Liam, ein deutsches Onlinemagazin hat seinen Vorbericht zu deiner und Johns Platte mit “Manchester United” überschrieben. Maximale Provokation, oder?
Liam Gallagher: Nein, damit kann ich umgehen. Das ist eine gute Headline, denn sie ist auf eine bestimmte Art wahr. Und man muss ja schon zufrieden sein, wenn Überschriften keine Lüge erzählen. [im Hintergrund quietscht ein Hund] Warte kurz, ich muss eben den Hund raustragen.
Erinnerst du dich noch daran, als du damals zum ersten Mal die Stone Roses mit John an der Gitarre gehört hast?
Gallagher: Ja, das war kurz vor meinem 16. Geburtstag, also im Sommer 1987. Meine Eltern hatten sich endgültig getrennt, bei uns war alles ziemlich düster in dieser Zeit. Es gab viele Probleme, in Beziehungen und so. Als ich in diesem nicht sehr glücklichen Zustand auf meinen ersten Stone-Roses-Gig ging, hatte ich dort das Gefühl, in einer anderen Dimension gelandet zu sein. Diese Musik war alles andere als düster und kühl. Sie war bunt, sie kam auf mich zu, kam mir entgegen, statt sich von mir abzuwenden. Ich spürte das Gefühl, in einer anderen Welt zu sein. Es war absolut erhebend. Ich ging zurück nach Hause, wo es sofort wieder Stress gab. Es war wieder verdammt düster, und ich dachte mir, wie großartig es wäre, jetzt wieder bei den Stone Roses zu sein. Als dann 1989 endlich das erste Album rauskam, habe ich es sofort gekauft. Ich spielte die Platte, betrank mich dazu – und die Songs versetzten mich in eine glücklichere Zeit. Ich bin diesem Album auf ewig dankbar für diese Erfahrung. Es hat mich gerettet, Mann!
Hat dein Album mit John das Potenzial, für Menschen ähnliches zu leisten?
Gallagher: Ich denke schon. Sie ist positiv, sie geht nach vorne, sie will dich erheben. Das ist der Sinn hinter diesem Album: Wir wollen Leuten dieses Gefühl geben, das ich damals gehabt habe. Wir tun das ja nicht, um berühmter zu werden oder mehr Geld zu verdienen. Wir haben genug Kohle. Wir tun es aus den richtigen Gründen, wir tun es, um die Leute und uns selbst glücklich zu machen. So, wie es die Stone Roses bei mir gemacht haben.
Was ist für dich das beste Rock-Duo nach Squire/Gallagher?
Gallagher: So viele gute gab’s gar nicht. Ich weiß nicht, Mick Jagger und David Bowie? Wobei, die haben viel Scheiße zusammen gemacht. Ich nehme John Lennon und diesen anderen Typen, mit dem er in den 70ern das Album zusammen gemacht hat. Wie hieß der nochmal. Harry… Harry Styles? Nee, das ist jemand anderes. Stills? Ich hab’s: Harry Nilsson. John Lennon und Harry Nilsson.
Die haben zusammen das berüchtigte “Lost Weekend” erlebt, aus dem das Album “Pussy Cats” entstand.”
Gallagher: Genau, großartig. Die kommen gleich nach uns.
Was zeichnet John und dich als Duo aus?
Gallagher: John ist einer der besten Rockgitarristen aller Zeiten, das weiß jeder. Dass er auch ein großer Songwriter ist, das ist weniger bekannt, was eine Schande ist. Gut, dass sich das jetzt ändern wird. Wenn ich als Sänger dazu beitragen kann, dass Johns Songs nun häufiger im Radio laufen, dann habe ich meine Pflicht getan. Seine Songs bei den Stone Roses waren großartig, aber auch seine Solosachen. Und The Seahorses, seine Band nach den Roses, waren auch mega.
»60 Minuten Hauptset, dann ein paar Zugaben, das reicht doch, danach muss eh jeder pissen.«
Liam Gallagher
Auf der Seahorses-Platte von 1997 gibt es einen Song, den du laut Liner-Notes mitgeschrieben hast, “Love Me And Leave Me.”
Gallagher: Ja, aber das war damals keine bewusste Entscheidung, nach dem Motto: Komm, lass uns einen Song zusammen schreiben! John war damals in London bei mir zu Hause, wir haben ein bisschen Party gemacht, ich habe Scheiße gelabert, John hat das aufgeschnappt und einen Song daraus geschrieben. So muss es wohl gewesen sein. Genaueres weiß ich nicht mehr, es waren die 90er.
Die Songs auf eurer gemeinsamen Platte kommen alle von John, warum hattest du keine Songwriter-Ambitionen?
Gallagher: Weil ich es absolut genossen habe, dass ich mich nicht ums Schreiben kümmern musste. Ich musste nur singen. Das liegt mir. Um Songs zu schreiben, musst du dich hinsetzen und dir Gedanken machen. Ich meine, ich mache mir ständig Gedanken, so ist das nicht, aber ohne, dass ich danach etwas zu Papier bringen müsste. Dafür brauchst du eine bestimmte Geisteshaltung, die ich nicht immer besitze. Dahinzukommen, um Songs zu schreiben, stresst mich ein wenig.
Singen nicht.
Gallagher: Nein. Singen ist nicht einfach, bei mir wirkt es aber so, als wäre es das, do you know what I mean?
John, was hast du bei der Arbeit an dem Album über Liam, den Rock’n’Roll-Sänger gelernt?
John Squire: Ich wusste, dass er großartig ist. Neu erfahren habe ich, dass er darüber hinaus sehr schnell ist. Er arbeitet in hohem Tempo – und sauber. Und er hat tolle Ideen für Backing-Vocals.
Liam, was ist deine Methode, dich den Songs anzunähern, die andere für dich als Sänger schreiben?
Gallagher: Es ist, wie eine Geschichte zu lesen. Du liest die Zeilen und versuchst, in die Wörter zu kommen. Dorthin, wo sie herkommen. Und ich bin ziemlich gut darin. Ich bin sehr diszipliniert, wenn es darum geht, Songs zu lernen. Sehr professionell. Viele Leute denken, ich sei ein Trottel oder sowas. Aber ich nehme meinen Job sehr ernst. Das ist der Grund, warum ich so gut klinge.
John, du hast seit fast 20 Jahren bis auf die beiden Reunion-Singles mit den Stone Roses keine Musik mehr veröffentlicht. Wann hast du diese neuen Stücke geschrieben? Lagerten die schon seit Jahren in einem Notizbuch?
Squire: Ich habe sie gezielt für dieses Projekt geschrieben. Damit angefangen habe ich, nachdem wir begannen, für Liams Shows in Knebworth zu proben, wo ich ihn bei einigen Songs begleitet hatte. Es ist das erste Mal, dass ich auf diese Art gearbeitet, also gezielt für jemand anderes geschrieben habe. Ich kannte Liam natürlich als Sänger, was mir aber nicht ganz klar war, war die Reichweite seiner Stimme. Welche Töne liegen ihm, welche nicht so sehr – das habe ich herausgefunden, denn ich wollte keine Songs schreiben, die nicht optimal zu seiner Stimme passen.
Was hat deine Recherche ergeben?
Squire: Liams Stimme reicht ziemlich tief, ohne, dass sie dabei ihre Kraft oder ihren Reichtum an Nuancen verliert, der sie so besonders macht. Sie erreicht aber auch das hohe G, ohne, dass es nach Anstrengung klingt. Mit diesen Informationen über seine Vocal-Range im Kopf fiel es mir leichter, Songs zu schreiben.
Hat Liams Art zu singen, dein Gitarrenspiel beeinflusst?
Squire: Ich habe ein Doodle seines Vokalbereichs erstellt, eine Art Landkarte der Reichweite seiner Stimme, um zu verhindern, dass ich mit meiner Gitarre über die Grenzen seiner Range hinausgehe. Es ist aber nicht so, dass ich das auf dem theoretischen Niveau von Beethoven oder so gemacht habe. Generell spiele ich, wie ich spiele. Und ich war mir ziemlich sicher, dass mein Spiel zu ihm passen und ihm gefallen wird.
»Kein Alkohol mehr im Studio, ich bin über 50, ich nehme einen Tee. Zumindest, bis die Arbeit getan ist.«
Liam Gallagher
Liam, kannst du dir vorstellen, eine so lange Pause von der Musik zu machen, wie John sie eingelegt hat?
Gallagher: Nein, ich hätte mir schon längst ins Gesicht geschossen! Musik ist wie eine Droge, es ist wirklich so. Man darf es nicht übertreiben, daher höre ich zu Hause viel weniger Musik. Nicht, weil sie mich langweilen würde, es ist eher so, dass ich auf der Lauer liege. Und wenn es dann an eine Aufnahme geht oder eine Tour ansteht, dann werde ich wie ein verrücktes Tier, wie ein verdammtes Kaninchen, das nur darauf wartet, loszurennen.
John, wenn man wie du lange keine Songs mehr geschrieben hat, wie schwer ist es, wieder in den Flow zu kommen? Oder ist es wie beim Schwimmen: Man verlernt es nicht?
Squire: Ich mag es beim Songwriting gerne klassisch und einfach. Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Bridge, Solo, Refrain, diesen zwei, dreimal wiederholen. Ich mag dieses simple Format, und es hilft mir, schnell wieder in den Flow zu kommen. Ich musste daher nicht erst ein halbes Dutzend Testsongs schreiben. Gleich den ersten habe ich Liam geschickt: “Love You Forever”, der ist auch auf dem Album drauf. Ich habe ihm den Track in die Dropbox gestellt, fünf Minuten, nachdem ich mein Demo mit zwei Gitarren und meinem schlechten Gesang fertiggestellt hatte.
Warst du nervös, nachdem du ihm das geschickt hattest?
Squire: Ich war mir recht sicher, dass ihm die Gitarren und das Songwriting gefallen werden. Nur der Gesang nicht, aber der war egal, er sollte ja übernehmen. Um einige der hohen Töne zu erreichen, musste ich in die Kopfstimme wechseln. Das klang lächerlich, aber ich wollte die Melodie so singen, wie ich sie mir vorstellte. Mir war klar, dass Liam das ohne Falsett hinbekommen würde. Meine Demos klangen also bewusst dumm, und man erkennt einen brillanten Sänger wie Liam daran, dass er die Größe eines Liedes auch dann erkennt, wenn der Songwriter es lächerlich schlecht auf einem Demo singt.

Liam, als du die Files in der Dropbox hattest, wie bist du dann weiter vorgegangen?
Gallagher: Kopfhörer aufsetzen und immer und immer wieder hören, mitsingen – bis es sich gut anfühlt.
Wann war euch klar, dass aus dieser ersten Idee zu einer gemeinsamen Sache tatsächlich ein Album wird?
Gallagher: Als ich die Songs draufhatte, bin ich zu John nach Macclesfield gefahren, wo wir innerhalb von zwei Tagen erste Aufnahmen gemacht haben. Da war klar, wie gut das werden würde. John ist ein unfassbar guter Gitarrist. Ich habe mit ein paar guten Gitarristen zusammengearbeitet, aber John spielt eine Liga höher. Er spielt Dinge, an die andere nicht einmal denken. Er denkt sich das aus – und lässt sich nicht davon abschrecken, dass es schwierig oder außergewöhnlich werden könnte. Und über mich muss ich sagen: Wenn ich als Sänger gut bei der Sache bin, kann mir niemand das Wasser reichen. Spielen John und ich also zusammen, sind wir nicht zu stoppen.
Es ist das Beste, was du kriegen kannst.
Squire: Es ist für mich offensichtlich, dass die Sterne für dieses Projekt günstig gestanden haben. Nicht nur, dass Liam und ich schnell zusammenfanden und in die gemeinsame Arbeit kamen: Für die Aufnahmen sind wir dann nach Los Angeles geflogen, um dort mit dem Produzenten Greg Kurstin zusammenzuarbeiten, den ich vorher noch nie getroffen hatte. Gleich zu Beginn meint er, er würde gerne auch Bass spielen und kenne noch dazu einen Schlagzeuger, der auch gerne dabei wäre. Auch diesen Schlagzeuger kannte ich nicht. Plötzlich hatten Liam und ich also eine Studioband in L.A. beisammen, mit zwei Leuten, mit denen ich noch nicht zusammengespielt hatte. Es hätte schrecklich in die Hose gehen können. Selbst dann, wenn alle Beteiligten ihren Job gut machen, denn es kann immer so kommen, dass das Zusammenspiel nicht funktioniert, dass nichts zusammenfließt. Aber schon nach den ersten Sessions hatte ich den Eindruck, dass es klappen wird.
Wie kommt ihr als eingeschweißte Mancunians darauf, einen Song “Mars To Liverpool” zu nennen?
Squire: Liam und ich hatten eine Unterhaltung über diesen Text, bevor ich die Musik geschrieben hatte. Es ging um Reisen, Gepäck und Hotels, um hohe Erwartungen und den harten Boden der Realität. Liam erzählte mir von der Zeit, als er eine Wohnung in einem Apartmentgebäude in New York hatte. Er stand eines Tages draußen auf dem Bürgersteig und rauchte, als ein Tourist zum Gebäude kam und Liam fragte, ob er das Gepäck hochtragen könne. Er hielt ihn für einen Hotelpagen. Diese Story war der Ausgangspunkt, wir kamen schließlich zu dem Schluss, dass bei allen Reisen die größten Enttäuschungen mit dem Ankommen verbunden sind. Das, was man erfährt, wenn man angekommen ist, erreicht fast nie das hohe Level der Erwartungen, die man auf dem Weg entwickelt hat. Liam kam dann mit der Zeile “The journey is the trip” um die Ecke.
Liam, interessieren dich die Inhalte von Johns Songs?
Gallagher: Nein. Worum es geht, interessiert mich nicht. Ich bin nicht der Typ für Textanalysen. Wichtig ist, dass es cool klingt. Das reicht mir.
Im Stück “Mother Nature’s Song” gelingt es dir, das superkurze Wörtchen „tea“ mit vier Tönen zu singen.
Gallagher: Ja, erstens trinke ich sehr viel Tee, gerade, wenn ich aufnehme. Kein Alkohol mehr, sondern Tee. Kein Alkohol mehr im Studio, ich bin über 50, ich nehme einen Tee. Zumindest, bis die Arbeit getan ist. Zweitens ist der Song mega, er ist mein Favorit auf dem Album.
John, die bist auch als Maler gut im Geschäft. Wann hast du das bessere Gefühl, wenn du ein Bild fertiggestellt hast oder wenn ein Album im Kasten ist?
Squire: Es ist einfacher, ein Album im Auto zu genießen. Heute morgen habe ich Sport zur zweiten Seite der LP gemacht. Musik zu hören, ist also gesünder, als sich ein Bild anzuschauen. Was den Prozess angeht: Wenn ich male, kann ich das ganz allein tun. Für die Musik brauche ich irgendwann Leute wie Liam, mit denen ich zusammenarbeite. Und es ist gut, dass ich mich in Gesellschaft bewege. Ich mache das zu selten, es tut mir gut.
Hast du Bilder von dir in deinem Haus hängen?
Squire: Eines, von meiner letzten Ausstellung, meine Frau legt großen Wert darauf, dass es bei uns hängt. Es ist ein bearbeitetes Porträt von Twiggy, dem Model aus den 60ern.

Habt ihr euch bei der Arbeit an dem Album viel über Musik ausgetauscht?
Squire: Ich höre nicht viel Musik, wenn ich selbst eine Platte aufnehme. Es ist dann sowieso viel Musik um mich herum, da verbringe ich meine freie Zeit lieber damit zu lesen oder Serien zu schauen. Und meine wichtigsten Einflüsse habe ich sowieso immer im Kopf: die Beatles und die Stones, Hendrix, Led Zeppelin, Cream. Das klassische Zeug halt.
Es gibt das Gerücht, du, Liam, hättest John im Vorfeld der Platte einen Bee-Gees-Song geschickt.
Gallagher: Es ist gut, dass wir das jetzt mal klären können. Ich würde nie auf die Idee kommen, John Songs zu schicken, damit er sich davon beeinflussen lässt. Es war so: Ich war auf Tour, war angetrunken und schickte ihm aus dieser Stimmung heraus ein paar Songs, die ich mochte. Darunter einen der frühen Bee Gees, “Lonely Days”. [singt] “Lonely days, lonely nights/ Where would I be without my woman?” Großartiger Refrain.
Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn sich die Leute in angetrunkenem Zustand Bee-Gees-Songs schicken würden, statt politisches Zeugs zu posten.
Gallagher: Fucking right!
Was werdet ihr bei der kommenden Tour spielen, auch Sachen von den Stone Roses und Oasis?
Gallagher: Nein, nur das Album und ein paar Coverversionen. Das Album ist gut genug, und es ist auch lang genug. 60 Minuten Hauptset, dann ein paar Zugaben, das reicht doch, danach muss eh jeder pissen.
Wie stehen die Chancen, dass aus diesem Duo eine Band wird?
Gallagher: Wir haben bei der Tour am Bass Barrie Cadogan dabei, der früher bei Primal Scream war und dann Little Barrie gemacht hat, am Schlagzeug sitzt Joey Waronker, der für Beck gespielt hat. Das ist ein sehr talentierter Haufen. Ich habe ein gutes Gefühl, mal sehen, was sich daraus ergibt.
Liam, bitte noch kurz deine Einschätzung zum Abschied von Jürgen Klopp beim ManCity-Rivalen aus Liverpool am Ende der Saison.
Gallagher: Klopp sagt, er habe nicht mehr genügend Energie. Das ist der Unterschied. Er ist ein guter Trainer, hat einen guten Charakter, die Premier League wird ihn vermissen, aber: Er ist nicht mein Trainer. Wir haben Pep – und Pep ist Gott. Klopp dagegen hat keinen Dampf mehr. Ich denke aber, er wäre ein guter Nationaltrainer für euch. Das soll er mal machen, wenn er sich erholt hat.