Der Terrorangriff auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo bestimmt auch am Tag danach die gesellschaftspolitische Berichterstattung rund um die Welt. Sollte ein Musikmagazin wie VISIONS da noch in den Kanon mit einstimmen? Es sollte nicht – es muss.
Das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo, dem zwölf Menschen – darunter vier der renommiertesten Karikaturisten Frankreichs – zum Opfer fielen, ist eine Attacke auf das Fundament, auf dem VISIONS seit mehr als einem Vierteljahrhundert sicher steht: der Pressefreiheit. Sie ist der Ausdruck einer unabhängigen Weltsicht, die wir für uns ebenso reklamieren wie für unsere Leser. Frei von Dogmen, Vorurteilen oder, im äußersten Fall, fundamentalistischer Verblendung.
Die Pressefreiheit ist die Voraussetzung dafür, dass wir Monat für Monat das Magazin herausbringen können, das wir selbst lesen möchten. Trotzdem nehmen wir sie für selbstverständlich. Weil wir sie selbst nicht teuer erkaufen mussten, wie die Generationen von Journalisten und Verlegern vor uns. Weil wir voraussetzen, in unserem Land, in unserer zivilisierten Welt sagen und schreiben zu dürfen, wonach uns der Kopf steht. Wir beklagen uns eher darüber, von zu viel Meinung umgeben zu sein.
Und dann passiert eine Tragödie wie gestern in Paris. Nur ein paar hundert Kilometer von unserer Redaktion entfernt und wahrscheinlich genauso direkt vor unserer Tür denkbar: Menschen bezahlen mit ihrem Leben dafür, von einem publizistischen Grundrecht Gebrauch gemacht zu haben. Schon zuvor hatte man ihnen gedroht, sie haben sich nicht beirren lassen. Die klassische Geschichte von Mut und Beharrlichkeit, nur ohne Happy End.
Auf schmerzhafte Weise werden wir daran erinnert, dass Pressefreiheit ein empfindliches Gut ist, das man schützen und verteidigen muss – indem man weiterhin kompromisslos an ihr festhält. Was wäre ein Magazin wie VISIONS noch wert, wenn es nicht mehr als ein Sammelbecken für Menschen mit den unterschiedlichsten Philosophien und Wertesystemen offenstehen würde, Menschen, die oft nur eines eint: Hingabe und Leidenschaft für Musik, für Kunst im Allgemeinen.
In einer Welt ohne Presse- und Meinungsfreiheit hätten wir für all dies keinen Platz mehr: für den
sexistischen Hedonismus von Steel Panther und das gute Gewissen der Peta-Aktivisten Rise Against. Für Brian Fallons Outing als Kreationist und Ghosts satanische Insignien. Für Laura Jane Grace, früher Tom Gabel, die statt als Mann als Frau leben will, oder für Feine Sahne Fischfilet, die sich für ihre antifaschistische Gesinnung mit dem Verfassungsschutz anlegen.
Wir teilen nicht alle Haltungen, die die Musiker in unserem Magazin vertreten. Manche hinterfragen wir scharf. Trotzdem respektieren wir die Vielfalt, das Individuelle, das Recht auf freie Meinung und das Leben nach eigenen Idealen – solange es nicht auf Kosten anderer geschieht, solange damit keine Ausgrenzung einhergeht. Deshalb haben wir Freiwild damals einen Denkzettel verpasst, deshalb geht uns die Polemik so sehr gegen den Strich wie euch, mit der man derzeit auf den Montagsdemos in Dresden und anderswo auf Menschenfang geht – seit gestern wohl mit noch mehr Rückenwind.
Ein VISIONS, eine Magazinwelt ohne Pressefreiheit wäre ein trister Ort. Es kann nach Paris deshalb nur ein Festhalten an diesem Ideal geben. Kein Trotzdem, sondern ein Jetzt-erst-recht. Alles andere wäre Zensur, die uns gestern ihre hässlichste Fratze gezeigt hat. Deshalb schreibt sich auch VISIONS heute Je suis Charlie auf die Fahnen. Ihr werdet das Spiel nicht gewinnen.