Erik Cohen – “Weisses Rauschen”
In Schwarz-Weiß-Optik düster vor einem Kreuz stehend, könnte Erik Cohen auch das Stillleben eines Edgar-Allan-Poe-Protagonisten darstellen. Musikalisch hört man diese schwersitzende Melancholie auch in vielen Tracks auf “Weißes Rauschen”. Der Opener “Hier ist nicht Hollywood” klingt ein bisschen so wie eine elektronischere Version von Joy Division, gepaart mit deutschem Gesang im Stil von Marius Müller-Westernhagen. Doch sowohl Gesang als auch Instrumental sind auf der zweiten Platte von Cohen alias Jack Lettens von Smoke Blow sehr wandelbar. So klingt “Deine Dämonen” gesanglich zu Beginn nach den Sportfreunden Stiller, “Nur ein Herzschlag” könnte aus einem typischen Western kommen und “Der Heilige Gral” geht gar in Richtung Blues. Omnipräsent ist dabei Cohens kraftvolle, wenn auch wenig melodische Stimme, die den Songs Schwere und Melancholie verleiht. Textlich gibt sich die Smoke-Blow-Rampensau von einer nachdenklich-verträumten Seite, reflektiert die Liebe und das Provinz-Leben. “Das Phantom kommt aus dem Hintergrund zurück”, singt er in “Der Heilige Gral”. Sein alter Ego Cohen wähnt sich gerne im Hintergrund, war jedoch nie Phantom, sondern immer der ausstrahlende Frontmann im Mittelpunkt.
Album-Stream: Erik Cohen – “Weisses Rauschen”
Witchcraft – “Nucleus”
Was mit einem ruhigen Gitarrengezupfe beginnt, türmt sich in einer Minute zu einer doomigen Soundwand auf, die einen fiesen Beigeschmack im Gepäck hat. Witchcraft haben auf ihrem fünften Album “Nucleus” einiges zu verarbeiten – sie schlagen härtere Töne an und auch textlich ist der Umbruch klar zu erkennen. Die Geschichten von Märchen und okkulten Fabelwesen weichen Themen wie Depression, Verlust und Obessionen – und all das passiert schon im Opener “Malstroem”. Ob der Besetzungswechsel um Sänger Magnus Pelander die Wendung beeinflusst hat, ist unklar. Der Groove, den man von “Legend” kennt, ist zumindets nicht verschwunden: In den Songs “Theory Of Consequence” und “The Obessed” kommt er in geballter Ladung zur Entfaltung. Doch egal, ob die doomige Seite die Oberhand auf “Nucleus” gewinnt, Pelanders weiche Stimme ist immer noch das Markenzeichen der Schweden. Genre-typisch kommt auf “The Outcast” auch eine Querflöte zum Einsatz, die den okkulten Touch noch mehr untermalt, was bei den Kollegen von Blood Cermony schon funktionierte. Witchcrafts Ursprung als Pentagram-Coverband dringt bei “To Transcend Bitterness” an die Oberfläche, die Riffs sind schroff und werden nur durch den markanten Gesang aufgebrochen. Monstertrack der Platte ist definitiv “Breakdown”, der mit seinen fast 15 Minuten Laufzeit seinen Titel, zu deutsch Zusammenbruch, nachempfindet. Auf ein vorsichtiges heranpirschen folgt die Explosion eingeleitet von einer Radioansprache “This is the afterhell/ I’ve seen the light”. Ein gewaltiges Stück, das die Klasse der Band zementiert.
Album-Stream: Witchcraft – “Nucleus”
Everyday Circus -“Mirror”
Nach dem Alltagstrubel benannt huldigen die Saarländer Everyday Circus ihren Ikonen, den Größen der 90er-Alternative-Szene. Auf ihrem Debütalbum “Mirrors” toben sie sich mit zwölf Songs in allen Spielarten des Genres aus. Schon der Opener “Falling” erinnert beim ersten Hören an die früheren Pearl Jam, und auch die Stimme von Sänger Matteo Schwanengel ist ähnlich markant wie die von Eddie Vedder. Aus den ehemaligen Schulfreunden entstand im Laufe der Zeit eine Band, die auf ihren gemeinsamen Musikgeschmack setzt. Auch das Erfolgsrezept schauten sie sich bei ihren Idolen ab: eingänge Hooks, Riffs, bei denen jeder mitwippt, und Texte, die jeder nachvollziehen kann. Auch die ruhigeren Töne beherrschen sie, wie sie in Songs wie ” Round And Round” beweisen. Nach eigener Aussage setzt das Quarett auch auf die nostalgischen Anleihen an die Foo Fighters und Co., denn die Songs würden auch klasse bei Dave Grohl funktionieren. An manchen Stellen kommt noch ein kleiner Hang zum Progrock hinzu, wie das Eingangsriff zu “Who Cares At All” beweist. Everday Circus setzen auf Radioformat und liefern so mit den perfekten Soundtrack für den alltäglichen Zirkus.
Video: Everyday Circus – “Falling”
De Staat – “O”
Mit ihrem vierten Album setzen unsere Lieblingsniederländer den bereits auf “Machinery” begonnenen Weg konsequent fort. Wo dort ihre Alternative-Rock-Zahnräder noch überall im Deichschart knarzten, geht es auf “O” aber zunächst funkiger zur Sache. Am besten zu erkennen an den hohen, gedoppelten Stimmen in “Make The Call, Leave It All” oder dem Disco-Offbeat von “Get On Screen.” Das Gitarrensolo des Instant-Hits “Murder Death” klingt gar wie ein aufbegehrender Schaltkreis inmitten gleichgeschalteter Apparate. Sie wollen ihn sich greifen, doch er ist gewitzter. Auch im weiteren Verlauf zeigt sich, dass es wie so oft nur Vorteile mit sich bringt, abseits des großen Rockzirkus eine Schraube locker zu haben. Man beachte nur das schizophrene, todtraurige Für und Wider von “Time Will Get Us Too”, als würden De Staat den letzten großen Mars Volta-Moment “Empty Vessels Make The Loudest Sound” (auf “Noctourniquet”) fortführen wollen. Diese Band ist die pure Eigenständigkeit – wer Omar Rodriguez-Lopez und Josh Homme dermaßen charismatisch zur Roboter-Halligalli im Stahlwerk locken kann, ist mehr als eine einfache Empfehlung wert. Dies ist ein Kaufbefehl.
Album-Stream: De Staat – “O”
Unsere aktuelle Platte der Woche, “Not To Disappear” von Daughter, und alle weiteren Neuerscheinungen der Woche findet ihr in unserer Übersicht.