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Debatte Kunstfreiheit und Rap - Interview Pilz

Debatte Kunstfreiheit und Rap – Interview Pilz
In unserer aktuellen Titelgeschichte in VISIONS 304 haben wir uns mit Antisemitismus, Frauenverachtung und Homophobie auseinandergesetzt und dabei vor allem Entwicklungen im Battle- und Gangsta-Rap kritisch betrachtet. Bevor in VISIONS 305 eine ausführliche Fortsetzung zum Thema erscheint, lassen wir online Protagonisten der Rap-Szene zu Wort kommen. Dieses Mal im Interview: Rapperin Pilz, die wegen eines provokanten Battles schon bedroht wurde, sich weiterhin zur Kunstform bekennt – und für die Eigenverantwortung von Musikern und Fans plädiert.
Foto: Timo Leichert

Die aktuelle Debatte um Battle-Rap fokussiert in der Regel das negative Potential des Subgenres. Sexistische Sprache, die reproduziert wird, antisemitische Inhalte, die in Teilen unterschwellig in den Texten stecken – all das gehört zu Recht kritisiert. Welche Selbstverständnisse Battle-Rap noch fördern kann, haben wir mit der Rapperin Pilz besprochen. Sie setzt sich nicht nur kritisch mit Szene und Gesellschaft gleichermaßen auseinander, sondern hat im vergangenen Jahr ein Battle im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Don’t Let The Label Label You” gegen Nedal Nib bestritten. Die Verwendung sexistischer beziehungsweise islamophober Klischees beider Seiten wurde kritisch aufgenommen, bei Pilz gingen die Reaktionen, forciert durch einen isoliert von Dritten veröffentlichten Clip mit einem ihrer Parts, bis hin zu massenweise via Social Media artikulierten (Todes-)Drohungen – der überwiegende Teil kam von außerhalb der Szene. Ihre Sicht auf Battle-Rap hat diese Erfahrung nicht geändert.

Wie würdest du als Künstlerin deinen Bezug zu Battle-Rap beschreiben?
Ich bezeichne mich selbst ganz allgemein als “Battlerapperin”. Damit ist nicht gemeint, dass ich in meinen Texten permanent und ausschließlich jemanden beleidige. Meine Texte richten sich vor allem gegen den Staat, die Politik und Rassismus. Ich bin gesellschaftskritisch, ohne dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen, auch außerhalb meiner Musik. Natürlich ist es in meinem Fall praktisch, dass die Kunstfreiheit greift. Trotz allem bin ich der Meinung, dass ein_e Künstler_in den Deckmantel der Kunstfreiheit nicht ausnutzen sollte. Wenn ich in meinen Songs etwas sage, dann ist das vielleicht manchmal etwas überspitzt, aber es bleibt authentisch und ich muss dazu stehen können.

Wie sieht das im Rahmen von Formaten wie “Don’t Let The Label Label You” aus?
Innerhalb eines organisierten Battles sehe ich das anders. Hier geht es einfach nur darum, den anderen, möglichst kreativ, härter zu beleidigen. Ein solches Battle ist wie ein verbaler Boxkampf. Man haut sich k.o. und danach ist alles wieder cool.

Ändert sich das, wenn diese konkrete Situation verschwindet?
Das möchte ich nicht pauschalisieren. Ich würde das wirklich individuell betrachten. Jeder hat seine eigene Schmerzgrenze und sein eigenes Verständnis von Kunst. Für mich ist es zum Beispiel ein Tabu, sich außerhalb eines organisierten Battles rassistisch zu äußern. Ich glaube, dass Rap gesellschaftlich einerseits als Kunstform einfach noch nicht vollends akzeptiert ist. Andererseits lieben es viele Rapper, vielleicht mehr als Künstler anderer Genres, zu polarisieren und zu provozieren. Weil es funktioniert. Dadurch stellt Rap sich aber auch selbst ein Bein, weil ständig nur über die negativen Seiten berichtet wird. Aber so funktionieren Medien leider. Keine Bildzeitung der Welt würde ihr Titelblatt damit zieren, dass Sookee sich mal wieder hervorragend für Gleichberechtigung eingesetzt hat oder wie viele Soli-Rapveranstaltungen in diesem Jahr für diverse Zwecke auf die Beine gestellt wurden.

Kann Battle-Rap denn unsere Gesellschaft hinterfragen?
Ich glaube, dass jede Art von Lyrik das Potenzial des Umdenkens in sich birgt, ob zum Guten oder zum Schlechten. Zu einer Einstellungsänderung und damit zu veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen gehört meiner Meinung nach aber noch deutlich mehr dazu, als sich bloß einen Song anzuhören. Heute hören sehr viel mehr junge Menschen Deutschrap als noch vor 10 Jahren, die sind sehr affin für die Aussagen und Lebensstile ihrer Idole.

Wie wirkt sich diese Affinität genau aus?
Es ist naheliegend, dass Rap ein gewisses Potenzial mit sich bringt, junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu beeinflussen. Sie werden mit Rap sozialisiert. Wie dauerhaft dieser Einfluss ist und wie intensiv sie durch ihn geprägt werden, ist allerdings von diversen anderen Umweltfaktoren abhängig und deshalb auch nicht absehbar. Ich möchte betonen, dass dieser Aspekt auch auf jedes andere Genre zutrifft, dass HipHop weitaus mehr als expliziten Battle-Rap zu bieten hat und junge Rap-Hörer keineswegs nur durch Schattenseiten geprägt werden.

Wie verhält sich Battle-Rap denn zu HipHop im Allgemeinen?
Solange es HipHop gibt, gibt es auch Battles innerhalb dieser Szene. Sei es auf Rap oder auch auf Graffiti, Breakdance oder Dj-ing bezogen. Heutzutage gibt es sicherlich unterschiedlichere, breiter gefächerte Meinungen zum Thema HipHop und der Einstellung zu eben dieser Szene, als noch vor zehn Jahren. Grundsätzlich steht HipHop aber schon immer für Respekt und klar gegen Rassismus und Diskriminierung. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass obwohl schon immer gebattled wurde, jedem Kontrahenten bewusst ist, dass es nicht darum geht, jemandem ernsthaft zu schaden.
Gerade bei live Battles geht es einfach um ein verbales Kräftemessen. Ausnahmen bestätigen die Regel – wie überall im Leben. Das bedeutet auch, dass nicht alles was Person X im Battle, oder generell innerhalb eines Songs, von sich gibt, auch außerhalb des Battles oder des Songs Gültigkeit für diese Person hat. Es ist einfach als Kunstform zu betrachten; wie ein Gemälde oder ein Film – wie alle anderen Musikstile auch.

Hat sich die Nutzung von Sprache und die Debatte darüber denn in dieser Zeit auch geändert?
Ich glaube, dass wir uns mitten in einer Phase befinden, in der ein positives Umdenken stattfindet. Innerhalb der Szene wird viel diskutiert, jeder hat ganz eigene Ansichten. Ich erlebe es so, dass Sexismus noch mit mehr Humor gesehen werden “darf”. Die Nutzung des “N-Worts” hingegen wirkt fast wie ausgestorben. Allein dadurch, dass es so viele Debatten zu diesen Themen gibt, wird sich zwangsläufig etwas verändern. Aber auch die immer häufigere klare Positionierung der Künstler_innen gegen Rechts nimmt, ganz zu meiner Zufriedenheit, zu.

Wo sind Sprache denn deiner Meinung nach Grenzen zu setzen?
Auch hier möchte ich nicht pauschalisieren. Jeder ist für das, was er sagt, selbst verantwortlich. Und jeder sollte selbst entscheiden, was er sich anhören möchte und was nicht. Es ist ja nicht so, dass irgendwer dazu gezwungen wird, sich etwas Bestimmtes anzuhören. Wenn dir etwas nicht gefällt, dann hör es dir nicht an. Ich gehe ja auch nicht in ein Museum und beschwere mich da über die Bilder, die ich als anstößig oder hässlich empfinde. Ich gehe einfach nicht in das verdammte Museum.

Hat HipHop durch den aktuellen Erfolg eine besondere Form von Verantwortung?
HipHop ist nicht gleich böse. HipHop ist eine Kultur voller Vielfalt und es identifiziert sich bei weitem nicht jeder, der HipHop lebt, mit der Musik, die aktuell in der Kritik steht. Die Verantwortung kann also somit auch gar nicht pauschal “bei HipHop” liegen. Letztendlich entscheiden Verkaufszahlen darüber, welche Musik im Mainstream läuft und somit die breite Masse erreicht. Die Verantwortung liegt ergo bei jedem Einzelnen, der diese unterstützt. Ich maße mir nicht an, auf alles die passende Antwort zu haben, aber ich weiß, dass ich auch sehr viel Musik höre, die die meisten anderen Menschen zu vulgär fänden und trotzdem bin ich wohl ganz okay.

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