Der Regen, der sich am Abend zuvor bei der Eröffnung der Olympischen Spiele über Paris ergossen hatte, stürzt sich nun auf Köln. Das geplante Biergartenkonzert vor der Kantine im Norden von Köln ist bei diesem Wetter keine gute Idee. Also geht’s rein, in den großen Club – weiterhin bei freiem Eintritt, versprochen ist versprochen. Eine kurze Umfrage zeigt: Ein Gratis-Gig in einer so großen Halle hat im Publikum schon lange niemand mehr erlebt. Wobei, klar, ein Hut geht rum: Alle Einnahmen fließen an die Künstler:innen, und die Leute zeigen sich außergewöhnlich spendabel. Was daran liegt, dass der Star des Abends eine treue und eingeschworene Fangemeinde gefunden hat. Die Dichte an Band-Shirt-Träger:innen ist erstaunlich hoch.
Alex Henry Foster ist einerseits Sänger der kanadischen Komplex- und Intensiv-Rockband Your Favorite Enemies, andererseits ist er ein Musiker, dem eine Band nicht mehr reicht. Weshalb er mit seiner Begleitgruppe The Long Shadows unterwegs ist, bei der es sich aktuell mehr ein Live- als ein Studioprojekt handelt. In welche Richtung die Show gehen wird, zeigt bereits die Musik, die bis zum Start um 20 Uhr über die Boxen läuft: The Cures “Disintegration”. Als Foster und Band mit “Up Til Dawn” einsteigen, wirkt es, als würden sich The Cure, Pink Floyd und …And You Will Know Us By The Trail Of Dead auf einem mittelalterlichen Marktplatz versammeln und ein Ritual beginnen. Die Intensität ist von Beginn an hoch, die Gitarren dröhnen, Foster bedient sein Instrument mit einem Geigenbogen, Keyboarderin Miss Isabel thront über dem Geschehen und singt sirenenhaft.
Es folgt “I’m Afraid”, ein Song, der symbolisch für das steht, was Foster mit seiner Musik vermitteln will: Im ersten Teil formuliert er die unzähligen Ängste, der Song drängt nervös nach vorne, bis er seine große Auflösung im Gedanken daran findet, dass jede Angst besiegt werden kann, wenn man voneinander weiß, wenn man zusammenhält. Foster, Mitte 30, hat bereits ein wildes Leben hinter sich, entkam als junger Mensch der politischen Sackgasse Rechtsextremismus, ist seit vielen Jahren ein überzeugender Kämpfer für Menschenrechte. Jemand, der nicht nur redet, sondern auch anpackt. Und damit: authentisch. Was wiederum die loyale Fanbasis erklärt.
Die gesamte Show führt Fosters Leitmotiv weiter: Er und seine Band spielen Community-Rock, entwickeln dafür ein Gewebe aus Musik, aus dem man nicht entkommen kann, nicht entkommen will. Der Gig in Köln ist die letzte Show der Tour – und das wird gefeiert: Zehn Songs werden auf zweieinhalb Stunden ausgedehnt, die Zugabe ist eine 14 Minuten lange Version des epischen “Slow Pace Of The Winds”. Was ist das nun? Dark Wave, Post-Rock, Prog, Noise, Emo? Nebenan sagt einer, dessen Shirt komplett durchgeschwitzt ist: “Was das ist? Das ist dieser Typ! Und nur der.”