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Unglamorous Music Project: Gründerin Ruth Miller im Interview

Unglamorous Music Project

Nie zu alt
Dass man als Musikerin zwingend jung sein und unrealistischen Schönheitsidealen entsprechen muss, lässt Ruth Miller aus dem englischen Leicester nicht gelten: Die 61-Jährige ist Gründerin des Unglamorous Music Project, das vor allem ältere Frauen dazu ermutigen möchte, ein Instrument zu erlernen und auf die Bühne zu gehen. Die Resonanz ist enorm.
Spaß im mittleren Alter: Ruth Miller und The Verinos
Spaß im mittleren Alter: Ruth Miller und The Verinos

VISIONS: Wie bist du zur Musik gekommen?
Ruth Miller: Ich war schon immer musikalisch. Mein Cousin hat mir ein paar Akkorde gezeigt, und die TV-Sendung “Top Of The Pops” brachte mich auf den Geschmack für Popmusik. Als ich dort Eddie And The Hot Rods sah, wurde ich zum Punk: Ich gründete mit Freund:innen eine Punkband, obwohl wir kaum spielen konnten. Wir hatten winzige Gigs in unserer Kleinstadt und hielten uns für sehr cool. Jahre später gründete ich “richtige” Bands wie Po! und Ruth’s Refrigerator.

Welche Bedeutung hat Punk für das Projekt?
Ich lebe in Leicester, einer kleinen Stadt in den Midlands. Als ich mich entschloss, wieder Musik zu machen, wollte ich unbedingt in einer reinen Frauenband spielen. Weil es keine Frauen gab, die mit mir in einer Band spielen wollten, beschloss ich, einigen Nicht-Musikerinnen das Spielen beizubringen. Punkmusik ist ziemlich einfach – sie basiert auf wenigen Akkorden und kann auch von Anfängern gespielt werden. Ich schrieb Songs mit nur einem Akkord und fand einige Frauen, die es lernen wollten. Wir nannten uns The Verinos und haben seit unserem ersten Auftritt viel Aufmerksamkeit bekommen. Eine andere Sache, die Punk mit sich brachte, war, dass Bands schon bald nach ihrer Gründung auf die Bühne gingen. Mein Unglamorous-Projekt macht genau das. Sonst sitzt man drei Jahre lang zu Hause und übt allein Gitarre, und das ist sehr langweilig!

Ihr habt am Frauentag ein Festival in Leicester veranstaltet – wie war das Feedback?
Das Festival zum Internationalen Frauentag war das Ende der “66 Days To Your Debut”-Challenge. In 66 Tagen sollten sie lernen, ein Instrument zu spielen, Lieder zu schreiben, eine Band gründen und live auftreten. Das war schon etwas unrealistisch, aber wenn man den Perfektionismus weglässt und sich gegenseitig unterstützt, kann man brillante Auftritte hinlegen. Wir machen das jetzt schon seit zwei Jahren, daher gibt es neben den Anfängerinnen auch einige erfahrenere Bands – insgesamt 52 Frauen in zwölf Bands! Der Pub war rappelvoll und die Stimmung war toll.

 

 

Hast du selbst jemals Diskriminierung erfahren?
Ich spiele seit über 20 Jahren in Bands mit Männern, und es hat immer Spaß gemacht. Von denen, die mich kennen und mit mir arbeiten, habe ich keine Diskriminierung erfahren – es sind eher die Tontechniker und die Mixer, die bei Gigs davon ausgehen, dass die Jungs die Hauptpersonen sind und ich nur die Freundin von jemandem bin. Einige Male bekam ich keinen Soundcheck, obwohl ich zwei Stunden lang mit einem Gitarrenkoffer in der Hand herumstand, weil der Tontechniker dachte, dass ich die Mutter von einem Bandmitglied wäre. Neben der Geschlechterdiskriminierung ist jetzt also auch Altersdiskriminierung im Spiel. Aber ich habe “Unglamorous” nicht aus Wut gegründet, sondern weil ich dachte, es würde mehr Spaß machen – und das tut es auch!

Warum überhaupt “Unglamorous Music”? Macht Glamour nicht erst attraktiv?
Glamour in Pop- und Rockmusik kommt vor allem von jungen Künstlerinnen und Künstlern, die gut aussehen und Make-up und sexy Klamotten tragen. Das ist schön und gut, aber gerade ältere Frauen, die denken, dass sie diesen unrealistischen Standards nicht entsprechen, fühlen sich von der Gesellschaft ausgeschlossen. “Unglamorous” arbeitet mit den Frauen, wie sie sind. Man muss sich nicht herausputzen oder schlank und attraktiv sein, um in einer Band mitzuspielen. Bei uns gibt es alle Formen und Größen, alle Hintergründe und Ethnien, einige sind jung, andere älter und haben gesundheitliche Probleme. Wenn wir auftreten, tragen viele der Frauen Kleider und Lippenstift, aber was beim Publikum ankommt, ist das Selbstvertrauen und die Einstellung, die Songs und der Spaß. Nicht nur das Aussehen einzelner Personen.

Dein Rat für jüngere Frauen?
Arbeitet mit dem, was ihr jetzt habt. Wenn du immer nach dem nächsten großen Ding oder besseren Gelegenheiten suchst, wird das Leben an dir vorbeiziehen, ohne dass du es überhaupt bemerkst. Die wichtige Fähigkeit ist, auf andere Menschen zu hören, ihnen aber nicht immer zu glauben. Die Leute, die mir in meinen jüngeren Jahren Vorschriften machen wollten, sind schon lange weg, ob sie nun gute oder schlechte Ratschläge gegeben haben! Das Leben kann lang sein und alles kann sich ändern!

Glaubst du, dass sich die Dinge, auch in Bezug auf Line-ups, ändern? Bröckeln die reinen Boys-Clubs langsam?
Ich denke, die Kampagne für ein besseres Geschlechterverhältnis bei Konzerten, war sehr effektiv und hat junge Frauen ermutigt, mit ihren Bands weiterzumachen. In Leicester werden die “Unglamorous”-Bands von der lokalen Szene akzeptiert und willkommen geheißen. Die Veranstalter mögen uns, weil wir bei jedem Auftritt viele Leute mitbringen. In den oberen Etagen der Musikbranche gibt es allerdings immer noch sehr wenige weibliche Produzenten oder Führungskräfte. Die Bands von “Unglamorous Women” haben eine andere Perspektive, die meiner Meinung nach zu einer guten Mischung aus verschiedenen Genres, Lebensstilen und Sicht-weisen beiträgt. Es gibt genügend Platz für alle.

 

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