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Review zum Alkoholismus-Drama "The Outrun"

Review: »The Outrun«

Emotionale Sturmböen
Regisseurin Nora Fingscheidt gelingt mit “The Outrun” eine nahezu perfekte Buchverfilmung, die ihr Ursprungsmaterial auf eine ganz neue künstlerische Ebene hebt.
"The Outrun", Szene (Foto: Studiocanal)

Rona (Saiorse Ronan) stellt sich nach ihrem Biologiestudium in London auf den heimischen Orkney Inseln im Norden Schottlands ihrer Alkoholsucht. Dort gibt es die Schaffarm des im Caravan lebenden Vaters und den Bibelkreis der vom Vater getrennten Mutter. Und nach und nach versteht man, weshalb Rona eine zunächst befremdlich wirkende Unruhe in sich trägt, die den malmenden, an den Küstenfelsen berstenden Atlantikwellen gleicht.

Mithilfe bildgewaltiger Gegensätze zwischen weiten Horizonten, tosenden Sturmböen und der urbanen Londoner Clubszene wechselt der Plot in non-linearen Fragmenten, die durch Ronas Haarfarbe zeitlich gekennzeichnet sind. Diese emotionsgeladene Erzählebene verwebt Fingscheidt geschickt mit der teils grafisch dargestellten nordschottischen Inselfolklore, die von Gestaltwandlern wie den Selkies, der Seeschlange Meester Stoor Worm oder dem knapp fünftausend Jahre alten Steinkreis, dem Ring Of Brodgar erzählt. Als zusätzliche Analogie zu Ronas herausfordernder Sinnsuche dient das Aufspüren des Wachtelkönigs, einer bedrohten Vogelart, die sie als Teil eines Gelegenheitsjobs auf alle bewohnten Teile der Inselgruppe und tiefer hinein in die eigene Gedankenwelt führt.

“The Outrun” ist nach dem preisgekrönten Debüt “Systemsprenger” und dem Folgewerk “The Unforgivable” der dritte Spielfilm der deutschen Regisseurin und Drehbuchautorin. Zwischen Fingscheidt, Hauptdarstellerin Saiorse Ronan und der Autorin der biografischen, gleichnamigen Buchvorlage Amy Liptrot, entsteht Rona, deren Name sich bewusst von “Amy” im Buch unterscheidet, als Symbiose aus allen drei Erfahrungswelten: Fingscheidt ist als Leserin tief berührt von Liptrots Lebensgeschichte und Ronan kennt die Krankheit Alkoholismus aus dem eigenen Familienkreis und fügt ihrer Darstellung atemberaubend tiefgehende und rohe Momente hinzu. Diese profitieren auch vom Zusammenspiel mit Co-Star Paapa Essiedu (“The Lazarus Project”), der Ronas Ex-Freund Daynin rührend zwischen Schock und Hilflosigkeit anlegt. Fingscheidt, Ronan und Liptrot zeigen, was Buchverfilmungen leisten können, wenn sie mit der richtigen Mischung aus respektvollem Fingerspitzengefühl und Mut zur medialen Grenzüberschreitung behandelt werden. “The Outrun” profitiert damit maximal von der kreativen Freiheit, die sich die Macherinnen nehmen.

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