‘Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einen, wenn man hinabsieht.’ Wer hätte es gedacht: Um den Kellermenschen zu sehen, muss man die Stufen des MTC-Clubs hinabsteigen. Dann steht man in einem düsteren Kabuff, an dessen Ende sich eine winzige Bühne befindet. Mit dem Klavier, dem Kontrabass und den restlichen Instrumenten plus Equipment stellt sich die Frage, wie die sieben Kellermenschen noch auf die Bühne passen sollen. Fast eine Stunde später als geplant erscheint der Trupp auf der Bühne. Der Club hat sich zwar etwas gefüllt, das Publikum bleibt dennoch überschaulich.
Claudio Suez hat den Bass wie ein Maschinengewehr im Anschlag und läuft auf der Bühne hin und her, als wäre er einer Hugo-Boss-Werbung entstiegen. Der Schlips sitzt bei allen wie der Scheitel einfach perfekt. Nur der Sänger Christian Sindermann scheint nach Bruchteilen von Sekunden äußerlich wie innerlich zerstört. Eine menschliche Ruine, die alle Lieder wie ein Trakl-Gedicht erscheinen lässt. Inbrünstig schottergeschundenes Seelengeschrei und Gesang aus tiefsten Abgründen erreicht die Leute vor der Bühne, und irgendwie weiß man nicht so genau, was davon Show und was echt ist, wenn Sindermann mit seinem teuflischen Blick ins Publikum taucht, aber niemanden wirklich visiert. Wie ein Angeschossener tollwütiger Wolf, verwundet und leidend wird jeder einzelne Song im Seelenabgrund sichtbar.
Der Sound ist überraschend gut und wie durch ein Wunder kommen sich die sieben auf der Bühne gar nicht so in die Quere wie befürchtet. Eben gebündelte Gewalt. Am Anfang sitzt Sebastian Wolff am Klavier, bis er irgendwann zum Mikrofonständer wandert und losgrowlt.
Vorne links verausgabt sich ein Zuhörer und schleudert unaufhörlich seine lange Mähne durch die Gegend, Platz genug hat er ja. Zwei befreundete Mitdreißiger filmen sich gegenseitig, immer mit der Mano cornuta vor dem Auslöser. Nach einer knappen Stunde heißt es: ‘Dies ist unser letzter Song 'Moribundtown'’ – und Sindermann beginnt seine Gitarre am Mikroständer zu schrammeln, verliert beim Kniefall in Ekstase sein Mikro, das von der Bühne plumpst. Unter den abschätzigen Blicken der anderen im Hintergrund holt es wieder hoch, springt ins Publikum und schrubbelt dort überall seine Gitarre, am Bühnenrand, an den Stehtischen, springt wieder auf die Bühne, verpisst sich durch den Hinterausgang und wurde nie wieder gesehen.
Zum Ende dreht der Geigenspieler die Köpfe am Verstärker bis zum Anschlag auf und lässt das Publikum im Soundnebel stehen. Ein abgrundtief großartiges Konzert einer wirklich außergewöhnlichen Band.
Kellermensch – ‘Narcissus’ (live)
Leider lässt die Soundqualität in der zweiten Hälfte etwas nach.