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Eierbal & Rock'n'Roll

Eurosonic/Noorderslag 2025

Eierbal & Rock’n’Roll
Im diesmal nebeligen Groningen hat zum 39. Mal das ESNS-Festival stattgefunden. 333 Acts aus 33 europäischen Ländern stellten sich dem von überall hergereisten Publikum vor. Für VISIONS waren Juliane Kehr und Jan Schwarzkamp vor Ort.
ESNS Art Opening (Foto: ESNS)
ESNS Art Opening (Foto: ESNS)

Am Mittwochabend ist allein das Messezentrum Oosterpoort Austragungsort. Das ist praktisch, aber auch ein Gewusel. So, wie auf der Bühne bei den Search Results. Die drei Iren haben gleich zwei Kameramänner vom Rockpalast auf der Bühne. In ihren grinsenden Gesichtern schwingt die Frage mit, was das eigentlich soll. Vielleicht sind sie aber auch vom eigenen Sound amüsiert, denn ihre Indie-Punk-Songs sind so kurz, dass sie manchmal selbst davon überrascht scheinen, wenn schon wieder einer zu Ende ist. (JS)

Jasmine.4.t, Bovenzaal Oosterpoort (Foto: Ben Houdijk)
Jasmine.4.t spielt ihre Singer/Songwriter-Grunge-Indie im Bovenzaal des Oosterpoort (Foto: Ben Houdijk)

Im Bovenzaal kommt die charismatische Jasmine.4.T. erstmal allein auf die Bühne, spielt das erste Stück solo. Im Trio mutiert ihr intimes, tiefpersönliches Singer/Songwritertum zu grungy Indierock. “Skin On Skin” hat sie geschrieben, als sie obdachlos von Manchester nach Bristol gezogen ist und sich erstmals in eine andere Transperson verliebt hat, erzählt sie. Später weist sie strahlend drauf hin, dass Lucy Dacus ihr kommendes Album produziert hat und sie sich schon drauf freut, diese supporten zu dürfen. (JS)

Real Farmer, Kunstpunt Oosterpoort (Foto: Ben Houdijk)
Jeroen Klootsema von Real Farmer tapert im Kunstpunt in einer Bierlache (Foto: Ben Houdijk)

Real Farmer hatten es nicht weit zum Oosterpoort. Sie kommen aus Groningen und spielen Post-Punk. Der ist immer dann am besten, wenn sie eine gewisse Hardcore-Wucht in die Songs legen, wobei Sänger Jeroen Klootsema wie eine Raubkatze in einer Bierlache über die Bühne pirscht. Irgendjemand im Publikum findet das: “Lekker!” (JS)

CVC, HNWerkman Stadslyceum (Foto: Ben Houdijk)
Haben sich schick gemacht: CVC grooven funky im H.N.-Werkman Stadslyceum (Foto: Ben Houdijk)

“All Aboard?” fragt CVC-Gitarrist und -Sänger Dave Bassey in die Runde, mehr rhetorisch, denn die Finger zucken längst wieder über das Griffbrett seiner Gitarre, auf deren Kopf-Rückseite treffend “War Horse” steht. In der Tasche hat das Church Village Collective sein Publikum schon seit den ersten Tönen dieses dritten und letzten ESNS-Sets Freitagnacht. Um das zu sehen, muss man sich ein bisschen weiter rauswagen aus der Groninger Innenstadt, mit ihrer komfortablen Dichte an Festival-Venues, über den Kanal mit seinen Hausbooten und weiter bis aus dem nächtlichen Nebel das Stadtlyceum des H.N.-Werkman-Gymnasiums auftaucht. Dort kann man auf alten, hölzernen Schulbänken noch kurz die Füße ausruhen, bevor sie zum psychedelischen 60er-Rock- und Funk-Mix des walisischen Sextetts ganz automatisch in Bewegung geraten. Einige Stunden zuvor hatten sich CVC bereits mit einem Set im gut gefüllten Plattenladen Plato empfohlen, am Abend davor auf der urigen, kleinen Theaterbühne im Dachgeschoss des Grand Theater für die geladene Presse. In jeder dieser drei Umgebungen sprüht die Band aus der Nähe von Cardiff nur so vor Spielspaß, während die Songs ihres 2023 erschienenen Debüts “Get Real” genauso zünden, wie die neuen Stücke, die einen Album-Nachfolger ankündigen. Es ist gleichzeitig rührend und erfrischend, wie unironisch die sechs jungen Musiker bestickte Westen, Anzug und polierte Schuhe zu einem Sound tragen, den man irgendwo zwischen Etta James, Steely Dan und John Lennon archiviert geglaubt hatte. (JK)

The Family Battenberg, WEnutbutter (Foto: Ben Houdijk)
The Family Battenberg suchen den witzigen Smalltalk – und finden ihn im WEnutbutter nicht (Foto: Ben Houdijk)

Schmucklos ist der Dachstuhl im Grand Theater, in dem neben CVC auch The Family Battenberg Teil des walisischen Abends sind. Es sind Frechdachse, die immer wieder das Zwiegespräch mit dem Publikum suchen – und dabei vor allem witzig sind. Das ist am Freitagabend im WEnutbutter das gleiche Spiel. Die nicht funktionierende Kommunikation mit dem niederländischen Publikum wird mit “nice chat” quittiert. Dafür kommt ihr bluesiger Garage-Rock gut an. Mit “Fuzzy Features” haben sie jetzt schon einen Hit im Portfolio, obwohl sie bisher – und ohne Label – nur vier Songs veröffentlicht haben. (JS)

Das WEnutbutter ist der Firmensitz eines Nussmühlen-Herstellers, wo am Donnerstagabend Cruel Sister aus Irland spielen. Es fühlt sich an wie ein Open-World-Game, den klammen Straßen von einem Gebäude und seiner Geschichte zum nächsten zu folgen. Der Weg hat sich spätestens dann gelohnt, wenn Sängerin Faith Nico mit einem Wynona-Rider-Todesblick ihren Sirenengesang mal zu schneidenden Grunge- und Alternative-Gitarren, mal zu waberndem Shoegaze und Indierock loslässt. (JK)

Uche Yara, Stadsschouwburg (Foto: Emma Pot)
Füllt mit ihrer Präsenz easy die Stadsschouwburg: Uche Yara (Foto: Emma Pot)

Kurz darauf und frisch mit dem Music Moves Europe Award ausgezeichnet füllt Pop-Künstlerin Uche Yara die Bühne des Municipal Theaters in der Stadsschouwburg mit einer amazonenhaften Live-Energie, die bis unter die gewölbte Decke des Neorenaissance-Baus strahlt. (JK)

Noch leckerer als die oben erwähnten Real Farmer sind Marathon. Die sind aus Amsterdam hoch in den Norden gekommen. Auch sie spielen Post-Punk im Stadslyceum – aber mit teilweise drei Gitarren und allerhand Alternative-Rock-Wucht und ansteckender Spielfreude. Um 23:50 Uhr hält Bassistin Nina Lijzenga verschmitzt fest, dass der folgende Song in zehn Minuten veröffentlicht wird. (JS)

Ebenfalls aus den Niederlanden stammen Cavolo Nero. Genauer: aus Utrecht. Die spielen im Dot, einem kugelförmigen Multifunktionsbau. Der liegt etwas außerhalb in einem Wohngebiet. Und während das Sextett seinen tanzbaren, mitreißenden Mix aus Afrobeat, Indie-Psych und Cumbia spielt, wird die Spritzbetondecke schön psychedelisch illuminiert. (JS)

Doodsekader, Mutua Fides (Foto: Se7en)
Doodseskader treten im Mutua Fides nur mit Bass und Schlagzeug an (Foto: Se7en)

Baulich und musikstilistisch eine ganz andere Welt betritt man im Mutua Vides, dem Treffpunkt der ältesten, örtlichen Studentenverbindung und während des Festivals Schauplatz der eher härteren Gitarren-Acts. So zum Beispiel des belgischen Drum-and-Bass-Duos Doodseskader mit Amenra-Mitglied Tim De Gieter am Bass, der wie im Fieber über die Bühne tigert, während Schlagzeuger Siegfrid Burroughs seinen Teil zum Nasenbluten auslösenden Bassdruck beisteuert, der den letzten Putz von den abgerockten Flurwänden holt, wo der Urinstein ihn nicht eh schon weggeätzt hat. (JK)

Am Freitag spielt an gleicher Stelle das französische Trio We Hate You Please Die einen einnehmenden Mix aus Garage-Rock, der immer wieder in härteren Punk umschlägt. So viel Power Sängerin und Bassistin Chloe Barabé in die Stücke des neuen und bereits dritten Albums “Chamber Songs” steckt, so wortkarg und etwas verloren wirkt sie zwischen den Songs. (JK)

Daufødt, Mutua Fides (Foto: Siese Veenstra)
Sucht den Kontakt mit dem Publikum: Annika Linn Verdal Homme von Daufødt im Mutua Fides (Foto: Siese Veenstra)

An gleicher Stelle gibt es im Anschluss Hardcoriges Geballer mit Daufødt aus Oslo. Sängerin Annika Linn Verdal Homme stampft mit schweren Boots und Minirock über die Bühne, deutet Liegestütze an und spaziert beim Gitarrensolo einmal um die Bühne – wenn sie nicht gerade auf Norwegisch brüllt. Cool und weird. (JS)

Etwas verloren und aus rotgeränderten Augen starrend, bewerkstelligen kurz darauf Marcel aus Belgien ihren Soundcheck. Mit Beginn ihres Sets jedoch scheint der verdrehte Post-Punk vor allem Sänger Amaury Louis wiederzuerwecken. Der zaubert ein weirdes Percussion-Instrument nach dem anderen aus einer Kramkiste zu seinen Füßen, führt eine Art Ian-Curtis-Variante des Kasatschok auf und streunt durchs ebenfalls von Song zu Song agiler werdende Publikum. Einziger Wehrmutstropfen: Wer sich zu Marcel im All Round Pub eingefunden hat, schafft es auf keinen Fall mehr zu den Briten Big Special, die zeitgleich spielen. Es gibt aber vermutlich Schlimmeres als zu viele gute Bands auf einmal. (JK)

Eierbal (Foto: Siese Veenstra)
Der Eierbal darf als Zwischendurch-Snack an keinem ESNS-Abend fehlen (Foto: Siese Veenstra)

Ebenjene Big Special haben vorab bereits ein großes Echo ausgelöst, was an ihrem 2024 veröffentlichten Debütalbum “Postindustrial Hometown Blues” liegt. Das Duo füllt bei ihrem ersten Auftritt in diesem Jahr den großen Saal im Huize Maas mit begeistert mitsingenden und tanzenden Fans. Auf der Bühne: ein ungewöhnliches Bild. Denn live ist nur das Schlagzeug von Callum Moloney und Joe Hicklins Gesang. Der Rest kommt aus der Konserve. Macht aber nichts. Das Duo ist irre sympathisch – und befeuert sich ständig selbst mit Party-Sirenen. (JS)