Tobi, Chrissi, wie sind Todeskommando Atomsturm in einer Stadt wie München überhaupt entstanden, die ja dem Klischee nach das komplette Gegenteil von Punk und Underground darstellt?
Chrissi: Vielleicht ja gerade deswegen. Ich hatte damals das Gefühl, dass die Stadtgesellschaft mich mit “Was machst du überhaupt hier?”-Augen betrachtet hat. Und was gibt es Besseres, als ein Ventil zu finden und sich dagegen aufzulehnen?
Also kam zuerst der Auflehnungsgedanke und dann die Musik?
Tobi: München ist relativ groß, aber hat nur eine kleine Szene. Wenn du einmal in diese linke Punk-Bubble hereinrutschst, dann läuft man sich ständig über den Weg. Es gibt auch nur zwei Läden, in denen du früher oder später landest. Die handvoll Leute, die da aktiv sind, laden dann Bands ein, die deine Jugend prägen. So wirst du ganz unbewusst in eine Richtung gelenkt und setzt dich mit bestimmten Dingen auseinander. Ich weiß noch genau, wer mir mit 15, 16 welche Platte gezeigt hat und warum ich dann diese Bands gefeiert habe. Das hat mich geprägt, auch für das, was ich später selbst machen wollte.
Chrissi: Für mich war das kein bewusster Prozess. Ich erinnere mich aber noch gut an das Gefühl: Alles war neu, aufregend, verboten, verpönt. Ich bin aber nie durch die Gegend gelaufen und dachte: “Was? Bier 4,50? Da muss man aber einen Song drüber schreiben!”
Also wurdet ihr eher vom DIY-Gedanken geprägt als von großen Namen aus beispielsweise den Vereinigten Staaten?
Tobi: Punkbands aus den USA wie NOFX oder Bad Religion habe ich mir erst viel später angehört. Das war für mich damals Mainstream. Im Nachhinein sehe ich das anders, aber das haben auch Leute aus der Schule gehört, die ich nicht zur Szene gezählt habe. Damit wollte ich dann erstmal nichts zu tun haben. Ich wollte den “real shit”.
»Wir lieben ›Hunger der Hyänen‹ – aber keiner von uns hat Es sich gerne angehört.«
Tobi
Es war euch nicht nischig genug.
Tobi: (lacht) Genau. Ich habe mich dann mit der Zeit geöffnet und gemerkt, dass doch alles irgendwie miteinander verbunden ist.
Chrissi: Zum Thema große Bands: Als wir gestartet haben, wollte ich nicht Musik machen, um erfolgreich zu sein oder großen Vorbildern nachzueifern. Es war eher: “Gitarre spielen ist geil, verzerrte Gitarre ist noch geiler.”
Tobi: Bei uns fünf in der Band war es so: Wir standen uns politisch nah, hatten eine ähnliche Sicht auf die Dinge und konnten auch menschlich gut miteinander. Im zweiten Schritt kam dann die Frage, wie wir musikalisch auf einen Nenner kommen.
Ihr habt den ursprünglichen Mix eures Albums “Hunger der Hyänen” am Ende als einen “faulen Kompromiss” betitelt. Jetzt wurde es neu aufgelegt. Was war der Auslöser?
Tobi: Wir hatten das schon immer im Hinterkopf: “Wenn wir mal Zeit und Geld haben, machen wir das nochmal.” Der Auslöser war letztlich, dass die LP ausverkauft war und immer noch nachgefragt wurde. Dann kam das Label auf uns zu und hat gefragt, ob wir sie nochmal auflegen wollen. Als wir die Trennung beschlossen hatten, haben wir das als Abschiedsgeschenk an uns selbst gesehen. Wir lieben die Platte – aber keiner von uns hat sie sich gerne angehört.
Chrissi: Das war definitiv kein Schnellschuss. Als wir das letzte Album gemacht haben und mit dem Sound zufrieden waren, kam das Thema wieder auf: Es war einfach ein unerledigtes Ding.
Ihr hattet sicher unterschiedliche Vorstellungen davon, wie das Ganze klingen soll. Seid ihr jetzt zufrieden?
Tobi: Der Prozess war jetzt ein anderer, weil manche aus der Band nicht mehr so involviert waren. Aber am Ende waren alle happy. Lea, unsere Sängerin, war mit ihrem Gesang auf der Platte so unzufrieden, dass sie keinen Sinn darin gesehen hat, sie neu aufzulegen. Aber sie hat uns freie Hand gelassen und findet das Musikalische jetzt auch besser.
Was war euch explizit wichtig dabei?
Tobi: Der Gesang war zum Beispiel extrem laut. Wir dachten, wenn das alles mehr eingebettet ist, wirkt es organischer. Der Bass kam auch kaum durch.
Chrissi: Irgendwie war das Ganze nicht rund. Wir hatten damals selbst keine klare Ansage gemacht, was wir wollten, beziehungsweise war das sicher missverständlich, dann sind wir irgendwo falsch abgebogen und kamen nicht mehr richtig zurück. Da tragen wir auf jeden Fall auch selbst Verantwortung.
Es kommt jetzt auch noch mit “Besser wird’s nicht” eine Best-of-Kassette raus. Wie kam es dazu?
Tobi: Ja, auf Black Cat Tapes – die haben damals schon “Endlich Zukunft” auf Tape veröffentlicht. Das ist ein Liebhaber-Ding, mit selbstgestaltetem Cover. Im Zuge der Bandauflösung haben die sich nochmal gemeldet.
Chrissi: So eine kleine Werkschau zum Schluss ist doch passend. Gerade für Leute, die uns erst kürzlich entdeckt haben, ist so ein Querschnitt schön.
Tobi: Wenn wir jetzt so eine Doppel-LP-Best-of herausgebracht hätten, wäre das ziemlich peinlich gewesen. Aber in diesem Tape-Format passt es.
Chrissi: Ja, am besten jedes Jahr zu Weihnachten eine neue Best-of – das wird selbst bei Matthias Reim irgendwann langweilig.
Was hat euch dazu bewogen, die Band final aufzulösen?
Chrissi: Alles, was wir gemacht haben, war oft das Ergebnis eines anstrengenden Prozesses. Das Ergebnis war immer cool, aber der Weg dorthin nicht immer leicht. Nach so vielen Jahren war nicht mehr bei allen die gleiche Bereitschaft da, das weiter so mitzugehen. Über die Jahre hat sich viel verändert: Jobs, Kinder, Beziehungen, Prioritäten. Wir wollten aufhören, solange es noch Spaß macht.
»Niemand von uns will mit Musik aufhören.«
Chrissi
In eurem Abschiedsstatement sagt ihr, dass ihr euch neuen Aufgaben widmen wollt – zählt auch Musik dazu?
Tobi: Das wird sich zeigen. Gerade ist alles sehr viel: die letzten Konzerte, Vorbereitung, Orga. Als es zuletzt immer besser lief, habe ich gemerkt, dass es fast zum Job geworden ist – es ging weniger um Musik und mehr um Mails.
Chrissi: Niemand von uns will mit Musik aufhören. Ich begebe mich auch langsam ins Recording-Business, da werde ich dem Thema verbunden bleiben.
Tobi: Auch Leas neue Band Furiosa ist echt cool. Da spielt sie Bass und singt. Ich glaube, das passt gerade besser zu ihr und ihrer jetzigen Lebenssituation.
Ihr seid aktuell auf Abschiedstour. Was werdet ihr besonders vermissen?
Tobi: Alles! (beide lachen)
Tobi: Ich will noch möglichst viele Magnum an der Tanke essen!
Chrissi: Das Einzige, was ich nicht vermissen werde, sind unbequeme Autositze. Aber dieses zusammen unterwegs sein – das werde ich vermissen. Eis an der Tanke, alte und neue Leute treffen …
Tobi: Man hat so Autofahr-Routinen. Man weiß, an welchem Rastplatz man rausfährt, wer zuerst Pipi muss, welchen Podcast man anmacht, wenn keiner mehr Musik hören will. Das alles wird mir fehlen.
Chrissi: Ich liebe auch alles rund um die Bühne. Die Vorbereitung, das Warten, die Spannung. Wenn alles seinen Platz findet – das muss man einfach mal erlebt haben.
Wie wichtig war der DIY-Gedanke bei euch? Und wie hat sich die Szene verändert?
Chrissi: Ich finde, DIY ist professioneller geworden – im positiven Sinne. Viele machen das seit Jahren, haben gelernt, was es heißt, 15 Bandgäste zu bewirten, wie man eine Bar schmeißt oder eine Kasse. Es funktioniert einfach insgesamt besser.
Tobi: Wir mussten lange nicht mehr auf einer Bühne schlafen!
Chrissi: Auch bei den Bands: Als wir damals gestartet haben, war Handy-Punk noch ein Schimpfwort. Heute ist es selbstverständlich für jede DIY-Band, sei sie noch so anarchisch, dass sie einen Instagram-Account hat. Deswegen hat das aber seinen Reiz nicht verloren, die Leute machen das ja immer noch aus Liebe und Idealismus.
Tobi: Social Media war für mich die größte Veränderung. Anfangs total fremd und gegen das, was Punk eigentlich bedeutet. Aber dann haben es doch alle genutzt, inklusive uns. Heute ist es normal.
Chrissi: Ich bin dankbar für den Idealismus, der in DIY steckt. Das hat uns so viele Jahre ermöglicht, durchs Land zu fahren, coole Orte und Menschen kennenzulernen – weil es nie um Geld ging.
Tobi: Man hat so viel gelernt. Ich könnte jetzt auch in einer Booking-Agentur arbeiten.
Gibt es Nachwuchsbands, die ihr besonders feiert?
Tobi: Shok Güzel – super Leute, cooles Album. Pisstole, mit denen spielen wir in Mülheim. Und aus München: Erleuchtung und Rufo. Und ich freue mich sehr auf die neue Kaput-Krauts-Platte – die sind einen ähnlichen Weg gegangen wie wir, bringen jetzt aber bei Audiolith ihr neues Album raus. Vor Corona dachte ich wirklich, dass wir die letzte Generation mit Bock auf Punk sind. Danach habe ich gemerkt: Da kommt was nach. Es sind auch wieder jüngere Leute bei unseren Konzerten.
Chrissi: Diese kollektive Zwangspause hat einen Knoten gelöst. Seitdem spürt man eine echte Veränderung. Was richtig auffällt: Es sind viel mehr FLINTAs auf der Bühne als früher – und das ist längst überfällig.
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