Jimmy Eat World – “Integrity Blues”
Pop und Emo tanzen auf dem neuen Album von Jimmy Eat World Hand in Hand, wobei der Pop der führende Tanzpartner ist. Die Art Melodien, die sich oft ganz unbemerkt einschleichen und festsetzen, finden sich auf “Integrity Blues” in Hülle und Fülle, die Relevanz der Texte kommt allerdings nicht zu kurz. Im fünfminütigen “Pass The Baby” etwa lockt einen ein unaufgeregter Elektro-Pop-Beat an bis man plötzlich direkt vor dem düsteren und ernsten Inhalt des Textes steht, der davon handelt das eigene Kind zurückzulasssen, bevor der Titel schließlich mit einem harten Gittarenriff eskaliert. Ganz ohne rockige Gitarren kommt dagegen der titelgebende Song “Integrity Blues” aus, der den Fokus auf Adkins Gesang legt. Dieser schwebt auf einem Teppich aus Hall, der mit einem Crescendo aus Orgel und Streichern immer weiter aufsteigt. Man merkt es vielleicht nicht beim ersten Hördurchlauf, aber die Gefahr, dass sich einige der Songs nachhaltig beim Hörer festsetzen werden, ist auf “Integrity Blues” groß.
Album-Stream: Jimmy Eat World – “Integrity Blues”
American Football – “American Football”
Ihr nach der Band benanntes Debütalbum ist eine einzige Hymnensammlung für Mittzwanziger voller “Teenage Angst” und absolut ikonisch für die Emo-Szene der späten 90er Jahre. 17 Jahre später veröffentlichen American Football einen Nachfolger. Die Band um den viel beschäftigten Mike Kinsella (unter anderem Their / They’re / There, Ex-Joan Of Arc) ist erwachsen geworden, aber nicht weniger emotional. Auf “American Football” tauschen sie die Ängste junger Erwachsener gegen Sorgen, die auch mit zunehmendem Alter nicht an Bedeutung verlieren: Unerfüllte Liebe, verflossene Romanzen, depressive Verstimmungen. Von ihrem knisternden Kaminfeuer-Charme büßen sie dabei nichts ein, und auch die sanfte Trompete summt wieder erhaben über das clever vertrackte und gänzlich unverzerrte Gitarrenspiel. All das erinnert sofort wieder an das Debüt von 1999. Nur die Produktion klingt im Vergleich etwas mehr nach Kinsellas Solo-Projekt Owen als nach dem rauen Erstlingswerk. Dennoch holen American Football mit ihrer Rückkehr trotzdem die gleichen Leute ab, die schon Ende der 90er zu diesem Soundtrack Liebesbriefe geschrieben haben, die dann noch nur wieder in der Schublade gelandet sind.
Album-Stream: American Football – “American Football”
Korn – “The Serenity Of Suffering”
Zurück zu den Wurzeln oder die Linie der vorausgegangenen Alben weiter verfolgen? So richtig entscheiden können sich Korn auf “The Serenity Of Suffering” für keine der beiden Alternativen. Die Nu-Metaller pendeln deshalb auf ihrem zwölftem Studioalbum zwischen der Vertracktheit und Brutalität, die ihre ersten Alben auszeichneten, legen aber auch die Eingängigkeit der neueren Veröffentlichungen nicht ab. So überrascht zum Beispiel der geschriene Scat-Part in “Rotting In Vain” durch seine Härte und auch die Bridge in “Everything Falls Apart” kommt sehr wuchtig und angenehm düster daher. Brutalität ist trotzdem die Ausnahme auf “The Serenity Of Suffering”. Die meisten Songs werden von Jonathan Davis mit klaren Vocals eingeleitet und auch nur vereinzelt werden diese von düsteren Schreiattacken abgelöst. Der neueste Output der Kalifornier ist deutlich vielseitiger und gleichzeitig bodenständiger als die vergangenen Ausflüge in elektronische Gefilde und dürfte gerade deshalb nicht nur neuere Fans abholen.
Album-Stream: Korn – “Serenity Of Suffering”
Riverside – “Eye Of The Soundscape”
Das Jahr 2016 begann für die polnische Progressive-Band Riverside mit einer Tragödie: Im Februar verstarb ihr Gitarrist Piotr Grudzi?ski plötzlich im Alter von nur 40 Jahren. Inzwischen hat sich die Band entschieden, als Trio weiter zu machen und die Gitarre nicht neu zu besetzen. Mit “Eye Of The Soundscape” schließen sie also auf eine Art ein Kapitel ihrer Bandgeschichte ab: Das Doppelalbum enthält zahlreiche Instrumentals, die entweder bisher nur als Bonustracks erschienen oder überhaupt nicht veröffentlicht worden waren. Auf den bis zu zwölf Minuten langen Stücken dominieren sphärische Synthesizer-Sounds und Melodien auf der Akustikgitarre, die auf einigen Tracks von harten Elektrobeats wieder aufgebrochen werden. Das Highlight bildet jedoch der ruhigste Titel am Ende des Albums, der namensgebende “Eye of The Soundscape”. Das erhabene Ambient-Stück erinnert mit scheinbar endlos lang anhaltenden Synth-Melodien an das Werk von Brian Eno. Vielleicht ist es ein Vorgeschmack auf den zukünftigen Sound von Riverside. Für Fans der Band aber allemal weit mehr als eine Best-of-Compilation von B-Seiten.
Album-Stream: Riverside – “Eye Of The Soundscape”
Unsere aktuelle Platte der Woche, “Winter Wheat” von John K. Samson, und alle weiteren Neuerscheinungen der Woche findet ihr in unserer Übersicht.