Gestern Abend wurde auf der offiziellen Facebook-Seite von David Lynch bekannt gegeben, dass der ikonische Regisseur am Mittwoch verstorben ist. Seine Familie bat um Privatsphäre in dieser Zeit und schrieb: “Es gibt ein großes Loch in der Welt, jetzt wo er nicht mehr unter uns ist. Aber wie er sagen würde: ‘Behalte den Donut im Auge und nicht das Loch.’ Es ist ein wunderschöner Tag mit goldenem Sonnenschein und durchgehend blauem Himmel.”
Lynch wurde 78 Jahre alt. Eine Todesursache wurde nicht genannt. Erst kürzlich wurde er aber aufgrund der Waldbrände in Südkalifornien aus seinem Haus evakuiert, nachdem sich seine Gesundheit rapide verschlechtert haben soll. Letzten August verriet er in einem Interview, dass er an einem Lungenemphysem leide, das auf jahrelanges Rauchen zurückzuführen sei, und dadurch permanent auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen sei. Trotzdem kündigte er an, nicht in den Ruhestand zu gehen und hatte auch nicht ausgeschlossen, nochmal Regie zu führen – wenn auch nicht persönlich am Set.
Lynchs letzte große Produktion war die Fernsehserie “Twin Peaks: The Return” (2017), sein letzter Spielfilm war “Inland Empire” (2006). Als Musiker veröffentlicht er noch vergangenes Jahr ein Koop-Album mit Chrystabell – das dritte gemeinsame von Lynch und der Art-Pop-Künstlerin. Sein letztes Soloalbum ist “The Big Dream” von 2011.
Meister des Surrealismus: David Lynchs Karriere
Lynch wandte sich bereits in den späten 1960er Jahren dem Filmemachen zu und drehte den Kurzfilm Six Men “Getting Sick (Six Times)” während seines Studiums. Nach weiteren Kurzfilmen veröffentlichte er 1977 mit “Eraserhead” sein Spielfilmdebüt, das zugleich den Ton für seine kommenden Filme vorgab: surrealistisch, traumähnlich und düster. Sein zweiter Film “The Elephant Man” (1980) mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle wurde bei den Oscars als bester Film, für die beste Regie und sechs weitere Kategorien nominiert.
Als frisch gebackener Star-Regisseur wurde Lynch 1984 mit der Regie bei der Verfilmung von Frank Herberts Science-Fiction-Epos “Dune” betraut. Der Film gilt allerdings als grandioser Flop, wobei aber auch Studioeinmischung, kreative Kontrolle und die Konkurrenz zu der Zeit eine Rolle gespielt haben. Lynchs Vision mit traumartige Sequenzen standen zwar im Widerspruch zu den Erwartungen an einen geradlinigen Science-Fiction-Blockbuster, die visuellen Elemente des Films werden allerdings heute gelobt.
Erfolgreicher wiederum: “Blue Velvet” von 1986. Der Neo-Noir-Mystery-Thriller wird häufig als Lynchs Meisterwerk betrachtet und sorgte für weitere Oscar-Nominierungen. Seit “Blue Velvet” arbeitete Lynch auch regelmäßig mit dem 2022 verstorbenen Komponisten Angelo Badalamenti zusammen.
Am bekanntesten wurde Lynch dann wohl durch die surreale Mystery-Horror-Serie “Twin Peaks”, die über zwei Staffeln von 1990 bis 1991 ausgestrahlt wurde, 1992 ein Prequel in Spielfilmlänge – inklusive David Bowie – sowie 2017 eine Fortsetzung bekam. Seine letzte Oscar-Nominierung erhielt Lynch für “Mulholland Drive” (2001).
Lynch führte auch bei mehreren Musikvideos Regie, darunter jeweils eins von Moby und Interpol. Vor allem sticht aber seine Zusammenarbeit mit Nine Inch Nails für “Came Back Haunted” hervor. Die Industrial-Rock-Ikonen haben nämlich auch Teile des Soundtracks von Psychothriller “Lost Highway” (1997) beigetragen: “Driver Down” und der Wahnsinnstrack “The Perfect Drug”. Ebenfalls neben Badalamentis beklemmender Musik zu hören: David Bowie.
Überhaupt spielte Filmmusik bei Lynch schon immer eine wichtige Rolle. Die Neuauflage von “Twin Peaks” nutzte er etwa, um seinen Lieblingsmusiker:innen im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne zu geben: Am Ende fast jeder Episode tritt eine Band oder Solokünstler:in im fiktiven Club Roadhouse auf, um einen Song in voller Länge zu spielen, darunter Eddie Vedder, Nine Inch Nails oder Sharon Van Etten. Die Musikwelt wurde wiederum durch ihn beeinflusst: Künstler:innen wie Modest Mouse, Moby, Fatboy Slim, Mr. Bungle oder Ministry sampelten Lynch – und die Ästhetik seiner Filme lässt sich in unzähligen Musikvideos wiederfinden.
Als Lynchs Filmschaffen sich verlangsamte, fokussierte er sich immer mehr auf seine eigene Musik. 1998 veröffentlichte er ein erstes Album in Zusammenarbeit mit Folk-Musikerin Jocelyn Montgomery, das er auch produzierte. Mit John Neff erschien 2001 das Album “BlueBob” – ein experimenteller Mix aus Industrial und Blues. Sein Solodebüt veröffentlichte Lynch erst 2011 mit “Crazy Clown Time”, das sich irgendwo zwischen Avantgarde und Blues wiederfand. Besonders produktiv war er von da an mit Sängerin Chrystabell. Sein letztes musikalisches Werk zu Lebzeiten, das Koop-Album “Cellophane Memories”, erschien vergangenen August.
Zu Lynchs unrealisierten Projekten gehören ein Drehbuch für einen Spielfilm namens “Antelope Don’t Run No More”, das offenbar 2010 fertiggestellt wurde, und eine gerüchteweise 13-teilige Netflix-Serie namens “Wisteria/Unrecorded Night”, die sich angeblich 2020 in der Entwicklung befindet. In einem Interview letztes Jahr gab er zudem an, die Hoffnung auf die Umsetzung des Animationsfilms “Snootworld” immer noch nicht aufgegeben zu haben. “Es ist eine Geschichte, die Kinder und Erwachsene schätzen können”, so Lynch.
Neben seinen Tätigkeiten als Regisseur und Musiker war Lynch außerdem als Schauspieler, Maler, Fotograf, Lithograf, Bildhauer und Möbeldesigner tätig.