Plakate waren im Vorfeld nirgendwo in der Stadt zu sehen, aber das Mundpropaganda-Netzwerk hat wohl auch so ganze Arbeit geleistet. Electrelane ist eine dieser Bands, die eine beinahe unvernünftige Verehrung bei einem Publikum hervorruft, das zu gleichen Teilen aus Krautrockfans, Indie-Boys und Lesben besteht. Vor fünf Jahren hatte die Band ihre Farfisa-Orgel vorübergehend eingemottet und sich eine Erholungspause verschrieben, vielleicht waren auch Babys im Spiel oder eine klitzekleine musikalische Differenz.
Davon ist an diesem Abend in Berlin allerdings nichts mehr zu spüren, denn als die vier Ladys die Bühne betreten, ist es, als wären sie nie weg gewesen und das letzte Album erst drei Tage alt. Electrelane-Musik besteht zur Hälfte aus hypnotischen Instrumentals, die man Prog nennen würde, wenn sie nicht gleichzeitig so stur auf ihrer Simplizität beharren würden. Die andere Hälfte sind Songs, in denen auch mal gerne Nietzsche zitiert wird und die um Verity Susmans Todesengelsstimme kreisen wie Teilchen um den Teilchenbeschleuniger.
‘Gone Under Sea’ eröffnet den Reigen mit seinem ‘Ave Maria’-Chorus, der Festsaal ist da bereits ausverkauft voll und gemütlich warm. Jeder Song wird mit einem Applaus bedacht, der über bloßen Beifall hinausgeht, und jemand aus den vorderen Reihen ruft ein ermutigendes ‘Good to have you back!’ auf die Bühne. Nicht, dass die Musikerinnen das noch bräuchten. Mia Clarke (in schicker Abendgarderobe) macht wilde Dinge an ihrer Gitarre, Ros Murray planierraupt an ihrem Bass herum und Schlagzeugerin Emma versetzt sich kurzerhand in Black Sabbath hinein. Nach hinten raus werden die Songs sowieso gerne etwas Metal-lastig und laden zu einem Tanzstil ein, der irgendwo zwischen Moschen und In-Ohnmacht-fallen liegt, worauf sich wiederum der dicht gedrängte Konzertsaal prächtig einigen kann.
Auf neue Stücke oder das besonders passende ‘In Berlin’ wartet man an diesem Abend allerdings vergeblich: Von der letzten LP wird nur das famose ‘To The East’ ins Rennen geworfen, der Rest der Setlist rekrutiert sich größtenteils aus den zwei Alben davor, plus eine Coverversion von ‘Smalltown Boy’. Dieser eine Moment, in dem eine Band ihr Publikum endgültig rumkriegt – bei Electrelane findet er schon Sekunden nach Konzertbeginn statt und macht alles Weitere zu einem Heimspiel. Nach siebzig Minuten hat man das Gefühl, dass die Band mit jedem Stück lauter geworden ist, nur um sich die derbste Keule bis zum Schluss aufzuheben. Wer allerdings pünktlich zur Zugabe in den ersten Reihen steht, um den zweiminütigen Todesritt von Bruce Springsteens ‘I’m On Fire’ mitzubekommen, macht dafür dann am Merchandise-Stand ein langes Gesicht. Der ist dann nämlich schon restlos ausverkauft.