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Nachbericht zur Wildcat Tattoo Cruise

Wildcat Tattoo Cruise 2024

»Feels a little weird«
Vom 6. bis 10. Mai hat zum ersten Mal die Wildcat Tattoo Cruise zwischen Bremerhaven, Rotterdam und Dover stattgefunden. Wir waren auf der schwimmenden Convention mit musikalischem Rahmenprogramm dabei.
Vom Wirldpool aus Dog Eat Dog schauen, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
Vom Wirldpool aus Dog Eat Dog schauen, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)

„Es ist schon ein wenig ironisch über Freiheit und Tod zu singen, während wir auf einem luxuriösen Schiff wie diesem hier sind“, stellt Lou Koller in der Mitte des Sets seiner Band Sick Of It All fest. Das Schiff trägt den Namen „Mein Schiff 4“. Auf dem findet erstmals die Wildcat Tattoo Cruise statt, eine Tattoo-Convention auf See mit Bands im Rahmenprogramm -– und passend dazu dem Stück „Rose Tattoo“ von den Dropkick Murphys mit Bruce Springsteen als offizielle Hymne der Cruise . Dass die Cruise nicht nur von Fans der Haut-Couture oder der gebotenen Musik gebucht wird, sondern auch von „ganz normalen“ Ausflüglern macht die Szenerie umso diverser – und nicht selten skurriler. Etwa wenn „Moni“ und „Günther“ mit den Softshell-Jacken neben den zugehackten älteren und jüngeren Hardcore-Kids in harmonischer Eintracht dem Geschehen auf der Bühne folgen, man sich in einem der zehn Aufzüge näherkommt, ausgiebig Moins an alle verteilt und man sich nach absolviertem Tag an Bord auf den Gängen eine gute Nacht wünscht.

Comeback Kid, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
Socializer Andrew Neufeld und seine Band Comeback Kid bei der Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)

„We never played a cruise before. Feels a little weird“, sagt Andrew Neufeld atemlos zwischen zwei Songs von Comeback Kid. Neufeld ist ein eifriger Socializer, einer, der gerne Leute kennenlernt, der immer für einen Schnack oder ein kleines Andenken-Tattoo zu später, angetrunkener Stunde bereit ist. Von oben auf der Bühne stellt er mit Blick ins Publikum fest, dass er niemanden kennt. Unmittelbar vor der Bühne ist ohnehin nicht allzu viel Platz, weil der 25-Meter-Pool mit den zwei Whirlpools das Zentrum des Oberdecks einnimmt. Das Stück „Crossed“ widmet Neufeld Gojira, weil deren Joe Duplantier hier normalerweise mitsingt. Beim großen Hit „Wake The Dead“ wiederum hilft das Publikum tatkräftig mit. Und dann bescheren uns die Kanadier schon früh auf der Cruise den Augenblick, der unabwendbar sein würde: Sie holen sich Unterstützung von ihrer Nationalheldin Celine Dion und verabschieden sich mit den titanischen Klängen von „My Heart Will Go On“. Erster Abend, hohe Messlatte.

Deez Nuts, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
JJ Peters von Deez Nuts ist eine wandelnde Tattoo-Convention (Foto: Jan Schwarzkamp)

Um 22 Uhr und etwa 70 Meter von der Bühne entfernt gibt es in der All-you-can-eat-Arena, dem Anckelmannsplatz, noch alle erdenklichen Leckereien. „Feels A little weird“, würde Neufeld sagen. Auf welchem Festival gibt es schon die Möglichkeit, einige Meter von der Hauptbühne entfernt grenzenlos zu schlemmen? Ebenso selten dürfte es vorkommen, dass Menschen bei Festivals direkt im Bademantel aus der Saunalandschaft oder dem Whirlpool vor der Bühne landen. Aber das passiert hier. Etwa bei Deez Nuts, deren charismatischer Sänger JJ Peters eine wandelnde Werbefläche für Tattoo-Künste aller Art ist, und der immer wieder einfordert: „Make some fucking noise, Mein Schiff Four!“ Aber so richtig viel ist auf dem Pooldeck noch nicht los. Deez Nuts sind ein Opfer der Gleichzeitigkeit der Dinge. Viele Etagen unter ihnen wird tätowiert, es gibt dazu passende Talks, einen Akustikgitarrenakrobaten wie den ebenfalls stark tätowierten Andrea Chiarini, ein nie versiegendes Essensangebot, ein Casino, das klassische Bord-Entertainment-Programm mit Musicaldarbietungen und zu späterer Stunde diverse Discos.

The BossHoss, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
Bei The BossHoss sind gefühlt die gesamten Gäste des Mein Schiff 4 auf Deck 12 (Foto: Jan Schwarzkamp)

Wo Deez Nuts nur die Hardcore-Fans gelockt haben, ist bei The BossHoss das Pooldeck superlativ gefüllt. Die Berliner Country-Rocker sind die Band, auf die sich an Bord die meisten einigen können. Immer wieder kann man Gesprächen lauschen, wer wo, wen von The BossHoss auf dem Schiff getroffen und fotografiert hat. Dazu passt die Ansage von Co-Frontmann und Gitarrist Sascha Vollmer, dass er das Gefühl hat, fast jeden an Bord mittlerweile zu kennen oder wenigstens einmal getroffen zu haben. Es ist eben ein Schiff. Ein großes zwar, aber man begegnet sich garantiert immer mehrmals. Die Rundum-glücklich-Show der siebenköpfigen BossHoss – die sich übrigens nach einem Song der Sonics benannt haben – fährt alles auf: Kontrabass, Mundharmonika und vor allem Cover-Songs wie „Hey Ya“, „Jolene“, „La Grange“ und Tony Joe Whites coolen Hit „Polk Salad Annie“. Dazwischen wird verschmitzt Denglish gespeakt, als wäre Johnny Cash der Patenonkel von Vollmer und Sänger Alec Völkel.

Sick Of It All, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
Sick Of It All generieren als lebende Legende auch nach 38 Jahren noch Moshpits (Foto: Jan Schwarzkamp)

In Rotterdam gehen Sick Of It All an Bord, während Comeback Kid sich von hier weiter nach Amsterdam shutteln lassen und dann nach Griechenland fliegen. Die alte Garde des Hardcore übernimmt den Staffelstab von der mittelalten. Lou Koller erläutert das auf der Bühne auch noch mal. Seit 38 Jahren seien sie dabei. Sie sind oldschool. Dafür verweist er auch noch mal auf sein Motörhead-Shirt und erklärt, dass sie die Wall of Death quasi erfunden haben. Da dieser sich aber längst jeder bemächtigt, gibt es jetzt „the new shit“ – und zwar die „human handgrenade“, für die sich die Leute zusammenballen sollen, um dann auseinanderzufliegen. Checkt niemand so richtig, also verpufft der Animationsversuch. Und dann gibt es „the first song we wrote as teenagers“, das 42-sekündige „My Life“ vom 1989er Debüt „Blood, Sweat And No Tears“. Selbstverständlich dürfen bei 21 Songs nicht die großen Hits „Scratch The Surface“ und vor allem das finale „Step Down“ fehlen. Die Klammer für all das ist jedoch eine schelmische: Zum „Love Boat Theme“ kommt die Band auf die Bühne, und das Outro liefert Glen Campbells „Rhinestone Cowboy“, bei dem Bassist Craig Setari an seinem Mikro munter mitsingt, bevor es für Pizza und Burger inmitten von Fans ins Tag-&-Nacht-Bistro geht.

Dog Eat Dog, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
John Connor von Dog Eat Dog erweist sich als gekonnter Conférencier (Foto: Jan Schwarzkamp)

Koller erwähnt, dass Kapitän Tobias Pietsch sich als alter SOIA-Fan geoutet hat. Auch Dog Eat Dog hatten eine Audienz bei Pietsch und an diesem Tag bereits eine Führung über die Brücke bekommen. Nach ihrem Klassiker „Who’s The King?“ verrät uns Sänger und Rapper John Connor, wer der König sei: Kapitän Pietsch nämlich, ebenfalls ein Fan der Crossover-Legenden, „from back in the 90s“. Dabei sei Pietsch ein junger Kapitän, Jahrgang 1980. Connor, seit den 90ern schier kaum gealtert, ist ein toller Conférencier. Zum Auftakt spendiert er einen Freestyle-Rap, erklärt, dass Chester Benningtons erste Band Grey Daze aufgetreten ist, obwohl der Bassist einen Todesfall in der Familie zu betrauern hat. Später gibt es eine sehr empathische Danksagung an die gesamte Crew, „one family at sea. From everywhere they are coming from: Indonesia, Polynesia…“. Dog Eat Dog haben bereits die Wacken Cruise mitgemacht. Vielleicht hat Connor deshalb vorgesorgt und unter die lange noch eine kurze Sporthose gezogen. Nach einem kurzen Strip nippt er an seinem Cognac in der Hoffnung, dass der ihn wärmt. Nachdem pünktlich zum Saxofon-Intro von „Who’s The King?“ sich kurz die Sonne durch den Hochnebel kämpft, bekommt Bassist und Co-Gründer Dave Neabore seinen Soloauftritt mit dem Punk-Hit „Rocky“, dessen Refrain dem feiernden Publikum leicht von der Zunge geht. Ein herrlich nostalgisches Wiedersehen mit einer Band, deren letzte zwei Alben in VISIONS nicht gut weggekommen sind. Connor sagt: „Wir sind ein leichtes Ziel, ich kann das verstehen.“

The Subways, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
Kann nie stillstehen: Charlotte Cooper von The Subways (Foto: Jan Schwarzkamp)

Die Subways hatten Dog Eat Dog einst ausgeholfen, als die Band aus New Jersey für einen Festival-Besuch in Russland am Flughafen feststellen mussten, dass ihr komplettes Equipment auf der Strecke geblieben ist. Jetzt übernehmen die Subways die Headliner-Position am fünften und letzten Abend der Cruise. Sie beginnen mit „Oh Yeah“, dem anderen Hit von ihrem 2005er Debüt „Young For Eternity“. So richtig leicht haben sie es nicht. Es ist arschkalt, das Publikum müde, verkatert, bereits im bequemen Sessel sitzend in der Schau Bar beim Tattoo-Night-Talk mit Knorkator. Gitarrist und Sänger Billy Lunn und seine zwei Mitstreiterinnen lassen sich nicht von der Euphorie-Flaute verschrecken. Bevor sie nicht ihren Megahit „Rock & Roll Queen“ gespielt haben, wird eh niemand abhauen. Es ist ihr erstes Konzert auf einer Cruise. Lunn freut sich über seine schöne Kabine mit Balkon. Idealerweise wird er sich später mit einem heißen Tee dahin zurückziehen, denn: „Ich habe eine Rotznase und werde versuchen, so gut zu singen, wie möglich.“ Er steht trotzdem nur im T-Shirt in der Kälte. Und als das große Hit-Finale auf seinen Höhepunkt zusteuert, lässt er sich über die Köpfe des Publikums in den Pool manövrieren. Hatschi!

Tommi Tervo tätowiert, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
Tommi Tervo tätowiert im Rahmen der Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
Knorkator, Wildcat Tattoo Cruise (Foto: Jan Schwarzkamp)
Knorkator schnacken gewohnt skurril über Tattoos und Musik beim Talk mit Nori Storm (Foto: Jan Schwarzkamp)