Utrecht im Sommer ist sicher schön, es hat nur einen gravierenden Nachteil: Dann ist kein Le Guess Who? dort. Mehr als zehn Jahre nach seiner Premiere gilt das Festival in Utrecht, etwa eine halbe Autostunde von Amsterdam entfernt, als Institution in Indierock-, Noise- und Avantgarde-Kreisen. Dafür sprechen neben dem geschmackssicheren Booking der Initiatoren und Gast-Kuratoren (mehr weiter unten) auch ganz praktische Gründe: Das früher weit entlang der Grachten verstreute Festivalgeschehen spielt sich inzwischen überwiegend im Multi-Venue-Komplex Tivoli Vredenburg ab. Kürzeste Wege und geschützt vor Wind und Wetter – so kann man ein Festival im Winter gut aushalten.
Das gilt auch in diesem Jahr, wenn das von VISIONS empfohlene Le Guess Who? zwischen dem 7. und 10. November über die Bühnen geht (Tickets und das volle Line-up gibt es auf der Festival-Website). Vor seiner Abfahrt Richtung Utrecht hat uns unser Chefredakteur Dennis Plauk kurz auf den Zettel mit seinen diesjährigen Must-see-Bands gucken lassen. Unter anderem diese fünf standen drauf.
EARTH
“Es gibt Musiker, die etwas erschaffen, und andere folgen ihnen nach”, sagte Dylan Carlson vor ein paar Monaten in unserem Interview zum aktuellen Earth-Album “Full Upon Her Burning Lips”. “Ich wollte nie einer von denen sein, die folgen.” Daran hat er sich immer gehalten: Anfang der 90er führte Carlson mit Earth neben Sunn o))) die Drone-Bewegung an – und noch heute lässt der Slow-Motion-Metal der inzwischen zum Duo geschrumpften Band staunen.
Video: Earth – “Cats On The Briar” (Live At Hellfest)
DEERHUNTER
Seit annähernd zwei Jahrzehnten operieren Deerhunter aus Atlanta im Spannungsfeld zwischen Art- und Indierock. Wie entrückt und zugleich unentziehbar das bisweilen auf der Bühne wirkt, bewies die Band um den enigmatischen Frontmann Bradford Cox auch schon auf dem Le Guess Who?, zuletzt 2015 mit ihrem vergleichsweise mild gestimmten Album “Fading Frontier” im Gepäck. Inzwischen sind Deerhunter ein Album weiter – und eine Live-Macht geblieben.
Deerhunter – “Desire Lines” (Live On The Interface)
GIRL BAND
Wer schräg klingt, braucht auch einen schrägen Namen: Bei Girl Band spielen ausschließlich Männer, natürlich. Der wohl exzentrischste von ihnen heißt Dara Kiely und steht dem irischen Noise-Punk-Unternehmen als Querdenker und -lenker vor. Heraus kommt dabei hochenergischer Krawallrock, der jüngst auf “The Talkies” die nächste erratische Evolutionsstufe nahm. “Ich ziehe jede Menge Energie aus unseren Shows”, sagte uns Kiely mal. Das beruht auf Gegenseitigkeit.
Girl Band – “Um Bongo” (Live At Other Voices)
GODFLESH
1988 gegründet, 2002 beerdigt, 2010 wiederbelebt: Godflesh waren einst Pioniere, wo sich Industrial und Post-Metal trafen – heute gehören sie zu den Veteranen. Dass das Feuer wieder in ihnen lodert, bewiesen die zwei starken Alben seit der Reunion: “A World Lit Only By Fire (2014) und “Post Self” (2017). Schönheit und Schmerz, Wohlklang und Destruktivität sind für die Briten kein Widerspruch, sondern Grundvoraussetzung für das jeweils andere.
Godflesh – “Streetcleaner” (Live In Maryland)
MOON DUO
Seit einigen Jahren lässt das Le Guess Who? Teile seines Programms von Bands kuratieren. Die Folge: Das Line-up wird spezieller, vielfältiger und zugleich kommerziell unberechenbarer. Es spricht für die Festivalchefs, dass sie trotzdem an diesem Konzept festhalten und für dieses Jahr unter anderem die kalifornischen Psychedelic-Rocker Moon Duo als Gast-Booker gewonnen haben. Die nicht zuletzt eine eigene Attraktion darstellen werden, wenn sie in Utrecht auftreten.