Mittwoch, 18.09.
21:30 Uhr: Eine der primären Aufgaben des Reeperbahn Festivals ist es, junge, frische Künstler:innen dem Publikum (und den Branchenmenschen) vorzustellen. Doch mogeln sich manchmal Bands dazwischen, die sind gar nicht jung und neu. Etwa The Shivas. Die vierköpfige Band aus Portland existiert seit fast 20 Jahren und hat bereits acht Alben veröffentlicht. Das aktuelle hört auf den Namen “Can’t Stop Coming Around” und ist erst im Juli erschienen. Darauf ist ebenfalls nichts zu finden, was neu oder frisch wäre. Aber das ist auch nicht Ziel der Band, die sich unsterblich in die Sound-Palette der 60er verliebt hat und zweifelsfrei in der Lage ist, in ihrem einstündigen Set im Nochtspeicher Unterschiedlichstes zu bedienen. Dafür darf man das überstrapazierte Adjektiv “authentisch” bemühen. Die bezaubernde Kristin Leonard sitzt zunächst singend am Schlagzeug, was sich nach einigen Songs ändert und sich ihre eigentlich Gitarre-spielenden Kollegen hinter das Set setzen, damit sie die Soul-Sängerin am Bühnenrand geben kann. Soul ist nur ein Aspekt. Hinzu gesellen sich Surf, Garage, Psych, Westcoast Pop und Doo-Wop. Nicht neu – aber zeitlos. (js)
Donnerstag, 19.09.
17:30 Uhr: In diesem Jahr hat sich Kanada im Uwe im Klubhaus St. Pauli am Spielbudenplatz eingemietet. Dort bekommt ein besonderer Gast seine 30 Minuten im Rampenlicht: Spookey Ruben, geboren in Ottawa, Ontario und aufgewachsen unter anderem in Verden, Niedersachsen, weil sein Vater Raumfahrtingenieur bei der ESA war. Spookeys aktuelles Album ist bereits von 2016. Aber das macht nichts, denn die ihm zur Verfügung stehende halbe Stunde füllt er mit reichlich Wahnwitz, mit der Betonung auf letzterem. Nach zwei Songs auf der Akustikgitarre – darunter sein 90s-Indie-Hit “Running Away” – spielt er seine kruden, selbstgedrehten Videos zum ebenfalls aus den 90ern stammenden “Wendy McDonald” und der hanebüchenen deutschen Version des 2016er Songs “Mr. Everywhere” ab – und singt einfach noch mal drüber. Dabei springt er wie der Frontmann einer Hardcore-Band mit Deerstalker-Mütze über die kleine Bühne. Eine Parade der “What the fuck?!”-Momente. Und zum Finale gibt es selbstverständlich das Thema der WDR-Sendung “Zimmer frei”, nämlich Spookeys Hit “These Days Are Old”. (js)
21:00 Uhr: Sänger und Gitarrist Vincent Göttler sieht mit seiner schnellen Brille und seinem weißen Sportanzug aus wie ein zu extravaganter Speed-Dealer vom Düsseldorfer Rheinufer – oder eben wie ein neues Mitglied von Fontaines D.C. nach ihrer radikalen Rundumerneuerung. Da er mit seiner im Vergleich schlicht gekleideten Band Neumatic Parlo im kleinen und gut besuchten Häkken auf der Bühne steht, stimmt beides nicht, aber die irischen Post-Punk-Posterboys sind generell ein guter Anknüpfungspunkt. Mit lakonisch-angepisstem Sprechgesang und einer ähnlich ungestümen Energie wie die von “Dogrel” (2019) schwingt sich die Band zu einer Düsseldorfer Version von Fontaines D.C. auf – nur beherrschen sie eben bereits das, wozu die Iren mehrere Alben brauchten. Hinter Neumatic Parlos aufgekratztem Garage Rock verbergen sich schon jetzt der Breitwand-Sound der Artic Monkeys, Radiohead-Momente und generell eine Wall Of Sound, die sich Mitglied Simon Hartmann mit seinem Oasis-Sticker auf der Gitarre wohl von den Britpop-Ikonen abgeschaut hat. Aber noch viel bemerkenswerter als der breitgefächerte Klang: Neumatic Parlo geben sich mit ihrem erratischen Frontmann, der sich schweißgebadet ums Mikro wickelt, herrlich unprätentios und legen eine Club-Show hin, der Fontaines D.C. längst entwachsen sind. (jss)
22:10 Uhr: Bass, Gitarre, Drums und ein bisschen Synthie sagen mehr als tausend Worte: Das hat in Hamburg längst die Runde gemacht, weshalb das Headcrash gut gefüllt ist, als das Berliner Trio Zahn zur gepflegten Apokalypse bittet. So fühlt sich nämlich ihr krautiger Noise-Post-Rock an, der zwischen meditativ-harmonisch und brutal-erdrückend pendelt. So oder so ein immersives und ziemlich lautes Erlebnis. Sich darauf einzulassen, lohnt sich. Nicht immer ganz einfach bei den endlosen Instrumentalschleifen, die aber durch eine ansteckenden Performance von vor allem Chris Breuer, stets mit langer Matte über Bass oder Synthie gebeugt, mitreißen. So wie auch die Songs des zweiten Albums “Adria” (2023), die klingen wie reihenweise Kinnhaken auf einem Retro-Italien-Trip. (jss)
23:00 Uhr: Seit zwei Jahren veröffentlichen Plaiins Single um Single, gebündelt zu EPs. Nur ein Album fehlt noch. Doch mit Long Branch haben sie nun ein Label, auf dem das erscheinen soll. Die Hannoveraner richten den heutigen Abend im Bahnhof Pauli aus – und Plaiins sind die Headliner. Die Band ist in Hamburg ansässig, der charismatische Frontmann Chris Reardon ist jedoch Brite mit dem richtigen Duktus und Vokabular, um den rasanten Mix aus Post-Hardcore und halsbrecherischem Alternative Rock passend zu illustrieren. Dazu gibt es ein Feuerwerk der Rock’n’Roll-Gesten, bei denen sich Gitarrist Florian Kaninck auf den Arsch legt und Reardon auf die Knie geht, bis er – mittlerweile fast obligatorisch – das Publikum bittet, sich auf den Boden zu setzen, um zum musikalischen Ausbruch aufzuspringen und auszurasten. So empfehlen sich Plaiins für die großen Bühnen. (js)
23:10 Uhr: Kaum ist das Ende von Black Midi – zumindest vorerst – besiegelt, hat Sänger und Gitarrist Geordie Greep schon ein Soloprojekt am Start, das er im Knust vorstellt. Zur Seite stehen ihm fünf Gastmusiker, die infolge seiner anstehenden Tour je nach Kontinent und Verfügbarkeit rotieren werden. Sein mit 30 Musikern von aller Welt aufgenommenes Solodebüt auf die Bühne zu bringen, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Ebenso unmöglich: Greeps improvisierte Math-Rock-Fingerübungen, die sich in den ersten rund zehnminütigen Song hineinschrauben, in dem er sich zum verschwitzten Prediger aufspielt und vor Spielfreude explodiert. Dabei sprengt er von Jazz, über Yacht Rock, sämtliche Latin-Music-Einflüsse bis Musical-Anleihen fast noch mehr Genregrenzen als mit seiner ehemaligen Band, zur Grenzerfahrung lässt er es aber nicht kommen. Erstaunlich eingängig und unterhaltsam dirigiert Greep sein Team, mimt mal die große kubanische Sängerin Celia Cruz, heißt schmalzigem 80s-Rockgesang willkommen, zieht aber im richtigen Moment wieder die noisy Avantgarde-Schraubzwinge an. So richtig geht das Publikum aber erst bei “Holy, Holy”, dem bisher einzigen veröffentlichten Song mit. Trotzdem: Kaum zu glauben, was der 25-Jährige hier in Eigenregie auf die Beine gestellt hat. (jss)
Freitag, 20.09.
14:00 Uhr: Unweit vom Garage Sale der lokal ansässigen Indie-Labels vor dem Knust ist der Grüne Jäger. Den hat heute die finnische Delegation übernommen, um mit vier Bands ihr Portfolio vorzustellen. Polymoon ist eine davon. Die Band ist gesignt auf Robotor – dem Label ihrer Freunde Kadavar. Ihr Stil ist eigen. Da trifft 70s Prog auf Space Rock, sphärischer Psych auf kühle Synthesizer und einen gewissen Wave-Gestus, über den vor allem Sänger Kalle-Erik Kosonen verfügt. Überhaupt: Kaum eine Band auf dem RBF sieht so sehr nach Band aus, wie Polymoon mit ihren Vintage-Outfits zwischen 70s und 80s. Live unter dem Dachstuhl des Grünen Jägers kommen die Grooves von Schlagzeuger Tuomas Heikura und dem fingerfertigen Neuzugang Marco Menestrina (auch: Kaleidobolt) und seinem silbern glänzenden Bass besonders gut zur Geltung. (js)
16:00 Uhr: Wir treffen das von Epitaph-Sublabel unter Vertrag stehende Genre-Chamälon Sam Akpro aus Peckham, London vor der Davidwache zum Interview. Mitten auf der Reeperbahn erzählt Akrpo zwischen eingeschlafenen Feierwütigen und angeheiterten Festivalgänger:innen von seiner gestrigen Show, dem bevorstehenden Showcase im Molotow und der Entwicklung seines Soloprojekts. (jss)
18:00 Uhr: Dass diese Band gekommen ist, um bleibenden Eindruck bei den Anwesenden im Molotow Backyard zu hinterlassen, verrät schon der aufgekratzte Moderator des Aussie BBQ, in dessen Rahmen – richtig – nur australische Bands spielen. Die letzte ist Battlesnake, die gekommen sind, um den Thrash von King Gizzard mit dem Metal von Judas Priest und dem Kostüm-Quatsch von Ghost zu vereinen. Die Band hat sichtlich Spaß dabei, die Joker-Position einzunehmen und komplett am Rad zu drehen. Unter ihren mit goldenen Nieten und Ketten verzierten Roben ziehen sie (fast) blank. Zu sechst, und bewaffnet mit Keytar, unternehmen sie schon bald Ausflüge ins Publikum, dann aufs benachbarte Dach, die Traversen hoch und – mithilfe einer Leiter – über die Köpfe des Publikums. Der Zirkus macht jedenfalls mehr Spaß, als es die Substanz der Songs hergibt. (js)
19:30 Uhr: Der Molotow-Club steht seit 19 Uhr im Zeichen des Label-Showcase-Events Make Noise For Safe Passage. Über zwei Projektoren laufen auf den Wänden des Clubs Musikvideos sämtlicher Acts von Epitaph und deren Sublables Anti- und Hellcat in Dauerschleife und in der hinteren rechten Ecke baut das Team einen Stand mit vielen seltenen Testpressungen von etwa Bad Religion, Tim Armstrong, Rancid, NOFX und den Architects sowie verschiedenstem Merch wie unterschriebenen Skateboards, Descendents-Kaffee und Punk-O-Rama-Hoodies auf. Heute Abend soll es aber nicht allein um Epitaph und die drei Label-Acts Sam Akpro, Rat Boy und Late Night Drive Home gehen; die Einnahmen des Standes und den Spendenboxen an der Bar gehen an Sea-Watch und kommen damit der zivilen Such- und Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer zugute. Vor allen drei Konzerten hält ein Vertreter der Non-Profit-Organisation jeweils Power-Point-artige Vorträge über die Arbeit von Sea-Watch. So richtig wahrgenommen wird das ernste Thema in der launigen Kneipenatmosphäre erstmal nur von den ersten paar Reihen. Am Ende dürfte die Botschaft der lebenswichtigen Arbeit von Sea-Watch aber trotzdem angekommen sein. Und auch rund 950 Euro wurden bisher eingenommen. Über sea-watch.org kann allerdings noch bis Ende des Jahres gespendet werden. (jss)
Für Stimmung soll aber erstmal Anti-Records-Act Sam Akpro sorgen. Seinen von Dub und Jazz-Einflüssen durchtränkten Post-Rock und -Punk nimmt der junge Londoner zwar alleine auf, damit er selbst abgehen kann, überlasst er die Musik aber gewinnbringend seiner fünfköpfigen Band. Was bei Akpro auf Platte nach ausgefeilten Arrangements, Beat-Tüfteleien und sphärischem Sprechgesang klingt, bringt er live mit erstaunlich viel Wucht und Inbrunst rüber. Minutenlang lässt er dichte Grooves, Samples und Gitarrenschichten um sich herum aufbauen, bevor sich die Songs im fast schon wütenden Rap von Akpro entladen. Auch wenn er als Frontmann oft nicht einmal singt, hat er das Publikum fest im Griff. Ergebnis: Das kollektive Kopfnicken zu krachenden Schlagzeugbeats und Jazz-Einschüben geht weit über die ersten Reihen hinaus. Ein unerwartet draufgängerischer und intensiver Auftritt eines Solokünstlers, der zumindest in seiner Heimat mit diesem Sound sicherlich das Zeug hat, groß zu werden. (jss)
21:20 Uhr: Eine ganz andere Stimmung als beim Label-Kollegen herrscht bei der Hellcat-Band Rat Boy aus Essex. Die springen mit denkbar breiter Brust auf die Bühne, stellen direkt nochmal explizit klar, dass sie aus “ESSEX!” kommen und beweisen, dass sie mit Ende 20 schon längst alte Hasen im Business sind, und wissen, wie man eine Punk-Show abzieht. Entsprechend fackelt Frontmann und Gründer Jordan Cardy nicht lange, akzeptiert kein müdes Kopfnicken. Er will die Leute tanzen sehen. Beachtlich, das auf Anhieb beim oft lahmarschigen Branchenpublikum bei Showcase-Festivals hinzukriegen. Doppelter Respekt dafür, die Menge mit mittlerweile oft belächeltem Ska-Punk in Bewegung zu halten. Aber Rat Boy machen schon seit zehn Jahren Musik und wissen als Rancid-Fans und Schützlinge von Tim Armstrong genau was sie tun: die Songs ihres nächste Woche erscheinenden Albums “Suburbia Calling” lassen eigentlich Blur, The Specials oder Madness, inklusive Bläsern und Piano anklingen, live prügeln sich die vier Freunde durch ihr Set wie einst Operation Ivy, versorgen sich gegenseitig mit Bier und laden das Publikum zur Mini-Wall-Of-Death ein – nicht nur ein Mal. Im üppigen Finale teilt Cardy den Club in zwei Hälften und bringt nach kollektivem Countdown wohl auch noch die letzten Skeptiker zum Abgehen. Eine der wohl wildesten und sympathischsten Punkshows beim Reeperbahn Festival der vergangenen Jahre. (jss)
21:55 Uhr: Wie Battlesnake aus Australien und heute bereits zum zweiten Mal auf der Backyard-Bühne sind Girl And Girl. Die veröffentlichten seit 2020 diverse Singles und EPs und sind 2023 von Sub Pop gesignt worden. Verständlich: Ihr Jingle-Jangle-Indie hat reichlich Garage-Rock-Dringlichkeit und erinnert zuweilen an die Violent Femmes und Jonathan Richman. Vor allem ist Gitarrist und Songwriter Kai James mit seinem engen, silbernen Topp ein Blickfang. Immer wieder holt er ein Vibrato raus, was den Songs vom im Mai erschienenen Album “Call A Doctor” das gewisse Etwas verleiht. (js)
22:50 Uhr: Nach Anti- und Hellcat wird es Zeit, dass mit Late Night Drive Home endlich eine Band auf die Bühne des Molotow Clubs kommt, die tatsächlich beim Mutter-Label Epitaph unter Vertrag steht. Die vier jungen Männer aus El Paso, Texas veröffentlichen seit 2019 Songs. Damals waren sie gerade mal 16 bis 19 Jahre alt. Auf Platte ist ihr Mix aus Indierock, sanften Emo-Anklängen, verträumtem Shoegaze und Verbeugungen an The Strokes recht schüchtern. Live ist das weniger der Fall. Mit aufgerissenen Jeans und dickbesohlten Doc Martens präsentieren sie ihre Songs lauter, dringlicher, krachiger als auf Platte – selbst wenn zwischendurch mal ein Pedal von Gitarrist Juan “Ockz” Vargas schlapp macht. (js)
23:45 Uhr: Allein die mehrstöckige Kulisse mit Stuck und massivem Kronleuchter ist ein Highlight: Joe Henwood und Tash Keary von O. überlassen in der Prinzenbar trotzdem nichts dem Zufall. Das Londoner Paar besteht auf einen akribischen Soundcheck, bevor Henwood das infernale Dröhnen seines Baritonsaxofons in der Venue erklingen lässt. Es folgt ein atemloser Instrumental-Mix aus Art-Punk, Dub, Jazz und Electro, mit dem die beiden auch schon auf der Fusion gespielt haben und folgerichtig ihren eigenen kleinen Minirave in der Prinzenbar starten. Entsprechend des Titels ihres Albums “Weirdos” ist ihr skizzenhafter Sound bewusst vertrackt und unberechenbar, aber vor allem tanzbar, da Keary ihr Schlagzeug und Drumpad mit klinischer Präzision in Hochgeschwindigkeit bearbeitet. Fast permanent hat Keary ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen, während sich Henwood die Seele aus dem Leib pustet oder zwischendurch immer wieder Witze reißt. Wen das nicht in Bann zieht, der ist irgendwo falsch abgebogen. Nur Kearys Tamagotchi ist zu entschuldigen. Es schläft gerade, scherzen die beiden “Eltern”, die sich am Ende einer der auch visuell beeindruckendsten Shows dieses Wochenende gegenseitig nochmal ihre Liebe erklären. (jss)
00:10 Uhr: Extrovertierter gibt sich Des Rocs im Nachtclub Moondoo (das zukünftige neue Molotow), in dem rosa beleuchtete Tische oder: Striptease-Plattformen unmittelbar vor der Bühne platziert sind. Danny “Des Rocs” Rocco, Pizzabäcker in vierter Generation aus New York, trägt ein tightes Leder-Outfit und eine Greaser-Tolle. Im Power-Trio-Gefüge ballert er laut- und ausdrucksstark Danko Jones, The Black Keys, Queens Of The Stone Age, The Cult, Muse, Jimi Hendrix (Gitarrensolo auf dem Rücken) und Elvis Presley zusammen und erinnert bei seinen Ansagen (und auch äußerlich) an den jungen Robert De Niro. Es kommt auf jeden Fall eine gute Portion des Sounds vom digitalen Helferlein, was die Sache noch bombastischer macht. Das hier ist prädestiniert für große Arenen. Doch bei seiner ersten Deutschland-Show – einer “kinky show”, wie er sagt – bringt er die Arena in den Club. (js)
Samstag, 21.09.
19:45 Uhr: Ihren Bandnamen haben Jools von Late-Night-Talkshow-Host Jools Holland geklaut, als er Shame zu Gast hatte. Entsprechend austariert ist die sechsköpfige Band um die beiden Frontleute Mitch Gordon und Kate Price in die Richtung Post-Punk, die man im UK eben gerade so spielt. Als zweistimmige Idles könnte man die Band aus Leicester abtun, doch nicht nur von den Looks (Gordon heute mit Wolle-Petry-Frisur und Rüschenhemd, Price in Lederklamotten) richten sich Jools aber wesentlich extravaganter, flamboyanter aus. Zwischen versteckten Popmelodien und der Wucht von Rage Against The Machine im Nacken haben Jools im vollgepackten 25 Club trotz Soundproblemen einiges zu bieten: Die Energie stimmt, die Botschaft (“It’s not a shame to dress like a woman”) sowieso. Noch fehlen Jools aber bis auf die Single “FKA” die Hits, die aus ihrem Ohrfeigen-Sound live herausstechen können. Das dürfte sich mit einem Album beim Label Hassle hoffentlich bald ändern. (jss)
22:00 Uhr: Gut eine Stunde dürfen Eat Them im Karatekeller im Molotow ran. Das ist auch gut so, denn die drei Bochumer haben sich zwischen dem LoFi-Geschmetter der frühen Cloud Nothings, artsy Punk-Ausflügen, Shoegaze und Mathrock denkbar breit aufgestellt. Darin liegt aber auch die Herausforderung: Gerade wenn einen ihr krachiger All-over-the-place-Indie packt, driftet das Trio in langsame, vertracktere Jam-Sessions ab. Da das trotzdem nicht verschroben wirkt, und sie sich immer weiter in den schwer zu greifenden Stilmix hineinsteigern, gehen die Experimente dieser durchaus ungewöhnlichen Band aus dem Ruhrgebiet trotzdem auf. (jss)
23:55 Uhr: Es ist satte 17 Jahre her als “Made Of Bricks” die Indiewelt aufmischte. Damals war Kate Nash gerade 20 Jahre alt, ihrer Texte aber voll kluger Lebensweisheit. 2013 hat sie die Frisur gewechselt und wird zur Indierockerin. Dann dauert es fünf Jahre und dann noch mal sechs Jahre, bis neue Alben von ihr erscheinen. Dafür erfindet sich die Britin nebenbei vor allem mit der Girl-Wrestling-Serie “Glow” als Schauspielerin neu – und als queere Ikone. Es ist ruhiger um sie geworden, aber sie ist nicht vergessen. Sonst wäre die Große Freiheit 36 nicht so gut gefüllt und Nash nicht an der Position, als Headlinerin in einem der größten Venues des RBF das Festival abzuschließen. Erst im Juni hat sie “9 Sad Symphonies” veröffentlicht – ein melancholisches Popalbum, das über Kill Rock Stars erscheint, was Nash viel bedeutet, wie sie betont. Das Label habe schließlich eine wichtige Punk-Historie. Stilistisch ist ihr eigenes Album davon zwar weit entfernt, dafür geht es live zwischen Pop und Party, Punk und Publikumstuchfühlung einmal durch ihren überschaubaren Katalog. Nash tanzt im Sailor-Moon-meets-Playboy-Bunny-Outfit mit silbernen Stiefeln über die Bühne, nimmt irgendwann die akustische Gitarre, dann den Bass – und tanzt bald ohne Stiefel weiter. Klar, viele sind wohl hauptsächlich wegen eines Songs da – aber bis dahin bleibt es kurzweilig. Und dann kommt das unzerstörbare “Foundations”, bei dem das Publikum laut mitsingt: “And I smile/ I know I should forget but I can’t”. (js)