Merch-Cuts sind kein neues Phänomen: Seit Jahren behalten Venues einen prozentualen Anteil der Einnahmen durch Merchverkäufe ein, als Argument dafür nennen sie unter anderem, dass sie die Verkaufsfläche für die Bands stellen. Bis kürzlich schien das auch kein großes Problem für Künstler:innen darzustellen, nun regt sich langsam Gegenwehr. Seit Touren wieder möglich ist, sind für Musiker:innen die Kosten durch den pandemiebedingten Personalmangel und die Inflation massiv angestiegen – das zeigt sich nicht nur in gestiegenen Ticketpreisen oder gänzlich abgesagten Touren, es macht sich auch durch die Preise am Merch-Stand bemerkbar.
Dass sich Bands und Künstler:innen durch die erhöhten Merch-Preise nicht unverhältnismäßig bereichern wollen, sondern lediglich laufenden Kosten decken wollen, offenbaren die neuesten Entwicklungen: Vergangene Woche kündigten Russian Circles an, dass sie während ihrer Show in Paris kein Merch anbieten werden. Die Post-Metal-Band erläuterten die Gründe in einem Instagram-Statement: “Bei der heutigen Show in Paris hat der Veranstaltungsort ein externes Unternehmen beauftragt, das Merch der Künstler zu verkaufen. Dieses Unternehmen nimmt 25 Prozent Provision und behält 20 Prozent Umsatzsteuer ein.” Da eine Erhöhung der Merchpreise für Russian Circles ausgeschlossen war, beschlossen sie, den Merch-Verkauf ganz zu stoppen.
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Einen ähnlichen Weg schlug auch die Prog-Metal-Band Monuments ein. Nachdem die Engländer bei einem Konzert in Italien ganze 47 Prozent ihrer Einnahmen ans Venue abgeben mussten, fassten sie ebenfalls den Entschluss, beim nachfolgenden Konzert in Griechenland kein Merch zu verkaufen. Auf Instagram teilte die Band wenig später eine Rechnung, die beweist, dass sie von den 850 Euro Einnahmen an Merch-Verkäufen bei der Show in Italien nach Provisions- und Steuerabzügen nur knapp 484 Euro behalten durfte. Auch der französische Metal-Musiker Igorrr stoppte seinen Merch-Verkauf kurz vor seiner Show im Londoner O2-Forum, da das Venue 25 Prozent seiner Einnahmen einbehalten wollte.
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Bereits Mitte Februar hatte Architects-Drummer Dan Searle via Twitter zum Streik aufgerufen: “Hallo Bands, wann werden wir streiken, um diese irrsinnigen Merch-Cuts loszuwerden? Oder vielleicht spielen wir nicht, bis wir einen Anteil der Bar-Einnahmen bekommen?” Seine Argumentation führte Searle in den folgenden Tagen weiter. Sein Argument: Das Venue hätte ohne die Künstler:innen voraussichtlich gar keine Einnahmen an dem Abend. Weiterhin meinte er, dass die Kosten für die Benutzung der Venue bereits über die Ticketverkäufe gedeckt sein sollten. “Ticketverkäufe, die nur wegen… oh ja, der Band existieren.” Eine finanzielle Entlastung der Bands durch geringere Merch-Cuts würde sich, so Searle, zugunsten der Fans ausspielen. Diese würden größere, bessere Shows bekommen und müssten weniger für das Merch ihrer Lieblingsacts zahlen. Bandkollege Sam Carter stieg wenig später in die Diskussion ein und berichtete, dass das Venue, in dem Architects wenige Tage zuvor in Melbourne gespielt hatten, 15 Prozent ihrer Einnahmen einbehalten hatte.
Hey @bands when are we gonna go on strike and get rid of these insane venue merch cuts? Or maybe we don’t play until we get a cut of the bar? Can we just get this done asap please?
— Dan Searle (@danarchitects) February 19, 2023
Venue in Melbourne took 15% and it took four hours for them to get our merch girl a light 👍 https://t.co/QWsZmZLrs2
— sam carter (@samarchitects) February 20, 2023
Auch Stray From The Path-Schlagzeuger Craig Reynolds hatte sich an der Diskussion beteiligt und musste die Fans wenige Wochen später dringlichst darum bitten, Merch bei ihrer Show im Londoner O2 Forum zu kaufen: “Dieses O2-Venue ist verrückt: Sie zwingen uns, ihren eigenen Merch-Verkäufer zu benutzen (der nicht an dem Verkauf deines Merch interessiert ist oder einen guten Job macht), dann behalten sie 25 Prozent des Bruttobetrags ein, den diese Person verdient.” Kurze Zeit nach dem Post veröffentlichte Reynolds eine Auflistung, die zeigt, dass die Band und das Venue am Ende des Tages in etwa die gleiche Summe für Merch-Verkäufe ausgezahlt bekommen.
let’s say you do 100 long sleeves at £40 a shirt (for ease) but they cost £20 to make. that’s £4000 gross. They take £1000 for their cut then you have a £2000 merch bill. band makes £1000 – same as the fuckin venue.
— craig reynolds (unofficial) (@reynlord) March 16, 2023
Die Liste mit Beschwerden von Künstler:innen ist noch länger. Vergangenen Oktober hatte Garbage-Sängerin Shirley Manson einen Post mit dem Titel “Die Live-Musikindustrie ist kaputt” veröffentlicht, in welchem sie erwähnte, dass viele Künstler:innen heutzutage nicht mehr von den Einnahmen durch Musik- und Merch-Verkäufe leben könnten, während sich große Unternehmen immer mehr Geld einstecken würden. Bad Omens hatten im darauffolgenden Dezember Dan Searles Vorschlag verweggenommen, dass Bands einen Teil der Bar-Einnahmen einbehalten sollten, solange Merch-Cuts noch existieren.
That’s dope, artists still don’t get a cut from bar sales tho even if the venue gives cocktails cute little names after your songs, but still take 15-20% of touring artists’ gross merch sales every night. Nowhere To Go punch does sound delicious though, tip your bartenders.
🐸 🍹 https://t.co/3Ptnrm1CRX— BAD OMENS (@badomenscult) December 4, 2022
In Deutschland wurde das Thema beispielsweise 2019 von den Rappern Casper und Marteria aufgegriffen, als sie den Merch-Verkauf von ihrer gemeinsamen Show in der Berliner Waldbühne in einen Pop-Up-Store verlegten, da sie die hohe prozentuale Beteiligung an den Merchandise-Umsätzen nicht bezahlen oder an die Fans weitergeben wollten.
Bisher hält sich der Protest in Deutschland aber noch in Grenzen. In Großbritannien und Nordamerika dagegen wurde mittlerweile die Initiative Featured Artists Coalition ins Leben gerufen, die mit Clubs und Konzerthallen zusammenarbeitet, die keinerlei Kommission von Künstler:innen einbehalten. Dazu gehören mittlerweile über 800 Clubs und Konzerthallen im Großbritannien und knapp 134 in Nordamerika. Vergangenes Jahr hatte die Initiative eine anschauliche Darstellung veröffentlicht, derzufolge bei einem Merch-Cut von 25 Prozent von einem 20 Euro teuren T-Shirt nach Abzug aller zusätzlichen Kosten lediglich 5 Euro beim Künstler landen – und ebenfalls 5 Euro beim Venue selbst.
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