Bei manchen Konzerten ahnt man schon vor dem ersten Ton, dass gleich etwas Besonderes passiert. Es ist dieses Gefühl, das einen überkommt in der Wartezeit bis die Lichter ausgehen. In der ausverkauften Batschkapp stehen die Leute dicht an dicht und das vorherrschende Gefühl hier ist nervöse Anspannung – gepaart mit der unausgesprochenen Hoffnung, die Band möge doch bitte nicht nur die neuen Sachen von ‘Invented’ spielen.
Manchmal gehen Wünsche tatsächlich in Erfüllung: um Punkt neun stehen Jimmy Eat World auf der Bühne. Ohne Vorgruppe, ohne Vorwarnung, dafür mit Herausforderung im Blick und Spielfreude in den Fingern. Und plötzlich wird die Vorahnung zur Gewissheit: heute passiert hier etwas Großes.
Ein Konzert mit ‘Table For Glasses’, dem sehr ruhigen Opener von ‘Clarity’ zu beginnen, ist schon mal eine Ansage. Das erfordert Mut. Direkt hinterher ‘Lucky Denver Mint’ zu spielen, sorgt dann schon für erste freudig-verwirrte Reaktionen. Will Jim Adkins das Publikum etwa milde stimmen, damit das neue Material nicht direkt ausgebuht wird? Nein, ganz im Gegenteil: ‘Wir haben in Amerika mal ein paar Shows gemacht, in denen wir das ganze Album durchgespielt haben. Das machen wir heute auch’ informiert er ein völlig verdattertes Publikum. Und so spielen Jimmy Eat World mal eben die komplette ‘Clarity’ in einer Tightness und Klanggewalt, die das Album auf der heimischen Anlage so nie besessen hat. Selbst der 16-minütige Schlusssong ‘Goodbye Sky Harbour’, dessen Mittelteil auf Platte minutenlang untätig vor sich hinwabert, fetzt einem das Bewusstsein weg – und das mehrstimmig und mit einem manisch auf das Xylophon einklöppelnden Adkins. Herrlich. Ansonsten hüpft und tanzt der Sänger wie ein Flummi über die Bühne – genauso wie das Publikum vor ihm. Dabei ist seine Stimme so glasklar, als hätte sie am Freitag und Samstag nicht schon zwei Festivals besungen.
Man wagt kaum, auf mehr zu hoffen als vielleicht noch ein, zwei Hits hinterher. Die Band kehrt von einer kleinen Verschnaufpause zurück auf die Bühne – und legt fulminant mit ‘Bleed American’ los. Dem Titelsong folgt – man ahnt es – die komplette gleichnamige Platte. Mit der Ausnahme von ‘Your House’. Dabei versagt tatsächlich die Batterie der Akustikgitarre und kann trotz aller Mühen nicht wieder zum Laufen gebracht werden. Stört niemanden. Die Ruhe während des Reparaturversuchs nutzt Adkins einfach zum Plausch. Und als klar wird, dass es eben nichts mehr wird mit der Akustischen, zu dem ironischen Kommentar ‘Jimmy Eat World – eine professionelle Rockband.’ Nachdem mit ‘Good goodbye/ Good good night’ aus ‘My Sundown’ eigentlich die perfekten letzten Zeilen zum Abschied erklungen sind, ebbt der Applaus minutenlang nicht ab. Die Menge hat noch nicht genug, genauso wie die Band. Deshalb folgen – nach einem einzigen Song von ‘Invented’, der von der euphorisierten Menge so abgefeiert wird, dass man sich fragt, ob sie überhaupt merken, was da gerade gespielt wird – noch einige Hits von ‘Futures’. Zum Finale nach zweieinhalb Stunden dann ‘Pain’. Und die tatsächlich noch passenderen Abschiedszeilen ‘It takes my pain away’ – denn wenn dieser Abend eines gezeigt hat, dann dass es immer noch möglich ist, von Bands überrascht zu werden, die man vielleicht schon längst abgeschrieben hatte. Wenn Jimmy Eat World weiterhin solche Konzerte spielen, verzeiht man ihnen auch die nächste und übernächste ‘Invented’.