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MC5: Brad Brooks und Bob Ezrin im Interview zu "Heavy Lifting"

MC5: Brooks und Ezrin im Interview

Brüder im Geiste
Es sollte das große Comeback von MC5 werden: ein neues Album, eine erstklassige Band. Doch dann starb Mastermind Wayne Kramer im Februar an Krebs. Jetzt erscheint “Heavy Lifting” als Vermächtnis, Sänger Brad Brooks und Produzent Bob Ezrin tragen das Banner weiter.
MC5 (Foto: Margaret Saadi Kramer)
MC5 (Foto: Margaret Saadi Kramer)

Es fällt mir schwer, über Wayne in der Vergangenheitsform zu sprechen“, sagt Brad Brooks nach wenigen Minuten und reibt sich die Augen hinter seiner Brille. Kurz darauf hat er die Fassung wiedergewonnen und erzählt von einer Freundschaft, einer kreativen Verbindung, der auch Gevatter Hein nichts wird anhaben können. Brooks ist ein profilierter Singer/Songwriter, seine Basis die Bay Area von San Francisco. Vier Soloalben hat er veröffentlicht, zuletzt “God Save The City” (2020), vielseitiger Stoff, der ihm Vergleiche mit Elvis Costello und Wilco eingebracht hat. Über eine gemeinsame Freundin lernen Brooks und Kramer sich kennen. Auf einer Geburtstagsparty treten sie 2019 zusammen auf, Brooks übernimmt den Gesang bei “Kick Out The Jams”. Die beiden bleiben anschließend in Kontakt. „Wayne war ein Typ, der dich anrief, er schrieb keine SMS oder so etwas. Einfach oldschool. Irgendwann fingen wir an, Songideen auszutauschen. Wayne schickte ein Riff, ich entwickelte den Gesang dazu, sendete es wieder zurück. Das nahm schnell Fahrt auf, wir ergänzten uns gut.“

Es ist nicht nur der kreative Part, der zur Grundlage ihrer Freundschaft wird. Die beiden teilen auch das Schicksal einer schweren Erkrankung. „Ich war drei Jahre zuvor an Speiseröhrenkrebs erkrankt und drohte, meine Stimme zu verlieren. Ich musste um mein Leben kämpfen“, so Brooks. „Wayne zeigte mir seine Narbe am Hals, die genauso aussah wie meine. Er war mit der Bestrahlung schon ziemlich weit, ich konnte ihm ein bisschen dabei helfen, sich auf Dinge, die auf ihn zukommen, die Belastungen, einzustellen.“ Die Gespräche helfen. Und die Musik. Eine ganze Weile sieht es so aus, als bliebe das eine Sache zwischen den beiden, bis Kramer ein paar Songs an Bob Ezrin schickt. Der hat nicht nur Pink Floyds “The Wall” und Peter Gabriel produziert, sondern auch Kiss, Jane’s Addiction und Alice Cooper, eine weitere Detroit-Legende. Für Ezrin ist der Fall schnell klar. „Ich schrieb Wayne direkt zurück“, erinnert er sich und muss lachen. „Ich denke, wir haben hier ein neues MC5-Album – das waren meine Worte.“ Eine Einschätzung, die bei Kramer und Brooks auf fruchtbaren Boden fällt.

Im Studio brennt die Luft

Es ist der entscheidende Anstoß zu dem, was jetzt in Form von “Heavy Lifting” vorliegt, dem ersten Album seit “High Time”, erschienen vor 53 Jahren. “Kick Out The Jams”, “Ramblin’ Rose”, die Strahlkraft der Legende aus Detroit, die einst Proto-Punk mit souligem Swagger und exaltierte Shows mit politischer Botschaft kombinierte wie kaum eine andere Band – wie schwer wiegt dieses historische Pfund auf den Schultern des neuen Sängers? „Ich habe mich davon freigemacht, das war zwischen Wayne und mir kein Thema“, so Brooks. „Ich schreibe über Dinge, die mich beschäftigen, den Wahnsinn, der uns umgibt. Wenn man den politischen Kontext von 1968/69 mit dem von heute vergleicht, muss man genervt feststellen, dass sich nicht so viel geändert hat. Als wir uns kennenlernten, passierte die grausame Sache mit George Floyd, der von Cops ermordet wurde, Trump als US-Präsident, was uns jetzt ein weiteres Mal droht. Man könnte verzweifeln, wenn man die Nachrichten liest. Ich habe eben Songs darüber geschrieben.“

Produzent Ezrin unterstreicht Brooks’ Rolle in diesem Projekt. „Man kann den Anteil von Brad gar nicht hoch genug einschätzen. Seine Texte, sein Gesang, die Art und Weise, wie er das Ganze vorangetrieben hat, das war und ist besonders.“ Binnen vier Tagen sind die Songs eingespielt, die Luft brennt förmlich im Studio, wie Ezrin berichtet. Tom Morello, Slash, William DuVall und Vernon Reid liefern Gastbeiträge. Ursprünglich soll “Heavy Lifting” bereits 2022 erscheinen, doch es gibt Verzögerungen. Dafür wird eine erste US-Tour gespielt, die Shows sind großartig, das Zusammenspiel der Band ist famos. „Es war alles bereitet, um den Faden genau dort wiederaufzunehmen. Das Album, die Tourdaten, stattdessen sprechen wir nun über Wayne, der nicht mehr unter uns ist“, so Brooks, der jedoch auch nach vorn schaut. „Wayne hatte eine ganz klare Haltung, was die Musik betrifft. Es muss immer weitergehen. Konzentriertes Arbeiten, seine Kreativität ständig neu befeuern, um dann etwas richtig Gutes abzuliefern. Das ist der Spirit, den es zu bewahren gilt.“

So erscheint dieses vierte Album der Detroit-Ikonen MC5 am Vorabend der US-Wahlen. Was für ein Timing für die einstigen Anhänger der White-Panther-Partei, die Bandmanager John Sinclair gegründet hatte. Sinclair starb kurz nach Kramer, ebenso Drummer Dennis Thompson, der auf “Heavy Lifting” noch auf zwei Songs trommelt, bis zu seinem Tod das letzte verbliebene Originalmitglied der Band. So wird “Heavy Lifting” zu einem finalen Ausrufezeichen, möglicherweise wird es Tribute-Shows geben, aber das ist, meint Brooks, noch nicht spruchreif. Für Ezrin ist die Perspektive klar. Sie hätte Kramer, von allen „Brother Wayne“ genannt und auf dem Innencover von “Heavy Lifting” zufrieden lächelnd abgebildet, sicher gefallen: „Wir sind alle MC5!“

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