Nach der Veröffentlichung ihres offenen Briefes an die Rock am Ring-Macher haben wir mit einer der Organisatorinnen der Aktion gesprochen: Die 24-jährige Sammy* fährt seit zehn Jahren durchgängig zum Ring und gehörte zu denjenigen, die die Kritik vieler Fans in dem Schreiben bündelte. Bei uns spricht sie über weitere Kritikpunkte an Rock am Ring, die Hoffnung auf Verbesserungen und erklärt, warum sie und ihre Mitstreiter Festivalgründer Marek Lieberberg direkt angesprochen haben.
Sammy, wie kam es zu dem offenen Brief?
Das Ganze hat seinen Ursprung in einer Diskussion im “Rock am Ring”-Thread des Ringrocker-Forums. Ein Nutzer hatte in der vergangenen Woche einen Post abgesetzt, nach dem Motto: “Ich kaufe mir jetzt doch noch mal ein Ticket für Rock am Ring, es wird ja eh das letzte Mal.” Diese Aussage hat für mächtig Furore gesorgt, es wurde viel diskutiert, und wir haben dann erarbeitet, warum der Karren eigentlich so im Dreck sitzt, warum alle so unzufrieden sind. In dieser Diskussion wurde der Wunsch vieler Nutzer deutlich, diese Kritik dem Veranstalter MLK vorzutragen und einfach mal wieder als Fan gehört zu werden. Weil wir den Eindruck haben, dass das in letzter Zeit ins Hintertreffen geraten ist.
Wie ging es danach weiter?
Diverse Nutzer haben sich zu einer Initiative zusammengeschlossen, sich der Diskussion angenommen und haben abgewogen, welche Argumente zugkräftig sind, was essentiell ist. Und dann gemeinsam diesen offenen Brief erarbeitet.
Für wie viele Fans könnt ihr sprechen, wen vertretet ihr?
Wir sind bei ringrocker.com ungefähr 100.000 angemeldete Nutzer, wobei wir heute natürlich kein reines Rock-am-Ring-Forum mehr sind. Die Diskussionen und Kritikpunkte verschiedenster Nutzer erfreuten sich dort enormer Beliebtheit, was sich auch gut an den Likes ablesen ließ. Da hat sich sehr viel getan in den vergangenen Tagen. Ich kann keine Zahl nennen, für wie viele Leute wir sprechen, aber ich schätze, es betrifft mit Sicherheit 40 bis 50 Prozent der Rock-am-Ring-Besucher, die sich in mindestens einem unserer Punkte wiedererkennen können.
Habt ihr auch anderswo Kritik wahrgenommen?
Da ist vielleicht der Blick auf Facebook interessant: Wenn Rock am Ring dort früher irgendetwas zum Festival gepostet hat, gingen Kommentare meist in die Richtung “Juhu, schau mal Freundin XY, wir freuen uns so!” Das ist mittlerweile nicht mehr so. An jeder Ecke wird Kritik laut. In dem Zusammenhang sprechen auch die relativ verhaltenen Ticketvorverkäufe in diesem Jahr für sich.
Gärt diese Unzufriedenheit schon länger bei den Fans?
Absolut. Das Thema hat sich hochgeschaukelt. Als Fans haben wir auch lange versucht, uns die Probleme schönzureden. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre, gerade mit der Rückkehr von Mendig zurück an den Ring, haben dann einiges zutage gefördert, was da schon seit langem schwelt.
In eurem offenen Brief geht ihr vor allem auf zu strenge Camping-Regeln und mangelnde Kommunikation des Veranstalters ein. Warum beschäftigen gerade diese beiden Aspekte so viele Leute?
Das Camping ist bei Rock am Ring über Jahre hinweg ein großes Alleinstellungsmerkmal gewesen. Wo bei anderen Festivals eher strikte Regeln galten, war Rock am Ring immer ein bisschen freigiebiger. Das hat viele Besucher animiert, dorthin zu fahren, auch, wenn in einem Jahr das Line-up mal nicht so toll war. Es gab eine große Bindung gerade an diese Form des Campings, die es auf anderen Festivals so nicht gab. Diese Freiheiten hat MLK in den letzten Jahren systematisch zurückgebaut – und damit zahlreiche Besucher vergrault.
Und was läuft in Sachen Kommunikation schief?
Das ist eng mit der Kritik am Camping verwoben, auch die Kommunikation hat MLK immer weiter zurückgefahren. Den Besuchern wurde nie wirklich kommuniziert, warum Dinge geändert werden. Wenn überhaupt etwas kommuniziert wurde. Kommunikation sollte eigentlich der Schlüssel sein zwischen Veranstalter und Besuchern, um ein gelungenes Festival zu garantieren. Und das findet einfach überhaupt nicht mehr statt. Das erweckt bei den Fans den Eindruck, dass sie nicht mehr ernst genommen werden. Das sind für uns die entscheidenden Punkte, warum es unserer Wahrnehmung nach nicht so gut um Rock am Ring steht.
Gibt es über den offenen Brief hinaus noch Kritikpunkte, die bei euch diskutiert wurden?
Ja: das Line-up. Über das Thema haben wir heftig diskutiert, allerdings mit sehr unterschiedlichen Meinungen, dabei kamen wir nicht so recht auf einen gemeinsamen Nenner. Deshalb haben wir es nicht in den Brief mit aufgenommen. Aber wir sind gespannt, was bei zu dem Thema nun vielleicht noch an Diskussionen aufkommt.
In eurem Brief klingt auch der Vorwurf an, dem Veranstalter gehe es nicht mehr um die Fans, sondern nur noch ums Geld. Ist das die Haltung vieler Fans?
Ja, ganz eindeutig. Viele Fans haben einfach nicht mehr das nötige Geld, um das Festival zu besuchen. Dieser Verdacht, sei er legitim oder nicht, erhärtet sich natürlich, wenn man sich aktuelle Entwicklungen wie das Tetrapack-Verbot ansieht. Oder die Beutel, die man mit aufs Festival nehmen darf. Die bekommt man auf anderen Festivals geschenkt, Rock am Ring verkauft sie und lässt sich noch als Samariter feiern. Profitgier ist ein großer Kritikpunkt. Wir sehen ein, dass Bands teurer werden, das generell der Festivalmarkt in Deutschland preislich anzieht, das ist eine Entwicklung, die nicht nur bei Rock am Ring stattfindet. Aber es muss alles in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen. Und dieses Verhältnis sehen wir nicht mehr gegeben.
Welche Festivals machen es besser, wo kann sich Rock am Ring etwas abschauen?
Nimmt man das Thema Kommunikation, dann ist beispielsweise Wacken weit vorn. In deren Forum gibt es einen Nutzer, der aus der Veranstalter-Riege stammt und dort Neuigkeiten oder Änderungen eigenen Beiträge widmet. Der sucht den Kontakt zu den Leuten, nimmt Kritik auf oder erklärt, warum sich zum Beispiel Ideen der Besucher nicht umsetzen lassen. Dort hat man als Fan schon eher den Eindruck, das man ernst genommen wird, das man einen kleinen Teil mitgestalten kann. Was Social Media angeht, sind zum Beispiel Hurricane und Southside gut. Mit ihrem “Hurricane Swim Team” haben sie aus der Not eine Tugend gemacht. Auch da wieder: Sie antworten ihren Fans, sind auch mal lustig, präsentieren das Festival einfach von einer ganz anderen Seite – nahbar. Das fehlt bei Rock am Ring momentan auf ganzer Linie.
Im Brief sprecht ihr Rock-am-Ring-Gründer Marek Lieberberg direkt an und bezieht euch auf seinen berühmten Festivalauftritt 2014, bei dem er “Wir sind der Ring!”-Sprechchöre anstiftete. Wie ist das Verhältnis der Fans zu Lieberberg?
Den Aufhänger mit “Wir sind der Ring!” haben wir im Brief bewusst gewählt. Klar ist, dass für die angesprochenen Kritikpunkte nicht Marek Lieberberg allein verantwortlich ist, er kann das nicht alles allein ausbügeln. Aber Marek ist die Gallionsfigur von Rock am Ring, das weiß jeder. Wir sprechen ihn gezielt an, weil er sich in der Vergangenheit oft gerühmt hat, für die Fans da zu sein, gerade mit Blick auf “Wir sind der Ring!” 2014. Uns interessiert, wie er die ganze Sache sieht. Denn es ist nicht alles so rosarot, wie er es oft darstellt. Zudem hat er sich im vergangenen Jahr im Zuge der Terrorabsage nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, wenn man sich die entsprechenden Interviews ansieht. Generell würde ich das Verhältnis als schwierig beschreiben, aber vielleicht habe ich da mittlerweile auch einen Tunnelblick.
Ihr betont im Brief, ihr würdet euch als Fans von Rock am Ring “nicht mehr ernst genommen” fühlen. Wie müssen die Veranstalter reagieren, damit sich das wieder ändert?
Grundsätzlich erhoffen wir uns überhaupt irgendeine Reaktion. Wir sind sehr gespannt, ob es überhaupt ein Statement geben wird. Es gab im Jahr 2002, als die Autos von den Zeltplätzen verbannt wurden, schon mal den gleichen Fall wie jetzt, dass Fans deutlich ihre Kritik geäußert haben. Damals hat Lieberberg Fans nach Frankfurt eingeladen und den offenen Dialog gesucht. Das wäre unsere Wunschvorstellung. Aber von der geht hier niemand aus. Wir wünschen uns, dass MLK sich der Sache annimmt, und zwar längerfristig, also nicht jetzt das Blaue vom Himmel verspricht und in drei Wochen ist das Thema vergessen. Die Veranstalter sollten auf die Fans zugehen und kritisch reflektieren, was in Sachen Kommunikation, Transparenz und so weiter machbar ist – diesen Anstoß wollen wir liefern.
Wie groß sind eure Hoffnungen, dass sich etwas ändert?
Etwa 50 zu 50. Die Hoffnungen sind groß, vor allem aber haben wir nichts zu verlieren. Gehen die Organisatoren nicht auf uns ein, fährt der eine oder andere von uns definitiv nicht mehr an den Ring. Das ist nicht als Drohung gemeint, aber wir stehen alle vor der Entscheidung, ob wir diesen Weg weiter mitgehen möchten. Es wäre wünschenswert, eine Reaktion zu bekommen, aber wenn dem nicht so ist, können wir es nicht ändern. Dann werden wir weiterziehen.
* voller Name der Redaktion bekannt