The Breeders – “All Nerve”
“All Nerve” klingt selbstbewusst und energisch, entspannt und verzweifelt zur gleichen Zeit. Skurrile Ideen und kompetentes Songwriting ergeben hier eine der spannendsten Veröffentlichungen der letzten Zeit. Der Opener “Nervous Mary” gibt die Richtung vor: Eine ruhige Gitarren gerät immer mehr in Schieflage, bis ein klassischer Kim Deal-Basslauf und kreischende Gitarren den Track übernehmen – und einen an die Pixies denken lassen. Auch die erste Single “Wait In The Car” erinnert an die Ex-Band der Sängerin. Wobei “All Nerve” es spielend mit dem Comeback der Pixies seit Indie Cindy aufnimmt. Nostalgie kommt selten auf, im Mittelpunkt steht Deals raue Stimme, die auch nach all den Jahren noch fantastisch zwischen rauem Keuchen, butterweicher Gesangsstimme und schiefen Ausbrüchen oszilliert. Dass das ein homogenes Ganzes ergibt, ist auch der Instrumentierung geschuldet: Staubtrockene Drumparts, pulsierende Bassläufe und ein Hang zur Dissonanz bereiten Deal und ihren schrägen Geschichten das perfekte Klangbett – sodass man dieses souveräne Alterswerk ohne den wehmütigen Blick zurück genießen kann.
Album-Stream: The Breeders – “All Nerve”
Titus Andronicus – “A Productive Cough”
Titus Andronicus fahren ihren Größenwahn leicht zurück: Auf das Mammutwerk “The Most Lamentable Tragedy” lässt die Folkpunk-Formation das deutlich kürzere “A Productive Cough” folgen. Das bedeutet zwar 22 Songs weniger, an Leidenschaft und Epik haben die US-Amerikaner jedoch nichts eingebüßt. Schon der Opener “Number One (In New York)” steht stellvertretend für den Sound der Platte und mausert sich dank der unverkennbaren Reibeisenstimme von Frontmann Patrick Stickles zur Heartland-Hymne. Auch Bob Dylan hat es auf das Album geschafft: Titus Andronicus covern dessen zeitlosen Klassiker “(I’m) Like A Rolling Stone” und errichten ihm so ein kleines Denkmal, bevor “Home Alone” die punkige Seite der Band in den Fokus rückt. Zu dem achtminütigen Epos möchte man sich am liebsten die Cowboystiefel anziehen und mit Kumpanen an der Bar die billigste Flasche Whiskey austrinken. Kneipenschlägerei inklusive.
Album-Stream: Titus Andronicus – “A Productive Cough”
The Shell Corporation – “Fucked”
Auf ihrem dritten Studioalbum bieten The Shell Corporation erneut eine geballte Portion Punkrock mit eingängigen Melodien, die sich zum Teil als starke Ohrwürmer entpuppen. Der Albumtitel “Fucked” mag auch bei einer Punk-Platte auf den ersten Blick plump wirken, doch er ist programmatisch: Thematisch dominieren in den Texten das momentane politische Klima in den USA und die Wut darüber, dass die Welt mit jedem Tag weiter aus den Fugen gerät. Doch der Titel passt genauso zu den dramatischen Geschichten über Liebe und Verlust, über die Jan Quixote hier singt. Mit dessen druckvoller Stimme und auch mit der Musik erinnern The Shell Corporation stark an Against Me! – und spielen so einen Sound, der sich für politischen Punkrock-Protest immer wieder bewährt hat.
Album-Stream: The Shell Corporation – “Fucked”
The Last Gang – “Keep Them Counting”
Punkfans, die nur flüchtig hinhören, werden aufschrecken: Ist das die für dieses Jahr erwartete Rückkehr der Distillers? Tatsächlich gehört die raspelige Stimme The Last Gang-Frontfrau Brenna Red. Was der erste Eindruck verspricht, zieht sich auf dem neuen Album “Keep Them Counting” – dem ersten beim Label Fat Wreck Chords von NOFX-Chef “Fat Mike” Burkett – durch: Das raue Organ von Red trägt und treibt die Songs des Trios, die mal zackig, mal hymnisch, aber immer mit rauer Schale und melodischem Kern um den Cali-Punk kreisen. Distillers-Anführerin Brody Dalle hätte das kaum besser hinbekommen.
Album-Stream: The Last Gang – “Keep Them Counting”
Unsere aktuelle Platte der Woche, “Time Will Die And Love Will Bury It” von Rolo Tomassi, und alle weiteren Neuerscheinungen der Woche findet ihr in unserer Übersicht.