mitgekriegt und sich vielleicht intensiver informiert, was ich sonst mache, und sind auf die Band gestoßen. Oder sie sind von der Bandseite aus auf die Comedy gestoßen und haben gedacht, dass sie sich das mal anhören.

Würdest du sagen, dass es schwerer ist, Menschen für die ernsteren Inhalte von Hi! Spencer zu begeistern?

Nicht zwangsläufig. Umso schöner ist es, dass Leute sich aus der Musik nehmen können, was sie gerade brauchen. Musik kann emotional unfassbar unterstützend sein. Es ist für alle Bedürfnisse was dabei, würde ich sagen. Es ist schön, diese unterschiedlichen Menschen vor der Bühne zu sehen, weil das ein Pool aus ganz vielen Individuen ist.

Wie entscheidest du, welche deiner persönlichen Erlebnisse und Gedanken du als Stand-up-Comedian verarbeitest und aus welchen du Songs für Hi! Spencer machst?

Wir waren vorher einfach eine Abiband, sind zusammen zur Schule gegangen, kennen uns teilweise schon aus dem Kindergarten. Als wir dann mit Hi! Spencer begonnen haben, zusammen Songs geschrieben haben uns auf eine grobe musikalische Richtung einschießen konnten, habe ich Texte geschrieben. Da habe ich gemerkt, dass ich gerne über subjektive Emotionen schreibe. Ich habe aber auch gemerkt, dass, je mehr ich ernstzunehmende Texte schreibe, ich immer mal einen Abzweig zu richtig großem Quatsch mache. Als ob es in mir etwas gibt, das sich dagegen wehrt, ernst zu sein. Ich habe das monatelang abgetan, dann habe ich mir aber gesagt: „Okay, das meiste ist große Scheiße, manches ist aber wirklich lustig.“

Was war deine Erkenntnis?

Ich habe herausgefunden, dass es einmal diesen Texter in mir gibt, der ernst genommen werden möchte und über ernstzunehmende Themen singt, es aber auch noch was anderes gibt. Da bin ich ehrlich zu mir selbst gewesen und habe gedacht, dass dieser Quatsch vielleicht nicht in die Band passt, aber woanders hin. Dadurch bin ich auf diese Comedy-Idee gekommen. Man nennt es zwar Comedy, aber ich würde es einfach Unterhaltung nennen.

Auf dem neuen Album ist das Suchen nach Glück ein zentrales Thema. Kann man das so einfach sagen?

Ja. Der Titel „Oben“ kommt daher, dass wir alle fünf festgestellt haben, dass es ganz subjektiv schon mal beschissener für uns war. Das kann man weder auf die globale Situation beziehen noch jeder Mensch auf sich selbst. Aber für uns konnten wir sagen, dass wir in unserem Leben in den letzten Jahren wichtige Entscheidungen getroffen haben, die uns näher nach oben gebracht haben. Wir betrachten es aber auch so, dass alles in Wellen verläuft und im vollen Bewusstsein, dass nach „Oben“ meist auch wieder „Unten“ kommt.

Was meinst du genau?

Wir haben nicht immer so getextet. Manchmal war auch einfach alles scheiße und auch am Ende des Songs noch scheiße. Wir sind in diese „Oben“-Phase gekommen, indem wir uns in der „Unten“-Phase durchgewühlt haben. Deshalb haben wir geschaut, dass wir positive Ausblicke geben. Wenn sich ganz viele Türen auf einmal schließen, sei es durch irgendwelche beendeten Beziehungen oder sogar den Tod, gibt es in allem eine Möglichkeit, dass es weitergeht. Das ist etwas, was wir durchaus als Glück bezeichnen können – allerdings mit Vorsicht!

Würdest du sagen, „Oben“ ist in letzter Konsequenz ein optimistisches Album?

Bis jetzt sogar unser optimistischstes Album. Man ist immer gut damit beraten, wenn man erst mal nicht davon ausgeht, dass alles den Bach runtergeht.

Zeigt sich der Optimismus der Platte auch musikalisch?

Ich denke, dass sich das auch in unserer Musik geändert hat. Wir waren schon immer Freunde von simplen Melodien. Aber im Song „Lösen“ klingt es tatsächlich so. Wir haben im Rahmen der Band vor über einem Jahr kollektiv ein Gefühl der Trauer empfunden, weil in unserem Umkreis ein Mensch gestorben ist, den wir alle sehr gerne hatten. Ich finde es sehr mutig, über so ein Thema so einen Song zu schreiben, der einen sehr flippigen Refrain hat, obwohl es um diese tiefe Traurigkeit des Verlusts geht. Gerade da sieht man den Optimismus am krassesten, weil es sich so sehr kontrastiert.

Gibt es auch durchgehend düstere Songs?

Durchaus. Mir ist es im Songwriting-Prozess sehr oft passiert, dass ich erstmal in einer Emotion bleibe. „Würfel“ ist ein gutes Beispiel. Das handelt von Lethargie und depressiven Momenten, es gibt in der letzten Strophe aber auch diesen Ausblick: „Ich werfe den Würfel weg und geh’, denn vielleicht rettest du mich“. Als ich den Song anfangs geschrieben habe, gab es diesen Ausblick noch nicht. Das hängt damit zusammen, dass ich in dieser Emotion geschrieben habe.

Macht das einen starken Song aus?

Ich bin seit einigen Jahren gut beraten, alles, was ich in gewissen Emotionen geschrieben habe, nochmal mit etwas Abstand zu betrachten. Emotionen sind der Motor für vieles, wenn nicht sogar alles. Aber sie können auch in die Irre führen, was sie nicht weniger schlecht macht. Damit es sich lohnt, sie irgendwann zu verstehen, gucke ich gerne nachträglich nochmal drauf.

Hi! Spencer (Foto: Debora Brune)
Hi! Spencer (Foto: Debora Brune)

Welche Rolle spielen Selbstfindung und Außenwahrnehmung auf dem Album?

Auf der Vorgänger-EP „Memori“ haben wir angefangen, an diesem großen Thema Selbstfindung und dem langen, beschwerlichen Weg dahin rumzudeichseln. Wir haben gemerkt, dass da mehr dahintersteckt und dass Leute mehr rausziehen wollen als wir ihnen auf einer Fünf-Track-EP geben konnten. Dementsprechend ist Selbstfindung ein Thema, das auch auf der neuen Platte wieder eine große Rolle spielt. Weil so eine Reise zu sich selbst – wenn man das jetzt pathetisch sagen möchte – hört nicht auf. Man kommt sich selbst nur näher und lernt, sich mehr zu verstehen. Unser Zustand als Band hat natürlich mit gelungener Selbstfindung zu tun und ist etwas, was wir in unserer Musik unbedingt noch mehr abbilden wollen.

In „Alles sein“ geht es um Selbstoptimierung. Was hältst du von dem Einfluss in den sozialen Medien zu dem Thema?

Ich lehne das deutlich ab. Es ist in einem Selbstfindungsprozess hilfreich, sich hier und da Hilfe zu holen, keine Frage. In Teilen meines Lebens habe ich das auch getan, und ich kann es allen Menschen empfehlen. Aber kein Reel dieser Welt wird irgendein Menschenleben retten, davon bin ich fest überzeugt. Am Ende profitiert nur die Person davon, die durch ihre Kalendersprüche die meisten Klicks bekommen hat – das bringt einem selbst gar nicht so viel. Man selbst ist der Schlüssel zu diesen Sachen.

„Würfel“ ist ein Song, bei dem du im Text genderst. Findest du sowas sollte mehr gemacht werden?

Wir haben das gegendert, weil es passte. Ich finde es eine berechtigte Kritik, dass dieses absolut notwendige Mittel, alle Menschen in Sprache zu integrieren, manchmal den Sprachfluss stört – vor allem in der Kunst. Aber wir haben gemerkt, dass Gendern hier passte. Ich finde es gut, dass es auffällt.

Fast alle Texte auf dem neuen Album spielen mit der Bedeutung einzelnen Worten. Sind Begrifflichkeiten etwas, worüber du gerne nachdenkst?

Scheinbar schon. Als wir fertig waren, ist uns aufgefallen, dass wir da ein kleines meteorologisches Metaphernalbum geschrieben hatten. Wenn wir ehrlich sind, dann passt das sehr gut. Es scheint nicht immer die Sonne, manchmal ziehen Wolken auf, manchmal bleibt eine Nebeldecke wochenlang über einem. Das sind Metaphern, für die man sich offenbar öfters entscheidet, weil sie sehr zutreffend sind. Der Auslöser für eine negative Emotion, wie zum Beispiel im Song „Nebel“ ist bei einer anderen Person ganz bestimmt nicht dieselbe Motivation wie bei mir, aber durch diese Metaphorik kann die Person dazu Zugang finden. Anscheinend haben wir ein bisschen zu viel übers Wetter nachgedacht. Wir machen das auch schon sehr lange zusammen, wir unterhalten uns oft nur noch übers Wetter.

Kam daher auch die Idee mit der Wolke als Artwork?

Ja, tatsächlich. Das kommt auch davon, dass wir in unseren Artworks gerne abbilden, was wir davor schon gemacht haben. Das soll sich gar nicht nur auf die zehn neuen Songs beziehen. Es gibt einen Song, der uns sehr am Herzen liegt, der ist schon einige Jahre alt und heißt „Kopf in den Wolken“. Wir spielen den immer noch gerne live, obwohl der auf Streamingplattformen nie viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Aber es ist schon ein, zweimal vorgekommen, dass Menschen gesagt haben, dass sie sich das jetzt tätowieren lassen. Wolken, die dafür sorgen, dass sich die Sicht verändert, sind daher etwas sehr zutreffendes.

Findest du, es sollte mehr Songs über Hunde geben?

Zumindest habe ich mich über „Juno“ sehr gefreut. Es ist ein Song von Malte [Thiede]. Wir tauschen auf unseren Platten immer mindestens bei einem Song die Rollen. Das machen wir, weil wir das cool finden und weil Malte auf eine ganz andere Art und Weise mit Worten spielen kann. Es geht also um seinen Hund, der Juno heißt. Das ist der knuffigste Hund von allen – mit Abstand. Weil dieser Hund sich, egal wo er ist und wen er trifft, immer freut, als wäre es der beste Moment seines Hundelebens. Dementsprechend finde ich, dieser eine Song mehr, den musste es noch geben.

„Oben“ erscheint am 22. März.

Live: Hi! Spencer

19.04. Göttingen – Nörgelbuff (ausverkauft)
20.04. Dresden – Blauer Salon
27.04. Münster – Sputnikhalle
28.04. Bochum – Die Trompete (ausverkauft)
03.05. Meppen – Jam (ausverkauft)
04.05. Hamburg – Molotow (ausverkauft)
05.05. Bremen – Schlachthof
09.05. Frankfurt am Main – Nachtleben
10.05. Stuttgart – Club Cann
11.05. Berlin – Lido
12.05. Hannover – Musikzentrum
17.05. Köln – Gebäude 9
18.05. Saarbrücken – Studio 30
19.05. München – Backstage
09.06. Osnabrück – Haste Open Air
19.12. Hamburg – Knust

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