Erst die öffentlichen Anfeindungen von Jupiter Jones und Jennifer Rostock, dann der Eklat rund um das diesjährige With-Full-Force-Festival: Wer geglaubt hat, dass es nach dem medialen Aufschlag und den ungezählten Kommentaren in sozialen Netzwerken zum Thema Frei.Wild endlich wieder ruhiger wird, hatte vermutlich nicht den deutschen Musikpreis Echo auf dem Zettel.
Der Bundesverband der Musikindustrie steht als Veranstalter des Echo nicht im Verdacht, bei der Nominierung von Künstlern geschmäcklerisch vorzugehen. Die Auswahl der nominierten Acts und Künstler überlässt der Bundesverband vielmehr ganz demokratisch dem Musikgeschmack der breiten Masse, denn in die Auswahl kommt, wer binnen eines Jahres die meisten Tonträger verkaufen konnte und somit kommerziell am erfolgreichsten war – ein Blick in die hiesigen Charts mag zu der Erkenntnis beitragen, dass das inhaltlich im Regelfall nichts Gutes verheißt.
Für Bands und Künstler liegt der Reiz des Echo demnach weniger in der Anerkennung einer kreativen Leistung als in dem Podium, das die Veranstaltung bietet. Wo und wann bekommt man schon eine öffentlich-rechtliche Live-Ausstrahlung zur Primetime mit 17 angeschlossenen Radiosendern, die mit einer epischen Vor- und Nachberichterstattungen garniert wird? Der Echo hat eine Breitenwirksamkeit, die in der hiesigen Musiklandschaft beispiellos ist. Das öffentliche Schulterklopfen für kommerziellen Erfolg – und die dadurch entstehende öffentliche Wahrnehmung – hat dabei mehr Bedeutung als der Preis an sich.
Der Bundesverband der Musikindustrie sah sich trotz dieser Faktoren, die in der Konsequenz ein gewisses Maß an Verantwortung zur Folge haben sollten, jedoch noch nie genötigt, bei der Nominierung von Künstlern etwas anderes zu berücksichtigen als die Anzahl der verkauften Tonträger. Ob es nun die seit 1999 sechs Mal nominierten und einmal erfolgreichen Böhsen Onkelz waren oder der 13-fach gewertschätzte Menschenfreund Bushido: Das Zwischen-den-Zeilen-Lesen, Beurteilen und Einordnen von Künstlern gehörte nie zur Kernkompetenz der Ausrichter des “wichtigsten deutschen Musikpreises”; man sieht das erst gar nicht als ureigene Aufgabe an.
Es geht um Zahlen und das Geschäft, die Verantwortung für ethische und moralische Prinzipien werden hingegen ausgelagert an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die ja schließlich bereits darüber wacht, ob ein Künstler indiziert wird oder nicht. Vor diesem Hintergrund ist die Echo-Nominierung von Frei.Wild in der Kategorie “Rock/Alternativ national” nicht überraschend, sondern folgerichtig.
Eine neue Qualität mag lediglich die Instinktlosigkeit der Verantwortlichen erreicht haben. Als durchaus repräsentierender Verband hat man die vielen kritischen Musikerstimmen zu Frei.Wild anscheinend überhört – und die Tatsache übersehen, dass die in derselben Kategorie wie die Südtiroler nominierten Ärzte in Live-Versionen ihrer Anti-Rassismus-Hymne “Schrei nach Liebe” Seitenhiebe auf Frei.Wild verteilt haben.
Selbst die Tatsache, dass Frei.Wild aber so was von offensichtlich aus Südtirol in Italien kommen, wird durch einen Paragrafen in der Bewertungsgrundlage für Nominierungen geregelt: Zwei Bandmitglieder haben deutsche Pässe, es wird deutsch gesungen, und die Platten sind in Deutschland aufgenommen worden. Zumindest in der Auslegung des Prinzips “Gleiches Recht für alle” lässt sich der Bundesverband der Musikindustrie nichts zu Schulden kommen.
Durch die Distanzierung von Kraftklub und Mia., die aus den hinlänglich bekannten Gründen nicht in einem Atemzug mit Frei.Wild genannt werden wollen, droht dem Bundesverband nun einiges an Ungemach. Neben den üblichen Shitstorms, die durch die Weiten des Internet hallen, wird es zu einer breiten öffentlichen Berichterstattung kommen, die im Kern die Frage stellen wird, ob es sich der Bundesverband der Musikindustrie nicht zu leicht macht, wenn er Bands und Künstler nur nach reinem Zahlenwerk beurteilt.
Dass in diesem Zusammenhang vor allem Frei.Wild bereits jetzt als Gewinner feststehen, ist dabei der Bärendienst – für die mediale Aufmerksamkeit, die die Band nun auf sich zieht, müssen andere hohe Beträge investieren.
Den eigentlichen am 21. März zu vergebenden Pokal sollte sich aufgrund der Verkaufszahlen aber jemand sichern, der als Der Graf die Tränen der Republik trocknet und, nun ja, ebenfalls in der Kategorie “Rock/Alternativ national” nominiert ist. Wenn er denn antritt, versteht sich.