Anfang November 2022 stirbt Mimi Parker im Alter von 55 Jahren, der Krebs war nicht zu besiegen. Seit 1993 spielte sie zusammen mit ihren Mann Alan Sparhawk bei der Band Low. Mitten im Grunge-Getöse entwickelte die Band aus Duluth, Minnesota eine Musik, die ihre Kraft aus der Ruhe und Langsamkeit zog. 13 Alben veröffentlichten Low. Langweilig wurde ihr Stil nie. Was daran lag, dass sich die beiden jeder Routine verweigerten. Das letzte Album “Hey What” erschien 2021, es war eines ihrer besten. Die Interviews dazu gaben sie gemeinsam. Er sagte, er neige dazu, einen Song zu zerstören. Sie erwiderte, ihre Aufgabe sei es, ihn zu retten. Jetzt ist Parker nicht mehr da – und Sparhawk veröffentlicht mit “White Roses, My God” ein Soloalbum. Darauf zu hören: Electronica mit gepitchtem Gesang. Verfremdete, artifizielle Musik.
“Niemand erkennt meine Stimme”, sagt Sparhawk. “Aber ich weiß, dass es meine ist. Ich habe sie als Reaktion auf den Sound entwickelt, den ich mit elektronischen Mitteln erzeugt habe. In diesem Setting muss ich kaum auf die Tonhöhe achten. Und auch nicht darauf, nicht schief zu singen. Bei Low habe ich 60 bis 70 Prozent meiner Aufmerksamkeit dafür verwendet, die Tonhöhe zu halten. Mimi war sehr, sehr gut darin. Und daher auch sehr kritisch. Sie sang instinktiv richtig, ich musste mich anstrengen. In dieser Pitchwelt gibt es kein Gerade und kein Schief. Das hat den Vorteil, dass mein Kopf frei war. Ich konnte eine Stimme anzapfen, die tief in mir verborgen liegt. Sie rückte intuitiv nach oben. Es war definitiv ein Sprung von der Klippe ins kalte Wasser. Ich dachte: Okay, wenn ich die Musik spüre, wenn ich fühle, dass sie mich bewegt, dann schnappst du dir das Mikrofon und legst einfach los. Und so ist es passiert.”
Entstanden ist die Musik in einem Setup, dass Sparhawks Sohn zu Hause aufgebaut hatte. Seine Kumpels und er nutzen es für ihre HipHop- und Electronica-Experimente. Dass sich sein Vater darin verkriecht, war so nicht geplant. Aber natürlich ein guter Weg, um im Zuge der Trauerarbeit auf andere Gedanken zu kommen. “Ich weiß nicht, welchen Zaubertrick ich angewandt habe, aber meine Kinder sind offen dafür, mich einzuladen, wenn sie gerade ihre eigene Musik machen oder etwas Interessantes hören. Ich denke, wir alten Menschen sollten Zeit mit jungen verbringen. Man kann viel dabei lernen, vor allem über sich selbst. Und sie sind fürsorglich. Wenn ich gestresst bin, legt mir mein Sohn eine Tafel Schokolade auf den Wohnzimmertisch, nur um zu sagen: ‘Papa, ich weiß, dass du gestresst bist. Hier ist eine Tafel Schokolade. Nimm sie und du wirst glücklich sein.’ Das ist manchmal alles, was ich brauche: eine Tafel Schokolade von meinen Kindern.”
Das Album ist ein Neuanfang. Einerseits. Andererseits ist da der Song “Heaven”. Sehr kurz, aber unendlich traurig. Der Himmel – schön und gut. Aber was nutzt der schönste Ort, wenn jemand fehlt: “It’s a lonely place if you’re alone.” Sparhawk sagt: “Der Song ist einfach so aus meinen Gedanken rausgefallen. Das kann passieren, wenn man lange genug an einem Gedanken sitzt – und sich plötzlich das richtige Fenster öffnet, der richtige Blickwinkel oder die richtige Wahrnehmung eintritt. Dann reduziert sich ein riesiges Thema auf ein paar Worte. Ich habe es schon immer geliebt, wenn so etwas passiert. Aber es lässt sich nicht planen. Man muss üben. Und manchmal musst du drei Monate lang Vögel beobachten, um festzustellen, dass es gar nicht um die Vögel geht, sondern um den Wurm, den sie fressen. Man muss geduldig sein. Auch wenn das schwerfällt. Weil man weiß, dass das Leben in zehn Tagen vorbei sein kann. Es ist eine Überraschung, am Leben zu sein.”
Mimi Parker war diejenige, die darauf achtete, dass die Gesänge passen. Dass sich Schönheit aus Harmonie ergibt. Der Gedanke, dass sie nun allein dort oben sein könnte, ist für Sparhawk beinahe unerträglich. Er muss damit leben. Weiterleben. Und reagiert mit einem Album, aufgenommen mit einer Gesangstechnik, bei der es egal ist, ob die Tonhöhe stimmt oder nicht. Was, wenn Parker das von dort oben mitbekommt und sich denkt: dieser faule Hund?
“Sie weiß, womit ich kämpfe. Also sie wird sie es verstehen. Ich denke, sie weiß, dass ich irgendwann auch wieder andere Sachen singen werde. Es braucht Zeit. Und ich vertraue darauf, dass die richtigen Dinge passieren werden. Ich habe das Album ‘White Roses, My God’ genannt. Die weißen Rosen waren ihre Blumen. Und sie ist mein Gott. Mit Low hatten wir großes, göttliches Glück. Wir haben erfahren, dass wir so ziemlich alles machen konnten – und doch klang es immer nach uns. Wir waren immer wir. Daran musste ich mich bei diesem Projekt erinnern. Ich musste darauf vertrauen, dass ich da drinstecke. Egal wie sehr ich mich verfremde. Und Mimi steckt da auch drin.”