“Ich heiße Bobby, er heißt Bobbie und zusammen sind wir Bob Fucking Vylan!” Im Vereinigten Königreich längst zur Hype-Band avanciert, steht nach ein paar Einzelshows die erste EU-Tour für das Grime-Punk-Duo aus London an. Überdimensioniert wird auf dem Festland aber noch nicht gedacht. Während die beiden Bobby/ies in ihrer Heimat sechs Jahre nach ihrer Gründung locker schon Tausender-Clubs vollmachen, müssen sie sich in Köln mit wenigen Hundert Besucher:innen im nicht ausverkauften Luxor begnügen.
Die Stimmung stimmt dafür schon bei Vorband Vlure. Die mit dickem Akzent ausgestatteten Schotten durften ähnlich Bob Vylan reichlich Newcomer-Slots in jüngerer Vergangenheit spielen und zeigen auch heute, dass ihr oberkörperfreien Post-Punk mit Rave-Ambitionen groß werden könnte. Während Vlure noch zu fünft auf der Bühne standen, gibt es bei Bob Vylan das Sleaford Mods-Sparprogramm mit Gitarren und Bass vom Band. Allerdings kümmert sich Drummer Bobbie um die Beats, nachdem Anschreier Jorge Felizardo, das offenbar einzige weitere Tour-Mitglied der beiden, der Menge eingeheizt hat: “What is going on?! Bob Vylan Motherfuckeeers!”
Frontmann Bobby beginnt das Konzert traditionell – wie einige scheinbar schon wissen – mit “light stretching and meditation”. Kein Witz: zu den schleppenden Beats von Kollege Bobbie und fiesen Gitarrenspuren legt Bobby im Fred-Perry-Tracksuit ein paar Sonnengrüße und andere Yoga-Übungen vor. Das Publikum zieht nach. Das mit dem Aufwärmen ist generell keine schlechte Idee, wenn man bedenkt, dass Bobby in den nächsten 50 Minuten von einer Seite zur anderen, um sich selbst und mehrfach in den Moshpit springen wird – und zwar schon beim dritten Song. Wonach sich Bobby erst seiner Trainingsjacke, dann seinem Shirt entledigt und seinen muskelbepackten Oberkörper mit negativem Körperfettanteil im konsequent roten Bühnenlicht präsentiert.
Auch sonst hat der geborene Entertainer viel zu sagen: fast jeder Song geht mit Statements einher, die sich mal die Royals vorknöpfen (vor “England’s Ending”), systematischen Rassismus anprangern (“We Live Here”) oder dem King – ausnahmsweise nicht der Englische – den Mittelfinger zeigen, da er mit afro-amerikanischer Musik berühmt wurde, während er zumindest laut Chuck D Rassist war: “Fuck Elvis, we listen to Public Enemy“, kündigt Bobby daher “Take That” an, das mit pumpenden Synthies und Jungle-Beats genauso gut ankommt, wie mehr im Punk verwurzelte Songs wie “GDP”.
So ernsthaft und dringlich die kurzweiligen Rundumschläge von Bob Vylan auch sind, bringen die beiden Bobs ihre Anliegen mit genug Leichtigkeit und Tongue-in-cheek-Humor rüber. Für den erst kürzlich veröffentlichten Song “He’s A Man” vom kommenden Album wird sich augenzwinkernd mit einem Mann im Publikum angelegt und ein Moshpit nur für Frauen ausgerufen. An anderer Stelle nehmen die beiden Songwünsche entgegen, nur um sie doch wieder zu verwerfen und zu spielen, was sich der meist schüchtern wirkende Drummer Bobbie wünscht. Oder eben, wenn Felizardo dem mittlerweile heiseren Bobby einen Tee auf die Bühne bringt: “We’re English after all”. Neben Song-Highlight “Pretty Songs” gegen Ende folgt als Zugabe eine etwas überdrehte Version von Nirvanas “Territorial Pissings”.
Am Ende bleibt zu sagen: Der Hype in der Heimat um diese grundsympathischen Typen ist bei so einer Show durchaus gerechtfertigt. Trotz ihrer diffusen BDS-nahen Aussagen zuletzt, die sie sich auf der Bühne glücklicherweise verkniffen haben, haben Bob Vylan das Herz am rechten Fleck, holen das Beste aus ihrem Zwei-Mann-Konzept mit einer großartigen Performance heraus und leben trotz Rückenwind durch Preise und Chartplatzierungen im Heimatland immer noch das DIY-Ethos mit eigenem Label und selbst organisierter Tour, die kurioserweise von Live Nation veranstaltet wird.
Nach der Show stehen die beiden selbst am Merchstand, verteilen Fistbumps und verkaufen die nur noch wenigen Shirts mit Aufschrift der “Bob Vylan is killing punk rock”. Wie lange sich die Grime-Punks das alles noch selbst machen, bleibt abzuwarten, wenn ihr drittes Album “Humble As The Sun” nächstes Jahr erscheint. Nach der Show im Luxor fühlte sich Punkrock im Jahr 2023 allerdings selten lebendiger an.