Pete Doherty – “Hamburg Demonstrations”
Ergibt es Sinn, sein Album einer Stadt und damit auch einem Lebensgefühl zu widmen, nur weil man sich in sie verliebt hat? Auf seinem zweiten Soloalbum “Hamburg Demonstrations” gibt Pete Doherty eine eindeutige Antwort auf diese Frage. Denn obwohl Doherty vielen Menschen wahrscheinlich eher als Musiker mit Drogenproblem bekannt ist und seine Frontmannposition bei den Libertines und den Babyshambles zur Nebensache gerät, beweist er auf “Hamburg Demonstrations”, dass immer noch ein begnadeter Künstler in ihm steckt. Sicherlich sitzt nicht jeder Ton, aber gerade diese Verschrobenheit und eine gewisse Alltags-Anarchie scheinen dem Album gut zu tun. So erinnert der Opener “Kolly Kibber” stellenweise an Maximo Park und überrascht im Mittelteil durch deutsche Vocals. “Oily Boker” driftet zwischenzeitlich sogar in Noise-Gefilde ab, besticht aber gleichzeitig durch den Einsatz einer Mundharmonika. Es sind die Kleinigkeiten, die Doherty aus seinem zweijährigem Aufenthalt in Hamburg schöpft und mit seiner extravaganten Persönlichkeit zusammenfließen lässt, die dieses Album zu etwas Besonderem machen.
Album-Stream: Pete Doherty – “Hamburg Demonstrations”
Slowcoaches – “Nothing Gives
Slowcoaches‘ Bandname und der nihilistische Albumtitel “Nothing Gives” suggerieren, dass es sich hierbei um Musik für Slacker mit “Alles egal”-Attitüde handeln könnte. Doch das ist ein Trugschluss. Das Debütalbum von Slowcoaches ist Punkrock mit sägenden Gitarren, die in ihrer Einfachheit und den schnellen Rhythmen stark an die Ramones erinnern und gleichzeitig in der etwas zeitgemäßeren Noise-Tradition stehen wie die Musik von Cloud Nothings und Wavves. Den fröhlichen, fast durchgehend in Dur-Tonarten gespielten Melodien setzen sich die Texte von Frontfrau Heather Perkins entgegen, die alles andere als leicht und beschwingt sind. Sie leidet seit ihrer frühen Kindheit unter schweren Angst- und Panikstörungen, die ihr Leben bestimmen und so auch die Lyrics beeinflussen. Diese drehen sich zwar teilweise auch um klassische Themen wie gescheiterte Beziehungen und Weltschmerz, aber eben aus der Sichtweise einer Person, die permanent mit ihrer seelischen Krankheit zu kämpfen hat. Zum Glück sagt Perkins, dass die laute und rasante Musik für sie eine kathartische Wirkung habe – und das hört man jedem der zwölf Songs auf “Nothing Gives” auch an.
Album-Stream: Slowcoaches – “Nothing Gives”
Ash Borer – “Irrepassable Gate”
Ash Borer haben mit “Irrepassable Gate” ein Album veröffentlicht, das wütet und ächzt und dabei Nichts beschönigt, aber Einiges freilegt. Der Titel der Platte meint dabei nicht etwa, dass man keinen Zugang zu den sechs Black-Metal-Werken erhält, sondern dass für den Hörer, einmal eingefangen von der Faszination der Wucht, das Tor nach draußen verschlossen bleibt. Schon der gleichnamige Opener bricht dabei brachial auf allen Ebenen über den Hörer herein, das Schlagzeug donnert, die Gitarren fauchen, der Gesang grunzt und zischt und die ruhigeren Töne im Mittelteil sind nicht was sie scheinen. Sie sind nicht zum Durchatmen gedacht, es braucht nur einen Moment, damit sich das folgende Unheil zusammenballen kann. Beim Hören des Songs passiert dabei Erstaunliches: Man will das es weitergeht, man will sich wieder umschließen lassen von dem Lärm, der das eigene Denken übertönt und fesselt. Auch der dritte Song “Lustration I” hypnotisiert, diesmal allerdings gerade durch sein gedrosseltes Tempo, die tiefen Streicher und dissonanten Gitarren. Wort und Laut verschmelzern dabei und sind nicht länger wichtig, es geht längst um musikalisch Höheres. Auch der zweite Teil dieses Black-Metal-Mantras und damit der letzte Song der Platte geht diesen Weg weiter und entschwindet schließlich als nicht viel mehr als ein Soundschatten. Und plötzlich kann man sie auch wieder sehen die Tür die ins Freie führt, nur durchgehen mag man noch nicht so recht. Es braucht noch einen Moment.
Album-Stream: Ash Borer – “Irrepassable Gate”
Klimt 1918 – “Sentimentale Jugend”
Zwei Jahre haben Klimt 1918 gebraucht, um die 19 Songs ihres zweiteiligen Albums “Sentimentale Jugend” zusammenzustellen, welches nach dem deutschen Noise-Duo benannt ist. Stetiger Begleiter auf allen Tracks ist dabei die Melancholie. Allerdings nicht die schwere, alles verdunkelnde Variante, sondern die leichte Form. Die Art von Melancholie die nur ein bisschen schmerzt, manchmal sogar auf gute Art. So etwa im Song “Nostalghia”, der wie alle Titel an die italienische Herkunft der Band erinnert – gesungen wird allerdings auf englisch. Der Track beginnt mit einem flirrenden Intro, als würde man sich an einen heißen Sommerabend erinnern. Hinzu kommen Synthie-Flächen, ein pop-behafteter Bass-Beat und hallender Gesang der zwar leidet, durch seine Harmonien allerdings eher einen bittersüßen, als einen verzweifelten Eindruck hinterlässt. Denn das ist es ja schließlich, was das Gefühl der Nostalgie ausmacht. Und so verorten sich die Songs zwischen Shoegaze und Indierock und verbreiten ein kühles Klima ausgelöst durch den klammen Soundnebel, der schon zu Beginn der Platte allgegenwärtig ist. Ab und an erzählen sie jedoch auch von wärmeren Tagen und erheben sich so bittersüß zum entscheidenden Wort bei der Beschreibung der “sentimentalen Jugend”.
Album-Stream: Klimt 1918 – “Sentimentale Jugend”
Unsere aktuelle Platte der Woche, “Surveillance” von Vanishing Life, und alle weiteren Neuerscheinungen der Woche findet ihr in unserer Übersicht.