Platte der Woche: Crosses – “Goodnight, God Bless, I Love U, Delete”
Chino Moreno (Deftones) und Shaun Lopez (Far) lassen sich neun Jahre nach ihrem Debüt als Crosses nicht lausen. Im Gegenteil: Die Reifezeit hat dem Electropop des Duos gutgetan. So liefern ein detailverliebtes Klangbild zwischen Dark-Wave-Party und Leftfield-Pop. Mit dabei: prominente Kollegen wie etwa The Cure-Frontmann Robert Smith oder El-P von Run The Jewels. Eine Platte, die sowohl Pop als auch das Abseitige vollkommen ernst nimmt.
The Streets – “The Darker The Shadow The Brighter The Light”
Mike Skinner ist nach seinem Mixtape vor zwei Jahren endgültig wieder auf der Straße und das in doppelter Hinsicht. Zu seinem ersten richtigen Album als The Streets seit 2011 zeigt Skinner auch seinen ersten eigenen Film, an dem er zehn Jahre lang geschraubt hat. Der Soundtrack: ein unberechenbarer Mix aus UK Garage, HipHop und Alltagspoesie.
Årabrot – “Of Darkness And Light”
Auf ihrem zehnten Album klingt das norwegische Ehepaar düster und elegant, ohne dabei die Bezüge zu ihren rockigen Wurzeln zu verlieren. Zwischen der dandyhaften Totengräberstimmung eines Nick Cave und der Eingängigkeit von Queens Of The Stone Age oder Ghost bleiben Årabrot im Dunkeln, finden aber trotzdem ihren Weg in die Arena.
Mondo Generator – “We Stand Against You”
Alles muss raus: Mondo Generator lassen auf ihrem neuen Album all der Wut über Covid, Lockdowns, tote Freunde, Selbstmord und die Familie freien Lauf. Ummantelt von psychotischem Hardcore-Punk überschlägt sich Nick Oliveri auf “We Stand Against You” förmlich in seiner Raserei und spuckt jede Nuance dieser geradeheraus vor die Füße der Hörer:innen.
The Menzingers – “Some Of It Was True”
Die Working-Class-Punks The Menzingers aus Philadelphia haben es geschafft, den Spirit ihrer Konzerte auf ihrem neuen Album zu verewigen. Sänger Greg Barnett fängt Eindrücke von Begegnungen und Perspektiven von Familie und Freund:innen zwischen sägenden Post-Hardcore-Gitarren und Heartland-Hymnen treffend ein.
The Drums – “Jonny”
Das seltsame Cover mit dem nackten Typen kommt nicht von ungefähr: Auf dem neuen Drums-Album tritt Surfpop-Songwriter Jonathan Pierce mit seinem kindlichen Selbst in Kontakt und schreibt ein Album über Selbstliebe und Traumata. Dabei ist die Nacktheit, die er selbst hier körperlich darstellt, auch wichtigstes Element seiner Texte.
Boygenius – “The Rest (EP)”
Herzschmerz und vertane Chancen: In nur 12 Minuten entführen Boygenius mit vier Songs in die Tiefen der Melancholie. Dabei kommen Julien Baker, Phoebe Bridgers und ausgeglichen Lucy Dacus zu Wort. Die EP schließt mit einem positiven Loop ab: Trotz melancholischer Klänge thematisiert das Trio das Wiedererlangen alter Stärke und bietet damit einen starken Closer.
Allah-Las – “Zuma 85”
Spielfreude: Allah-Las greifen immer tiefer in die Trickkiste und spielen mit den unterschiedlichsten Referenzen aus den 70ern. Irgendwo zwischen David Bowie und The Doors und einem Tropen-Urlaub parken Allah-Las ihren Psych-Pop-Cadillac in derselben Garage, in der zuletzt auch Los Bitchos ihre feuchtfröhlichen Retro-Partys geschmissen haben.
Creeper – “Sanguivore”
Creeper haben bereits auf dem Vorgänger “Sex, Death & The Infinite Void” gezeigt, dass die Arbeit mit Charakteren ihr Ding ist. Auf “Sanguivore” erweckt die Goth-Rock-Band eine Vampirin und ihren Liebhaber zum Leben und erzählen ihre Romanze zwischen Goth-Oper, Dark-Wave und Punk erzählen.
Die Cigaretten – “Eliot”
Ein Zusammenspiel musikalischer Vielfalt und tiefgreifender Themen: Mit “Eliot” befassen sich Die Cigaretten neben exzessiven Partys und Zeit totschlagen, mit mentaler Gesundheit und innerer Zerrissenheit. Sie schaffen mit ihrem extravaganten Sound einen Klangteppich dröhnender Gitarren, ausgeschmückt mit Indie- und Grunge-Elementen.
Dream Nails – “Doom Loop”
Wie ein explizit queeres und inhaltlich angespitztes Konzept von Riot Grrrl klingen kann, das keine Berührungsängste mit ein bisschen Glamour und Groove hat, zeigen Dream Nails auf ihrem zweiten Album. Sie klingen dabei wie eine Version von Debbie Harry, die Mitte der Neunziger eine Band mit Beth Ditto und Courtney Love gegründet hätte.
Goat – “Medicine”
Nachdem die anonyme Voodoo-Kommune aus Nordschweden letztes Jahr eine ausgedehnte Schaffenspause beendet hatte, geht es nun Schlag auf Schlag. Nach “Oh Death” im vergangenen Winter und einem Fernsehsoundtrack vor wenigen Monaten nimmt “Medicine” die globalen Folk-Einflüsse zurück und wird in manchen Momenten sogar politisch.
Hooveriii – “Pointe”
Seit ihren Anfängen haben sich die mittlerweile siebenköpfigen Hooveriii nicht nur personell in die Breite entwickelt, auch stilistisch beschränken sie sich inzwischen nicht mehr auf das enge Korsett von Fuzz- und Psychrock. Auf “Pointe” klingt es nach Soul, Country, Funk und Synth-Pop, der die Band zunehmend befreit zeigt.
Ilgen-Nur – “It’s All Happening”
Vier Jahre nach ihrem Debüt verortet sich das zweite Album von Ilgen-Nur Borali zwar immer noch im Slacker Rock, findet aber eine Flächigkeit und Sanftheit, die für die Hamburgerin neu ist. Das könnte auch daran liegen, dass die Platte stark von ihrem Aufenthalt in Kalifornien beeinflusst ist, wo sie zu großen Teilen entstand.
Poor Kids O.C. – “Poor Kids O.C.”
Große Feingeister sind Poor Kids O.C. definitiv nicht, weder in Klang noch in Songwriting. Das ist aber auch gut so, denn mit ordentlich Schrottplatzgitarren und Texten, als träfe sich der Englischkurs der Hamburger Schule an der Pissrinne zum Saufen, bringt die Band aus dem Ruhrgebiet eines der heißesten und siffigsten Punk-Alben des Jahres auf die Straße.
Squirrel Flower – “Tomorrow’s Fire”
Der dreampoppige Garagenrock von Ella Williams aka Squirrel Flower liegt auf “Tomorrow’s Fire” oft ein bisschen auf der faulen Haut und kommt nicht so richtig in die Gänge. Vielleicht muss das aber auch sein, um mit der notwendigen Geduld über die vielschichtigen Emotionen zu gehen, die auf diesem Album verhandelt werden.
The Radio Field – “Don’ts & Dos”
Wie schafft man etwas Gutes? Mit genug Langeweile und einem Instrument. So sieht Lars Schmidt das zumindest und beweist mit The Radio Field, dass da durchaus etwas dran ist. Sein Debüt umfasst die Crème de la Crème der rheinländischen Indieszene: Mit Mitgliedern von Clayton Farlow und Pale arbeitet Schmidt mit virulentem Collegerock das Thema Liebe auf.
The Mary Wallopers – “Irish Rock’n’Roll”
Schon eine ganze Weile hat keine Band mehr die Seele des irischen Volksliedgutes so authentisch repräsentiert wie The Mary Wallopers und dabei trotzdem den Fokus für den Geist von Punk und Protestkultur nicht aus dem Auge verloren. Sie mit den Pogues und Dubliners zu vergleichen, ist daher nicht nur klanglich naheliegend. Allerdings sind die Folkpunk-Durchstarter nur nicht in der Vergangenheit verfangen, sondern widmen sich der Gegenwart.