Der Berliner Indie-Styler mit dem Jutebeutel über der Schulter ist ein waschechter Fanboy. Schon in der Schlange vor dem Kinosaal kann er kaum stillstehen, als über die Lautsprecher die Songs von ‘Only Revolutions’ ertönen. Im Kino hat er keinen allzu guten Platz erwischt, weshalb er sich immer näher an die Leinwand ranpirscht, vor der gleich Biffy Clyro auftreten werden. Als Simon Neil dann um die Ecke biegt, erwartet man fast einen Freudenschrei vom Begeisterten. Aber er beschränkt sich auf ein breites Grinsen – und formt Zeile für Zeile die Worte nach, die Neil ins Mikro singt.
Live-Musik auf Kinoleinwänden klingt grundsätzlich nach einer guten Idee. Das Problem bei solchen Filmvorführungen ist aber schlicht, dass das Publikum dabei sitzt. Das fühlt sich falsch an. Wenn vor einem die Menge in der Wembley-Arena durchdreht, während Ben Johnston mit aller Wucht die Maschinengewehr-Eröffnung von ‘Living Is A Problem Because Everything Dies’ auf seine Felle eindrischt, sollte man eigentlich mitmoshen was das Zeug hält. Einige wenige Zuschauer hält es deshalb auch nicht in ihren Sesseln. Sie stehen am Rand des Saals – so wie ein echtes Konzertpublikum eben. Und wie bei einem echten Konzert wird auch hier mitgesungen und Szenenapplaus gespendet.
Nachdem der Film zu Ende ist – und über die Leinwand der kleine Seitenhieb ‘Filmed at Wembley Arena, London near Scotland’ flimmert – steigt die Anspannung. Der Bass und die Gitarre stehen schon bereit. In der Wartezeit verteilt eine freundliche Label-Mitarbeiterin Poster – sogar signiert, wie sich später herausstellt. Ohne viel Aufhebens stehen die drei plötzlich vor dem roten Vorhang, der die Leinwand verhüllt und auf den zwei Scheinwerfer ein herzförmiges Spotlight werfen. Und ja, sie tragen Hemden. Simon Neil wirkt aus nächster Nähe ganz schön fragil. Sein Ganzkörpergrinsen lässt sich unter all den Haaren kaum ausmachen. Es strahlt umso heller, als ein freundlicher Zuhörer aus der ersten Reihe ihm sein Bier überlässt, weil die Band nur mit Wasser versorgt wurde.
Eine knappe halbe Stunde Akustik-Set mit Schönheiten wie ‘God & Satan’ und dann ist das Ganze auch schon wieder vorbei. Viel zu schnell. Neil verabschiedet sich mit den charmanten Worten ‘Ihr seid ja lauter als die Crowd in Wembley’ – und weg sind sie. Draußen vor dem Kino stehen die Zuschauer wieder im Innenhof und zerstreuen sich nur langsam. Denn vielleicht kommen sie ja noch mal. Machen sie. Die Band erfüllt Autogrammwünsche, lässt sich geduldig fotografieren – und setzt, wie im Falle von Schlagzeuger Ben Johnston, sogar die blinkenden Hasenöhrchen einer Zuschauerin auf. All das mit einer Engelsgeduld. Und endlich kommt auch der Moment des Jungen mit dem Jutebeutel: als Simon Neil, vom Tourmanager zur Abfahrt gedrängt, ins Auto steigen will, gibt er dem Typen noch freundlich die Hand und schenkt ihm sein breitestes Lächeln. Es wird noch viel breiter erwidert.
Mehr zu ‘Revolutions // Live At Wembley’ lest ihr in VISIONS Nr. 220 – ab 29. Juni am Kiosk.