John Gourley ist guter Dinge, als am 19. Mai 2019 sein Telefon klingelt und ein Freund am Apparat ist. “Ich freute mich, dass er anrief und erwartete aus irgendeinem Grund gute Nachrichten”, erzählt der Sänger von Portugal. The Man. “Aber dann sagte er, dass Chris Black gestorben ist.” Der Produzent und Filmemacher aus Los Angeles war nicht nur ein enger Freund der Band, sondern für etwa zwei Jahre auch als Ehrenmitglied auf Tour dabei. Die Nachricht von seinem Tod erschüttert Portugal. The Man und ihren Freundeskreis zutiefst – doch das ist erst der Anfang. Gourley soll die schwerste Zeit seines Lebens bevorstehen, die um ein Haar zum Ende der Band hätte führen können. Sechs Jahre nach dem mit US-Platin ausgezeichneten Vorgänger Woodstock erscheint nun “Chris Black Changed My Life” – ein Album, das musikalisch ganz wunderbar fließt, auf dem jedes noch so kleine Detail eine tiefe Bedeutung hat und Gourley nicht nur den Menschen huldigt, die ihm wichtig sind, sondern sich auch mit Ängsten und Depressionen auseinandersetzt.
MC der guten Laune
Die Geschichte von Portugal. The Man beginnt Anfang des Jahrtausends in Wasilla, einer knapp 10.000 Einwohner großen und 70 Kilometer nördlich von Anchorage gelegenen Kleinstadt in Alaska. Kurz nachdem John Gourley und Bassist Zach Carothers sich 2001 in der High School kennenlernen, starten sie die Emo-Band Anatomy Of A Ghost, die jedoch nur ein Album aufnimmt und sich dann wieder auflöst. Gemeinsam mit Wesley Hubbard, Nick Klein und Harvey Tumbleson (die allesamt nicht lange in der Band bleiben) gründen Gourley und Carothers 2004 Portugal. The Man und ziehen später nach Portland, Oregon. Der Output der Band ist in den ersten Jahren enorm: Auf das 2006 veröffentlichte Debüt “Waiter: “You Vultures!”, das sich irgendwo zwischen Psych-Rock, Prog und Indie bewegt und in den Jahresendcharts von VISIONS damals auf Platz 6 landet, folgt ein Jahr später das vom Heavy Rock der 70er inspirierte “Church Mouth”. Die folgenden drei Alben “Censored Colors”, das von Paul Q Kolderie (Radiohead, Pixies) produzierte “The Satanic Satanist” und das in nur zehn Tagen entstandene “American Ghetto” veröffentlicht die Band allesamt im Jahrestakt. Ihre Fangemeinde wächst stetig, sodass Portugal. The Man anschließend bei Atlantic unterschreiben, über das 2011 das Album “In The Mountain, In The Cloud” veröffentlicht wird.
Sechs Alben in sechs Jahren – danach lassen Portugal. The Man sich für das 2013 veröffentlichte “Evil Friends” erstmals etwas mehr Zeit. Es entsteht gemeinsam mit Produzent Brian “Danger Mouse” Burton, auch bekannt als eine Hälfte des Duos Gnarls Barkley und zuvor tätig für Künstler wie die Gorillaz, Beck und die Black Keys. Die Prog-Anleihen sind auf “Evil Friends” endgültig verschwunden. Mit seinem eingängigen Psych-Pop-Sound ebnet die Platte den Weg für “Woodstock”, das vier Jahre später erscheint und die Band mithilfe der Single “Feel It Still” in den Mainstream katapultiert: Der mit Asa Taccone von Electric Guest entstandene Song klettert bis auf Platz 4 der Billboard Charts, hat bis heute allein in den USA siebenfachen Platin-Status und wird bei den Grammy Awards 2018 in der Kategorie Best Pop Duo/Group Performance ausgezeichnet. “Wow, ich bin nervös. Das ist ziemlich verrückt für uns. Ich habe im Auto was geschrieben, für den Fall der Fälle…”, beginnt Zach Carothers seine etwas holprige, aber sympathische Dankesrede. Den Award widmet er den einheimischen Jugendlichen in den abgelegenen Dörfern ihrer Heimat, bevor er die Rede mit einem “Hail Satan” beendet. John Gourley nimmt im Hintergrund derweil einen Schluck aus einem Flachmann und wischt sich dann mit dem Award den Po ab. Mag sein, dass Portugal. The Man im Mainstream angekommen sind, aber sie sind immer noch die albernen Jungs aus Alaska.
Um die Veröffentlichung von “Woodstock” herum stößt dann auch Chris Black zur Band, und zwar über einen befreundeten Regisseur. “Die beiden sind die lustigsten Typen, die du dir vorstellen kannst. Sie gehören zu dieser Sorte Menschen, die dich einfach ohne Unterbrechung zum Lachen bringen. Das führte dazu, dass ich dachte: Irgendwie müssen wir das festhalten und Chris mit auf Tour nehmen”, so John Gourley. “Wir waren zu dem Zeitpunkt schon seit über zehn Jahre eine Band und hatten so viel Musik veröffentlicht. Auf Tour lebt man im Bus ja praktisch in der Tasche des anderen. Chris hat die Schwere und den Druck, die das Touren manchmal mit sich bringen, komplett aufgehoben.”
Sein Job auf der Bühne: für gute Laune zu sorgen. “Er war unser MC”, so Gourley. “Heute ist es ja nicht mehr üblich, einen MC zu haben. Für mich ist das Bez von den Happy Mondays, der auf der Bühne tanzt. Es erinnert mich an die Dandy Warhols und The Brian Jonestown Massacre. Der Typ, mit dem Tamburin, der einfach nur Spaß hat. Das bringt diesen Vibe da rein.” Ganz nebenbei sorgt Chris Black auch dafür, dass Gourley sich auf der Bühne wohler fühlt. “Chris liebte die Aufmerksamkeit, während ich immer Angst hatte. Aber meine Bühnenangst wurde komplett von ihm geschluckt, er nahm sie mir einfach ab. Immer, wenn er merkte, dass ich nervös wirkte, drückte er all die Angst und Sorge mit einem seiner Bear-Hugs weg.” Vor allem eine gemeinsame Tour durch die USA bleibt für Gourley unvergessen. Auch Casper ist damals mit dabei. Nach der PTM-Show im The Glass House in Pomona, die Casper während eines Urlaubs besucht, steigt er einfach in den Bus und tritt kurzerhand den Rest der Tour als Support auf. “Das war die beste Tour meines Lebens”, so Gourley. “Es herrschte diese lockere, unbekümmerte Stimmung, total verrückt. Es gab keine Regeln. Marihuana war in den USA gerade legalisiert worden. Eigentlich raucht keiner von uns wirklich Gras, aber auf der Tour haben wir es alle die ganze Zeit getan. Wir waren nur am Lachen und hatten riesigen Spaß.”
»Wir hatten die Gelegenheit, auf der ganzen Welt von indigenen Völkern zu erfahren, was sie derzeit erleben und durchmachen.« John Gourley
Schicksalsschläge
Was damals niemand weiß: Chris Black hat einen Herzfehler, von dem er nie jemandem erzählt. “Wenn man es nicht laut sagt, existiert es nicht. So ein Typ war er”, sagt Gourley. “Aber ich habe ihn dafür nur noch mehr geschätzt. Er hat das Leben gelebt, ohne darüber nachzudenken und sich Sorgen zu machen. Und er hatte einen wahnsinnigen Einfluss auf all die Menschen um ihn herum. Nach seinem Tod fiel unser Freundeskreis auseinander. Chris war der Klebstoff, der alles zusammenhielt – dabei war er gar nicht immer dabei. Aber als er weg war, ist alles implodiert, und jeder hat plötzlich sein eigenes Ding gemacht.” Für Blacks Beerdigung allerdings ziehen noch alle an einem Strang. Die ganze Crew, rund 80 Leute, taucht dort in T-Shirts mit der Aufschrift “Chris Black Changed My Life” auf – inspiriert davon, dass Black ständig ein J-Dilla-Shirt mit der Aufschrift “J Dilla Changed My Life” trug. Mit ihrem Album zollen Portugal. The Man, die neben Gourley und Carothers heute aus Keyboarder Kyle O’Quin, Gitarrist Eric Howk, Schlagzeuger Jason Sechrist und der Background-Sängerin Zoe Manville bestehen, Chris Black nun erneut Tribut. Überall scheint er durch: Das Cover zeigt Blacks Cousin Julian und seine Freunde in eben jenen T-Shirts, die für die Beerdigung gedruckt wurden, vor dem Haus seiner Mutter stehend, im Booklet finden sich Fotos von ihm. Es ist nicht so, dass die Songs direkt von ihm oder seinem Tod handeln. Er steht für all die Menschen, die unser Leben nachhaltig verändern. “Es geht darum, ihnen Ehre zu erweisen und ihnen das zu sagen, während sie hier sind”, sagt Gourley. “Wir alle haben Leute wie Chris in unserem Leben. Ob das jemand ist, den man persönlich kennt oder der einen inspiriert – so wie etwa David Bowie mein Leben verändert hat. Das ist die wahre Botschaft des Albums. Es geht um unsere Band, es geht um die Leute um uns herum und um Gemeinschaft. Vor allem die erste Hälfte handelt stark von Gemeinschaft, während es auf der zweiten Hälfte mehr um mich geht. Es geht darum, introspektiv zu sein und sich seinen Depressionen, Ängsten und Sorgen zu stellen. Und darum, dass am Ende nur man selbst etwas verändern und sich helfen kann.”
Denn der Tod von Black bleibt nicht der einzige Schicksalsschlag in Gourleys Leben. Kurz nach Beginn der Pandemie bricht er sich den Kiefer. “Ich hatte früher schon mal einen Kieferbruch. Dadurch, dass wir so viel tourten, baute sich dieser Druck auf, der Knochen wurde brüchig und brach auf der anderen Seite”, sagt er. “Mein Kiefer war total schief. Ich konnte nicht rennen, nicht mit unserer Tochter spielen und auch nicht singen.” Ob er jemals wieder würde singen können, ist zu dem Zeitpunkt alles andere als klar. Als es Gourley gesundheitlich wieder besser geht, bekommen er und seine Frau Zoe Manville schreckliche Nachrichten. Ihre 12 Jahre alte Tochter Frances leidet unter einer extrem seltenen genetischen Mutation namens DHDDS – eine neurodegenerative und aggressiv voranschreitende Krankheit. Frances’ Fall ist einer von nur sechs Menschen in der Welt, die daran leiden. Ihre einzige Hoffnung ist eine Gen-Therapie, die sehr teuer ist. “Alles, was ich nach dieser Nachricht tun konnte, war, darüber zu schreiben”, sagt Gourley. “Uns war schon länger klar, dass mit Frances etwas nicht stimmt, aber bis wir Gewissheit hatten, versuchte ich dem zu entkommen und wegzulaufen. Dieses Album konfrontiert diese Gefühle, diese Angst. Es war kathartisch, das alles rauszulassen und auf Platte zu bringen.”
Noch in der gleichen Nacht beginnt er an einem längeren Gedicht zu arbeiten, aus dem später der atmosphärisch reduzierte Song “Time’s A Fantasy” entsteht. “Immortality is a ghost that haunts”, heißt es darin. “Das wurde so etwas wie das Motiv des Albums”, so Gourley. Gemeinsam mit dem von einem Piano getragenen Intro “Heavy Games II” und dem epischen, fast sechs Minuten langen Schlussstück “Anxiety:Clarity”, in denen die Textzeile “Heavy games/ Can’t take this back” immer wieder auftaucht, bildet “Time’s A Fantasy” die Klammer des Albums. Dazwischen wird es ganz schön düster. “Life is a dead end” singt Gourley in dem mit Streichern verzierten, melancholischen “Doubt”, und “Can’t Keep My Head Up”. An anderen Stellen scheint die Hoffnung umso heller: “All I want to find is a little place for my girls”, träumt er in “Summer Of Luv”. Am Ende kulminiert alles im Schlussstück “Anxiety:Clarity”. “Chris hat mir immer geholfen, mit meinen Ängsten und Sorgen umzugehen”, so Gourley. “In dem Song ist Chris zu Paul Williams geworden.” Der Songwriter und Schauspieler schrieb unter anderem Songs für David Bowie, The Carpenters und Three Dog Night, aber auch für den Muppet Movie und Daft Punk. Als Schauspieler ist Williams unter anderem in der Musical-Horror-Groteske “Phantom Of The Paradise” von 1974 zu sehen. “Als wir unser drittes Album “Censored Colors” aufnahmen, guckten wir diesen Film jeden einzelnen Tag. Wir sind also schon lange Fans”, so Gourley. Bei den American Music Awards 2017 treffen Portugal. The Man Williams zufällig, nehmen ein Foto mit ihm auf und posten es später online. “Daraufhin schrieb Paul uns, ob wir nicht Lust hätten, mit ihm zusammen Musik zu machen. Ich dachte nur: ‘Oh mein Gott! Klar, wir kommen zu dir.’ Aber Paul, der damals 79 war, bestand darauf, zu uns nach Portland zu kommen. Ich habe noch nie in meinem Leben ein Duett gesungen – und heraus kam ausgerechnet “Anxiety”. Er holte etwas aus mir heraus, dass ich noch nie angezapft habe.”
Tatsächlich hört man am Ende des Songs, wie Williams mit Gourley über Angst spricht. “Wir tauschten Ideen aus, wie man das eben macht, wenn man gemeinsam schreibt, und auf einmal drehte er sich zu mir und sagte: ‘Wir alle haben im Moment Angst. Schau dir die Welt an.’ Er meinte es sei, als würde man diesen riesigen Waldbrand über einen Berg kommen sehen. Er ist filmischen und biblischen Ausmaßes. Und während man dieses Feuer betrachtet, wird man von seiner Schönheit so in den Bann gezogen, dass das Feuer einen verschlingt. Was er mir damit sagen wollte, ist: Lebe im Moment und mach dir nicht zu viele Gedanken, denn sonst könntest du dich verbrennen. Für mich ist dieser Song das perfekte Ende für dieses Album, das von Familie und den Sorgen in dieser Welt handelt, davon, was Chris für uns war und was Freunde einem bedeuten.” Wenngleich die Songs ganz eng mit Gourley und seinem Leben verknüpft sind, richtet er den Blick an vielen Stellen auf das große Ganze. “Welcome to America/ I’m waiting on a miracle/ All my sins American /Yeah I’m waiting on a miracle”, singt er in “Thunderdome (W.T.A.)”, das den Amerikanischen Traum infrage stellt, während es in “Grim Generation” heißt: “I was born so bittersweet, this generation has got a hold on me.” Wenn er in “Plastic Island” fragt “Is it the end my dear/ Or is it coming around again?”, könnte er damit auch unseren Planeten meinen, und “Champ” entwickelt sich von einem Lied darüber, wie Freunde in schweren Zeiten zu einem stehen, zu einer beeindruckenden Hymne über größere Kämpfe in dieser Welt. Am Ende des Stücks sampeln Portugal. The Man die aus Portland stammende, indigene Hardcore-Band With War: “Abolish borders, abolish ICE, abolish our system that keeps Indigenous people from their natural vibrations. Indigenous people, take back what’s yours!”
Gutes tun
Soziale Gerechtigkeit war Portugal. The Man schon immer ein wichtiges Anliegen und ihr Engagement hat in der Vergangenheit unter anderem zu Partnerschaften mit Organisationen wie der National Coalition Against Censorship, The Skatepark Project (die Communitys beim Bau öffentlicher Skateparks für Jugendliche in unterversorgten Gemeinden unterstützen), March For Our Lives (Reform der Waffengesetze), Keep Oregon Well (seelische Gesundheit) und Protect Our Winters (Klimawandel) geführt. In den vergangenen Jahren nahmen die Interessen indigener Völker in ihrem Schaffen einen zunehmend größeren Stellenwert ein. Als die Band 2017 im australischen Frühstücksfernsehen auftreten soll, sagt sie den Auftritt aufgrund von rassistischen Kommentaren der Moderatoren gegenüber der indigenen Bevölkerung kurzfristig ab. Von ihren Fans werden Portugal. The Man dafür gefeiert. Ihre Show in Sydney wenige Tage später enthält daraufhin erstmals ein sogenanntes Land Acknowledgement – so nennt man eine formelle Erklärung, dass eine öffentliche Veranstaltung auf Land stattfindet, das ursprünglich von indigenen Völkern bewohnt wurde. Seitdem sind diese Land Acknowledgements fester Bestandteil der Konzerte von Portugal. The Man. Ihr Wunsch, etwas zu verändern, wird dabei immer größer – und so rufen sie 2020 ihre eigene Stiftung ins Leben: Die PTM Foundation widmet sich universellen Themen wie Menschenrechte, das Gesundheitswesen und die Umwelt, setzt dabei aber einen speziellen Fokus auf die Belange indigener Völker, um diesen eine Plattform zu geben. “Wir hatten die Gelegenheit, auf der ganzen Welt von indigenen Völkern zu erfahren, was sie derzeit erleben und durchmachen – und ja, es ist dringend”, sagte Carothers zur Gründung der Stiftung. “Diese Gemeinschaften stehen alle vor unterschiedlichen Herausforderungen, je nachdem, wo sie sich befinden, aber eines haben die meisten Stämme und Ureinwohner, die wir getroffen haben, gemeinsam, und das ist die weitgehende Unsichtbarkeit und Auslöschung. Die Leute sind sich dessen nicht bewusst und deshalb ist es ihnen auch egal.” Über die Stiftung gesammelte Spenden gehen zu 100 Prozent an indigene Gemeinschaftsorganisationen. Auch Bands wie NOFX und Boygenius konnten Portugal. The Man bereits für Partnerschaften gewinnen. Dass dieses Thema nun auch den Weg in ihre Musik gefunden hat, ist nur logisch.
Geschafft!
Aufgenommen hat die Band “Chris Black Changed My Life” im Sonic Ranch Studio in Texas, dem weltweit größten Studio-Wohnkomplex, und bei jedem noch so kleinen Detail dieser Platte steckt auch dahinter eine tiefere Bedeutung. “Das ist der Ort, wo wir unser erstes Album für Atlantic aufgenommen haben”, so Gourley. “Ich dachte mir: Wenn das hier das letzte Album ist, das ich mache, dann will ich es hier aufnehmen. An dem Ort, wo alles anfing.” Sah es zwischenzeitlich tatsächlich so aus, als könnte Chris Black Changed My Life das letzte Album der Band sein? “Definitiv”, bestätigt Gourley. “Bei allem, was in meinem Leben los war, die Sache mit unserer Tochter… Es ist ein besonderes Album für mich.”
Das spiegelt sich auch in den zahlreichen Kooperationen wider, die auf “Chris Black Changed My Life” zu hören sind – allesamt Künstler, mit denen Portugal. The Man eine persönliche Geschichte verbinden. Neben den bereits erwähnten Features von Paul Williams und With War ist etwa Edgar Winter zu hören. Teile des Textes von “Champ” stammen aus seinem 1971 veröffentlichten Stück “Dying To Live”. Der 76-jährige Bruder von Bluesgitarrist Johnny Winter singt diese Zeilen für Portugal. The Man nicht nur neu ein, sondern steuert auch Synthies und Saxofon bei. “Summer Of Luv” entsteht mit der ebenfalls in Portland lebenden Psychedelic-Rockband Unknown Mortal Orchestra. “Wir sind seit Ewigkeiten befreundet, ihr Bassist brachte mir quasi bei, wie man spielt und in einer Band ist”, so Gourley. Für die tanzbare Single Dummy, die mit ihrer eingängigen Basslinie an “Feel It Still” erinnert, arbeiten Portugal. The Man erneut mit Asa Taccone von Electric Guest. Und auf “Thunderdome (W.T.A.)” ist nicht nur ein Rap-Part von Black Thought zu hören, sondern auch die mexikanische Sängerin Natalia Lafourcade. Mit Black Thought, Mitgründer der HipHop-Gruppe The Roots, haben Portugal. The Man 2020 bereits an drei Songs für sein erstes Soloalbum “Streams Of Thought, Vol. 3: Cane & Able” gearbeitet. Auch zu Natalia Lafourcade haben sie einen Bezug. “Wir waren per Zufall zur gleichen Zeit im Sonic Ranch Studio, wo sie mit Adan Jodorowsky arbeitete, dem Sohn des chilenischen Regisseurs Alejandro Jodorowsky. Wir hingen zusammen rum, aßen gemeinsam zu Abend, und sie war total lieb und nett. Am letzten Abend meinte Adan dann zu Natalia, sie solle doch mal was von ihrer Musik vorspielen. Erst wollte sie nicht, aber dann gab sie nach – und ich konnte es nicht glauben”, so Gourley. “Als ich nicht singen konnte, habe ich Natalies Musik die ganze Zeit gehört. Ein Freund hatte sie mir gegeben als Beispiel für gefühlvolle Musik, bei der man nicht über die Texte nachdenken muss – und ich hatte bis zu dem letzten Abend keinen Schimmer, dass sie das ist.”
»Ich habe noch nie ein Album veröffentlicht, bei dem ich hinterher dachte: Ich hab’s geschafft. Aber dieses Mal schon.«
John Gourley
Trotz dieser so unterschiedlichen Kooperationen wirkt “Chris Black Changed My Life” an keiner Stelle zusammengewürfelt, sondern wie aus einem Guss, die Songs fließen ineinander, sie sind eingängig – weil Gourley einfach dieses Händchen für unvergessliche Melodien hat, aber dabei noch immer eigenwillig genug bleibt. Ein bisschen Soul gibt es in “Grim Generation”, einen entschlackten Beat und eine Hammond-Orgel in “Thunderdome (W.T.A.)”. “Camp” enthält jubilierende Bläser. Produziert wurde das Album von Jeff Bhasker, der zuvor unter anderem für Beyoncé, Harry Styles und Mark Ronson gearbeitet hat. “Ich nutze das Wort Genie nicht gerne, aber Jeff ist extrem talentiert”, erzählt Gourley. “Die Noten fließen nur so aus ihm heraus, und gleichzeitig ist er total bedacht. Er erfasst jede Kleinigkeit, die vorbeischwebt, und sagt sofort: ‘Oh, das ist eine coole Note.’ Es war beflügelnd, mit ihm zu arbeiten.”
Laut Gourley hatte die Band 30 oder 40 Songs geschrieben, darunter auch die Anfang 2022 veröffentlichte Single “What, Me Worry?”, die es am Ende nicht auf das Album schafft. In aller Ruhe suchen sie die Songs aus, die am besten zusammenpassten und ein stimmiges Ganzes ergeben. Dass dieser Prozess eine Weile dauert, liegt auch an Gourleys Perfektionismus. “Ich habe diese Angst, Songs fertigzustellen”, sagt er. “Ich habe es einmal erlebt, dass Leute Songs genommen und veröffentlicht haben, bevor ich das Gefühl hatte, dass ich wirklich fertig war. Das kann ich nicht noch mal.” Über “Chris Black Changed My Life” allerdings sagte er kürzlich, er habe “zum ersten Mal das Gefühl, ein vollendetes Werk erschaffen zu haben”. “Ich meine damit den allgemeinen Sound”, sagt er. “Ich bin mit Motown aufgewachsen, darum bin ich besessen von Struktur. Man hört das vor allem auf unserem Album “The Satanic Satanist”. Es fließt – aber hier und da mäandert es auch. Bei unserem neuen Album habe ich das Gefühl, in Hinblick auf die Struktur genau das erreicht zu haben, was ich wollte”, sagt er. “Ich habe noch nie ein Album veröffentlicht, bei dem ich hinterher dachte: Ich hab’s geschafft. Aber dieses Mal schon. Das ist ein gutes Gefühl. Und jetzt will ich etwas anderes machen! Ich will ein Prog-Album machen, ein lineares Album. Etwas, das freier und weniger strukturiert ist. Beim Musikmachen ist es bei mir immer so, dass es förmlich wehtut, bis ein Song fertig ist. Dann fühlt man sich kurz gut, weil man es geschafft hat, aber dieses Gefühl hält nur einen Moment. Danach schmerzt es in einem wieder, weil man das nächste angehen will. Und in Zukunft will ich – jetzt, wo alles wieder läuft und wir eine bessere Idee haben, was in unserem Leben los ist – einfach Sachen machen, die Spaß machen.”