Die einfachste Antwort ist immer die Gegenfrage: Warum denn doch? Warum Musik hören, die schon bei meiner Geburt nicht mehr hip war, oft genug staubig klingt und sowieso nie wieder auf Tour kommen wird (und wenn doch, umso schlimmer)? Um zu lernen und verstehen, raunen dann die Alten und kontern jede Band, die mir gefällt, mit einer, die schon vorher da war und ohne die es heute gar nichts geben würde. „Du magst die und kennst jene nicht? Dann mach dich auf was gefasst!“ Und ich höre und bin am Ende weder schlauer noch bereicherter. Denn wenn es um gut und ungut geht, dann fühle ich bei alter Musik kaum je so viel wie bei neuer.
Nun muss man das zu Streitzwecken definieren und wenn schon, dann hart: Alt ist, was älter ist als ich, wir schneiden 1985. Und klar, ich habe auch Out Of Step und Keine Macht für niemand und ‘Quadrophenia’ im Regal stehen (auf CD) und die Patti-Smith-Autobiographie letztens sehr gerne gelesen, und wenn ich das weiße Beatles-Album nicht komplett auswendig mitsinge, würde ich lügen. Aber das sind sorgfältige Ausnahmen. Fang mit Led Zeppelin und King Crimson und Tom Waits an, und ich will mich vor Langeweile in Sülzkuchen stürzen. Roll dazu noch die Augen, und ich dreh Frittenbude extralaut auf. Das ist kein Hass, das ist nur Verteidigung. Man muss nicht alles kennen und mögen, um sich auszukennen. Wenn alte Musik gut ist, weil sie Wege weist, wie gut kann dann neue sein, die aus allen vorhandenen Wegen wählen und noch neue suchen kann? Nicht jede, das versteht sich von selbst, aber wenn, dann kann sie immer weitergehen. Dem Vergleich zwischen Joy Division und Interpol mussten sich erstere nie stellen; letztere konnten daran wachsen (oder eben auch verlieren, das kann entscheiden, wer will). Und klangen dabei eben nie so entfernt und vergangen, selbst wenn sie wollten.
Das einzig wichtige Kriterium bei allem ist immer, was das mit mir zu tun hat, und das kann, was vor mir schon vorbei war, eben nie so gut wie das, was ich miterlebe. Alte Musik kann mir nichts glaubhaft versichern, ihr Horizont ist zwangsläufig begrenzt, und weil das natürlich für alles im Augenblick seines Entstehens gilt, bleibe ich lieber bei dem, was wenigstens mir selbst etwas bedeutet. Dass das bei anderen aus den Plattenschränken der Eltern kommt, ist nur logisch. Aber nicht nur Nostalgie lässt sich vererben. Als ich meinen Vater am Telefon nach einem Kinderfoto von mir für den Soundcheck fragen musste, war seine Antwort eine Gegenfrage: „Was willst du denn mit dem alten Mist?“
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