Blackfield – “V”
Mit Blackfield holt Steven Wilson die Prog-Segel ein und nimmt Kurs Richtung Pop. Mit an Board: Bandkollege und israelischer Popstar Aviv Geffen. Das Intro “A Drop In The Ocean” ist eine Streichersinfonie und damit eine musikalische Entsprechung des Covers von “V”. Dieses zeigt eine glitzernde Wasseroberfläche unter blauem Himmel, davor eine Hand, die eine Medizinflasche hält. Auch darin leuchten bernsteinfarben und golden Sonnenstrahlen. Die poppigen Melodien sind hier die einlullende Medizin: je süsslicher, desto besser. Dabei verstehen es Blackfield, immer knapp am Kitsch vorbei zu segeln, trotz dem durch Streichinstrumente stetig wehendem Rückenwind. So erheben sich Songs wie “We´ll Never Be Apart” über bloßen Radiopop, indem den Geigencrescendi und dem hallenden Gesang ein extrovertiertes und gegen Ende des Songs ausfällig werdendes Schlagzeug die Stirn bietet. Der Track “Life Is An Ocean” geht behutsamer vor, entfaltet mit Chören und anschwellendem Refrain jedoch plötzlich eine unerwartete Tiefe, die symptomatisch für das fünfte Studioalbum von Blackfield ist.
Albumstream: Blackfield – “V”
Wiegedood – “De Doden Hebben Het Goed II”
Wiegedood entfesseln einen Wirbelsturm, wie er nur entsteht, wenn gewittriger Black-Metal auf die alles versengenden Höllenfeuer trifft. Um dies zu realisieren, haben sich die drei Belgier, die sonst in Bands wie Oathbreaker, Rise And Fall und Amenra spielen, zusammengetan. “De Doden Hebben Het Goed II” ist ihr zweiter Ausflug in die Unterwelt. Die rasenden Soundwände aus Gitarre, Double-Bass-Drum und gutturalem Gesang verteilen sich auf vier Tracks zwischen sechs und elf Minuten Länge. Den Anfang macht der Song “Ontzieling” mit einer furiosen Sound-Spirale aus Thrash-Metal-Gitarren und donnernden Drums. Ergänzt wird diese durch einen fauchenden Gesang, der wie nicht von dieser Welt klingt. Die düstere Stimmung zieht sich durch das gesamte Album. Man steht als Hörer am weit offenen Höllenschlund und blickt fasziniert hinab in den stinkenden Abgrund. Im an dritter Stelle stehenden Titeltrack der Platte dreht der Wind nach zweieinhalb Minuten plötzlich: Eine Gitarre erhebt sich begleitet von einem tiefen Dröhnen über die restlichen Instrumente. Als das Album mit einem unwirklich langen markerschütternden Schrei endet, steht man als Hörer bereits ganz am Rand des klaffenden Schlunds, schwebt vielleicht sogar schon mit einem Fuß über dem Nichts. So stark ist der Sog, der von Wiegedoods Sound ausgeht.
Album-Stream: Wiegedood – “De Doden Hebben Het Goed II”
Cranial – “Dark Towers, Bright Lights”
Wer beim Namen des Albums und Anblick des Covers an die Festung des dunklen Zauberers Sauron aus Tolkiens “Herr der Ringe” denkt, ist schon auf der richtigen Fährte. Nur, dass man sich Sauron mit schaurigem Facepaint und einer aufs Tiefstmögliche gestimmten E-Gitarre vor einer Wand von Verstärkern vorstellen muss. Cranials Debütalbum “Dark Towers, Bright Lights” klingt wie die Kampfmusik einer Armee aus Orks und Uruk-Hais. Aber genug mit Fantasy-Metaphern: Die Würzburger spielen hier kompromisslosen Post-Metal aus einem Guss, unterteilt in vier kolossale Tracks mit jeweils mehr als zehn Minuten Spielzeit. Es ist ein durchgehendes Gewitter aus tief verzerrten Gitarren und paukendem Schlagzeug, das durch Dynamik und unerwartete Pausen die Spannung hält. Wenn elektronische Effekte den Donner kurz verstummen lassen, bringen sie ihn mit doppelter Intensität zurück. Wenn furchteinflößende Growls die Wolkendecke aufbrechen, dann nur um zu zeigen, dass es dahinter noch dunkler ist. “Dark Towers, Bright Lights” ist ein imposantes musikalisches Unwetter, dem man sich aussetzen möchte.
Album-Stream: Cranial – “Dark Towers, Bright Lights”
Trevor de Brauw – “Uptown”
Auf seinem Solo-Debüt “Uptown” widmet sich der Pelican-Gitarrist Trevor de Brauw voll und ganz seinem Hauptinstrument. Hier lotet er die Möglichkeiten aus, die man mit einer elektrischen Gitarre und zahlreichen Effektspielereien haben kann. Ganz ohne perkussive Elemente erzeugt der Musiker sieben Stücke, die sich in ihren Klangeigenschaften voneinander abgrenzen. Im Opener “A New Architecure” dominieren hohe, künstlich verzerrte Frequenzen, die langsam in sanfteres organisches Gitarrenspiel übergehen. Der darauf folgende Track “Distinct Frequency” erkundet dagegen deutlich tiefere Frequenzbereiche und demonstriert mehr Räumlichkeit als der Vorgänger. So erforscht de Brauw auch in den restlichen Tracks verschiedene Soundsphären, wobei er gelegentlich zurückhaltenden Gesang ergänzt. “Uptown” zeigt beispielhaft, dass es für vielseitig texturierte Ambient-Musik nicht nur Synthesizer braucht.
Album-Stream: Trevor de Brauw – “Uptown”
Unsere aktuelle Platte der Woche, “Elwan” von Tinariwen und alle weiteren Neuerscheinungen der Woche findet ihr in unserer Übersicht.